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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.

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I. 3. Preußens Erhebung.
von bäuerlichen Gütern ohne Eigenthumsrecht sollten das volle Eigenthum
an ihrem Gute erlangen gegen die Abtretung von einem Drittel ihres
Gutes oder gegen eine entsprechende Rente; wer nur die nichterbliche Nutz-
nießung an seinem Bauerngute hatte, konnte durch die Abtretung der
Hälfte ein freier Eigenthümer werden. Das Gesetz schnitt tief, ja grau-
sam ein in die gewohnten Verhältnisse; sogar einige freie Köpfe des Be-
amtenthums, wie Hippel, fanden den Schritt allzu gewagt. Die Ritter-
schaft in Pommern besaß etwa 260 Geviertmeilen, davon 100 # M.
bäuerliches Land, jetzt wurden ihrer siebzig freies Eigenthum der Bauern.
Begreiflich, daß der Adel murrte, auch Stein selber schloß sich ihm an.
Die Lage der Grundherren war schon längst so trostlos, daß sich im
Jahre 1810 die reichste Gutsbesitzerin in Preußen erbot, ihre Güter gegen
eine jährliche Rente von 2000 Thlr. an den Staat abzutreten; ein schle-
sischer Grundherr machte Bankrott, obgleich er noch einen Werth von
300,000 Thlr. in Grund und Boden besaß. Aber auch die Bauern
lärmten. Mehrmals brachen Unruhen aus, namentlich in Schlesien,
da der kleine Mann wähnte, er sei mit einem male aller Pflichten ledig;
die Ablösung, die dem Adel unbillig niedrig schien, wurde von den
Pflichtigen viel zu hoch gefunden. Gleichwohl ging die segensreiche Reform
vorwärts. Sie stand, trotz aller äußeren Aehnlichkeit, in scharfem Gegen-
satze zu den Gesetzen der französischen Revolution, da die Berechtigten
ehrlich entschädigt wurden. Ihre Durchführung wurde wesentlich geför-
dert durch das Landesculturedict, das die freie Veräußerung und Theilung
der Landgüter gestattete: dies bleibe "das beste Mittel, die Grundbesitzer
vor Verschuldung zu bewahren, ihnen ein dauerndes Interesse für Ver-
besserung ihrer Güter zu geben und die Cultur aller Grundstücke zu beför-
dern". Aus vollem Herzen schloß der König, es sei "für sein Gefühl
höchst erfreulich, daß wir endlich dahin gekommen sind alle Theile un-
serer getreuen Nation in einen freien Zustand zu versetzen und auch den
geringsten Klassen die Aussicht auf Glück und Wohlstand eröffnen zu
können". Gegen dies Edict vornehmlich richtete sich Steins Zorn. Er
schalt, nicht ohne die gallige Laune des Staatsmanns außer Diensten,
wider dies bureaukratische Nivelliren und fürchtete, die freie Theilbarkeit
der Grundstücke werde die Auskaufung, die Vernichtung seines geliebten
Bauernstandes herbeiführen -- eine Besorgniß, die sich doch als grundlos
gezeigt hat.

Hieran schloß sich endlich die Emancipation der Juden, welche bisher
amtlich noch immer als "Judenknechte" gegolten hatten (11. März 1812):
wenn sie bleibende Familiennamen annahmen und sich der Wehrpflicht
unterwarfen, so wurden sie, wie in den Ländern des Code Napoleon,
vollberechtigte Staatsbürger, zu jedem Gewerbebetrieb in Stadt und
Land, auch zu den akademischen, den Schul- und Gemeindeämtern zuge-
lassen. Unter den Jammerrufen der Feudalen geschah nun die große

I. 3. Preußens Erhebung.
von bäuerlichen Gütern ohne Eigenthumsrecht ſollten das volle Eigenthum
an ihrem Gute erlangen gegen die Abtretung von einem Drittel ihres
Gutes oder gegen eine entſprechende Rente; wer nur die nichterbliche Nutz-
nießung an ſeinem Bauerngute hatte, konnte durch die Abtretung der
Hälfte ein freier Eigenthümer werden. Das Geſetz ſchnitt tief, ja grau-
ſam ein in die gewohnten Verhältniſſe; ſogar einige freie Köpfe des Be-
amtenthums, wie Hippel, fanden den Schritt allzu gewagt. Die Ritter-
ſchaft in Pommern beſaß etwa 260 Geviertmeilen, davon 100 □ M.
bäuerliches Land, jetzt wurden ihrer ſiebzig freies Eigenthum der Bauern.
Begreiflich, daß der Adel murrte, auch Stein ſelber ſchloß ſich ihm an.
Die Lage der Grundherren war ſchon längſt ſo troſtlos, daß ſich im
Jahre 1810 die reichſte Gutsbeſitzerin in Preußen erbot, ihre Güter gegen
eine jährliche Rente von 2000 Thlr. an den Staat abzutreten; ein ſchle-
ſiſcher Grundherr machte Bankrott, obgleich er noch einen Werth von
300,000 Thlr. in Grund und Boden beſaß. Aber auch die Bauern
lärmten. Mehrmals brachen Unruhen aus, namentlich in Schleſien,
da der kleine Mann wähnte, er ſei mit einem male aller Pflichten ledig;
die Ablöſung, die dem Adel unbillig niedrig ſchien, wurde von den
Pflichtigen viel zu hoch gefunden. Gleichwohl ging die ſegensreiche Reform
vorwärts. Sie ſtand, trotz aller äußeren Aehnlichkeit, in ſcharfem Gegen-
ſatze zu den Geſetzen der franzöſiſchen Revolution, da die Berechtigten
ehrlich entſchädigt wurden. Ihre Durchführung wurde weſentlich geför-
dert durch das Landesculturedict, das die freie Veräußerung und Theilung
der Landgüter geſtattete: dies bleibe „das beſte Mittel, die Grundbeſitzer
vor Verſchuldung zu bewahren, ihnen ein dauerndes Intereſſe für Ver-
beſſerung ihrer Güter zu geben und die Cultur aller Grundſtücke zu beför-
dern“. Aus vollem Herzen ſchloß der König, es ſei „für ſein Gefühl
höchſt erfreulich, daß wir endlich dahin gekommen ſind alle Theile un-
ſerer getreuen Nation in einen freien Zuſtand zu verſetzen und auch den
geringſten Klaſſen die Ausſicht auf Glück und Wohlſtand eröffnen zu
können“. Gegen dies Edict vornehmlich richtete ſich Steins Zorn. Er
ſchalt, nicht ohne die gallige Laune des Staatsmanns außer Dienſten,
wider dies bureaukratiſche Nivelliren und fürchtete, die freie Theilbarkeit
der Grundſtücke werde die Auskaufung, die Vernichtung ſeines geliebten
Bauernſtandes herbeiführen — eine Beſorgniß, die ſich doch als grundlos
gezeigt hat.

