Jungen übten sich eifrig im Gebrauche ihrer rohen Waffen sowie in der freien Kunst des Pfeifens, die den Landstürmern anempfohlen war. Mit Vorliebe pflegte dies Volksheer unbesetzte Höhen zu erstürmen -- so machte man seinem Namen doch Ehre. In dem Berliner Landsturm exercirten die Professoren der Universität zusammen in einer Compagnie -- einer reisigen Schaar, die allerdings mehr durch wissenschaftlichen Ruhm als durch kriegerische Kunstfertigkeit glänzte; ja es geschah, daß sogar die Berliner Damen aufgeboten wurden zum Bau der Feldschanzen im Süden der Hauptstadt. Die Errichtung des Landsturms brachte den großen militärischen Vortheil, daß nach und nach fast die gesammte Linie und Landwehr für den Feld- und Festungskrieg verfügbar wurde. Von der Ostsee bis zu den Riesenbergen standen auf allen Höhen die Fanale, von Landstürmern behütet.
Das Volksaufgebot erwies sich nützlich im Wach- und Botendienste, auch zum Wegfangen der Marodeure und Versprengten. Im offenen Kampfe dagegen ist der Landsturm nur ganz ausnahmsweise verwendet worden: so erklangen während der ersten Apriltage, noch bevor das Gesetz erschienen war, die Sturmglocken in allen Dörfern an der Havel und bewaffnete Bauernhaufen schlossen sich freiwillig den Truppen an, die gegen Magdeburg zogen. In den großen Städten rief die fanatische Härte des Gesetzes begründete Beschwerden hervor. Da überdies die Ge- fahr anarchischer Zügellosigkeit sehr nahe lag, das bürgerliche Leben der Arbeitskräfte nicht entbehren konnte und die Beamten der alten Schule vor bewaffneten Volkshaufen ein instinctives Grauen empfanden, so wurden schon im Laufe des Sommers die übertriebenen Ansprüche des Edicts durch einige neue Erlasse gemildert. Der Landsturm stand fortan unter den Kriegsartikeln und diente wesentlich zur Ausbildung der Reserveba- taillone für die Landwehr; in den großen Städten fiel er ganz hinweg, aus dem brauchbarsten Drittel seiner Mannschaft wurden Bürger-Com- pagnien für den Sicherheitsdienst gebildet. Gleichwohl war die Einrich- tung des Landsturms sehr folgenreich. Sie belebte in dem Volke das Bewußtsein, daß dieser heilige Krieg die gemeinsame Sache Aller sei; wie vielen wackeren Alten ist es ein Trost geblieben bis zum Grabe, daß sie doch auch die Waffen für das Vaterland getragen hatten. Noch stärker war die Wirkung auf die Feinde, die nach ihren spanischen Erfahrungen nichts so sehr fürchteten als einen Krieg Aller gegen Alle. Schon der glücklich gewählte Name dieses Volksaufgebotes erregte Schrecken im Lager der Rheinbündner; wie unheimlich klang das Landsturmlied:
Ha Windsbraut, sei willkommen, willkommen, Sturm des Herrn!
Die übereilte Räumung der Marken im Frühjahr und nachher die un- sicheren Operationen der Marschälle auf ihren Zügen gegen Berlin er- klären sich nur aus der unbestimmten Angst vor einer Massenerhebung.
I. 4. Der Befreiungskrieg.
Jungen übten ſich eifrig im Gebrauche ihrer rohen Waffen ſowie in der freien Kunſt des Pfeifens, die den Landſtürmern anempfohlen war. Mit Vorliebe pflegte dies Volksheer unbeſetzte Höhen zu erſtürmen — ſo machte man ſeinem Namen doch Ehre. In dem Berliner Landſturm exercirten die Profeſſoren der Univerſität zuſammen in einer Compagnie — einer reiſigen Schaar, die allerdings mehr durch wiſſenſchaftlichen Ruhm als durch kriegeriſche Kunſtfertigkeit glänzte; ja es geſchah, daß ſogar die Berliner Damen aufgeboten wurden zum Bau der Feldſchanzen im Süden der Hauptſtadt. Die Errichtung des Landſturms brachte den großen militäriſchen Vortheil, daß nach und nach faſt die geſammte Linie und Landwehr für den Feld- und Feſtungskrieg verfügbar wurde. Von der Oſtſee bis zu den Rieſenbergen ſtanden auf allen Höhen die Fanale, von Landſtürmern behütet.
