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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.

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I. 4. Der Befreiungskrieg.
die rheinbündischen Diplomaten, er wußte, daß jene gefährlichen deutschen
Aufrührer nirgends mächtiger waren als in Preußen, und doch wollte er
nicht eingestehen, daß diese verhaßte Macht ihm je bedrohlich werden könne.
Geflissentlich trug er seine Verachtung gegen Preußen zur Schau, als
wollte er seine geheimen Sorgen übertäuben: "die Preußen sind keine
Nation, sie haben keinen nationalen Stolz, sie sind die Gascogner von
Deutschland!" Die einfachste Klugheit gebot ihm den Bundesvertrag von
1812 gewissenhaft zu halten, der Krone Preußen keinen Vorwand zum
Verlassen der erzwungenen Allianz zu bieten. Doch auf seiner einsamen
Höhe hielt er es nicht mehr der Mühe werth nach den Empfindungen
derer, die sein Fuß zertrat, zu fragen. Auf alle Mahnungen der preu-
ßischen Unterhändler antwortete er mit leeren Reden, nicht einmal eine
Prüfung ihrer Rechnungen konnten sie erreichen; und gleichzeitig erging
an die Befehlshaber der Oderfestungen der vertragswidrige Befehl, daß
sie sich Alles was sie brauchten durch Requisitionen verschaffen sollten.
Also that der Imperator genau was Friedrich Wilhelms Gewissenhaftigkeit
insgeheim wünschte; er setzte sich ins Unrecht, er selber zerriß das Bündniß,
und der König war nach Völkerrecht unzweifelhaft befugt sich loszusagen
von einem Vertrage, dessen Satzungen sammt und sonders von dem an-
deren Theile mißachtet wurden.

Auf Knesebecks Sendung baute Hardenberg stolze Hoffnungen. Wäh-
rend der König den Czaren für seinen nächsten und natürlichsten Freund
ansah, erstrebte der Staatskanzler seit Jahren zunächst ein Bündniß der
drei "deutschen" Großmächte -- denn auch England wurde wegen Han-
nover noch zu den deutschen Mächten gerechnet. Seine hochgespannten Er-
wartungen sollten gründlich getäuscht werden. Der sofortige Eintritt des
Kaiserstaates in ein Kriegsbündniß war schon deßhalb ganz außer Frage,
weil Napoleon in solchem Falle sicher wieder die wohlbekannte Sieges-
straße der Donau entlang eingeschlagen und, bei dem elenden Zustande
der Armee und der Finanzen Oesterreichs, rasch seinen dritten Einzug
in die Kaiserstadt gehalten hätte. Eben dies wollte Kaiser Franz um
jeden Preis verhindern. Von Natur friedfertig, ein Freund der sanften
Mittel und der kleinen Ränke fand Graf Metternich die Lage der Welt
durchaus nicht reif für eine große Entscheidung. Wie sollte ein durch-
schlagender Erfolg erfochten werden -- so äußerte sich Gentz -- da alle
Mächte des Festlandes tief ermattet seien und auch Englands Kräfte
durch die Subsidienzahlungen für einen europäischen Krieg leicht erschöpft
werden könnten? Dazu die natürliche Angst vor der nationalen Leiden-
schaft der norddeutschen Patrioten. In Wien -- dieser Ruhm wird der
Nüchternheit der österreichischen Staatskunst verbleiben -- in Wien ist
seit den Tagen des großen Kurfürsten bis zum Jahre 1866 nicht einen
Augenblick der gutmüthige Wahn gehegt worden, als ob die Verstärkung
des norddeutschen Nebenbuhlers im Interesse Oesterreichs liege. Wenn

I. 4. Der Befreiungskrieg.
die rheinbündiſchen Diplomaten, er wußte, daß jene gefährlichen deutſchen
Aufrührer nirgends mächtiger waren als in Preußen, und doch wollte er
nicht eingeſtehen, daß dieſe verhaßte Macht ihm je bedrohlich werden könne.
Gefliſſentlich trug er ſeine Verachtung gegen Preußen zur Schau, als
wollte er ſeine geheimen Sorgen übertäuben: „die Preußen ſind keine
Nation, ſie haben keinen nationalen Stolz, ſie ſind die Gascogner von
Deutſchland!“ Die einfachſte Klugheit gebot ihm den Bundesvertrag von
1812 gewiſſenhaft zu halten, der Krone Preußen keinen Vorwand zum
Verlaſſen der erzwungenen Allianz zu bieten. Doch auf ſeiner einſamen
Höhe hielt er es nicht mehr der Mühe werth nach den Empfindungen
derer, die ſein Fuß zertrat, zu fragen. Auf alle Mahnungen der preu-
ßiſchen Unterhändler antwortete er mit leeren Reden, nicht einmal eine
Prüfung ihrer Rechnungen konnten ſie erreichen; und gleichzeitig erging
an die Befehlshaber der Oderfeſtungen der vertragswidrige Befehl, daß
ſie ſich Alles was ſie brauchten durch Requiſitionen verſchaffen ſollten.
Alſo that der Imperator genau was Friedrich Wilhelms Gewiſſenhaftigkeit
insgeheim wünſchte; er ſetzte ſich ins Unrecht, er ſelber zerriß das Bündniß,
und der König war nach Völkerrecht unzweifelhaft befugt ſich loszuſagen
von einem Vertrage, deſſen Satzungen ſammt und ſonders von dem an-
deren Theile mißachtet wurden.

