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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.

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I. 5. Ende der Kriegszeit.
Münster meinte noch, man müsse Friedrich August nicht achten sondern
ächten. Wer den hinterhaltigen Biedersinn des österreichischen Monar-
chen durchschaute, konnte freilich die Herzenswünsche der Lothringer
leicht errathen; Kaiser Franz forderte nämlich, der gefangene König
solle nach Prag übersiedeln, seine Truppen dem österreichischen Heere
angeschlossen werden. Preußen und Rußland erwirkten jedoch, daß
Friedrich August nach Berlin abgeführt wurde und Sachsen vorläufig
einem russischen Gouverneur untergeordnet wurde. Die Einsetzung einer
preußischen Verwaltung, welche den Uebergang zur Einverleibung ver-
mittelt hätte, blieb vorderhand unmöglich, da man ohne Oesterreichs Zu-
stimmung nicht über die gemeinsame Eroberung verfügen durfte. Die
Mitglieder des sächsischen Königshauses hielten unter dem Schutze der
französischen Waffen in dem belagerten Dresden aus; sobald die Haupt-
stadt capitulirte, bot Kaiser Franz seinen Verwandten Wohnsitze in Oester-
reich an. Prinz Anton, des Kaisers Schwager, begann von Prag aus
eine emsige geheime Thätigkeit zur Rettung seines gefangenen Bruders;
die Umgebung Friedrich Augusts setzte von vornherein ihre besten Hoff-
nungen auf Oesterreichs Gunst.

Der Staatskanzler bemerkte nichts von Alledem. Er theilte, während
des Aufenthalts der Monarchen in Freiburg, dem österreichischen Minister
seine sächsischen Pläne vertrauensvoll mit und nahm, da der verschlagene
Oesterreicher bei einem freundschaftlichen Diner ihm einige süße Worte
erwiderte, leichten Sinnes als sicher an, daß Metternich den preußischen
Absichten zustimme.*) Dort im Breisgau wurde der alte Landesvater
Kaiser Franz mit überströmender Freude empfangen. War doch dies Vor-
derösterreich immer eine der bestverwalteten Provinzen des Kaiserhauses
gewesen. Das Volk sehnte sich zurück nach dem schlaffen, bequemen Re-
gimente, der mächtige katholische Adel grollte der bürgerlich aufgeklärten
badischen Bureaukratie und konnte den Verlust seiner alten landständi-
schen Verfassung nicht verschmerzen. Der Kaiser begegnete in der lieb-
lichen Dreisamstadt überall altösterreichischen Erinnerungen: dort lag die
Dauphinenstraße, die einst den Brautzug Marie Antoinettens gesehen, da
das Denkmal am Martinsthore, das von den Kämpfen der Breisgauer
Freiwilligen in den neunziger Jahren erzählte, hier das schöne alte Kauf-
haus mit den Standbildern der Habsburger, das der Stadtrath zur Er-
innerung an den kaiserlichen Besuch wiederherzustellen beschloß. Zahlreiche
Breisgauer meldeten sich, den badischen Dienst verschmähend, zum Eintritt
in das österreichische Heer; wiederholt ward der Kaiser in vertraulichen
Unterredungen beschworen seine Kinder wieder an sein Vaterherz zu
nehmen, ja bereits war der Stempel fertig für eine Denkmünze welche die
Wiedervereinigung verherrlichen sollte. Kaiser Franz zeigte sich den Wün-

*) Hardenbergs Tagebuch 8. Januar 1814.

I. 5. Ende der Kriegszeit.
Münſter meinte noch, man müſſe Friedrich Auguſt nicht achten ſondern
ächten. Wer den hinterhaltigen Biederſinn des öſterreichiſchen Monar-
chen durchſchaute, konnte freilich die Herzenswünſche der Lothringer
leicht errathen; Kaiſer Franz forderte nämlich, der gefangene König
ſolle nach Prag überſiedeln, ſeine Truppen dem öſterreichiſchen Heere
angeſchloſſen werden. Preußen und Rußland erwirkten jedoch, daß
Friedrich Auguſt nach Berlin abgeführt wurde und Sachſen vorläufig
einem ruſſiſchen Gouverneur untergeordnet wurde. Die Einſetzung einer
preußiſchen Verwaltung, welche den Uebergang zur Einverleibung ver-
mittelt hätte, blieb vorderhand unmöglich, da man ohne Oeſterreichs Zu-
ſtimmung nicht über die gemeinſame Eroberung verfügen durfte. Die
Mitglieder des ſächſiſchen Königshauſes hielten unter dem Schutze der
franzöſiſchen Waffen in dem belagerten Dresden aus; ſobald die Haupt-
ſtadt capitulirte, bot Kaiſer Franz ſeinen Verwandten Wohnſitze in Oeſter-
reich an. Prinz Anton, des Kaiſers Schwager, begann von Prag aus
eine emſige geheime Thätigkeit zur Rettung ſeines gefangenen Bruders;
die Umgebung Friedrich Auguſts ſetzte von vornherein ihre beſten Hoff-
nungen auf Oeſterreichs Gunſt.

