Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.I. 1. Deutschland nach dem Westphälischen Frieden. diesen gewaltigen Zuchtmeister verstehen, wie er so athemlos durchs Lebenstürmte, der Spott und Schrecken seiner Zeitgenossen, rauh und roh, scheltend und fuchtelnd, immer im Dienst, sein Volk und sich selber zu heißer Arbeit zwingend, ein Mann von altem deutschen Schrot und Korn, kerndeutsch in seiner kindlichen Offenheit, seiner Herzensgüte, seinem tiefen Pflichtgefühl, wie in seinem furchtbaren Jähzorn und seiner formlos ungeschlachten Derbheit. Der alte Haß des norddeutschen Volkes wider die alamodische Feinheit der wälschen Sitten, wie er aus Laurenbergs nieder- deutschen Spottgedichten sprach, gewann Fleisch und Blut in diesem königlichen Bürgersmanne; auch seine Härte gegen Weib und Kind zeigt ihn als den echten Sohn jenes classischen Zeitalters der deutschen Haus- tyrannen, das alle Leidenschaft des Mannes aus dem unfreien öffentlichen Leben in die Enge des Hauses zurückdrängte. Streng und freudlos, abschreckend kahl und dürftig ward das Leben unter dem banausischen Regimente des gestrengen Herrschers. Die harte Einseitigkeit seines Geistes schätzte nur die einfachen sittlichen und wirthschaftlichen Kräfte, welche den Staat im Innersten zusammenhalten; er warf sich mit der ganzen Wucht seines herrischen Willens auf das Gebiet der Verwaltung und bewährte hier die ursprüngliche Kraft eines schöpferischen Geistes. So fest und folgerecht, wie einst Wilhelm der Eroberer in dem unter- worfenen England, richtete Friedrich Wilhelm I. den Bau des Einheits- staates über der Trümmerwelt seiner Territorien auf. Doch nicht als ein Landgut seines Hauses erschien ihm der geeinte Staat, wie jenem Normannen; vielmehr lebte in dem Kopfe des ungelehrten Fürsten merk- würdig klar und bewußt der Staatsgedanke der neuen Naturrechtslehre: daß der Staat bestehe zum Besten Aller, und der König berufen sei in unparteiischer Gerechtigkeit über allen Ständen zu walten, das öffentliche Wohl zu vertreten gegen Sonderrecht und Sondervortheil. Diesem Gedanken hat er sein rastloses Schaffen gewidmet; und wenn sein Fuß mit den lockeren Unsitten des väterlichen Hofes auch alle die Keime reicherer Bildung gewaltsam zertrat, die unter Friedrich I. sich zu ent- falten begannen, so that er doch das Nothwendige. Die feste Manns- zucht eines wehrhaften, arbeitsamen Volkes war für Preußens große Zukunft wichtiger als jene vorzeitige Blüthe der Kunst und Wissenschaft. Eine sanftere Hand als die seine war hätte die Zuchtlosigkeit altstän- I. 1. Deutſchland nach dem Weſtphäliſchen Frieden. dieſen gewaltigen Zuchtmeiſter verſtehen, wie er ſo athemlos durchs Lebenſtürmte, der Spott und Schrecken ſeiner Zeitgenoſſen, rauh und roh, ſcheltend und fuchtelnd, immer im Dienſt, ſein Volk und ſich ſelber zu heißer Arbeit zwingend, ein Mann von altem deutſchen Schrot und Korn, kerndeutſch in ſeiner kindlichen Offenheit, ſeiner Herzensgüte, ſeinem tiefen Pflichtgefühl, wie in ſeinem furchtbaren Jähzorn und ſeiner formlos ungeſchlachten Derbheit. Der alte Haß des norddeutſchen Volkes wider die alamodiſche Feinheit der wälſchen Sitten, wie er aus Laurenbergs nieder- deutſchen Spottgedichten ſprach, gewann Fleiſch und Blut in dieſem königlichen Bürgersmanne; auch ſeine Härte gegen Weib und Kind zeigt ihn als den echten Sohn jenes claſſiſchen Zeitalters der deutſchen Haus- tyrannen, das alle Leidenſchaft des Mannes aus dem unfreien öffentlichen Leben in die Enge des Hauſes zurückdrängte. Streng und freudlos, abſchreckend kahl und dürftig ward das Leben unter dem banauſiſchen Regimente des geſtrengen Herrſchers. Die harte Einſeitigkeit ſeines Geiſtes ſchätzte nur die einfachen ſittlichen und wirthſchaftlichen Kräfte, welche den Staat im Innerſten zuſammenhalten; er warf ſich mit der ganzen Wucht ſeines herriſchen Willens auf das Gebiet der Verwaltung und bewährte hier die urſprüngliche Kraft eines ſchöpferiſchen Geiſtes. So feſt und folgerecht, wie einſt Wilhelm der Eroberer in dem unter- worfenen England, richtete Friedrich Wilhelm I. den Bau des Einheits- ſtaates über der Trümmerwelt ſeiner Territorien auf. Doch nicht als ein Landgut ſeines Hauſes erſchien ihm der geeinte Staat, wie jenem Normannen; vielmehr lebte in dem Kopfe des ungelehrten Fürſten merk- würdig klar und bewußt der Staatsgedanke der neuen Naturrechtslehre: daß der Staat beſtehe zum Beſten Aller, und der König berufen ſei in unparteiiſcher Gerechtigkeit über allen Ständen zu walten, das öffentliche Wohl zu vertreten gegen Sonderrecht und Sondervortheil. Dieſem Gedanken hat er ſein raſtloſes Schaffen gewidmet; und wenn ſein Fuß mit den lockeren Unſitten des väterlichen Hofes auch alle die Keime reicherer Bildung gewaltſam zertrat, die unter Friedrich I. ſich zu ent- falten begannen, ſo that er doch das Nothwendige. Die feſte Manns- zucht eines wehrhaften, arbeitſamen Volkes war für Preußens große Zukunft wichtiger als jene vorzeitige Blüthe der Kunſt und Wiſſenſchaft. Eine ſanftere Hand als die ſeine war hätte die Zuchtloſigkeit altſtän- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0054" n="38"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">I.</hi> 1. Deutſchland nach dem Weſtphäliſchen Frieden.</fw><lb/> dieſen gewaltigen Zuchtmeiſter verſtehen, wie er ſo athemlos durchs Leben<lb/> ſtürmte, der Spott und Schrecken ſeiner Zeitgenoſſen, rauh und roh,<lb/> ſcheltend und fuchtelnd, immer im Dienſt, ſein Volk und ſich ſelber zu<lb/> heißer Arbeit zwingend, ein Mann von altem deutſchen Schrot und Korn,<lb/> kerndeutſch in ſeiner kindlichen Offenheit, ſeiner Herzensgüte, ſeinem tiefen<lb/> Pflichtgefühl, wie in ſeinem furchtbaren Jähzorn und ſeiner formlos<lb/> ungeſchlachten Derbheit. 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I. 1. Deutſchland nach dem Weſtphäliſchen Frieden.
