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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.

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I. 3. Preußens Erhebung.
hatte der österreichische Staatsmann aus den furchtbaren Lehren der jüng-
sten Jahre doch gelernt, daß er eine mäßige Verstärkung der preußischen
Macht, allerdings unter manchem stillen Vorbehalte, für nothwendig an-
sah. Die beiden Minister enthüllten einander gegenseitig ihre geheimen
Beziehungen zu England, sie gelobten sich, den vertraulichen Verkehr, den
sie seit Jahren pflegten, noch lebhafter als bisher fortzusetzen und in
gutem Einvernehmen die Stunde zu erwarten, die ihnen eine Verände-
rung der Allianzen erlaubte.

Wann diese ersehnte Stunde schlagen würde, das lag freilich noch
in tiefem Dunkel. Vorderhand konnte man nur auf irgend ein unvor-
hergesehenes Ereigniß, etwa auf den Tod Napoleons hoffen. An den
Sieg Rußlands glaubten die Eingeweihten nicht. Es zeigte sich bald,
wie leichtsinnig Alexander seine Kräfte überschätzt hatte. Er stellte nur
etwa 175,000 Mann gegen die dreifache Uebermacht Napoleons ins Feld;
erst beim Beginne des Feldzugs entschloß er sich den Türkenkrieg zu be-
endigen und im Bukarester Frieden die Donauprovinzen größtentheils auf-
zugeben, dergestalt daß seine Südarmee erst spät in den Krieg eingreifen
konnte. Bedeutende Generale hatte Rußland seit Suworows Tode kaum
noch aufzuweisen, und wie man den wetterwendischen Czaren kannte,
mußten die Höfe für wahrscheinlich halten, daß er nochmals, wie nach
Austerlitz und Friedland, nach der ersten verlorenen Schlacht das Spiel
verloren geben würde.

Das Volk dachte anders. Während des heißen letzten Sommers, der
den edlen Elfer zeitigte, hatte ein prächtiger Komet mit seiner rothen
Flammenruthe allnächtlich den Himmel erleuchtet. Die Massen wußten
seitdem, daß Großes, Unerhörtes bevorstehe. Als nun das wilde fremde
Kriegsvolk aus allerlei Landen durch die preußischen Dörfer strömte --
die kleinen genügsamen braunen Spanier und die Hünengestalten der
unersättlichen bairischen Trinker, die langsamen Holländer und die behen-
den Fanfarons aus der Gascogne -- da schien dem kleinen Manne Alles
wie ein wüster Spuk; er meinte, dies tolle Wesen nehme ein schlimmes
Ende, und er bestärkte sich in solchem Glauben, wenn er, Wuth im
Herzen, die zügellosen Horden hausen sah, wie sie in rasendem Uebermuthe
das frische Weißbrod haufenweis in den Koth traten, die vollen Flaschen
an der Wand zerschmetterten. Die Politik der ideenlosen Eroberungslust
entsittlicht auf die Dauer ihre eigenen Heere; die alte Mannszucht der
napoleonischen Truppen war verschwunden, ein frecher, meisterloser Lands-
knechtssinn nahm überhand. Auch die alte fröhliche Siegeszuversicht war
dahin. Der Soldat selbst begann des ewigen Schlachtens endlich satt
zu werden, er fürchtete die Schneewüsten des Ostens; in den italienischen
und deutschen Regimentern zeigte sich oft ein dumpfer Groll. Die Reiter
klagten: in den früheren Kriegen hätten ihre Rosse beim Ausmarsch lustig
gewiehert, heuer nicht.

I. 3. Preußens Erhebung.
hatte der öſterreichiſche Staatsmann aus den furchtbaren Lehren der jüng-
ſten Jahre doch gelernt, daß er eine mäßige Verſtärkung der preußiſchen
Macht, allerdings unter manchem ſtillen Vorbehalte, für nothwendig an-
ſah. Die beiden Miniſter enthüllten einander gegenſeitig ihre geheimen
Beziehungen zu England, ſie gelobten ſich, den vertraulichen Verkehr, den
ſie ſeit Jahren pflegten, noch lebhafter als bisher fortzuſetzen und in
gutem Einvernehmen die Stunde zu erwarten, die ihnen eine Verände-
rung der Allianzen erlaubte.

Wann dieſe erſehnte Stunde ſchlagen würde, das lag freilich noch
in tiefem Dunkel. Vorderhand konnte man nur auf irgend ein unvor-
hergeſehenes Ereigniß, etwa auf den Tod Napoleons hoffen. An den
Sieg Rußlands glaubten die Eingeweihten nicht. Es zeigte ſich bald,
wie leichtſinnig Alexander ſeine Kräfte überſchätzt hatte. Er ſtellte nur
etwa 175,000 Mann gegen die dreifache Uebermacht Napoleons ins Feld;
erſt beim Beginne des Feldzugs entſchloß er ſich den Türkenkrieg zu be-
endigen und im Bukareſter Frieden die Donauprovinzen größtentheils auf-
zugeben, dergeſtalt daß ſeine Südarmee erſt ſpät in den Krieg eingreifen
konnte. Bedeutende Generale hatte Rußland ſeit Suworows Tode kaum
noch aufzuweiſen, und wie man den wetterwendiſchen Czaren kannte,
mußten die Höfe für wahrſcheinlich halten, daß er nochmals, wie nach
Auſterlitz und Friedland, nach der erſten verlorenen Schlacht das Spiel
verloren geben würde.

