Blücher auffordern, der großen Armee aus Schlesien Hilfe zu bringen. Die Diplomaten des Hauptquartiers begannen zu verzweifeln, und fast schien es als sollte die Coalition nach einem ersten Mißerfolge sich auf- lösen. Wer stand dafür, daß Kaiser Franz nicht wieder wie nach dem Austerlitzer Tage die Flinte ins Korn warf? War doch der definitive Bundesvertrag mit Oesterreich noch immer nicht abgeschlossen! Eine kraftvolle Verfolgung versprach dem Sieger glänzende Ergebnisse. Zum Glück erhielt Napoleon unterwegs die Nachricht von der Großbeerener Schlacht und eilte mit dem Kerne seines Heeres nach Dresden zurück um sofort einen neuen Vernichtungszug gegen Berlin vorzubereiten; dies eine Ziel stand ihm über allen anderen. Auch jetzt noch blieb die Lage der böhmischen Armee schwer gefährdet. Wenn Vandamme auf seinem kürzeren Wege früher als die Verbündeten im Teplitzer Thale anlangte, so konnte er die vereinzelten Corps, die sich aus den Engpässen des Gebirges müh- sam herauswanden, leicht mit Uebermacht schlagen.
Der junge Prinz Eugen von Württemberg, der mit einem russischen Corps nahe beim Königstein den Truppen Vandammes gegenüber stand, erkannte mit sicherem Blicke was auf dem Spiele war. Er warf sich auf die große, östliche, Teplitzer Straße, von der die Masse der Verbündeten abgedrängt war, sprengte die Vortruppen Vandammes aus einander und gelangte also noch vor den Franzosen auf den Kamm des Gebirges bei Peterswalde. Am Morgen des 29. August vom Feinde angegriffen stiegen die Russen am Südabhange des Gebirges langsam herab bis gegen Kulm. Bereits hatten ihre Generale gegen die Meinung des Prinzen beschlossen das Feld zu räumen und weiter südwärts über die Eger auszuweichen. Da kam von dem Könige von Preußen, der unterdessen der Armee vor- aus in Teplitz angelangt war, der wiederholte Befehl, Stand zu halten um jeden Preis: nur wenn dies Corps hier im Osten dem Vordringen Vandammes einen Riegel vorschob, konnte die böhmische Armee weiter west- lich ungefährdet das Teplitzer Thal erreichen. Friedrich Wilhelm zeigte jetzt, daß er ein ganzer Soldat war sobald er sich nur das Herz faßte zu befehlen. Er eilte zu den Russen, ermuthigte die Generale zu verzwei- feltem Widerstande, sendete nach allen Ausgängen des Gebirges seine Boten aus um heranzurufen was sich irgend loswinden konnte aus den verstopften Pässen, befahl selber dem Obersten des tapferen österreichischen Dragonerregiments Erzherzog Johann sogleich in die Gefechtslinie einzu- rücken. Die Russen nahmen die Schlacht an; der Stolz ihres Heeres, die wohlgeschonte Garde, war mit zur Stelle. Den ganzen Tag lang behauptete sich die tapfere Schaar, an 15,000 Mann, mit unerschütter- licher Standhaftigkeit gegen die stürmischen Angriffe einer zweifachen Ueber- macht. Aber die Garden hatten furchtbar gelitten; was sollte der nächste Tag bringen?
Am Abend schickte der König an General Kleist, der noch hoch in
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Schlacht von Kulm.
Blücher auffordern, der großen Armee aus Schleſien Hilfe zu bringen. Die Diplomaten des Hauptquartiers begannen zu verzweifeln, und faſt ſchien es als ſollte die Coalition nach einem erſten Mißerfolge ſich auf- löſen. Wer ſtand dafür, daß Kaiſer Franz nicht wieder wie nach dem Auſterlitzer Tage die Flinte ins Korn warf? War doch der definitive Bundesvertrag mit Oeſterreich noch immer nicht abgeſchloſſen! Eine kraftvolle Verfolgung verſprach dem Sieger glänzende Ergebniſſe. Zum Glück erhielt Napoleon unterwegs die Nachricht von der Großbeerener Schlacht und eilte mit dem Kerne ſeines Heeres nach Dresden zurück um ſofort einen neuen Vernichtungszug gegen Berlin vorzubereiten; dies eine Ziel ſtand ihm über allen anderen. Auch jetzt noch blieb die Lage der böhmiſchen Armee ſchwer gefährdet. Wenn Vandamme auf ſeinem kürzeren Wege früher als die Verbündeten im Teplitzer Thale anlangte, ſo konnte er die vereinzelten Corps, die ſich aus den Engpäſſen des Gebirges müh- ſam herauswanden, leicht mit Uebermacht ſchlagen.
