stärkungen heran, und gegen sieben Uhr fühlte er sich stark genug um, nach seiner Gewohnheit, unter dem Schutze einer mächtigen Artilleriemasse einen entscheidenden Stoß zu wagen. Als die Finsterniß hereinbrach be- haupteten sich die Preußen nur noch in Großgörschen, die drei anderen Dörfer waren von den Franzosen zurückgewonnen, der Feind hielt das Heer der Alliirten in weitem Bogen umklammert. Ein letzter verzweifelter Angriff der Reiterei, von Blücher auf gut Glück in das Dunkel der Nacht hinein geführt, scheiterte an der Ungunst des Terrains.
Noch war die Schlacht nicht gänzlich verloren; Jedermann im preu- ßischen Lager erwartete die Wiederaufnahme des Gefechts für den folgen- den Morgen; aber hatten die Verbündeten schon am Abend mit ihren 70,000 Mann gegen eine fast zweifache Uebermacht gefochten, so mußten sie am nächsten Tage, wenn Napoleon alle seine Streitkräfte aus der Leipziger Umgegend herangezogen hatte, einem noch ungleicheren Kampfe entgegensehen. Unverfolgt traten sie den Rückzug nach der oberen Elbe an. Mindestens 10,000 Mann von jedem Theile waren auf dem Schlacht- felde geblieben. Die Truppen fühlten sich unbesiegt, sie hatten selber mehrere Trophäen erbeutet und keine einzige in den Händen des glückli- chen Gegners zurückgelassen; überall wo sie den Feind in gleicher Anzahl getroffen, waren sie ihm überlegen gewesen. Die Kosaken riefen auf dem Rückzuge fröhlich ihr: Pascholl! Franzos kaput! Im preußischen Heere lebte das stolze Bewußtsein, daß man unter fremden und unfähigen Füh- rern die Ehre der Fahnen wieder hergestellt, den Siegern von Jena sich ebenbürtig erwiesen habe. Hingerissen von dem Anblick der wieder erwachten deutschen Waffengröße sang Arndt sein Lied auf den Tag von Großgörschen:
Tapfre Preußen, tapfre Preußen, Heldenmänner, seid gegrüßt! Beste Deutsche sollt Ihr heißen Wenn der neue Bund sich schließt!
Unter den Opfern des blutigen Tages war auch Scharnhorst. Im siebenjährigen Kriege hatte ein grausames Geschick fast alle preußischen Heerführer dahingerafft; während des Befreiungskrieges blieben sie sämmt- lich verschont. Nur dieser Eine fiel -- der mächtige Geist, aus dessen lichtem Haupte das deutsche Volksheer gepanzert aufstieg wie Pallas aus dem Haupte des Zeus. Er wollte die leichte Wunde, die er bei Groß- görschen empfangen, nicht ruhig heilen lassen. Seit man die Schwäche der russischen Armee und die Lauheit ihrer Führer vor Augen sah, stand im preußischen Hauptquartiere die Ueberzeugung fest, daß nur Oesterreichs Beistand den Sieg verbürge. Bald nach der Schlacht kündigte der König in einem Parolebefehle seinen Truppen an: "in wenigen Tagen wird uns eine neue mächtige Hilfe zur Seite stehen." Scharnhorst wußte, auf wie schwachen Füßen diese Hoffnung noch stand, und beschloß daher,
Schlacht bei Großgörſchen.
ſtärkungen heran, und gegen ſieben Uhr fühlte er ſich ſtark genug um, nach ſeiner Gewohnheit, unter dem Schutze einer mächtigen Artilleriemaſſe einen entſcheidenden Stoß zu wagen. Als die Finſterniß hereinbrach be- haupteten ſich die Preußen nur noch in Großgörſchen, die drei anderen Dörfer waren von den Franzoſen zurückgewonnen, der Feind hielt das Heer der Alliirten in weitem Bogen umklammert. Ein letzter verzweifelter Angriff der Reiterei, von Blücher auf gut Glück in das Dunkel der Nacht hinein geführt, ſcheiterte an der Ungunſt des Terrains.
Noch war die Schlacht nicht gänzlich verloren; Jedermann im preu- ßiſchen Lager erwartete die Wiederaufnahme des Gefechts für den folgen- den Morgen; aber hatten die Verbündeten ſchon am Abend mit ihren 70,000 Mann gegen eine faſt zweifache Uebermacht gefochten, ſo mußten ſie am nächſten Tage, wenn Napoleon alle ſeine Streitkräfte aus der Leipziger Umgegend herangezogen hatte, einem noch ungleicheren Kampfe entgegenſehen. Unverfolgt traten ſie den Rückzug nach der oberen Elbe an. Mindeſtens 10,000 Mann von jedem Theile waren auf dem Schlacht- felde geblieben. Die Truppen fühlten ſich unbeſiegt, ſie hatten ſelber mehrere Trophäen erbeutet und keine einzige in den Händen des glückli- chen Gegners zurückgelaſſen; überall wo ſie den Feind in gleicher Anzahl getroffen, waren ſie ihm überlegen geweſen. Die Koſaken riefen auf dem Rückzuge fröhlich ihr: Paſcholl! Franzos kaput! Im preußiſchen Heere lebte das ſtolze Bewußtſein, daß man unter fremden und unfähigen Füh- rern die Ehre der Fahnen wieder hergeſtellt, den Siegern von Jena ſich ebenbürtig erwieſen habe. Hingeriſſen von dem Anblick der wieder erwachten deutſchen Waffengröße ſang Arndt ſein Lied auf den Tag von Großgörſchen:
Tapfre Preußen, tapfre Preußen, Heldenmänner, ſeid gegrüßt! Beſte Deutſche ſollt Ihr heißen Wenn der neue Bund ſich ſchließt!
