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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.

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Vertrag von Ried.
führen lassen. Wer freiwillig der Coalition beitrat, durfte durch Vertrag
sein Land vor der Einmischung der Centralverwaltung sicherstellen. In
seinem also beschränkten Wirkungskreise hat der Centralverwaltungsrath
unter Steins kraftvollen Händen sehr Tüchtiges geleistet, obgleich er be-
ständig mit dem bösen Willen der rheinbündischen Souveräne zu kämpfen
hatte; aber der ursprüngliche kühne Plan, die Gebiete der Kleinfürsten
als herrenloses Gut zu behandeln, war durch Oesterreich vereitelt.

Unterdessen hatte Metternich seine kostbare Vollmacht benutzt und mit
Baiern abgeschlossen. Trotz der günstigen militärischen Lage der Alliirten
hegte man in dem zaghaften Hauptquartiere drei Wochen vor der Ent-
scheidungsschlacht noch so wenig feste Siegeszuversicht, daß selbst der Czar
die kleine bairische Armee als eine sehr werthvolle Verstärkung ansah.
Noch höheren Werth legte Metternich auf den Zutritt Baierns; er hoffte
durch eine rasche Verständigung mit dem Münchener Hofe die in den letz-
ten acht Jahren verlorenen Westprovinzen sofort zurückzugewinnen, Tyrol,
und damit die Pforte Italiens dem österreichischen Heere zu öffnen, endlich
allen Rheinbundskönigen durch die That zu beweisen, daß sie in der Hof-
burg einen nachsichtigen Gönner fänden. Im September war das Mün-
chener Cabinet endlich zu der Einsicht gelangt, daß es Zeit sei das sinkende
Schiff zu verlassen. Die beiden Kaiser ermuthigten den König von Baiern
durch freundliche Briefe; Hofrath Hruby, einer der gewandtesten öster-
reichischen Diplomaten, dessen Wirksamkeit der preußische Staat noch oft
schmerzlich empfinden sollte, reiste geschäftig hin und her. Am 8. October
schlossen Oesterreich und Baiern den Rieder Vertrag. Beide Theile konnten
sich eines großen diplomatischen Erfolges rühmen, des größern doch Oester-
reich. Die Hofburg gewann für sich Tyrol, Salzburg, das Inn- und
Hausruckviertel und führte zugleich drei schwere Schläge gegen Preußen.
Der Kernstaat des Rheinbundes trat als gleichberechtigte Macht in die
Coalition ein, wurde feierlich aller vergangenen Schuld entlastet; und jetzt
zeigte sich, welchen Sinn Oesterreich mit jenen verhängnißvollen Worten
des Teplitzer Vertrages verband: die verheißene ganze und unbedingte
Unabhängigkeit wurde kurzweg dahin erläutert, daß Baiern, von jedem
fremden Einfluß befreit, "seiner vollkommenen Souveränität genießen" solle.
Damit war den Bundesplänen Preußens die Spitze abgebrochen. Baiern
erhielt ferner die Anerkennung seines Besitzstandes; das will sagen: Har-
denbergs Plan den Rheinbundsstaaten den Raub der jüngsten Jahre wieder
abzunehmen, fiel platt zu Boden, und Ansbach-Baireuth ging für Preußen
verloren. Der Münchener Hof empfing endlich für die an Oesterreich
abgetretenen Provinzen die Lande Würzburg und Aschaffenburg sowie die
geheime Zusage noch anderer deutscher Landstriche, die mit seinem Gebiete
in ununterbrochenem Zusammenhange stehen sollten; durch diese Aussicht
ward das Haus Wittelsbach für die nächste Zeit fest an Oesterreich gekettet.

