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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.

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I. 3. Preußens Erhebung.
750,000 Mann auf die Beine zu bringen, wenn man nur aller falschen
Klugheit abschwöre und die dumpfe Erwartung der ungewissen Zukunft
aufgebe. Niemals ist ein hochherziger Irrthum schöner und würdiger
vertheidigt worden.

Von den anderen Offizieren waren Einzelne, wie der feurige hoch-
gemuthe Graf Chasot, schon während der Wirren von 1809 ausge-
treten; ihnen bot jetzt der Czar in seiner neu gebildeten Deutschen Legion
eine Freistatt. Andere Tapfere, wie Grolmann, Oppen, die Gebrüder
Hirschfeld, fochten in Spanien; sie dachten wie Gneisenau: "die Welt
scheidet sich in Feinde und Freunde Bonapartes, auf das Gebiet der
Länder kommt es dabei weniger an als auf das der Grundsätze." Die
ungeheure Mehrzahl des Offizierscorps aber gab ihrem Kriegsherrn einen
Beweis deutscher Treue, der schwerer wog als manche glänzende That
des Kriegsmuthes. Kein Mann in diesen Reihen, der den Krieg für
Napoleon nicht verwünschte; und doch sind nur einundzwanzig active
Offiziere, darunter nur drei Stabsoffiziere, in Folge der französischen
Allianz freiwillig ausgeschieden um zumeist in die deutsch-russische Legion
einzutreten.*) Die Anderen bezwangen ihren heißen Haß, und sie sollten
dereinst noch Größeres vollbringen als jene Ungeduldigen. Es stand doch
anders als Gneisenau in seinem heiligen Eifer meinte. Der Krieg für
das Recht der Nationen verlangte nationale Heere; die Bastardsbildung
der deutsch-russischen Legion blieb ein Gemisch aus edlen und gemeinen
Elementen, sie hat weder im russischen noch im deutschen Kriege eine be-
deutende Rolle gespielt. Der König nahm die Abschiedsgesuche sehr un-
willig auf. Clausewitz und noch Mehrere der Ausgeschiedenen konnten
nachher nur mit Mühe den Wiedereintritt in die Armee erlangen; wie
oft haben noch in späteren Jahren die Gegner der Reformpartei den
Monarchen geflissentlich daran erinnert, daß einige der nächsten Freunde
Scharnhorsts und Gneisenaus nicht bei der Fahne geblieben waren.

Napoleon hatte noch immer keine Ahnung von der ungeheuren Um-
stimmung des deutschen Volkes. Vergeblich warnten ihn Davoust und
Rapp und selbst sein allezeit lustiger Bruder Jerome. Er erwiderte ver-
ächtlich: "was soll denn zu fürchten sein von einem so maßvollen, so ver-
nünftigen, so kalten, so duldsamen Volke, einem Volke, dem jede Aus-
schreitung so fern liegt, daß noch niemals einer meiner Soldaten während
des Krieges gemordet wurde?" Graf Narbonne aber, der sich mitten im
Gefolge des Imperators noch ein Gefühl für Recht und Scham bewahrt
hatte, sagte voraus, diese erzwungene preußische Freundschaft könne nicht
dauern; wie dürfe man Treue fordern von einem Bundesgenossen, den
man in seiner eigenen Hauptstadt bewache? In der That blieb das herz-
liche Einvernehmen zwischen dem Könige und dem Czaren auch nach dem

*) Nachgewiesen von Max Lehmann, Knesebeck und Schoen. S. 57.

I. 3. Preußens Erhebung.
750,000 Mann auf die Beine zu bringen, wenn man nur aller falſchen
Klugheit abſchwöre und die dumpfe Erwartung der ungewiſſen Zukunft
aufgebe. Niemals iſt ein hochherziger Irrthum ſchöner und würdiger
vertheidigt worden.

Von den anderen Offizieren waren Einzelne, wie der feurige hoch-
gemuthe Graf Chaſot, ſchon während der Wirren von 1809 ausge-
treten; ihnen bot jetzt der Czar in ſeiner neu gebildeten Deutſchen Legion
eine Freiſtatt. Andere Tapfere, wie Grolmann, Oppen, die Gebrüder
Hirſchfeld, fochten in Spanien; ſie dachten wie Gneiſenau: „die Welt
ſcheidet ſich in Feinde und Freunde Bonapartes, auf das Gebiet der
Länder kommt es dabei weniger an als auf das der Grundſätze.“ Die
ungeheure Mehrzahl des Offizierscorps aber gab ihrem Kriegsherrn einen
Beweis deutſcher Treue, der ſchwerer wog als manche glänzende That
des Kriegsmuthes. Kein Mann in dieſen Reihen, der den Krieg für
Napoleon nicht verwünſchte; und doch ſind nur einundzwanzig active
Offiziere, darunter nur drei Stabsoffiziere, in Folge der franzöſiſchen
Allianz freiwillig ausgeſchieden um zumeiſt in die deutſch-ruſſiſche Legion
einzutreten.*) Die Anderen bezwangen ihren heißen Haß, und ſie ſollten
dereinſt noch Größeres vollbringen als jene Ungeduldigen. Es ſtand doch
anders als Gneiſenau in ſeinem heiligen Eifer meinte. Der Krieg für
das Recht der Nationen verlangte nationale Heere; die Baſtardsbildung
der deutſch-ruſſiſchen Legion blieb ein Gemiſch aus edlen und gemeinen
Elementen, ſie hat weder im ruſſiſchen noch im deutſchen Kriege eine be-
deutende Rolle geſpielt. Der König nahm die Abſchiedsgeſuche ſehr un-
willig auf. Clauſewitz und noch Mehrere der Ausgeſchiedenen konnten
nachher nur mit Mühe den Wiedereintritt in die Armee erlangen; wie
oft haben noch in ſpäteren Jahren die Gegner der Reformpartei den
Monarchen gefliſſentlich daran erinnert, daß einige der nächſten Freunde
Scharnhorſts und Gneiſenaus nicht bei der Fahne geblieben waren.