Das Volksaufgebot erwies ſich nützlich im Wach- und Botendienſte, auch zum Wegfangen der Marodeure und Verſprengten. Im offenen Kampfe dagegen iſt der Landſturm nur ganz ausnahmsweiſe verwendet worden: ſo erklangen während der erſten Apriltage, noch bevor das Geſetz erſchienen war, die Sturmglocken in allen Dörfern an der Havel und bewaffnete Bauernhaufen ſchloſſen ſich freiwillig den Truppen an, die gegen Magdeburg zogen. In den großen Städten rief die fanatiſche Härte des Geſetzes begründete Beſchwerden hervor. Da überdies die Ge- fahr anarchiſcher Zügelloſigkeit ſehr nahe lag, das bürgerliche Leben der Arbeitskräfte nicht entbehren konnte und die Beamten der alten Schule vor bewaffneten Volkshaufen ein inſtinctives Grauen empfanden, ſo wurden ſchon im Laufe des Sommers die übertriebenen Anſprüche des Edicts durch einige neue Erlaſſe gemildert. Der Landſturm ſtand fortan unter den Kriegsartikeln und diente weſentlich zur Ausbildung der Reſerveba- taillone für die Landwehr; in den großen Städten fiel er ganz hinweg, aus dem brauchbarſten Drittel ſeiner Mannſchaft wurden Bürger-Com- pagnien für den Sicherheitsdienſt gebildet. Gleichwohl war die Einrich- tung des Landſturms ſehr folgenreich. Sie belebte in dem Volke das Bewußtſein, daß dieſer heilige Krieg die gemeinſame Sache Aller ſei; wie vielen wackeren Alten iſt es ein Troſt geblieben bis zum Grabe, daß ſie doch auch die Waffen für das Vaterland getragen hatten. Noch ſtärker war die Wirkung auf die Feinde, die nach ihren ſpaniſchen Erfahrungen nichts ſo ſehr fürchteten als einen Krieg Aller gegen Alle. Schon der glücklich gewählte Name dieſes Volksaufgebotes erregte Schrecken im Lager der Rheinbündner; wie unheimlich klang das Landſturmlied:
Ha Windsbraut, ſei willkommen, willkommen, Sturm des Herrn!
Die übereilte Räumung der Marken im Frühjahr und nachher die un- ſicheren Operationen der Marſchälle auf ihren Zügen gegen Berlin er- klären ſich nur aus der unbeſtimmten Angſt vor einer Maſſenerhebung.
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I. 4. Der Befreiungskrieg.
Jungen übten ſich eifrig im Gebrauche ihrer rohen Waffen ſowie in der
freien Kunſt des Pfeifens, die den Landſtürmern anempfohlen war. Mit
Vorliebe pflegte dies Volksheer unbeſetzte Höhen zu erſtürmen — ſo
machte man ſeinem Namen doch Ehre. In dem Berliner Landſturm
exercirten die Profeſſoren der Univerſität zuſammen in einer Compagnie
— einer reiſigen Schaar, die allerdings mehr durch wiſſenſchaftlichen
Ruhm als durch kriegeriſche Kunſtfertigkeit glänzte; ja es geſchah, daß
ſogar die Berliner Damen aufgeboten wurden zum Bau der Feldſchanzen
im Süden der Hauptſtadt. Die Errichtung des Landſturms brachte den
großen militäriſchen Vortheil, daß nach und nach faſt die geſammte Linie
und Landwehr für den Feld- und Feſtungskrieg verfügbar wurde. Von
der Oſtſee bis zu den Rieſenbergen ſtanden auf allen Höhen die Fanale,
von Landſtürmern behütet.
Das Volksaufgebot erwies ſich nützlich im Wach- und Botendienſte,
auch zum Wegfangen der Marodeure und Verſprengten. Im offenen
Kampfe dagegen iſt der Landſturm nur ganz ausnahmsweiſe verwendet
worden: ſo erklangen während der erſten Apriltage, noch bevor das Geſetz
erſchienen war, die Sturmglocken in allen Dörfern an der Havel und
bewaffnete Bauernhaufen ſchloſſen ſich freiwillig den Truppen an, die
gegen Magdeburg zogen. In den großen Städten rief die fanatiſche
Härte des Geſetzes begründete Beſchwerden hervor. Da überdies die Ge-
fahr anarchiſcher Zügelloſigkeit ſehr nahe lag, das bürgerliche Leben der
Arbeitskräfte nicht entbehren konnte und die Beamten der alten Schule
vor bewaffneten Volkshaufen ein inſtinctives Grauen empfanden, ſo wurden
ſchon im Laufe des Sommers die übertriebenen Anſprüche des Edicts
durch einige neue Erlaſſe gemildert. Der Landſturm ſtand fortan unter
den Kriegsartikeln und diente weſentlich zur Ausbildung der Reſerveba-
taillone für die Landwehr; in den großen Städten fiel er ganz hinweg,
aus dem brauchbarſten Drittel ſeiner Mannſchaft wurden Bürger-Com-
pagnien für den Sicherheitsdienſt gebildet. Gleichwohl war die Einrich-
tung des Landſturms ſehr folgenreich. Sie belebte in dem Volke das
Bewußtſein, daß dieſer heilige Krieg die gemeinſame Sache Aller ſei; wie
vielen wackeren Alten iſt es ein Troſt geblieben bis zum Grabe, daß ſie
doch auch die Waffen für das Vaterland getragen hatten. Noch ſtärker
war die Wirkung auf die Feinde, die nach ihren ſpaniſchen Erfahrungen
nichts ſo ſehr fürchteten als einen Krieg Aller gegen Alle. Schon der
glücklich gewählte Name dieſes Volksaufgebotes erregte Schrecken im Lager
der Rheinbündner; wie unheimlich klang das Landſturmlied:
Ha Windsbraut, ſei willkommen,
willkommen, Sturm des Herrn!
Die übereilte Räumung der Marken im Frühjahr und nachher die un-
ſicheren Operationen der Marſchälle auf ihren Zügen gegen Berlin er-
klären ſich nur aus der unbeſtimmten Angſt vor einer Maſſenerhebung.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 440. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/456>, abgerufen am 22.11.2024.
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