gewandt hinweg, indem er versprach, die fränkischen Markgrafschaften nicht zurückzufordern; beide Theile setzten dabei voraus, daß Preußen durch die vormals pfalzbairischen Provinzen am Niederrhein entschädigt werden sollte. Schon war Montgelas bereit, einen Neutralitätsvertrag abzuschließen, da hörte er von Napoleons ungeheuren Rüstungen und von Oesterreichs zu- wartender Haltung. Bei solcher Ungleichheit der Streitkräfte schien ihm Preußens Niederlage sicher. Er brach ab und erfüllte wieder mit gewohntem Eifer seine Vasallenpflichten gegen den Beherrscher des Rheinbundes.
Während die Alliirten also vergeblich versuchten, den mächtigsten Staat des Südens durch freundschaftliche Verhandlungen zu gewinnen, kündigten sie den norddeutschen Staaten schärfere Maßregeln an. Der Breslauer Vertrag vom 19. März bedrohte -- ganz im Sinne jener Petersburger Denkschrift Steins -- alle deutschen Fürsten, die sich nicht in bestimmter Frist dem Kampfe für die Freiheit des Vaterlandes an- schlössen, mit dem Verlust ihrer Staaten: ein Centralverwaltungsrath unter dem Vorsitze des Freiherrn sollte in sämmtlichen norddeutschen Landen -- allein Hannover und die vormals preußischen Provinzen aus- genommen -- provisorische Regierungen einrichten, die militärischen Rü- stungen leiten und die Staatseinkünfte für die Verbündeten einziehen. Den Süden ließ man stillschweigend aus dem Spiele, da Hardenberg an seinen dualistischen Plänen gewissenhaft festhielt und demnach dem öster- reichischen Hofe in Süddeutschland nicht vorgreifen wollte. In Wien, in London und an allen Rheinbundshöfen erregte dieser erste Versuch praktischer deutscher Einheitspolitik stürmischen Unwillen. Man fragte zornig, ob dieser Jacobiner Stein deutscher Kaiser werden solle. Metter- nich und Münster waren sofort entschlossen, die Wirksamkeit der unheim- lichen unitarischen Behörde zu beschränken.
Noch schärfer redete die Kalischer Proclamation des russischen Ober- befehlshabers Kutusow vom 25. März. Sie sprach die Hoffnung aus, kein deutscher Fürst werde der deutschen Sache abtrünnig bleiben und also "sich reif zeigen der verdienten Vernichtung durch die Kraft der öffentlichen Meinung und durch die Macht gerechter Waffen". Ein junger Obersachse, Karl Müller, hatte das pathetische Schriftstück entworfen, ein fanatischer Teutone, der den Generalstab gern in ein Hildamt verwandeln, die Generaladjutanten zu Hauptwernolden umtaufen wollte. Ganz so haltlos und verschwommen wie die vaterländischen Träume der begei- sterten Jugend waren auch die Verheißungen für Deutschlands Verfassung, welche der Feldmarschall im Namen der verbündeten Monarchen gab. Er ver- sprach, daß die Wiedergeburt des ehrwürdigen Reichs allein den Fürsten und Völkern Deutschlands anheimgestellt bleiben, der Czar nur seine schützende Hand darüber halten solle. "Je schärfer in seinen Grundlagen und Um- rissen das Werk heraustreten wird aus dem ureigenen Geiste des deutschen Volkes, desto verjüngter, lebenskräftiger und in Einheit gehaltener wird
Die Kaliſcher Proclamation.
gewandt hinweg, indem er verſprach, die fränkiſchen Markgrafſchaften nicht zurückzufordern; beide Theile ſetzten dabei voraus, daß Preußen durch die vormals pfalzbairiſchen Provinzen am Niederrhein entſchädigt werden ſollte. Schon war Montgelas bereit, einen Neutralitätsvertrag abzuſchließen, da hörte er von Napoleons ungeheuren Rüſtungen und von Oeſterreichs zu- wartender Haltung. Bei ſolcher Ungleichheit der Streitkräfte ſchien ihm Preußens Niederlage ſicher. Er brach ab und erfüllte wieder mit gewohntem Eifer ſeine Vaſallenpflichten gegen den Beherrſcher des Rheinbundes.
Während die Alliirten alſo vergeblich verſuchten, den mächtigſten Staat des Südens durch freundſchaftliche Verhandlungen zu gewinnen, kündigten ſie den norddeutſchen Staaten ſchärfere Maßregeln an. Der Breslauer Vertrag vom 19. März bedrohte — ganz im Sinne jener Petersburger Denkſchrift Steins — alle deutſchen Fürſten, die ſich nicht in beſtimmter Friſt dem Kampfe für die Freiheit des Vaterlandes an- ſchlöſſen, mit dem Verluſt ihrer Staaten: ein Centralverwaltungsrath unter dem Vorſitze des Freiherrn ſollte in ſämmtlichen norddeutſchen Landen — allein Hannover und die vormals preußiſchen Provinzen aus- genommen — proviſoriſche Regierungen einrichten, die militäriſchen Rü- ſtungen leiten und die Staatseinkünfte für die Verbündeten einziehen. Den Süden ließ man ſtillſchweigend aus dem Spiele, da Hardenberg an ſeinen dualiſtiſchen Plänen gewiſſenhaft feſthielt und demnach dem öſter- reichiſchen Hofe in Süddeutſchland nicht vorgreifen wollte. In Wien, in London und an allen Rheinbundshöfen erregte dieſer erſte Verſuch praktiſcher deutſcher Einheitspolitik ſtürmiſchen Unwillen. Man fragte zornig, ob dieſer Jacobiner Stein deutſcher Kaiſer werden ſolle. Metter- nich und Münſter waren ſofort entſchloſſen, die Wirkſamkeit der unheim- lichen unitariſchen Behörde zu beſchränken.
