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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.

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Die Kriegspartei.
schrieb er an Alexander, wie gern er bereit sei sein Heer bis zum Rheine
zu führen; aber die Befreiung Deutschlands sei nur möglich, wenn die
drei Ostmächte vereinigt den Kampf auf dem deutschen Kriegstheater er-
öffneten.

Im October erschien Scharnhorst in tiefem Geheimniß zu Petersburg
und versuchte durch seine geistige Ueberlegenheit den Czaren zu überzeugen,
daß er den Kampf in Preußen eröffnen müsse. Auch er brachte nur die
Antwort heim: man werde den Feind in Rußland selbst erwarten und
könne für Preußen nichts thun, höchstens ein Corps von zwölf Bataillonen
nach Ostpreußen senden. Gleich darauf eilte Scharnhorst nach Wien;
selbst der Gesandte Humboldt -- so stark war Hardenbergs Mißtrauen
-- durfte nichts von seiner Ankunft erfahren. Metternich empfing den ver-
trauten Botschafter nicht unfreundlich. Der österreichische Minister behielt
die Möglichkeit eines Bundes der drei Ostmächte immer im Auge, obgleich
Kaiser Franz die militärischen Jacobiner in Berlin nicht weniger verabscheute
als sein Schwiegersohn; doch er meinte den Zeitpunkt für eine Verschiebung
der Allianzen noch nicht gekommen und dachte sehr niedrig von Alexanders
Willenskraft. Unmöglich, ihm eine feste Zusage zu entreißen; selbst für
den Fall der Vernichtung Preußens versprach er keinen Beistand. Auch
England verweigerte wirksame Hilfe. Preußen forderte nur das Unerläß-
liche: Subsidien und eine Landung an der deutschen Küste. Die britische
Regierung aber wollte noch immer nicht einsehen, daß die Entscheidung
des Weltkampfes allein in Deutschland lag. Stolz auf ihre iberischen
Erfolge meinte sie genug zu thun durch die rüstige Fortführung des spani-
schen Krieges -- wie ja bis zum heutigen Tage noch die Durchschnitts-
meinung der Engländer dahin geht, daß Wellingtons spanische Siege das
napoleonische Reich zertrümmert hätten. Dem bedrängten Berliner Hofe
bot England nur eine Waffenlieferung, und trotzdem unterstand sich der
welfische Staatsmann Graf Münster, bei Scharnhorst, Blücher und Gnei-
senau anzufragen, ob sie nicht gegen den Willen ihres Königs eine Schild-
erhebung wagen wollten! Die gedemüthigte fridericianische Monarchie hatte
alle Achtung in der Welt verloren; sie schien nur noch ein willenloser
Trümmerhaufen, zählte gar nicht mehr mit in der Reihe der Mächte.

So stand man denn abermals allein. Eine Kriegserklärung in solcher
Lage mußte den Staat vernichten bevor noch ein russischer Säbel aus der
Scheide fuhr. Was Wunder, daß nach Alledem im Januar 1812 die
französische Partei am preußischen Hofe sich wieder hervorwagte. Ihr
Wortführer war Ancillon -- der Hofpfaffe, wie Gneisenau ihn nannte
-- ein unterthäniger, seichter Schönredner, feigherzig von Natur, immer
zum kleinmüthigsten Entschlusse geneigt. Der führte mit seiner widerlichen
theologischen Salbung in breiter Denkschrift aus, daß Napoleon freund-
liche Absichten gegen die preußische Monarchie hege, denn sonst hätte er
sie längst zerstört, und rieth dringend zum Anschluß an Frankreich. Der

Die Kriegspartei.
ſchrieb er an Alexander, wie gern er bereit ſei ſein Heer bis zum Rheine
zu führen; aber die Befreiung Deutſchlands ſei nur möglich, wenn die
drei Oſtmächte vereinigt den Kampf auf dem deutſchen Kriegstheater er-
öffneten.

Im October erſchien Scharnhorſt in tiefem Geheimniß zu Petersburg
und verſuchte durch ſeine geiſtige Ueberlegenheit den Czaren zu überzeugen,
daß er den Kampf in Preußen eröffnen müſſe. Auch er brachte nur die
Antwort heim: man werde den Feind in Rußland ſelbſt erwarten und
könne für Preußen nichts thun, höchſtens ein Corps von zwölf Bataillonen
nach Oſtpreußen ſenden. Gleich darauf eilte Scharnhorſt nach Wien;
ſelbſt der Geſandte Humboldt — ſo ſtark war Hardenbergs Mißtrauen
— durfte nichts von ſeiner Ankunft erfahren. Metternich empfing den ver-
trauten Botſchafter nicht unfreundlich. Der öſterreichiſche Miniſter behielt
die Möglichkeit eines Bundes der drei Oſtmächte immer im Auge, obgleich
Kaiſer Franz die militäriſchen Jacobiner in Berlin nicht weniger verabſcheute
als ſein Schwiegerſohn; doch er meinte den Zeitpunkt für eine Verſchiebung
der Allianzen noch nicht gekommen und dachte ſehr niedrig von Alexanders
Willenskraft. Unmöglich, ihm eine feſte Zuſage zu entreißen; ſelbſt für
den Fall der Vernichtung Preußens verſprach er keinen Beiſtand. Auch
England verweigerte wirkſame Hilfe. Preußen forderte nur das Unerläß-
liche: Subſidien und eine Landung an der deutſchen Küſte. Die britiſche
Regierung aber wollte noch immer nicht einſehen, daß die Entſcheidung
des Weltkampfes allein in Deutſchland lag. Stolz auf ihre iberiſchen
Erfolge meinte ſie genug zu thun durch die rüſtige Fortführung des ſpani-
ſchen Krieges — wie ja bis zum heutigen Tage noch die Durchſchnitts-
meinung der Engländer dahin geht, daß Wellingtons ſpaniſche Siege das
napoleoniſche Reich zertrümmert hätten. Dem bedrängten Berliner Hofe
bot England nur eine Waffenlieferung, und trotzdem unterſtand ſich der
welfiſche Staatsmann Graf Münſter, bei Scharnhorſt, Blücher und Gnei-
ſenau anzufragen, ob ſie nicht gegen den Willen ihres Königs eine Schild-
erhebung wagen wollten! Die gedemüthigte fridericianiſche Monarchie hatte
alle Achtung in der Welt verloren; ſie ſchien nur noch ein willenloſer
Trümmerhaufen, zählte gar nicht mehr mit in der Reihe der Mächte.

