Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.

Bild:
<< vorherige Seite

I. 1. Deutschland nach dem Westphälischen Frieden.
Erbfolgestreite, überall trat Oesterreich dem gefährlichen Nebenbuhler
mißtrauisch entgegen. Gleich dem Wiener Hofe beargwöhnten alle Reichs-
fürsten den unruhigen Staat, der den gesammten deutschen Rorden zu
umklammern drohte; so oft er mit einiger Kühnheit sich hervorwagte,
erklang durchs deutsche Land der Jammerruf über "den immer tiefer ins
Reich dringenden brandenburgischen Dominat". Als der große Kurfürst
die Schweden aus Düppel und Alsen verjagte, schlossen die Fürsten des
Westens mit der Krone Frankreich jenen ersten Rheinbund zum Schutze
des Reichsstandes Schweden. Da das Kaiserhaus noch durch den Breisgau
und die oberschwäbischen Lande ganz Süddeutschland militärisch beherrschte,
so war an den oberländischen Höfen die Furcht vor Oesterreichs Länder-
gier zuweilen stärker als die Angst vor dem entlegenen Brandenburg;
zuletzt überwog doch bei allen Kleinfürsten die Erkenntniß, daß der kaiser-
liche Hof eine Macht des Beharrens, jener nordische Emporkömmling aber
durch einen tiefen, unversöhnlichen Gegensatz von der alten Ordnung der
deutschen Dinge getrennt sei.

Auch die Nation sah mit Abscheu und Besorgniß auf den Staat
der Hohenzollern, wie einst die italischen Stämme auf das empor-
steigende Rom. Die freien Köpfe der Zeit begannen bereits sich den
Ideen des modernen Absolutismus zuzuwenden; die Masse des Volks
hing noch an den althergebrachten ständischen Formen, die in dem Hause
Brandenburg ihren Bändiger fanden. Einzelne Kriegsthaten Friedrich
Wilhelms erweckten wohl die Bewunderung der Zeitgenossen; nach seinem
kühnen Zuge vom Rhein zum Rhyn begrüßte ihn das Elsasser Volkslied
zuerst mit dem Namen des Großen. Doch solche Stimmungen erregter
Augenblicke hielten nicht vor. Zorn und Neid trafen das trotzige Glied,
das sich neben das Reich stellte und noch nicht vermochte der Nation
einen Ersatz zu bieten für die zerstörte alte Ordnung; Leibnitz, der be-
geisterte Reichspatriot, erwies in beredter Denkschrift, wie der Branden-
burger von seinen Mitständen gezüchtigt werden müsse, weil er eigen-
mächtig sein Heer zur Rettung Hollands gegen die Franzosen geführt
habe. Noch ahnte Niemand in diesem staatlosen Geschlechte, daß die
Führung zersplitterter Völker nothwendig dem Theile zufällt, welcher die
Pflichten des Ganzen auf sich nimmt. Um so lebhafter regte sich die
dunkle Sorge, diese thatenlustige Macht müsse wachsen oder untergehen;
und wie schon im Mittelalter der Volkswitz immer den deutschen Stamm
heimsuchte, der den Gedanken der nationalen Einheit trug, so ergossen jetzt
particularistische Seelenangst und Selbstgefälligkeit ihren Hohn auf die
Marken.

Das Volk spottete über die Armuth der Streusandbüchse des heiligen
Reichs, über die brandenburgische Knechtschaft; wie Verzweifelte fochten
die Bürger Stettins auf ihren Wällen um ihre gute Stadt bei der schwe-
dischen Freiheit zu erhalten und vor dem Joche des märkischen Blut-

