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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.

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I. 4. Der Befreiungskrieg.

Auch Großbritanniens Hilfe blieb aus. Englische Subsidien waren
für den Krieg ebenso unentbehrlich, wie der gute Wille Hannovers für
den Bestand des künftigen deutschen Bundes; deßhalb wurde die Wieder-
herstellung der welfischen Besitzungen in Deutschland im Kalischer Ver-
trage ausdrücklich ausbedungen. Die glückliche Insel, die allein unter
allen Staaten Europas dem Imperator standhaft die Anerkennung ver-
weigert hatte, galt bei allen deutschen Patrioten als die feste Burg der
Freiheit, ihre schlaue und gewaltthätige Handelspolitik als ein heroisches
Ringen um die höchsten Güter der Menschheit. Mit glühender Begeiste-
rung ward das hochsinnige Welfenhaus verherrlicht. Graf Münster
träumte von einem freien Welfenreiche Austrasien, das alle deutschen
Lande zwischen Elbe und Schelde umfassen sollte, und fand mit diesem
tollen Plane bei manchem deutschen Patrioten Anklang. Wie oft hatte
England einst, als Pitt noch lebte, dem preußischen Staate glänzende Er-
werbungen, vornehmlich den Besitz der Niederlande verheißen, wenn er sich
dem Bunde gegen Frankreich anschlösse. Nun endlich stand Preußen in
Waffen, und nichts schien dem Staatskanzler sicherer, als daß England jetzt
mit vollen Händen dem neuen Bundesgenossen entgegenkommen würde.

Das "Ministerium der Mittelmäßigkeiten" aber, das die Erbschaft
Pitts angetreten, hatte von seinem großen Vorfahren nur den zähen Haß
gegen die Revolution überkommen, nicht den freien und weiten politischen
Blick. Diese Hochtorys bildeten den Heerd der europäischen Reaction, sie
erwarteten, wie Lord Castlereagh einmal trocken aussprach, von dem großen
Kampfe einfach "die Wiederherstellung der alten Zustände", verfolgten
mit ängstlichem Mißtrauen jede junge Kraft, die im Welttheile sich regte,
blickten mit grenzenlosem Hochmuth auf die zur Knechtschaft bestimmten
Völker des Festlands herab. "Die constitutionelle Verfassung, sagte Castle-
reagh, ist nicht geeignet für Länder, die sich noch in einem Zustande ver-
hältnißmäßiger Unwissenheit befinden; das äußerst gewagte Princip der
Freiheit muß man eher hemmen als befördern." Das Aufsteigen der
russischen Macht war dem Cabinet von St. James schon längst unheim-
lich, und kaum minder erschrocken als Kaiser Franz beobachtete der Prinz-
regent die stürmische Begeisterung der norddeutschen Jugend, den stolzen
Freimuth der preußischen Generale. Schwer besorgt schrieb Wellington
über die fieberische Erhitzung des preußischen Heeres, das allerdings nicht,
wie die Peninsula-Regimenter des eisernen Herzogs, durch den Idealismus
der neunschwänzigen Katze in Zucht gehalten wurde.

Da die alte Schwäche der englischen Staatsmänner, die Unkenntniß
der festländischen Verhältnisse, in diesem Tory-Cabinet unglaublich reich
entwickelt war, so wurde Englands deutsche Politik in Wahrheit durch
den Grafen Münster, den vertrauten hannoverschen Rath des Prinzregenten
geleitet. Die Tage waren vorüber, da Graf Münster durch seine aus-
dauernde Feindschaft gegen das napoleonische Weltreich sich die Achtung

I. 4. Der Befreiungskrieg.

Auch Großbritanniens Hilfe blieb aus. Engliſche Subſidien waren
für den Krieg ebenſo unentbehrlich, wie der gute Wille Hannovers für
den Beſtand des künftigen deutſchen Bundes; deßhalb wurde die Wieder-
herſtellung der welfiſchen Beſitzungen in Deutſchland im Kaliſcher Ver-
trage ausdrücklich ausbedungen. Die glückliche Inſel, die allein unter
allen Staaten Europas dem Imperator ſtandhaft die Anerkennung ver-
weigert hatte, galt bei allen deutſchen Patrioten als die feſte Burg der
Freiheit, ihre ſchlaue und gewaltthätige Handelspolitik als ein heroiſches
Ringen um die höchſten Güter der Menſchheit. Mit glühender Begeiſte-
rung ward das hochſinnige Welfenhaus verherrlicht. Graf Münſter
träumte von einem freien Welfenreiche Auſtraſien, das alle deutſchen
Lande zwiſchen Elbe und Schelde umfaſſen ſollte, und fand mit dieſem
tollen Plane bei manchem deutſchen Patrioten Anklang. Wie oft hatte
England einſt, als Pitt noch lebte, dem preußiſchen Staate glänzende Er-
werbungen, vornehmlich den Beſitz der Niederlande verheißen, wenn er ſich
dem Bunde gegen Frankreich anſchlöſſe. Nun endlich ſtand Preußen in
Waffen, und nichts ſchien dem Staatskanzler ſicherer, als daß England jetzt
mit vollen Händen dem neuen Bundesgenoſſen entgegenkommen würde.