So ſtand man denn abermals allein. Eine Kriegserklärung in ſolcher
Lage mußte den Staat vernichten bevor noch ein ruſſiſcher Säbel aus der
Scheide fuhr. Was Wunder, daß nach Alledem im Januar 1812 die
franzöſiſche Partei am preußiſchen Hofe ſich wieder hervorwagte. Ihr
Wortführer war Ancillon — der Hofpfaffe, wie Gneiſenau ihn nannte
— ein unterthäniger, ſeichter Schönredner, feigherzig von Natur, immer
zum kleinmüthigſten Entſchluſſe geneigt. Der führte mit ſeiner widerlichen
theologiſchen Salbung in breiter Denkſchrift aus, daß Napoleon freund-
liche Abſichten gegen die preußiſche Monarchie hege, denn ſonſt hätte er
ſie längſt zerſtört, und rieth dringend zum Anſchluß an Frankreich. Der

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[389/0405] Die Kriegspartei. ſchrieb er an Alexander, wie gern er bereit ſei ſein Heer bis zum Rheine zu führen; aber die Befreiung Deutſchlands ſei nur möglich, wenn die drei Oſtmächte vereinigt den Kampf auf dem deutſchen Kriegstheater er- öffneten. Im October erſchien Scharnhorſt in tiefem Geheimniß zu Petersburg und verſuchte durch ſeine geiſtige Ueberlegenheit den Czaren zu überzeugen, daß er den Kampf in Preußen eröffnen müſſe. Auch er brachte nur die Antwort heim: man werde den Feind in Rußland ſelbſt erwarten und könne für Preußen nichts thun, höchſtens ein Corps von zwölf Bataillonen nach Oſtpreußen ſenden. Gleich darauf eilte Scharnhorſt nach Wien; ſelbſt der Geſandte Humboldt — ſo ſtark war Hardenbergs Mißtrauen — durfte nichts von ſeiner Ankunft erfahren. Metternich empfing den ver- trauten Botſchafter nicht unfreundlich. Der öſterreichiſche Miniſter behielt die Möglichkeit eines Bundes der drei Oſtmächte immer im Auge, obgleich Kaiſer Franz die militäriſchen Jacobiner in Berlin nicht weniger verabſcheute als ſein Schwiegerſohn; doch er meinte den Zeitpunkt für eine Verſchiebung der Allianzen noch nicht gekommen und dachte ſehr niedrig von Alexanders Willenskraft. Unmöglich, ihm eine feſte Zuſage zu entreißen; ſelbſt für den Fall der Vernichtung Preußens verſprach er keinen Beiſtand. Auch England verweigerte wirkſame Hilfe. Preußen forderte nur das Unerläß- liche: Subſidien und eine Landung an der deutſchen Küſte. Die britiſche Regierung aber wollte noch immer nicht einſehen, daß die Entſcheidung des Weltkampfes allein in Deutſchland lag. Stolz auf ihre iberiſchen Erfolge meinte ſie genug zu thun durch die rüſtige Fortführung des ſpani- ſchen Krieges — wie ja bis zum heutigen Tage noch die Durchſchnitts- meinung der Engländer dahin geht, daß Wellingtons ſpaniſche Siege das napoleoniſche Reich zertrümmert hätten. Dem bedrängten Berliner Hofe bot England nur eine Waffenlieferung, und trotzdem unterſtand ſich der welfiſche Staatsmann Graf Münſter, bei Scharnhorſt, Blücher und Gnei- ſenau anzufragen, ob ſie nicht gegen den Willen ihres Königs eine Schild- erhebung wagen wollten! Die gedemüthigte fridericianiſche Monarchie hatte alle Achtung in der Welt verloren; ſie ſchien nur noch ein willenloſer Trümmerhaufen, zählte gar nicht mehr mit in der Reihe der Mächte. So ſtand man denn abermals allein. Eine Kriegserklärung in ſolcher Lage mußte den Staat vernichten bevor noch ein ruſſiſcher Säbel aus der Scheide fuhr. Was Wunder, daß nach Alledem im Januar 1812 die franzöſiſche Partei am preußiſchen Hofe ſich wieder hervorwagte. Ihr Wortführer war Ancillon — der Hofpfaffe, wie Gneiſenau ihn nannte — ein unterthäniger, ſeichter Schönredner, feigherzig von Natur, immer zum kleinmüthigſten Entſchluſſe geneigt. Der führte mit ſeiner widerlichen theologiſchen Salbung in breiter Denkſchrift aus, daß Napoleon freund- liche Abſichten gegen die preußiſche Monarchie hege, denn ſonſt hätte er ſie längſt zerſtört, und rieth dringend zum Anſchluß an Frankreich. Der

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 389. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/405>, abgerufen am 22.11.2024.