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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.

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Stein und Hardenberg.
auch fällt, sich immer auf ein Seiten stellt. In Hardenbergs Geiste kom-
men und gehen die Gedanken und Einfälle wie die Nebelbilder in einem
Zauberspiegel. Dort Alles planvoll, tief, gediegen und darum auch alsbald
in vollem Ernste durchgeführt; hier ein unsicheres Schwanken zwischen
radicalen Doctrinen und despotischen Neigungen, eine Reihe verunglückter
Finanzgesetze, große gefährliche Versprechungen für die Zukunft, kühne
Anläufe, nach dem ersten Sprunge wieder aufgegeben, Alles planlos und
hastig; und mitten in diesem unfertigen dilettantischen Treiben doch einige
hochwichtige Reformen, des größten Staatsmannes würdig, eine Entfesse-
lung der wirthschaftlichen Kräfte, die dem Staate nachher ermöglicht hat
die Wunden eines fürchterlichen Krieges auszuheilen. Jener Zug des
Leichtsinns, welcher Hardenbergs proteische Natur so oft in die Irre führte,
hing doch eng zusammen mit der besten Kraft seines Wesens, der unver-
wüstlichen hoffnungsvollen Freudigkeit. Während Stein den preußischen
Staat schon fast verloren gab und nur noch auf das Wunder einer allge-
meinen deutschen Volkserhebung rechnete, fand dieser Leichtlebige stets
neue Mittel und Behelfe für seinen wirklichen Staat und nach jedem
neuen Fehlschlage stand er wieder schnellkräftig auf seinen Füßen. --

Inmitten der Aufregung dieser inneren Parteikämpfe behielt Harden-
berg immer seine beste Kraft frei für die auswärtige Politik. Er wollte
die wirthschaftlichen und militärischen Kräfte des ausgesogenen Landes
noch einige Jahre lang sammeln und unterdessen in der Stille ein gutes
Einvernehmen mit den beiden anderen Ostmächten herstellen, bis nach
der völligen Räumung der Oderfestungen der rechte Augenblick für die
Schilderhebung herankäme. Bis dahin durfte man den Argwohn des
Imperators nicht reizen. Darum wurde Scharnhorst scheinbar der Leitung
des Kriegsdepartements enthoben: in Wahrheit behielt er nach wie vor
die militärischen Dinge in seiner Hand. Graf Goltz, ein wohlmeinen-
der, ängstlicher Mann, an dem die Franzosen keinen Anstoß nahmen,
blieb dem Namen nach an der Spitze der auswärtigen Geschäfte, während
Hardenberg hinter seinem Rücken mit dem englischen Agenten Ompteda
verhandelte. Der Polizeidirector von Berlin, Justus Gruner, ein leiden-
schaftlicher, in die Pläne der geheimen Bünde tief eingeweihter Patriot,
verlor seine Stelle. Die aufgeregten Gelehrten und Schriftsteller erhiel-
ten freundschaftliche Mahnungen sich nicht bloßzustellen. Eine sorgsame
Censur überwachte nos deux gazettes: so hießen in der Sprache der
preußischen Diplomatie die patriotische Spenersche und die charakterlose,
vom Grafen St. Marsan insgeheim unterstützte Vossische Zeitung. Der
Staatskanzler war unermüdlich im Beschwichtigen und Entschuldigen, so
oft St. Marsan in Berlin oder Davoust in Magdeburg sich über die
Umtriebe von Fichte, Schleiermacher und Schmalz beschwerten.*) Indeß

*) Hardenbergs Tagebuch 6. Nov. 1811.

Stein und Hardenberg.
auch fällt, ſich immer auf ein Seiten ſtellt. In Hardenbergs Geiſte kom-
men und gehen die Gedanken und Einfälle wie die Nebelbilder in einem
Zauberſpiegel. Dort Alles planvoll, tief, gediegen und darum auch alsbald
in vollem Ernſte durchgeführt; hier ein unſicheres Schwanken zwiſchen
radicalen Doctrinen und despotiſchen Neigungen, eine Reihe verunglückter
Finanzgeſetze, große gefährliche Verſprechungen für die Zukunft, kühne
Anläufe, nach dem erſten Sprunge wieder aufgegeben, Alles planlos und
haſtig; und mitten in dieſem unfertigen dilettantiſchen Treiben doch einige
hochwichtige Reformen, des größten Staatsmannes würdig, eine Entfeſſe-
lung der wirthſchaftlichen Kräfte, die dem Staate nachher ermöglicht hat
die Wunden eines fürchterlichen Krieges auszuheilen. Jener Zug des
Leichtſinns, welcher Hardenbergs proteiſche Natur ſo oft in die Irre führte,
hing doch eng zuſammen mit der beſten Kraft ſeines Weſens, der unver-
wüſtlichen hoffnungsvollen Freudigkeit. Während Stein den preußiſchen
Staat ſchon faſt verloren gab und nur noch auf das Wunder einer allge-
meinen deutſchen Volkserhebung rechnete, fand dieſer Leichtlebige ſtets
neue Mittel und Behelfe für ſeinen wirklichen Staat und nach jedem
neuen Fehlſchlage ſtand er wieder ſchnellkräftig auf ſeinen Füßen. —