Napoleon hatte noch immer keine Ahnung von der ungeheuren Um-
ſtimmung des deutſchen Volkes. Vergeblich warnten ihn Davouſt und
Rapp und ſelbſt ſein allezeit luſtiger Bruder Jerome. Er erwiderte ver-
ächtlich: „was ſoll denn zu fürchten ſein von einem ſo maßvollen, ſo ver-
nünftigen, ſo kalten, ſo duldſamen Volke, einem Volke, dem jede Aus-
ſchreitung ſo fern liegt, daß noch niemals einer meiner Soldaten während
des Krieges gemordet wurde?“ Graf Narbonne aber, der ſich mitten im
Gefolge des Imperators noch ein Gefühl für Recht und Scham bewahrt
hatte, ſagte voraus, dieſe erzwungene preußiſche Freundſchaft könne nicht
dauern; wie dürfe man Treue fordern von einem Bundesgenoſſen, den
man in ſeiner eigenen Hauptſtadt bewache? In der That blieb das herz-
liche Einvernehmen zwiſchen dem Könige und dem Czaren auch nach dem

*) Nachgewieſen von Max Lehmann, Kneſebeck und Schoen. S. 57.
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[392/0408] I. 3. Preußens Erhebung. 750,000 Mann auf die Beine zu bringen, wenn man nur aller falſchen Klugheit abſchwöre und die dumpfe Erwartung der ungewiſſen Zukunft aufgebe. Niemals iſt ein hochherziger Irrthum ſchöner und würdiger vertheidigt worden. Von den anderen Offizieren waren Einzelne, wie der feurige hoch- gemuthe Graf Chaſot, ſchon während der Wirren von 1809 ausge- treten; ihnen bot jetzt der Czar in ſeiner neu gebildeten Deutſchen Legion eine Freiſtatt. Andere Tapfere, wie Grolmann, Oppen, die Gebrüder Hirſchfeld, fochten in Spanien; ſie dachten wie Gneiſenau: „die Welt ſcheidet ſich in Feinde und Freunde Bonapartes, auf das Gebiet der Länder kommt es dabei weniger an als auf das der Grundſätze.“ Die ungeheure Mehrzahl des Offizierscorps aber gab ihrem Kriegsherrn einen Beweis deutſcher Treue, der ſchwerer wog als manche glänzende That des Kriegsmuthes. Kein Mann in dieſen Reihen, der den Krieg für Napoleon nicht verwünſchte; und doch ſind nur einundzwanzig active Offiziere, darunter nur drei Stabsoffiziere, in Folge der franzöſiſchen Allianz freiwillig ausgeſchieden um zumeiſt in die deutſch-ruſſiſche Legion einzutreten. *) Die Anderen bezwangen ihren heißen Haß, und ſie ſollten dereinſt noch Größeres vollbringen als jene Ungeduldigen. Es ſtand doch anders als Gneiſenau in ſeinem heiligen Eifer meinte. Der Krieg für das Recht der Nationen verlangte nationale Heere; die Baſtardsbildung der deutſch-ruſſiſchen Legion blieb ein Gemiſch aus edlen und gemeinen Elementen, ſie hat weder im ruſſiſchen noch im deutſchen Kriege eine be- deutende Rolle geſpielt. Der König nahm die Abſchiedsgeſuche ſehr un- willig auf. Clauſewitz und noch Mehrere der Ausgeſchiedenen konnten nachher nur mit Mühe den Wiedereintritt in die Armee erlangen; wie oft haben noch in ſpäteren Jahren die Gegner der Reformpartei den Monarchen gefliſſentlich daran erinnert, daß einige der nächſten Freunde Scharnhorſts und Gneiſenaus nicht bei der Fahne geblieben waren. Napoleon hatte noch immer keine Ahnung von der ungeheuren Um- ſtimmung des deutſchen Volkes. Vergeblich warnten ihn Davouſt und Rapp und ſelbſt ſein allezeit luſtiger Bruder Jerome. Er erwiderte ver- ächtlich: „was ſoll denn zu fürchten ſein von einem ſo maßvollen, ſo ver- nünftigen, ſo kalten, ſo duldſamen Volke, einem Volke, dem jede Aus- ſchreitung ſo fern liegt, daß noch niemals einer meiner Soldaten während des Krieges gemordet wurde?“ Graf Narbonne aber, der ſich mitten im Gefolge des Imperators noch ein Gefühl für Recht und Scham bewahrt hatte, ſagte voraus, dieſe erzwungene preußiſche Freundſchaft könne nicht dauern; wie dürfe man Treue fordern von einem Bundesgenoſſen, den man in ſeiner eigenen Hauptſtadt bewache? In der That blieb das herz- liche Einvernehmen zwiſchen dem Könige und dem Czaren auch nach dem *) Nachgewieſen von Max Lehmann, Kneſebeck und Schoen. S. 57.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 392. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/408>, abgerufen am 22.11.2024.