terliche Flucht politisch ebenso wohl erwogen war wie einst sein heim- licher Abzug aus Aegypten; er wußte, was dieser eine Mann bedeutete und sah voraus, daß der Imperator in Kurzem mit einem gewaltigen Heere zurückkehren würde.
Der sofortige offene Abfall war unmöglich, nicht blos weil die Ge- wissenhaftigkeit des Königs selbst einen erzwungenen Bund nicht ohne stichhaltige völkerrechtliche Gründe auflösen wollte, sondern auch weil die französischen Streitkräfte in den Marken vollauf genügten eine plötzliche Erhebung im Keime zu ersticken. Dagegen war alle Welt am Hofe darüber einig, daß die Gunst des Glückes benutzt, der Anschluß an Ruß- land und Oesterreich sofort vorbereitet werden müsse. Jeder Unterschied der Parteien verschwand. Der bedächtige, conservative Cabinetsrath Albrecht und der Mann des Friedens Knesebeck mahnten jetzt nicht minder eifrig zum Kriege als vormals die Freunde Scharnhorsts; selbst der ängstliche Ancillon schloß sich an und der schroffe Junker Marwitz eilte ungeladen zu seinem Todfeinde Hardenberg, stellte sich ihm zur Verfügung. Am zweiten Weihnachtstage legte der Staatskanzler sein Programm vor: der Augenblick der Befreiung sei gekommen; man müsse schlagen, nöthigenfalls selbst ohne Oesterreichs Hilfe, da diese Macht zum Mindesten nicht feind- selig auftreten werde; den Feind im Lande, sei man genöthigt die franzö- sische Allianz noch scheinbar aufrechtzuhalten und die Rüstungen so dar- zustellen als geschähen sie zu Frankreichs Gunsten. Sein Plan war, daß Oesterreich und Preußen als bewaffnete Mediatoren zwischen die krieg- führenden Mächte treten sollten; lehnte Napoleons Hochmuth, wie voraus- zusehen, die Bedingungen der Vermittler ab, so war der Rechtsgrund zum Kriege gegeben. Mittlerweile solle sich der König in das sichere Schlesien begeben und von dort aus zur rechten Zeit sein Volk unter die Waffen rufen. Der König genehmigte Alles und warnte nur besonnen vor über- spannten Erwartungen: nicht am Rheine, wie der Staatskanzler gemeint hatte, sondern im deutschen Norden werde dieser Krieg beginnen. Als dies unheimliche Jahr im Sterben lag, rief man in Berlin bereits die Beurlaubten ein, befahl die Bildung von Reservebataillonen und entwarf die Instruction für Knesebeck, der als Unterhändler nach Wien gehen sollte. Das Eis war gebrochen, der große Entschluß war gefaßt. Bange Wochen vergingen noch bis man vor dem überlisteten Feinde das Visier aufschlagen durfte; doch weder der König noch sein Kanzler ist dem einmal ergriffenen rettenden Gedanken je wieder untreu geworden.
Den Massen des Volkes, die mit wachsender Ungeduld den Ruf des Königs erharrten, blieb dieser Umschwung der preußischen Politik natür- lich verborgen. Ein Glück daher, daß von anderer Seite her eine That gewagt wurde, die dem Volke wie ein weithin leuchtendes Signal ver- kündete, die Zeit des Harrens sei zu Ende. Die Nothwendigkeit der großen Wandlungen des historischen Lebens erscheint dann am anschau-
Treitschke, Deutsche Geschichte. I. 26
Umſchwung der preußiſchen Politik.
terliche Flucht politiſch ebenſo wohl erwogen war wie einſt ſein heim- licher Abzug aus Aegypten; er wußte, was dieſer eine Mann bedeutete und ſah voraus, daß der Imperator in Kurzem mit einem gewaltigen Heere zurückkehren würde.
Der ſofortige offene Abfall war unmöglich, nicht blos weil die Ge- wiſſenhaftigkeit des Königs ſelbſt einen erzwungenen Bund nicht ohne ſtichhaltige völkerrechtliche Gründe auflöſen wollte, ſondern auch weil die franzöſiſchen Streitkräfte in den Marken vollauf genügten eine plötzliche Erhebung im Keime zu erſticken. Dagegen war alle Welt am Hofe darüber einig, daß die Gunſt des Glückes benutzt, der Anſchluß an Ruß- land und Oeſterreich ſofort vorbereitet werden müſſe. Jeder Unterſchied der Parteien verſchwand. Der bedächtige, conſervative Cabinetsrath Albrecht und der Mann des Friedens Kneſebeck mahnten jetzt nicht minder eifrig zum Kriege als vormals die Freunde Scharnhorſts; ſelbſt der ängſtliche Ancillon ſchloß ſich an und der ſchroffe Junker Marwitz eilte ungeladen zu ſeinem Todfeinde Hardenberg, ſtellte ſich ihm zur Verfügung. Am zweiten Weihnachtstage legte der Staatskanzler ſein Programm vor: der Augenblick der Befreiung ſei gekommen; man müſſe ſchlagen, nöthigenfalls ſelbſt ohne Oeſterreichs Hilfe, da dieſe Macht zum Mindeſten nicht feind- ſelig auftreten werde; den Feind im Lande, ſei man genöthigt die franzö- ſiſche Allianz noch ſcheinbar aufrechtzuhalten und die Rüſtungen ſo dar- zuſtellen als geſchähen ſie zu Frankreichs Gunſten. Sein Plan war, daß Oeſterreich und Preußen als bewaffnete Mediatoren zwiſchen die krieg- führenden Mächte treten ſollten; lehnte Napoleons Hochmuth, wie voraus- zuſehen, die Bedingungen der Vermittler ab, ſo war der Rechtsgrund zum Kriege gegeben. Mittlerweile ſolle ſich der König in das ſichere Schleſien begeben und von dort aus zur rechten Zeit ſein Volk unter die Waffen rufen. Der König genehmigte Alles und warnte nur beſonnen vor über- ſpannten Erwartungen: nicht am Rheine, wie der Staatskanzler gemeint hatte, ſondern im deutſchen Norden werde dieſer Krieg beginnen. Als dies unheimliche Jahr im Sterben lag, rief man in Berlin bereits die Beurlaubten ein, befahl die Bildung von Reſervebataillonen und entwarf die Inſtruction für Kneſebeck, der als Unterhändler nach Wien gehen ſollte. Das Eis war gebrochen, der große Entſchluß war gefaßt. Bange Wochen vergingen noch bis man vor dem überliſteten Feinde das Viſier aufſchlagen durfte; doch weder der König noch ſein Kanzler iſt dem einmal ergriffenen rettenden Gedanken je wieder untreu geworden.