dieſen gewaltigen Zuchtmeiſter verſtehen, wie er ſo athemlos durchs Leben
ſtürmte, der Spott und Schrecken ſeiner Zeitgenoſſen, rauh und roh,
ſcheltend und fuchtelnd, immer im Dienſt, ſein Volk und ſich ſelber zu
heißer Arbeit zwingend, ein Mann von altem deutſchen Schrot und Korn,
kerndeutſch in ſeiner kindlichen Offenheit, ſeiner Herzensgüte, ſeinem tiefen
Pflichtgefühl, wie in ſeinem furchtbaren Jähzorn und ſeiner formlos
ungeſchlachten Derbheit. Der alte Haß des norddeutſchen Volkes wider die
alamodiſche Feinheit der wälſchen Sitten, wie er aus Laurenbergs nieder-
deutſchen Spottgedichten ſprach, gewann Fleiſch und Blut in dieſem
königlichen Bürgersmanne; auch ſeine Härte gegen Weib und Kind zeigt
ihn als den echten Sohn jenes claſſiſchen Zeitalters der deutſchen Haus-
tyrannen, das alle Leidenſchaft des Mannes aus dem unfreien öffentlichen
Leben in die Enge des Hauſes zurückdrängte. Streng und freudlos,
abſchreckend kahl und dürftig ward das Leben unter dem banauſiſchen
Regimente des geſtrengen Herrſchers. Die harte Einſeitigkeit ſeines
Geiſtes ſchätzte nur die einfachen ſittlichen und wirthſchaftlichen Kräfte,
welche den Staat im Innerſten zuſammenhalten; er warf ſich mit der
ganzen Wucht ſeines herriſchen Willens auf das Gebiet der Verwaltung
und bewährte hier die urſprüngliche Kraft eines ſchöpferiſchen Geiſtes.
So feſt und folgerecht, wie einſt Wilhelm der Eroberer in dem unter-
worfenen England, richtete Friedrich Wilhelm I. den Bau des Einheits-
ſtaates über der Trümmerwelt ſeiner Territorien auf. Doch nicht als
ein Landgut ſeines Hauſes erſchien ihm der geeinte Staat, wie jenem
Normannen; vielmehr lebte in dem Kopfe des ungelehrten Fürſten merk-
würdig klar und bewußt der Staatsgedanke der neuen Naturrechtslehre:
daß der Staat beſtehe zum Beſten Aller, und der König berufen ſei in
unparteiiſcher Gerechtigkeit über allen Ständen zu walten, das öffentliche
Wohl zu vertreten gegen Sonderrecht und Sondervortheil. Dieſem
Gedanken hat er ſein raſtloſes Schaffen gewidmet; und wenn ſein Fuß
mit den lockeren Unſitten des väterlichen Hofes auch alle die Keime
reicherer Bildung gewaltſam zertrat, die unter Friedrich I. ſich zu ent-
falten begannen, ſo that er doch das Nothwendige. Die feſte Manns-
zucht eines wehrhaften, arbeitſamen Volkes war für Preußens große
Zukunft wichtiger als jene vorzeitige Blüthe der Kunſt und Wiſſenſchaft.
Eine ſanftere Hand als die ſeine war hätte die Zuchtloſigkeit altſtän-
diſcher Libertät niemals unter die Majeſtät des gemeinen Rechts gebeugt;
zartere Naturen als dieſe niederdeutſchen Kerneichen Friedrich Wilhelm
und ſein Wildling Leopold von Deſſau hätten dem Sturmwinde wälſchen
Weſens, der damals über die deutſchen Höfe dahinfegte, nie widerſtanden.
Als Organiſatoren der Verwaltung ſind dieſem Soldatenkönige unter allen
Staatsmännern der neuen Geſchichte nur zwei ebenbürtig: der erſte
Conſul Bonaparte und der Freiherr vom Stein. Er verband mit der
Kühnheit des Neuerers den peinlich genauen Ordnungsſinn des ſparſamen
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