Auf Kneſebecks Sendung baute Hardenberg ſtolze Hoffnungen. Wäh-
rend der König den Czaren für ſeinen nächſten und natürlichſten Freund
anſah, erſtrebte der Staatskanzler ſeit Jahren zunächſt ein Bündniß der
drei „deutſchen“ Großmächte — denn auch England wurde wegen Han-
nover noch zu den deutſchen Mächten gerechnet. Seine hochgeſpannten Er-
wartungen ſollten gründlich getäuſcht werden. Der ſofortige Eintritt des
Kaiſerſtaates in ein Kriegsbündniß war ſchon deßhalb ganz außer Frage,
weil Napoleon in ſolchem Falle ſicher wieder die wohlbekannte Sieges-
ſtraße der Donau entlang eingeſchlagen und, bei dem elenden Zuſtande
der Armee und der Finanzen Oeſterreichs, raſch ſeinen dritten Einzug
in die Kaiſerſtadt gehalten hätte. Eben dies wollte Kaiſer Franz um
jeden Preis verhindern. Von Natur friedfertig, ein Freund der ſanften
Mittel und der kleinen Ränke fand Graf Metternich die Lage der Welt
durchaus nicht reif für eine große Entſcheidung. Wie ſollte ein durch-
ſchlagender Erfolg erfochten werden — ſo äußerte ſich Gentz — da alle
Mächte des Feſtlandes tief ermattet ſeien und auch Englands Kräfte
durch die Subſidienzahlungen für einen europäiſchen Krieg leicht erſchöpft
werden könnten? Dazu die natürliche Angſt vor der nationalen Leiden-
ſchaft der norddeutſchen Patrioten. In Wien — dieſer Ruhm wird der
Nüchternheit der öſterreichiſchen Staatskunſt verbleiben — in Wien iſt
ſeit den Tagen des großen Kurfürſten bis zum Jahre 1866 nicht einen
Augenblick der gutmüthige Wahn gehegt worden, als ob die Verſtärkung
des norddeutſchen Nebenbuhlers im Intereſſe Oeſterreichs liege. Wenn

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[410/0426] I. 4. Der Befreiungskrieg. die rheinbündiſchen Diplomaten, er wußte, daß jene gefährlichen deutſchen Aufrührer nirgends mächtiger waren als in Preußen, und doch wollte er nicht eingeſtehen, daß dieſe verhaßte Macht ihm je bedrohlich werden könne. Gefliſſentlich trug er ſeine Verachtung gegen Preußen zur Schau, als wollte er ſeine geheimen Sorgen übertäuben: „die Preußen ſind keine Nation, ſie haben keinen nationalen Stolz, ſie ſind die Gascogner von Deutſchland!“ Die einfachſte Klugheit gebot ihm den Bundesvertrag von 1812 gewiſſenhaft zu halten, der Krone Preußen keinen Vorwand zum Verlaſſen der erzwungenen Allianz zu bieten. Doch auf ſeiner einſamen Höhe hielt er es nicht mehr der Mühe werth nach den Empfindungen derer, die ſein Fuß zertrat, zu fragen. Auf alle Mahnungen der preu- ßiſchen Unterhändler antwortete er mit leeren Reden, nicht einmal eine Prüfung ihrer Rechnungen konnten ſie erreichen; und gleichzeitig erging an die Befehlshaber der Oderfeſtungen der vertragswidrige Befehl, daß ſie ſich Alles was ſie brauchten durch Requiſitionen verſchaffen ſollten. Alſo that der Imperator genau was Friedrich Wilhelms Gewiſſenhaftigkeit insgeheim wünſchte; er ſetzte ſich ins Unrecht, er ſelber zerriß das Bündniß, und der König war nach Völkerrecht unzweifelhaft befugt ſich loszuſagen von einem Vertrage, deſſen Satzungen ſammt und ſonders von dem an- deren Theile mißachtet wurden. Auf Kneſebecks Sendung baute Hardenberg ſtolze Hoffnungen. Wäh- rend der König den Czaren für ſeinen nächſten und natürlichſten Freund anſah, erſtrebte der Staatskanzler ſeit Jahren zunächſt ein Bündniß der drei „deutſchen“ Großmächte — denn auch England wurde wegen Han- nover noch zu den deutſchen Mächten gerechnet. Seine hochgeſpannten Er- wartungen ſollten gründlich getäuſcht werden. Der ſofortige Eintritt des Kaiſerſtaates in ein Kriegsbündniß war ſchon deßhalb ganz außer Frage, weil Napoleon in ſolchem Falle ſicher wieder die wohlbekannte Sieges- ſtraße der Donau entlang eingeſchlagen und, bei dem elenden Zuſtande der Armee und der Finanzen Oeſterreichs, raſch ſeinen dritten Einzug in die Kaiſerſtadt gehalten hätte. Eben dies wollte Kaiſer Franz um jeden Preis verhindern. Von Natur friedfertig, ein Freund der ſanften Mittel und der kleinen Ränke fand Graf Metternich die Lage der Welt durchaus nicht reif für eine große Entſcheidung. Wie ſollte ein durch- ſchlagender Erfolg erfochten werden — ſo äußerte ſich Gentz — da alle Mächte des Feſtlandes tief ermattet ſeien und auch Englands Kräfte durch die Subſidienzahlungen für einen europäiſchen Krieg leicht erſchöpft werden könnten? Dazu die natürliche Angſt vor der nationalen Leiden- ſchaft der norddeutſchen Patrioten. In Wien — dieſer Ruhm wird der Nüchternheit der öſterreichiſchen Staatskunſt verbleiben — in Wien iſt ſeit den Tagen des großen Kurfürſten bis zum Jahre 1866 nicht einen Augenblick der gutmüthige Wahn gehegt worden, als ob die Verſtärkung des norddeutſchen Nebenbuhlers im Intereſſe Oeſterreichs liege. Wenn

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 410. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/426>, abgerufen am 22.11.2024.