Noch ſchärfer redete die Kaliſcher Proclamation des ruſſiſchen Ober- befehlshabers Kutuſow vom 25. März. Sie ſprach die Hoffnung aus, kein deutſcher Fürſt werde der deutſchen Sache abtrünnig bleiben und alſo „ſich reif zeigen der verdienten Vernichtung durch die Kraft der öffentlichen Meinung und durch die Macht gerechter Waffen“. Ein junger Oberſachſe, Karl Müller, hatte das pathetiſche Schriftſtück entworfen, ein fanatiſcher Teutone, der den Generalſtab gern in ein Hildamt verwandeln, die Generaladjutanten zu Hauptwernolden umtaufen wollte. Ganz ſo haltlos und verſchwommen wie die vaterländiſchen Träume der begei- ſterten Jugend waren auch die Verheißungen für Deutſchlands Verfaſſung, welche der Feldmarſchall im Namen der verbündeten Monarchen gab. Er ver- ſprach, daß die Wiedergeburt des ehrwürdigen Reichs allein den Fürſten und Völkern Deutſchlands anheimgeſtellt bleiben, der Czar nur ſeine ſchützende Hand darüber halten ſolle. „Je ſchärfer in ſeinen Grundlagen und Um- riſſen das Werk heraustreten wird aus dem ureigenen Geiſte des deutſchen Volkes, deſto verjüngter, lebenskräftiger und in Einheit gehaltener wird
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[445/0461]
Die Kaliſcher Proclamation.
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zurückzufordern; beide Theile ſetzten dabei voraus, daß Preußen durch die
vormals pfalzbairiſchen Provinzen am Niederrhein entſchädigt werden ſollte.
Schon war Montgelas bereit, einen Neutralitätsvertrag abzuſchließen, da
hörte er von Napoleons ungeheuren Rüſtungen und von Oeſterreichs zu-
wartender Haltung. Bei ſolcher Ungleichheit der Streitkräfte ſchien ihm
Preußens Niederlage ſicher. Er brach ab und erfüllte wieder mit gewohntem
Eifer ſeine Vaſallenpflichten gegen den Beherrſcher des Rheinbundes.
Während die Alliirten alſo vergeblich verſuchten, den mächtigſten
Staat des Südens durch freundſchaftliche Verhandlungen zu gewinnen,
kündigten ſie den norddeutſchen Staaten ſchärfere Maßregeln an. Der
Breslauer Vertrag vom 19. März bedrohte — ganz im Sinne jener
Petersburger Denkſchrift Steins — alle deutſchen Fürſten, die ſich nicht
in beſtimmter Friſt dem Kampfe für die Freiheit des Vaterlandes an-
ſchlöſſen, mit dem Verluſt ihrer Staaten: ein Centralverwaltungsrath
unter dem Vorſitze des Freiherrn ſollte in ſämmtlichen norddeutſchen
Landen — allein Hannover und die vormals preußiſchen Provinzen aus-
genommen — proviſoriſche Regierungen einrichten, die militäriſchen Rü-
ſtungen leiten und die Staatseinkünfte für die Verbündeten einziehen.
Den Süden ließ man ſtillſchweigend aus dem Spiele, da Hardenberg an
ſeinen dualiſtiſchen Plänen gewiſſenhaft feſthielt und demnach dem öſter-
reichiſchen Hofe in Süddeutſchland nicht vorgreifen wollte. In Wien,
in London und an allen Rheinbundshöfen erregte dieſer erſte Verſuch
praktiſcher deutſcher Einheitspolitik ſtürmiſchen Unwillen. Man fragte
zornig, ob dieſer Jacobiner Stein deutſcher Kaiſer werden ſolle. Metter-
nich und Münſter waren ſofort entſchloſſen, die Wirkſamkeit der unheim-
lichen unitariſchen Behörde zu beſchränken.
Noch ſchärfer redete die Kaliſcher Proclamation des ruſſiſchen Ober-
befehlshabers Kutuſow vom 25. März. Sie ſprach die Hoffnung aus,
kein deutſcher Fürſt werde der deutſchen Sache abtrünnig bleiben und
alſo „ſich reif zeigen der verdienten Vernichtung durch die Kraft der
öffentlichen Meinung und durch die Macht gerechter Waffen“. Ein junger
Oberſachſe, Karl Müller, hatte das pathetiſche Schriftſtück entworfen, ein
fanatiſcher Teutone, der den Generalſtab gern in ein Hildamt verwandeln,
die Generaladjutanten zu Hauptwernolden umtaufen wollte. Ganz ſo
haltlos und verſchwommen wie die vaterländiſchen Träume der begei-
ſterten Jugend waren auch die Verheißungen für Deutſchlands Verfaſſung,
welche der Feldmarſchall im Namen der verbündeten Monarchen gab. Er ver-
ſprach, daß die Wiedergeburt des ehrwürdigen Reichs allein den Fürſten und
Völkern Deutſchlands anheimgeſtellt bleiben, der Czar nur ſeine ſchützende
Hand darüber halten ſolle. „Je ſchärfer in ſeinen Grundlagen und Um-
riſſen das Werk heraustreten wird aus dem ureigenen Geiſte des deutſchen
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 445. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/461>, abgerufen am 22.11.2024.
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