Inmitten der Aufregung dieſer inneren Parteikämpfe behielt Harden-
berg immer ſeine beſte Kraft frei für die auswärtige Politik. Er wollte
die wirthſchaftlichen und militäriſchen Kräfte des ausgeſogenen Landes
noch einige Jahre lang ſammeln und unterdeſſen in der Stille ein gutes
Einvernehmen mit den beiden anderen Oſtmächten herſtellen, bis nach
der völligen Räumung der Oderfeſtungen der rechte Augenblick für die
Schilderhebung herankäme. Bis dahin durfte man den Argwohn des
Imperators nicht reizen. Darum wurde Scharnhorſt ſcheinbar der Leitung
des Kriegsdepartements enthoben: in Wahrheit behielt er nach wie vor
die militäriſchen Dinge in ſeiner Hand. Graf Goltz, ein wohlmeinen-
der, ängſtlicher Mann, an dem die Franzoſen keinen Anſtoß nahmen,
blieb dem Namen nach an der Spitze der auswärtigen Geſchäfte, während
Hardenberg hinter ſeinem Rücken mit dem engliſchen Agenten Ompteda
verhandelte. Der Polizeidirector von Berlin, Juſtus Gruner, ein leiden-
ſchaftlicher, in die Pläne der geheimen Bünde tief eingeweihter Patriot,
verlor ſeine Stelle. Die aufgeregten Gelehrten und Schriftſteller erhiel-
ten freundſchaftliche Mahnungen ſich nicht bloßzuſtellen. Eine ſorgſame
Cenſur überwachte nos deux gazettes: ſo hießen in der Sprache der
preußiſchen Diplomatie die patriotiſche Spenerſche und die charakterloſe,
vom Grafen St. Marſan insgeheim unterſtützte Voſſiſche Zeitung. Der
Staatskanzler war unermüdlich im Beſchwichtigen und Entſchuldigen, ſo
oft St. Marſan in Berlin oder Davouſt in Magdeburg ſich über die
Umtriebe von Fichte, Schleiermacher und Schmalz beſchwerten.*) Indeß

*) Hardenbergs Tagebuch 6. Nov. 1811.
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[381/0397] Stein und Hardenberg. auch fällt, ſich immer auf ein Seiten ſtellt. In Hardenbergs Geiſte kom- men und gehen die Gedanken und Einfälle wie die Nebelbilder in einem Zauberſpiegel. Dort Alles planvoll, tief, gediegen und darum auch alsbald in vollem Ernſte durchgeführt; hier ein unſicheres Schwanken zwiſchen radicalen Doctrinen und despotiſchen Neigungen, eine Reihe verunglückter Finanzgeſetze, große gefährliche Verſprechungen für die Zukunft, kühne Anläufe, nach dem erſten Sprunge wieder aufgegeben, Alles planlos und haſtig; und mitten in dieſem unfertigen dilettantiſchen Treiben doch einige hochwichtige Reformen, des größten Staatsmannes würdig, eine Entfeſſe- lung der wirthſchaftlichen Kräfte, die dem Staate nachher ermöglicht hat die Wunden eines fürchterlichen Krieges auszuheilen. Jener Zug des Leichtſinns, welcher Hardenbergs proteiſche Natur ſo oft in die Irre führte, hing doch eng zuſammen mit der beſten Kraft ſeines Weſens, der unver- wüſtlichen hoffnungsvollen Freudigkeit. Während Stein den preußiſchen Staat ſchon faſt verloren gab und nur noch auf das Wunder einer allge- meinen deutſchen Volkserhebung rechnete, fand dieſer Leichtlebige ſtets neue Mittel und Behelfe für ſeinen wirklichen Staat und nach jedem neuen Fehlſchlage ſtand er wieder ſchnellkräftig auf ſeinen Füßen. — Inmitten der Aufregung dieſer inneren Parteikämpfe behielt Harden- berg immer ſeine beſte Kraft frei für die auswärtige Politik. Er wollte die wirthſchaftlichen und militäriſchen Kräfte des ausgeſogenen Landes noch einige Jahre lang ſammeln und unterdeſſen in der Stille ein gutes Einvernehmen mit den beiden anderen Oſtmächten herſtellen, bis nach der völligen Räumung der Oderfeſtungen der rechte Augenblick für die Schilderhebung herankäme. Bis dahin durfte man den Argwohn des Imperators nicht reizen. Darum wurde Scharnhorſt ſcheinbar der Leitung des Kriegsdepartements enthoben: in Wahrheit behielt er nach wie vor die militäriſchen Dinge in ſeiner Hand. Graf Goltz, ein wohlmeinen- der, ängſtlicher Mann, an dem die Franzoſen keinen Anſtoß nahmen, blieb dem Namen nach an der Spitze der auswärtigen Geſchäfte, während Hardenberg hinter ſeinem Rücken mit dem engliſchen Agenten Ompteda verhandelte. Der Polizeidirector von Berlin, Juſtus Gruner, ein leiden- ſchaftlicher, in die Pläne der geheimen Bünde tief eingeweihter Patriot, verlor ſeine Stelle. Die aufgeregten Gelehrten und Schriftſteller erhiel- ten freundſchaftliche Mahnungen ſich nicht bloßzuſtellen. Eine ſorgſame Cenſur überwachte nos deux gazettes: ſo hießen in der Sprache der preußiſchen Diplomatie die patriotiſche Spenerſche und die charakterloſe, vom Grafen St. Marſan insgeheim unterſtützte Voſſiſche Zeitung. Der Staatskanzler war unermüdlich im Beſchwichtigen und Entſchuldigen, ſo oft St. Marſan in Berlin oder Davouſt in Magdeburg ſich über die Umtriebe von Fichte, Schleiermacher und Schmalz beſchwerten. *) Indeß *) Hardenbergs Tagebuch 6. Nov. 1811.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 381. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/397>, abgerufen am 22.11.2024.