Das Volk dachte anders. Während des heißen letzten Sommers, der
den edlen Elfer zeitigte, hatte ein prächtiger Komet mit ſeiner rothen
Flammenruthe allnächtlich den Himmel erleuchtet. Die Maſſen wußten
ſeitdem, daß Großes, Unerhörtes bevorſtehe. Als nun das wilde fremde
Kriegsvolk aus allerlei Landen durch die preußiſchen Dörfer ſtrömte —
die kleinen genügſamen braunen Spanier und die Hünengeſtalten der
unerſättlichen bairiſchen Trinker, die langſamen Holländer und die behen-
den Fanfarons aus der Gascogne — da ſchien dem kleinen Manne Alles
wie ein wüſter Spuk; er meinte, dies tolle Weſen nehme ein ſchlimmes
Ende, und er beſtärkte ſich in ſolchem Glauben, wenn er, Wuth im
Herzen, die zügelloſen Horden hauſen ſah, wie ſie in raſendem Uebermuthe
das friſche Weißbrod haufenweis in den Koth traten, die vollen Flaſchen
an der Wand zerſchmetterten. Die Politik der ideenloſen Eroberungsluſt
entſittlicht auf die Dauer ihre eigenen Heere; die alte Mannszucht der
napoleoniſchen Truppen war verſchwunden, ein frecher, meiſterloſer Lands-
knechtsſinn nahm überhand. Auch die alte fröhliche Siegeszuverſicht war
dahin. Der Soldat ſelbſt begann des ewigen Schlachtens endlich ſatt
zu werden, er fürchtete die Schneewüſten des Oſtens; in den italieniſchen
und deutſchen Regimentern zeigte ſich oft ein dumpfer Groll. Die Reiter
klagten: in den früheren Kriegen hätten ihre Roſſe beim Ausmarſch luſtig
gewiehert, heuer nicht.

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[394/0410] I. 3. Preußens Erhebung. hatte der öſterreichiſche Staatsmann aus den furchtbaren Lehren der jüng- ſten Jahre doch gelernt, daß er eine mäßige Verſtärkung der preußiſchen Macht, allerdings unter manchem ſtillen Vorbehalte, für nothwendig an- ſah. Die beiden Miniſter enthüllten einander gegenſeitig ihre geheimen Beziehungen zu England, ſie gelobten ſich, den vertraulichen Verkehr, den ſie ſeit Jahren pflegten, noch lebhafter als bisher fortzuſetzen und in gutem Einvernehmen die Stunde zu erwarten, die ihnen eine Verände- rung der Allianzen erlaubte. Wann dieſe erſehnte Stunde ſchlagen würde, das lag freilich noch in tiefem Dunkel. Vorderhand konnte man nur auf irgend ein unvor- hergeſehenes Ereigniß, etwa auf den Tod Napoleons hoffen. An den Sieg Rußlands glaubten die Eingeweihten nicht. Es zeigte ſich bald, wie leichtſinnig Alexander ſeine Kräfte überſchätzt hatte. Er ſtellte nur etwa 175,000 Mann gegen die dreifache Uebermacht Napoleons ins Feld; erſt beim Beginne des Feldzugs entſchloß er ſich den Türkenkrieg zu be- endigen und im Bukareſter Frieden die Donauprovinzen größtentheils auf- zugeben, dergeſtalt daß ſeine Südarmee erſt ſpät in den Krieg eingreifen konnte. Bedeutende Generale hatte Rußland ſeit Suworows Tode kaum noch aufzuweiſen, und wie man den wetterwendiſchen Czaren kannte, mußten die Höfe für wahrſcheinlich halten, daß er nochmals, wie nach Auſterlitz und Friedland, nach der erſten verlorenen Schlacht das Spiel verloren geben würde. Das Volk dachte anders. Während des heißen letzten Sommers, der den edlen Elfer zeitigte, hatte ein prächtiger Komet mit ſeiner rothen Flammenruthe allnächtlich den Himmel erleuchtet. Die Maſſen wußten ſeitdem, daß Großes, Unerhörtes bevorſtehe. Als nun das wilde fremde Kriegsvolk aus allerlei Landen durch die preußiſchen Dörfer ſtrömte — die kleinen genügſamen braunen Spanier und die Hünengeſtalten der unerſättlichen bairiſchen Trinker, die langſamen Holländer und die behen- den Fanfarons aus der Gascogne — da ſchien dem kleinen Manne Alles wie ein wüſter Spuk; er meinte, dies tolle Weſen nehme ein ſchlimmes Ende, und er beſtärkte ſich in ſolchem Glauben, wenn er, Wuth im Herzen, die zügelloſen Horden hauſen ſah, wie ſie in raſendem Uebermuthe das friſche Weißbrod haufenweis in den Koth traten, die vollen Flaſchen an der Wand zerſchmetterten. Die Politik der ideenloſen Eroberungsluſt entſittlicht auf die Dauer ihre eigenen Heere; die alte Mannszucht der napoleoniſchen Truppen war verſchwunden, ein frecher, meiſterloſer Lands- knechtsſinn nahm überhand. Auch die alte fröhliche Siegeszuverſicht war dahin. Der Soldat ſelbſt begann des ewigen Schlachtens endlich ſatt zu werden, er fürchtete die Schneewüſten des Oſtens; in den italieniſchen und deutſchen Regimentern zeigte ſich oft ein dumpfer Groll. Die Reiter klagten: in den früheren Kriegen hätten ihre Roſſe beim Ausmarſch luſtig gewiehert, heuer nicht.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 394. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/410>, abgerufen am 22.11.2024.