I. 1. Deutſchland nach dem Weſtphäliſchen Frieden.
Erbfolgeſtreite, überall trat Oeſterreich dem gefährlichen Nebenbuhler
mißtrauiſch entgegen. Gleich dem Wiener Hofe beargwöhnten alle Reichs-
fürſten den unruhigen Staat, der den geſammten deutſchen Rorden zu
umklammern drohte; ſo oft er mit einiger Kühnheit ſich hervorwagte,
erklang durchs deutſche Land der Jammerruf über „den immer tiefer ins
Reich dringenden brandenburgiſchen Dominat“. Als der große Kurfürſt
die Schweden aus Düppel und Alſen verjagte, ſchloſſen die Fürſten des
Weſtens mit der Krone Frankreich jenen erſten Rheinbund zum Schutze
des Reichsſtandes Schweden. Da das Kaiſerhaus noch durch den Breisgau
und die oberſchwäbiſchen Lande ganz Süddeutſchland militäriſch beherrſchte,
ſo war an den oberländiſchen Höfen die Furcht vor Oeſterreichs Länder-
gier zuweilen ſtärker als die Angſt vor dem entlegenen Brandenburg;
zuletzt überwog doch bei allen Kleinfürſten die Erkenntniß, daß der kaiſer-
liche Hof eine Macht des Beharrens, jener nordiſche Emporkömmling aber
durch einen tiefen, unverſöhnlichen Gegenſatz von der alten Ordnung der
deutſchen Dinge getrennt ſei.

Auch die Nation ſah mit Abſcheu und Beſorgniß auf den Staat
der Hohenzollern, wie einſt die italiſchen Stämme auf das empor-
ſteigende Rom. Die freien Köpfe der Zeit begannen bereits ſich den
Ideen des modernen Abſolutismus zuzuwenden; die Maſſe des Volks
hing noch an den althergebrachten ſtändiſchen Formen, die in dem Hauſe
Brandenburg ihren Bändiger fanden. Einzelne Kriegsthaten Friedrich
Wilhelms erweckten wohl die Bewunderung der Zeitgenoſſen; nach ſeinem
kühnen Zuge vom Rhein zum Rhyn begrüßte ihn das Elſaſſer Volkslied
zuerſt mit dem Namen des Großen. Doch ſolche Stimmungen erregter
Augenblicke hielten nicht vor. Zorn und Neid trafen das trotzige Glied,
das ſich neben das Reich ſtellte und noch nicht vermochte der Nation
einen Erſatz zu bieten für die zerſtörte alte Ordnung; Leibnitz, der be-
geiſterte Reichspatriot, erwies in beredter Denkſchrift, wie der Branden-
burger von ſeinen Mitſtänden gezüchtigt werden müſſe, weil er eigen-
mächtig ſein Heer zur Rettung Hollands gegen die Franzoſen geführt
habe. Noch ahnte Niemand in dieſem ſtaatloſen Geſchlechte, daß die
Führung zerſplitterter Völker nothwendig dem Theile zufällt, welcher die
Pflichten des Ganzen auf ſich nimmt. Um ſo lebhafter regte ſich die
dunkle Sorge, dieſe thatenluſtige Macht müſſe wachſen oder untergehen;
und wie ſchon im Mittelalter der Volkswitz immer den deutſchen Stamm
heimſuchte, der den Gedanken der nationalen Einheit trug, ſo ergoſſen jetzt
particulariſtiſche Seelenangſt und Selbſtgefälligkeit ihren Hohn auf die
Marken.