Den Maſſen des Volkes, die mit wachſender Ungeduld den Ruf des Königs erharrten, blieb dieſer Umſchwung der preußiſchen Politik natür- lich verborgen. Ein Glück daher, daß von anderer Seite her eine That gewagt wurde, die dem Volke wie ein weithin leuchtendes Signal ver- kündete, die Zeit des Harrens ſei zu Ende. Die Nothwendigkeit der großen Wandlungen des hiſtoriſchen Lebens erſcheint dann am anſchau-
Treitſchke, Deutſche Geſchichte. I. 26
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Umſchwung der preußiſchen Politik.
terliche Flucht politiſch ebenſo wohl erwogen war wie einſt ſein heim-
licher Abzug aus Aegypten; er wußte, was dieſer eine Mann bedeutete
und ſah voraus, daß der Imperator in Kurzem mit einem gewaltigen Heere
zurückkehren würde.
Der ſofortige offene Abfall war unmöglich, nicht blos weil die Ge-
wiſſenhaftigkeit des Königs ſelbſt einen erzwungenen Bund nicht ohne
ſtichhaltige völkerrechtliche Gründe auflöſen wollte, ſondern auch weil die
franzöſiſchen Streitkräfte in den Marken vollauf genügten eine plötzliche
Erhebung im Keime zu erſticken. Dagegen war alle Welt am Hofe
darüber einig, daß die Gunſt des Glückes benutzt, der Anſchluß an Ruß-
land und Oeſterreich ſofort vorbereitet werden müſſe. Jeder Unterſchied
der Parteien verſchwand. Der bedächtige, conſervative Cabinetsrath Albrecht
und der Mann des Friedens Kneſebeck mahnten jetzt nicht minder eifrig
zum Kriege als vormals die Freunde Scharnhorſts; ſelbſt der ängſtliche
Ancillon ſchloß ſich an und der ſchroffe Junker Marwitz eilte ungeladen
zu ſeinem Todfeinde Hardenberg, ſtellte ſich ihm zur Verfügung. Am
zweiten Weihnachtstage legte der Staatskanzler ſein Programm vor: der
Augenblick der Befreiung ſei gekommen; man müſſe ſchlagen, nöthigenfalls
ſelbſt ohne Oeſterreichs Hilfe, da dieſe Macht zum Mindeſten nicht feind-
ſelig auftreten werde; den Feind im Lande, ſei man genöthigt die franzö-
ſiſche Allianz noch ſcheinbar aufrechtzuhalten und die Rüſtungen ſo dar-
zuſtellen als geſchähen ſie zu Frankreichs Gunſten. Sein Plan war, daß
Oeſterreich und Preußen als bewaffnete Mediatoren zwiſchen die krieg-
führenden Mächte treten ſollten; lehnte Napoleons Hochmuth, wie voraus-
zuſehen, die Bedingungen der Vermittler ab, ſo war der Rechtsgrund
zum Kriege gegeben. Mittlerweile ſolle ſich der König in das ſichere Schleſien
begeben und von dort aus zur rechten Zeit ſein Volk unter die Waffen
rufen. Der König genehmigte Alles und warnte nur beſonnen vor über-
ſpannten Erwartungen: nicht am Rheine, wie der Staatskanzler gemeint
hatte, ſondern im deutſchen Norden werde dieſer Krieg beginnen. Als
dies unheimliche Jahr im Sterben lag, rief man in Berlin bereits die
Beurlaubten ein, befahl die Bildung von Reſervebataillonen und entwarf
die Inſtruction für Kneſebeck, der als Unterhändler nach Wien gehen
ſollte. Das Eis war gebrochen, der große Entſchluß war gefaßt. Bange
Wochen vergingen noch bis man vor dem überliſteten Feinde das Viſier
aufſchlagen durfte; doch weder der König noch ſein Kanzler iſt dem einmal
ergriffenen rettenden Gedanken je wieder untreu geworden.
Den Maſſen des Volkes, die mit wachſender Ungeduld den Ruf des
Königs erharrten, blieb dieſer Umſchwung der preußiſchen Politik natür-
lich verborgen. Ein Glück daher, daß von anderer Seite her eine That
gewagt wurde, die dem Volke wie ein weithin leuchtendes Signal ver-
kündete, die Zeit des Harrens ſei zu Ende. Die Nothwendigkeit der
großen Wandlungen des hiſtoriſchen Lebens erſcheint dann am anſchau-
Treitſchke, Deutſche Geſchichte. I. 26
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 401. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/417>, abgerufen am 22.11.2024.
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