Die geheimen Artikel des Rieder Vertrages wurden vor dem preußi-

Vertrag von Ried.
führen laſſen. Wer freiwillig der Coalition beitrat, durfte durch Vertrag
ſein Land vor der Einmiſchung der Centralverwaltung ſicherſtellen. In
ſeinem alſo beſchränkten Wirkungskreiſe hat der Centralverwaltungsrath
unter Steins kraftvollen Händen ſehr Tüchtiges geleiſtet, obgleich er be-
ſtändig mit dem böſen Willen der rheinbündiſchen Souveräne zu kämpfen
hatte; aber der urſprüngliche kühne Plan, die Gebiete der Kleinfürſten
als herrenloſes Gut zu behandeln, war durch Oeſterreich vereitelt.

Unterdeſſen hatte Metternich ſeine koſtbare Vollmacht benutzt und mit
Baiern abgeſchloſſen. Trotz der günſtigen militäriſchen Lage der Alliirten
hegte man in dem zaghaften Hauptquartiere drei Wochen vor der Ent-
ſcheidungsſchlacht noch ſo wenig feſte Siegeszuverſicht, daß ſelbſt der Czar
die kleine bairiſche Armee als eine ſehr werthvolle Verſtärkung anſah.
Noch höheren Werth legte Metternich auf den Zutritt Baierns; er hoffte
durch eine raſche Verſtändigung mit dem Münchener Hofe die in den letz-
ten acht Jahren verlorenen Weſtprovinzen ſofort zurückzugewinnen, Tyrol,
und damit die Pforte Italiens dem öſterreichiſchen Heere zu öffnen, endlich
allen Rheinbundskönigen durch die That zu beweiſen, daß ſie in der Hof-
burg einen nachſichtigen Gönner fänden. Im September war das Mün-
chener Cabinet endlich zu der Einſicht gelangt, daß es Zeit ſei das ſinkende
Schiff zu verlaſſen. Die beiden Kaiſer ermuthigten den König von Baiern
durch freundliche Briefe; Hofrath Hruby, einer der gewandteſten öſter-
reichiſchen Diplomaten, deſſen Wirkſamkeit der preußiſche Staat noch oft
ſchmerzlich empfinden ſollte, reiſte geſchäftig hin und her. Am 8. October
ſchloſſen Oeſterreich und Baiern den Rieder Vertrag. Beide Theile konnten
ſich eines großen diplomatiſchen Erfolges rühmen, des größern doch Oeſter-
reich. Die Hofburg gewann für ſich Tyrol, Salzburg, das Inn- und
Hausruckviertel und führte zugleich drei ſchwere Schläge gegen Preußen.
Der Kernſtaat des Rheinbundes trat als gleichberechtigte Macht in die
Coalition ein, wurde feierlich aller vergangenen Schuld entlaſtet; und jetzt
zeigte ſich, welchen Sinn Oeſterreich mit jenen verhängnißvollen Worten
des Teplitzer Vertrages verband: die verheißene ganze und unbedingte
Unabhängigkeit wurde kurzweg dahin erläutert, daß Baiern, von jedem
fremden Einfluß befreit, „ſeiner vollkommenen Souveränität genießen“ ſolle.
Damit war den Bundesplänen Preußens die Spitze abgebrochen. Baiern
erhielt ferner die Anerkennung ſeines Beſitzſtandes; das will ſagen: Har-
denbergs Plan den Rheinbundsſtaaten den Raub der jüngſten Jahre wieder
abzunehmen, fiel platt zu Boden, und Ansbach-Baireuth ging für Preußen
verloren. Der Münchener Hof empfing endlich für die an Oeſterreich
abgetretenen Provinzen die Lande Würzburg und Aſchaffenburg ſowie die
geheime Zuſage noch anderer deutſcher Landſtriche, die mit ſeinem Gebiete
in ununterbrochenem Zuſammenhange ſtehen ſollten; durch dieſe Ausſicht
ward das Haus Wittelsbach für die nächſte Zeit feſt an Oeſterreich gekettet.