Der junge Prinz Eugen von Württemberg, der mit einem ruſſiſchen Corps nahe beim Königſtein den Truppen Vandammes gegenüber ſtand, erkannte mit ſicherem Blicke was auf dem Spiele war. Er warf ſich auf die große, öſtliche, Teplitzer Straße, von der die Maſſe der Verbündeten abgedrängt war, ſprengte die Vortruppen Vandammes aus einander und gelangte alſo noch vor den Franzoſen auf den Kamm des Gebirges bei Peterswalde. Am Morgen des 29. Auguſt vom Feinde angegriffen ſtiegen die Ruſſen am Südabhange des Gebirges langſam herab bis gegen Kulm. Bereits hatten ihre Generale gegen die Meinung des Prinzen beſchloſſen das Feld zu räumen und weiter ſüdwärts über die Eger auszuweichen. Da kam von dem Könige von Preußen, der unterdeſſen der Armee vor- aus in Teplitz angelangt war, der wiederholte Befehl, Stand zu halten um jeden Preis: nur wenn dies Corps hier im Oſten dem Vordringen Vandammes einen Riegel vorſchob, konnte die böhmiſche Armee weiter weſt- lich ungefährdet das Teplitzer Thal erreichen. Friedrich Wilhelm zeigte jetzt, daß er ein ganzer Soldat war ſobald er ſich nur das Herz faßte zu befehlen. Er eilte zu den Ruſſen, ermuthigte die Generale zu verzwei- feltem Widerſtande, ſendete nach allen Ausgängen des Gebirges ſeine Boten aus um heranzurufen was ſich irgend loswinden konnte aus den verſtopften Päſſen, befahl ſelber dem Oberſten des tapferen öſterreichiſchen Dragonerregiments Erzherzog Johann ſogleich in die Gefechtslinie einzu- rücken. Die Ruſſen nahmen die Schlacht an; der Stolz ihres Heeres, die wohlgeſchonte Garde, war mit zur Stelle. Den ganzen Tag lang behauptete ſich die tapfere Schaar, an 15,000 Mann, mit unerſchütter- licher Standhaftigkeit gegen die ſtürmiſchen Angriffe einer zweifachen Ueber- macht. Aber die Garden hatten furchtbar gelitten; was ſollte der nächſte Tag bringen?
Am Abend ſchickte der König an General Kleiſt, der noch hoch in
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Schlacht von Kulm.
Blücher auffordern, der großen Armee aus Schleſien Hilfe zu bringen.
Die Diplomaten des Hauptquartiers begannen zu verzweifeln, und faſt
ſchien es als ſollte die Coalition nach einem erſten Mißerfolge ſich auf-
löſen. Wer ſtand dafür, daß Kaiſer Franz nicht wieder wie nach dem
Auſterlitzer Tage die Flinte ins Korn warf? War doch der definitive
Bundesvertrag mit Oeſterreich noch immer nicht abgeſchloſſen! Eine
kraftvolle Verfolgung verſprach dem Sieger glänzende Ergebniſſe. Zum
Glück erhielt Napoleon unterwegs die Nachricht von der Großbeerener
Schlacht und eilte mit dem Kerne ſeines Heeres nach Dresden zurück um
ſofort einen neuen Vernichtungszug gegen Berlin vorzubereiten; dies eine
Ziel ſtand ihm über allen anderen. Auch jetzt noch blieb die Lage der
böhmiſchen Armee ſchwer gefährdet. Wenn Vandamme auf ſeinem kürzeren
Wege früher als die Verbündeten im Teplitzer Thale anlangte, ſo konnte
er die vereinzelten Corps, die ſich aus den Engpäſſen des Gebirges müh-
ſam herauswanden, leicht mit Uebermacht ſchlagen.
Der junge Prinz Eugen von Württemberg, der mit einem ruſſiſchen
Corps nahe beim Königſtein den Truppen Vandammes gegenüber ſtand,
erkannte mit ſicherem Blicke was auf dem Spiele war. Er warf ſich auf
die große, öſtliche, Teplitzer Straße, von der die Maſſe der Verbündeten
abgedrängt war, ſprengte die Vortruppen Vandammes aus einander und
gelangte alſo noch vor den Franzoſen auf den Kamm des Gebirges bei
Peterswalde. Am Morgen des 29. Auguſt vom Feinde angegriffen ſtiegen
die Ruſſen am Südabhange des Gebirges langſam herab bis gegen Kulm.
Bereits hatten ihre Generale gegen die Meinung des Prinzen beſchloſſen
das Feld zu räumen und weiter ſüdwärts über die Eger auszuweichen.
Da kam von dem Könige von Preußen, der unterdeſſen der Armee vor-
aus in Teplitz angelangt war, der wiederholte Befehl, Stand zu halten
um jeden Preis: nur wenn dies Corps hier im Oſten dem Vordringen
Vandammes einen Riegel vorſchob, konnte die böhmiſche Armee weiter weſt-
lich ungefährdet das Teplitzer Thal erreichen. Friedrich Wilhelm zeigte
jetzt, daß er ein ganzer Soldat war ſobald er ſich nur das Herz faßte
zu befehlen. Er eilte zu den Ruſſen, ermuthigte die Generale zu verzwei-
feltem Widerſtande, ſendete nach allen Ausgängen des Gebirges ſeine
Boten aus um heranzurufen was ſich irgend loswinden konnte aus den
verſtopften Päſſen, befahl ſelber dem Oberſten des tapferen öſterreichiſchen
Dragonerregiments Erzherzog Johann ſogleich in die Gefechtslinie einzu-
rücken. Die Ruſſen nahmen die Schlacht an; der Stolz ihres Heeres,
die wohlgeſchonte Garde, war mit zur Stelle. Den ganzen Tag lang
behauptete ſich die tapfere Schaar, an 15,000 Mann, mit unerſchütter-
licher Standhaftigkeit gegen die ſtürmiſchen Angriffe einer zweifachen Ueber-
macht. Aber die Garden hatten furchtbar gelitten; was ſollte der nächſte
Tag bringen?
Am Abend ſchickte der König an General Kleiſt, der noch hoch in
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 483. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/499>, abgerufen am 22.11.2024.
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