Unter den Opfern des blutigen Tages war auch Scharnhorſt. Im ſiebenjährigen Kriege hatte ein grauſames Geſchick faſt alle preußiſchen Heerführer dahingerafft; während des Befreiungskrieges blieben ſie ſämmt- lich verſchont. Nur dieſer Eine fiel — der mächtige Geiſt, aus deſſen lichtem Haupte das deutſche Volksheer gepanzert aufſtieg wie Pallas aus dem Haupte des Zeus. Er wollte die leichte Wunde, die er bei Groß- görſchen empfangen, nicht ruhig heilen laſſen. Seit man die Schwäche der ruſſiſchen Armee und die Lauheit ihrer Führer vor Augen ſah, ſtand im preußiſchen Hauptquartiere die Ueberzeugung feſt, daß nur Oeſterreichs Beiſtand den Sieg verbürge. Bald nach der Schlacht kündigte der König in einem Parolebefehle ſeinen Truppen an: „in wenigen Tagen wird uns eine neue mächtige Hilfe zur Seite ſtehen.“ Scharnhorſt wußte, auf wie ſchwachen Füßen dieſe Hoffnung noch ſtand, und beſchloß daher,
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[455/0471]
Schlacht bei Großgörſchen.
ſtärkungen heran, und gegen ſieben Uhr fühlte er ſich ſtark genug um,
nach ſeiner Gewohnheit, unter dem Schutze einer mächtigen Artilleriemaſſe
einen entſcheidenden Stoß zu wagen. Als die Finſterniß hereinbrach be-
haupteten ſich die Preußen nur noch in Großgörſchen, die drei anderen
Dörfer waren von den Franzoſen zurückgewonnen, der Feind hielt das
Heer der Alliirten in weitem Bogen umklammert. Ein letzter verzweifelter
Angriff der Reiterei, von Blücher auf gut Glück in das Dunkel der Nacht
hinein geführt, ſcheiterte an der Ungunſt des Terrains.
Noch war die Schlacht nicht gänzlich verloren; Jedermann im preu-
ßiſchen Lager erwartete die Wiederaufnahme des Gefechts für den folgen-
den Morgen; aber hatten die Verbündeten ſchon am Abend mit ihren
70,000 Mann gegen eine faſt zweifache Uebermacht gefochten, ſo mußten
ſie am nächſten Tage, wenn Napoleon alle ſeine Streitkräfte aus der
Leipziger Umgegend herangezogen hatte, einem noch ungleicheren Kampfe
entgegenſehen. Unverfolgt traten ſie den Rückzug nach der oberen Elbe
an. Mindeſtens 10,000 Mann von jedem Theile waren auf dem Schlacht-
felde geblieben. Die Truppen fühlten ſich unbeſiegt, ſie hatten ſelber
mehrere Trophäen erbeutet und keine einzige in den Händen des glückli-
chen Gegners zurückgelaſſen; überall wo ſie den Feind in gleicher Anzahl
getroffen, waren ſie ihm überlegen geweſen. Die Koſaken riefen auf dem
Rückzuge fröhlich ihr: Paſcholl! Franzos kaput! Im preußiſchen Heere
lebte das ſtolze Bewußtſein, daß man unter fremden und unfähigen Füh-
rern die Ehre der Fahnen wieder hergeſtellt, den Siegern von Jena ſich
ebenbürtig erwieſen habe. Hingeriſſen von dem Anblick der wieder erwachten
deutſchen Waffengröße ſang Arndt ſein Lied auf den Tag von Großgörſchen:
Tapfre Preußen, tapfre Preußen,
Heldenmänner, ſeid gegrüßt!
Beſte Deutſche ſollt Ihr heißen
Wenn der neue Bund ſich ſchließt!
Unter den Opfern des blutigen Tages war auch Scharnhorſt. Im
ſiebenjährigen Kriege hatte ein grauſames Geſchick faſt alle preußiſchen
Heerführer dahingerafft; während des Befreiungskrieges blieben ſie ſämmt-
lich verſchont. Nur dieſer Eine fiel — der mächtige Geiſt, aus deſſen
lichtem Haupte das deutſche Volksheer gepanzert aufſtieg wie Pallas aus
dem Haupte des Zeus. Er wollte die leichte Wunde, die er bei Groß-
görſchen empfangen, nicht ruhig heilen laſſen. Seit man die Schwäche
der ruſſiſchen Armee und die Lauheit ihrer Führer vor Augen ſah, ſtand
im preußiſchen Hauptquartiere die Ueberzeugung feſt, daß nur Oeſterreichs
Beiſtand den Sieg verbürge. Bald nach der Schlacht kündigte der König
in einem Parolebefehle ſeinen Truppen an: „in wenigen Tagen wird
uns eine neue mächtige Hilfe zur Seite ſtehen.“ Scharnhorſt wußte,
auf wie ſchwachen Füßen dieſe Hoffnung noch ſtand, und beſchloß daher,
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 455. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/471>, abgerufen am 22.11.2024.
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