Die geheimen Artikel des Rieder Vertrages wurden vor dem preußi-

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[493/0509] Vertrag von Ried. führen laſſen. Wer freiwillig der Coalition beitrat, durfte durch Vertrag ſein Land vor der Einmiſchung der Centralverwaltung ſicherſtellen. In ſeinem alſo beſchränkten Wirkungskreiſe hat der Centralverwaltungsrath unter Steins kraftvollen Händen ſehr Tüchtiges geleiſtet, obgleich er be- ſtändig mit dem böſen Willen der rheinbündiſchen Souveräne zu kämpfen hatte; aber der urſprüngliche kühne Plan, die Gebiete der Kleinfürſten als herrenloſes Gut zu behandeln, war durch Oeſterreich vereitelt. Unterdeſſen hatte Metternich ſeine koſtbare Vollmacht benutzt und mit Baiern abgeſchloſſen. Trotz der günſtigen militäriſchen Lage der Alliirten hegte man in dem zaghaften Hauptquartiere drei Wochen vor der Ent- ſcheidungsſchlacht noch ſo wenig feſte Siegeszuverſicht, daß ſelbſt der Czar die kleine bairiſche Armee als eine ſehr werthvolle Verſtärkung anſah. Noch höheren Werth legte Metternich auf den Zutritt Baierns; er hoffte durch eine raſche Verſtändigung mit dem Münchener Hofe die in den letz- ten acht Jahren verlorenen Weſtprovinzen ſofort zurückzugewinnen, Tyrol, und damit die Pforte Italiens dem öſterreichiſchen Heere zu öffnen, endlich allen Rheinbundskönigen durch die That zu beweiſen, daß ſie in der Hof- burg einen nachſichtigen Gönner fänden. Im September war das Mün- chener Cabinet endlich zu der Einſicht gelangt, daß es Zeit ſei das ſinkende Schiff zu verlaſſen. Die beiden Kaiſer ermuthigten den König von Baiern durch freundliche Briefe; Hofrath Hruby, einer der gewandteſten öſter- reichiſchen Diplomaten, deſſen Wirkſamkeit der preußiſche Staat noch oft ſchmerzlich empfinden ſollte, reiſte geſchäftig hin und her. Am 8. October ſchloſſen Oeſterreich und Baiern den Rieder Vertrag. Beide Theile konnten ſich eines großen diplomatiſchen Erfolges rühmen, des größern doch Oeſter- reich. Die Hofburg gewann für ſich Tyrol, Salzburg, das Inn- und Hausruckviertel und führte zugleich drei ſchwere Schläge gegen Preußen. Der Kernſtaat des Rheinbundes trat als gleichberechtigte Macht in die Coalition ein, wurde feierlich aller vergangenen Schuld entlaſtet; und jetzt zeigte ſich, welchen Sinn Oeſterreich mit jenen verhängnißvollen Worten des Teplitzer Vertrages verband: die verheißene ganze und unbedingte Unabhängigkeit wurde kurzweg dahin erläutert, daß Baiern, von jedem fremden Einfluß befreit, „ſeiner vollkommenen Souveränität genießen“ ſolle. Damit war den Bundesplänen Preußens die Spitze abgebrochen. Baiern erhielt ferner die Anerkennung ſeines Beſitzſtandes; das will ſagen: Har- denbergs Plan den Rheinbundsſtaaten den Raub der jüngſten Jahre wieder abzunehmen, fiel platt zu Boden, und Ansbach-Baireuth ging für Preußen verloren. Der Münchener Hof empfing endlich für die an Oeſterreich abgetretenen Provinzen die Lande Würzburg und Aſchaffenburg ſowie die geheime Zuſage noch anderer deutſcher Landſtriche, die mit ſeinem Gebiete in ununterbrochenem Zuſammenhange ſtehen ſollten; durch dieſe Ausſicht ward das Haus Wittelsbach für die nächſte Zeit feſt an Oeſterreich gekettet. Die geheimen Artikel des Rieder Vertrages wurden vor dem preußi-

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 493. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/509>, abgerufen am 22.11.2024.