Das „Miniſterium der Mittelmäßigkeiten“ aber, das die Erbſchaft
Pitts angetreten, hatte von ſeinem großen Vorfahren nur den zähen Haß
gegen die Revolution überkommen, nicht den freien und weiten politiſchen
Blick. Dieſe Hochtorys bildeten den Heerd der europäiſchen Reaction, ſie
erwarteten, wie Lord Caſtlereagh einmal trocken ausſprach, von dem großen
Kampfe einfach „die Wiederherſtellung der alten Zuſtände“, verfolgten
mit ängſtlichem Mißtrauen jede junge Kraft, die im Welttheile ſich regte,
blickten mit grenzenloſem Hochmuth auf die zur Knechtſchaft beſtimmten
Völker des Feſtlands herab. „Die conſtitutionelle Verfaſſung, ſagte Caſtle-
reagh, iſt nicht geeignet für Länder, die ſich noch in einem Zuſtande ver-
hältnißmäßiger Unwiſſenheit befinden; das äußerſt gewagte Princip der
Freiheit muß man eher hemmen als befördern.“ Das Aufſteigen der
ruſſiſchen Macht war dem Cabinet von St. James ſchon längſt unheim-
lich, und kaum minder erſchrocken als Kaiſer Franz beobachtete der Prinz-
regent die ſtürmiſche Begeiſterung der norddeutſchen Jugend, den ſtolzen
Freimuth der preußiſchen Generale. Schwer beſorgt ſchrieb Wellington
über die fieberiſche Erhitzung des preußiſchen Heeres, das allerdings nicht,
wie die Peninſula-Regimenter des eiſernen Herzogs, durch den Idealismus
der neunſchwänzigen Katze in Zucht gehalten wurde.

Da die alte Schwäche der engliſchen Staatsmänner, die Unkenntniß
der feſtländiſchen Verhältniſſe, in dieſem Tory-Cabinet unglaublich reich
entwickelt war, ſo wurde Englands deutſche Politik in Wahrheit durch
den Grafen Münſter, den vertrauten hannoverſchen Rath des Prinzregenten
geleitet. Die Tage waren vorüber, da Graf Münſter durch ſeine aus-
dauernde Feindſchaft gegen das napoleoniſche Weltreich ſich die Achtung

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[442/0458] I. 4. Der Befreiungskrieg. Auch Großbritanniens Hilfe blieb aus. Engliſche Subſidien waren für den Krieg ebenſo unentbehrlich, wie der gute Wille Hannovers für den Beſtand des künftigen deutſchen Bundes; deßhalb wurde die Wieder- herſtellung der welfiſchen Beſitzungen in Deutſchland im Kaliſcher Ver- trage ausdrücklich ausbedungen. Die glückliche Inſel, die allein unter allen Staaten Europas dem Imperator ſtandhaft die Anerkennung ver- weigert hatte, galt bei allen deutſchen Patrioten als die feſte Burg der Freiheit, ihre ſchlaue und gewaltthätige Handelspolitik als ein heroiſches Ringen um die höchſten Güter der Menſchheit. Mit glühender Begeiſte- rung ward das hochſinnige Welfenhaus verherrlicht. Graf Münſter träumte von einem freien Welfenreiche Auſtraſien, das alle deutſchen Lande zwiſchen Elbe und Schelde umfaſſen ſollte, und fand mit dieſem tollen Plane bei manchem deutſchen Patrioten Anklang. Wie oft hatte England einſt, als Pitt noch lebte, dem preußiſchen Staate glänzende Er- werbungen, vornehmlich den Beſitz der Niederlande verheißen, wenn er ſich dem Bunde gegen Frankreich anſchlöſſe. Nun endlich ſtand Preußen in Waffen, und nichts ſchien dem Staatskanzler ſicherer, als daß England jetzt mit vollen Händen dem neuen Bundesgenoſſen entgegenkommen würde. Das „Miniſterium der Mittelmäßigkeiten“ aber, das die Erbſchaft Pitts angetreten, hatte von ſeinem großen Vorfahren nur den zähen Haß gegen die Revolution überkommen, nicht den freien und weiten politiſchen Blick. Dieſe Hochtorys bildeten den Heerd der europäiſchen Reaction, ſie erwarteten, wie Lord Caſtlereagh einmal trocken ausſprach, von dem großen Kampfe einfach „die Wiederherſtellung der alten Zuſtände“, verfolgten mit ängſtlichem Mißtrauen jede junge Kraft, die im Welttheile ſich regte, blickten mit grenzenloſem Hochmuth auf die zur Knechtſchaft beſtimmten Völker des Feſtlands herab. „Die conſtitutionelle Verfaſſung, ſagte Caſtle- reagh, iſt nicht geeignet für Länder, die ſich noch in einem Zuſtande ver- hältnißmäßiger Unwiſſenheit befinden; das äußerſt gewagte Princip der Freiheit muß man eher hemmen als befördern.“ Das Aufſteigen der ruſſiſchen Macht war dem Cabinet von St. James ſchon längſt unheim- lich, und kaum minder erſchrocken als Kaiſer Franz beobachtete der Prinz- regent die ſtürmiſche Begeiſterung der norddeutſchen Jugend, den ſtolzen Freimuth der preußiſchen Generale. Schwer beſorgt ſchrieb Wellington über die fieberiſche Erhitzung des preußiſchen Heeres, das allerdings nicht, wie die Peninſula-Regimenter des eiſernen Herzogs, durch den Idealismus der neunſchwänzigen Katze in Zucht gehalten wurde. Da die alte Schwäche der engliſchen Staatsmänner, die Unkenntniß der feſtländiſchen Verhältniſſe, in dieſem Tory-Cabinet unglaublich reich entwickelt war, ſo wurde Englands deutſche Politik in Wahrheit durch den Grafen Münſter, den vertrauten hannoverſchen Rath des Prinzregenten geleitet. Die Tage waren vorüber, da Graf Münſter durch ſeine aus- dauernde Feindſchaft gegen das napoleoniſche Weltreich ſich die Achtung

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 442. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/458>, abgerufen am 22.11.2024.