Hieran ſchloß ſich endlich die Emancipation der Juden, welche bisher
amtlich noch immer als „Judenknechte“ gegolten hatten (11. März 1812):
wenn ſie bleibende Familiennamen annahmen und ſich der Wehrpflicht
unterwarfen, ſo wurden ſie, wie in den Ländern des Code Napoleon,
vollberechtigte Staatsbürger, zu jedem Gewerbebetrieb in Stadt und
Land, auch zu den akademiſchen, den Schul- und Gemeindeämtern zuge-
laſſen. Unter den Jammerrufen der Feudalen geſchah nun die große

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[376/0392] I. 3. Preußens Erhebung. von bäuerlichen Gütern ohne Eigenthumsrecht ſollten das volle Eigenthum an ihrem Gute erlangen gegen die Abtretung von einem Drittel ihres Gutes oder gegen eine entſprechende Rente; wer nur die nichterbliche Nutz- nießung an ſeinem Bauerngute hatte, konnte durch die Abtretung der Hälfte ein freier Eigenthümer werden. Das Geſetz ſchnitt tief, ja grau- ſam ein in die gewohnten Verhältniſſe; ſogar einige freie Köpfe des Be- amtenthums, wie Hippel, fanden den Schritt allzu gewagt. Die Ritter- ſchaft in Pommern beſaß etwa 260 Geviertmeilen, davon 100 □ M. bäuerliches Land, jetzt wurden ihrer ſiebzig freies Eigenthum der Bauern. Begreiflich, daß der Adel murrte, auch Stein ſelber ſchloß ſich ihm an. Die Lage der Grundherren war ſchon längſt ſo troſtlos, daß ſich im Jahre 1810 die reichſte Gutsbeſitzerin in Preußen erbot, ihre Güter gegen eine jährliche Rente von 2000 Thlr. an den Staat abzutreten; ein ſchle- ſiſcher Grundherr machte Bankrott, obgleich er noch einen Werth von 300,000 Thlr. in Grund und Boden beſaß. Aber auch die Bauern lärmten. Mehrmals brachen Unruhen aus, namentlich in Schleſien, da der kleine Mann wähnte, er ſei mit einem male aller Pflichten ledig; die Ablöſung, die dem Adel unbillig niedrig ſchien, wurde von den Pflichtigen viel zu hoch gefunden. Gleichwohl ging die ſegensreiche Reform vorwärts. Sie ſtand, trotz aller äußeren Aehnlichkeit, in ſcharfem Gegen- ſatze zu den Geſetzen der franzöſiſchen Revolution, da die Berechtigten ehrlich entſchädigt wurden. Ihre Durchführung wurde weſentlich geför- dert durch das Landesculturedict, das die freie Veräußerung und Theilung der Landgüter geſtattete: dies bleibe „das beſte Mittel, die Grundbeſitzer vor Verſchuldung zu bewahren, ihnen ein dauerndes Intereſſe für Ver- beſſerung ihrer Güter zu geben und die Cultur aller Grundſtücke zu beför- dern“. Aus vollem Herzen ſchloß der König, es ſei „für ſein Gefühl höchſt erfreulich, daß wir endlich dahin gekommen ſind alle Theile un- ſerer getreuen Nation in einen freien Zuſtand zu verſetzen und auch den geringſten Klaſſen die Ausſicht auf Glück und Wohlſtand eröffnen zu können“. Gegen dies Edict vornehmlich richtete ſich Steins Zorn. Er ſchalt, nicht ohne die gallige Laune des Staatsmanns außer Dienſten, wider dies bureaukratiſche Nivelliren und fürchtete, die freie Theilbarkeit der Grundſtücke werde die Auskaufung, die Vernichtung ſeines geliebten Bauernſtandes herbeiführen — eine Beſorgniß, die ſich doch als grundlos gezeigt hat. Hieran ſchloß ſich endlich die Emancipation der Juden, welche bisher amtlich noch immer als „Judenknechte“ gegolten hatten (11. März 1812): wenn ſie bleibende Familiennamen annahmen und ſich der Wehrpflicht unterwarfen, ſo wurden ſie, wie in den Ländern des Code Napoleon, vollberechtigte Staatsbürger, zu jedem Gewerbebetrieb in Stadt und Land, auch zu den akademiſchen, den Schul- und Gemeindeämtern zuge- laſſen. Unter den Jammerrufen der Feudalen geſchah nun die große

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 376. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/392>, abgerufen am 22.11.2024.