Das Volk ſpottete über die Armuth der Streuſandbüchſe des heiligen
Reichs, über die brandenburgiſche Knechtſchaft; wie Verzweifelte fochten
die Bürger Stettins auf ihren Wällen um ihre gute Stadt bei der ſchwe-
diſchen Freiheit zu erhalten und vor dem Joche des märkiſchen Blut-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0050" n="34"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">I.</hi> 1. Deut&#x017F;chland nach dem We&#x017F;tphäli&#x017F;chen Frieden.</fw><lb/>
Erbfolge&#x017F;treite, überall trat Oe&#x017F;terreich dem gefährlichen Nebenbuhler<lb/>
mißtraui&#x017F;ch entgegen. Gleich dem Wiener Hofe beargwöhnten alle Reichs-<lb/>
für&#x017F;ten den unruhigen Staat, der den ge&#x017F;ammten deut&#x017F;chen Rorden zu<lb/>
umklammern drohte; &#x017F;o oft er mit einiger Kühnheit &#x017F;ich hervorwagte,<lb/>
erklang durchs deut&#x017F;che Land der Jammerruf über &#x201E;den immer tiefer ins<lb/>
Reich dringenden brandenburgi&#x017F;chen Dominat&#x201C;. Als der große Kurfür&#x017F;t<lb/>
die Schweden aus Düppel und Al&#x017F;en verjagte, &#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en die Für&#x017F;ten des<lb/>
We&#x017F;tens mit der Krone Frankreich jenen er&#x017F;ten Rheinbund zum Schutze<lb/>
des Reichs&#x017F;tandes Schweden. Da das Kai&#x017F;erhaus noch durch den Breisgau<lb/>
und die ober&#x017F;chwäbi&#x017F;chen Lande ganz Süddeut&#x017F;chland militäri&#x017F;ch beherr&#x017F;chte,<lb/>
&#x017F;o war an den oberländi&#x017F;chen Höfen die Furcht vor Oe&#x017F;terreichs Länder-<lb/>
gier zuweilen &#x017F;tärker als die Ang&#x017F;t vor dem entlegenen Brandenburg;<lb/>
zuletzt überwog doch bei allen Kleinfür&#x017F;ten die Erkenntniß, daß der kai&#x017F;er-<lb/>
liche Hof eine Macht des Beharrens, jener nordi&#x017F;che Emporkömmling aber<lb/>
durch einen tiefen, unver&#x017F;öhnlichen Gegen&#x017F;atz von der alten Ordnung der<lb/>
deut&#x017F;chen Dinge getrennt &#x017F;ei.</p><lb/>
            <p>Auch die Nation &#x017F;ah mit Ab&#x017F;cheu und Be&#x017F;orgniß auf den Staat<lb/>
der Hohenzollern, wie ein&#x017F;t die itali&#x017F;chen Stämme auf das empor-<lb/>
&#x017F;teigende Rom. Die freien Köpfe der Zeit begannen bereits &#x017F;ich den<lb/>
Ideen des modernen Ab&#x017F;olutismus zuzuwenden; die Ma&#x017F;&#x017F;e des Volks<lb/>
hing noch an den althergebrachten &#x017F;tändi&#x017F;chen Formen, die in dem Hau&#x017F;e<lb/>
Brandenburg ihren Bändiger fanden. Einzelne Kriegsthaten Friedrich<lb/>
Wilhelms erweckten wohl die Bewunderung der Zeitgeno&#x017F;&#x017F;en; nach &#x017F;einem<lb/>
kühnen Zuge vom Rhein zum Rhyn begrüßte ihn das El&#x017F;a&#x017F;&#x017F;er Volkslied<lb/>
zuer&#x017F;t mit dem Namen des Großen. Doch &#x017F;olche Stimmungen erregter<lb/>
Augenblicke hielten nicht vor. Zorn und Neid trafen das trotzige Glied,<lb/>
das &#x017F;ich neben das Reich &#x017F;tellte und noch nicht vermochte der Nation<lb/>
einen Er&#x017F;atz zu bieten für die zer&#x017F;törte alte Ordnung; Leibnitz, der be-<lb/>
gei&#x017F;terte Reichspatriot, erwies in beredter Denk&#x017F;chrift, wie der Branden-<lb/>
burger von &#x017F;einen Mit&#x017F;tänden gezüchtigt werden mü&#x017F;&#x017F;e, weil er eigen-<lb/>
mächtig &#x017F;ein Heer zur Rettung Hollands gegen die Franzo&#x017F;en geführt<lb/>
habe. Noch ahnte Niemand in die&#x017F;em &#x017F;taatlo&#x017F;en Ge&#x017F;chlechte, daß die<lb/>
Führung zer&#x017F;plitterter Völker nothwendig dem Theile zufällt, welcher die<lb/>
Pflichten des Ganzen auf &#x017F;ich nimmt. Um &#x017F;o lebhafter regte &#x017F;ich die<lb/>
dunkle Sorge, die&#x017F;e thatenlu&#x017F;tige Macht mü&#x017F;&#x017F;e wach&#x017F;en oder untergehen;<lb/>
und wie &#x017F;chon im Mittelalter der Volkswitz immer den deut&#x017F;chen Stamm<lb/>