Der Staatskanzler bemerkte nichts von Alledem. Er theilte, während
des Aufenthalts der Monarchen in Freiburg, dem öſterreichiſchen Miniſter
ſeine ſächſiſchen Pläne vertrauensvoll mit und nahm, da der verſchlagene
Oeſterreicher bei einem freundſchaftlichen Diner ihm einige ſüße Worte
erwiderte, leichten Sinnes als ſicher an, daß Metternich den preußiſchen
Abſichten zuſtimme.*) Dort im Breisgau wurde der alte Landesvater
Kaiſer Franz mit überſtrömender Freude empfangen. War doch dies Vor-
deröſterreich immer eine der beſtverwalteten Provinzen des Kaiſerhauſes
geweſen. Das Volk ſehnte ſich zurück nach dem ſchlaffen, bequemen Re-
gimente, der mächtige katholiſche Adel grollte der bürgerlich aufgeklärten
badiſchen Bureaukratie und konnte den Verluſt ſeiner alten landſtändi-
ſchen Verfaſſung nicht verſchmerzen. Der Kaiſer begegnete in der lieb-
lichen Dreiſamſtadt überall altöſterreichiſchen Erinnerungen: dort lag die
Dauphinenſtraße, die einſt den Brautzug Marie Antoinettens geſehen, da
das Denkmal am Martinsthore, das von den Kämpfen der Breisgauer
Freiwilligen in den neunziger Jahren erzählte, hier das ſchöne alte Kauf-
haus mit den Standbildern der Habsburger, das der Stadtrath zur Er-
innerung an den kaiſerlichen Beſuch wiederherzuſtellen beſchloß. Zahlreiche
Breisgauer meldeten ſich, den badiſchen Dienſt verſchmähend, zum Eintritt
in das öſterreichiſche Heer; wiederholt ward der Kaiſer in vertraulichen
Unterredungen beſchworen ſeine Kinder wieder an ſein Vaterherz zu
nehmen, ja bereits war der Stempel fertig für eine Denkmünze welche die
Wiedervereinigung verherrlichen ſollte. Kaiſer Franz zeigte ſich den Wün-

*) Hardenbergs Tagebuch 8. Januar 1814.
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[530/0546] I. 5. Ende der Kriegszeit. Münſter meinte noch, man müſſe Friedrich Auguſt nicht achten ſondern ächten. Wer den hinterhaltigen Biederſinn des öſterreichiſchen Monar- chen durchſchaute, konnte freilich die Herzenswünſche der Lothringer leicht errathen; Kaiſer Franz forderte nämlich, der gefangene König ſolle nach Prag überſiedeln, ſeine Truppen dem öſterreichiſchen Heere angeſchloſſen werden. Preußen und Rußland erwirkten jedoch, daß Friedrich Auguſt nach Berlin abgeführt wurde und Sachſen vorläufig einem ruſſiſchen Gouverneur untergeordnet wurde. Die Einſetzung einer preußiſchen Verwaltung, welche den Uebergang zur Einverleibung ver- mittelt hätte, blieb vorderhand unmöglich, da man ohne Oeſterreichs Zu- ſtimmung nicht über die gemeinſame Eroberung verfügen durfte. Die Mitglieder des ſächſiſchen Königshauſes hielten unter dem Schutze der franzöſiſchen Waffen in dem belagerten Dresden aus; ſobald die Haupt- ſtadt capitulirte, bot Kaiſer Franz ſeinen Verwandten Wohnſitze in Oeſter- reich an. Prinz Anton, des Kaiſers Schwager, begann von Prag aus eine emſige geheime Thätigkeit zur Rettung ſeines gefangenen Bruders; die Umgebung Friedrich Auguſts ſetzte von vornherein ihre beſten Hoff- nungen auf Oeſterreichs Gunſt. Der Staatskanzler bemerkte nichts von Alledem. Er theilte, während des Aufenthalts der Monarchen in Freiburg, dem öſterreichiſchen Miniſter ſeine ſächſiſchen Pläne vertrauensvoll mit und nahm, da der verſchlagene Oeſterreicher bei einem freundſchaftlichen Diner ihm einige ſüße Worte erwiderte, leichten Sinnes als ſicher an, daß Metternich den preußiſchen Abſichten zuſtimme. *) Dort im Breisgau wurde der alte Landesvater Kaiſer Franz mit überſtrömender Freude empfangen. War doch dies Vor- deröſterreich immer eine der beſtverwalteten Provinzen des Kaiſerhauſes geweſen. Das Volk ſehnte ſich zurück nach dem ſchlaffen, bequemen Re- gimente, der mächtige katholiſche Adel grollte der bürgerlich aufgeklärten badiſchen Bureaukratie und konnte den Verluſt ſeiner alten landſtändi- ſchen Verfaſſung nicht verſchmerzen. Der Kaiſer begegnete in der lieb- lichen Dreiſamſtadt überall altöſterreichiſchen Erinnerungen: dort lag die Dauphinenſtraße, die einſt den Brautzug Marie Antoinettens geſehen, da das Denkmal am Martinsthore, das von den Kämpfen der Breisgauer Freiwilligen in den neunziger Jahren erzählte, hier das ſchöne alte Kauf- haus mit den Standbildern der Habsburger, das der Stadtrath zur Er- innerung an den kaiſerlichen Beſuch wiederherzuſtellen beſchloß. Zahlreiche Breisgauer meldeten ſich, den badiſchen Dienſt verſchmähend, zum Eintritt in das öſterreichiſche Heer; wiederholt ward der Kaiſer in vertraulichen Unterredungen beſchworen ſeine Kinder wieder an ſein Vaterherz zu nehmen, ja bereits war der Stempel fertig für eine Denkmünze welche die Wiedervereinigung verherrlichen ſollte. Kaiſer Franz zeigte ſich den Wün- *) Hardenbergs Tagebuch 8. Januar 1814.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 530. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/546>, abgerufen am 22.11.2024.