heim&#x017F;uchte, der den Gedanken der nationalen Einheit trug, &#x017F;o ergo&#x017F;&#x017F;en jetzt<lb/>
particulari&#x017F;ti&#x017F;che Seelenang&#x017F;t und Selb&#x017F;tgefälligkeit ihren Hohn auf die<lb/>
Marken.</p><lb/>
            <p>Das Volk &#x017F;pottete über die Armuth der Streu&#x017F;andbüch&#x017F;e des heiligen<lb/>
Reichs, über die brandenburgi&#x017F;che Knecht&#x017F;chaft; wie Verzweifelte fochten<lb/>
die Bürger Stettins auf ihren Wällen um ihre gute Stadt bei der &#x017F;chwe-<lb/>
di&#x017F;chen Freiheit zu erhalten und vor dem Joche des märki&#x017F;chen Blut-<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[34/0050] I. 1. Deutſchland nach dem Weſtphäliſchen Frieden. Erbfolgeſtreite, überall trat Oeſterreich dem gefährlichen Nebenbuhler mißtrauiſch entgegen. Gleich dem Wiener Hofe beargwöhnten alle Reichs- fürſten den unruhigen Staat, der den geſammten deutſchen Rorden zu umklammern drohte; ſo oft er mit einiger Kühnheit ſich hervorwagte, erklang durchs deutſche Land der Jammerruf über „den immer tiefer ins Reich dringenden brandenburgiſchen Dominat“. Als der große Kurfürſt die Schweden aus Düppel und Alſen verjagte, ſchloſſen die Fürſten des Weſtens mit der Krone Frankreich jenen erſten Rheinbund zum Schutze des Reichsſtandes Schweden. Da das Kaiſerhaus noch durch den Breisgau und die oberſchwäbiſchen Lande ganz Süddeutſchland militäriſch beherrſchte, ſo war an den oberländiſchen Höfen die Furcht vor Oeſterreichs Länder- gier zuweilen ſtärker als die Angſt vor dem entlegenen Brandenburg; zuletzt überwog doch bei allen Kleinfürſten die Erkenntniß, daß der kaiſer- liche Hof eine Macht des Beharrens, jener nordiſche Emporkömmling aber durch einen tiefen, unverſöhnlichen Gegenſatz von der alten Ordnung der deutſchen Dinge getrennt ſei. Auch die Nation ſah mit Abſcheu und Beſorgniß auf den Staat der Hohenzollern, wie einſt die italiſchen Stämme auf das empor- ſteigende Rom. Die freien Köpfe der Zeit begannen bereits ſich den Ideen des modernen Abſolutismus zuzuwenden; die Maſſe des Volks hing noch an den althergebrachten ſtändiſchen Formen, die in dem Hauſe Brandenburg ihren Bändiger fanden. Einzelne Kriegsthaten Friedrich Wilhelms erweckten wohl die Bewunderung der Zeitgenoſſen; nach ſeinem kühnen Zuge vom Rhein zum Rhyn begrüßte ihn das Elſaſſer Volkslied zuerſt mit dem Namen des Großen. Doch ſolche Stimmungen erregter Augenblicke hielten nicht vor. Zorn und Neid trafen das trotzige Glied, das ſich neben das Reich ſtellte und noch nicht vermochte der Nation einen Erſatz zu bieten für die zerſtörte alte Ordnung; Leibnitz, der be- geiſterte Reichspatriot, erwies in beredter Denkſchrift, wie der Branden- burger von ſeinen Mitſtänden gezüchtigt werden müſſe, weil er eigen- mächtig ſein Heer zur Rettung Hollands gegen die Franzoſen geführt habe. Noch ahnte Niemand in dieſem ſtaatloſen Geſchlechte, daß die Führung zerſplitterter Völker nothwendig dem Theile zufällt, welcher die Pflichten des Ganzen auf ſich nimmt. Um ſo lebhafter regte ſich die dunkle Sorge, dieſe thatenluſtige Macht müſſe wachſen oder untergehen; und wie ſchon im Mittelalter der Volkswitz immer den deutſchen Stamm heimſuchte, der den Gedanken der nationalen Einheit trug, ſo ergoſſen jetzt particulariſtiſche Seelenangſt und Selbſtgefälligkeit ihren Hohn auf die Marken. Das Volk ſpottete über die Armuth der Streuſandbüchſe des heiligen Reichs, über die brandenburgiſche Knechtſchaft; wie Verzweifelte fochten die Bürger Stettins auf ihren Wällen um ihre gute Stadt bei der ſchwe- diſchen Freiheit zu erhalten und vor dem Joche des märkiſchen Blut-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/50
Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 34. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/50>, abgerufen am 21.11.2024.