dieses Feldzuges den übereilten Schluß, die Zeit der Festungen sei vor- über. In Nancy feierte Blücher zu seiner lebhaften Genugthuung das preußische Krönungsfest, in derselben Stadt, die zwei Jahre lang seine unglücklichen kriegsgefangenen Kameraden beherbergt hatte. Dann wen- dete er sich in kühner Schwenkung südwestwärts, überschritt die Marne und langte in den letzten Tagen des Januar bei Brienne an der Aube an. So schob er sein Heer mitten hinein zwischen den von Chalons heranrückenden Imperator und die Große Armee, die nach einem Marsche von mehr als einem Monat endlich das Plateau von Langres erreicht hatte. Der alte Held hoffte den zaudernden Schwarzenberg mit sich zum gewissen Siege fortzureißen.
Im großen Hauptquartier herrschte wieder Zwietracht und Rath- losigkeit. Die wundersame Hochebene, von deren Besitznahme Langenau die Entscheidung des Krieges erwartet hatte, war glücklich erreicht, die Festung Langres selber hatte fast ohne Widerstand ihre Thore geöffnet und doch war mit Alledem gar nichts gewonnen. Die Thorheit dieser gegen Berge und Flüsse gerichteten Kriegführung drängte sich jedem un- befangenen Kopfe auf. Nur um so zäher hielten die gelehrten Strategen an ihren Principien fest. Knesebeck erklärte die Wasserscheide von Langres für den Rubicon, der nicht überschritten werden dürfe. General Duca empfahl, durch die Belagerung von Mainz einen methodischen Festungs- krieg zu eröffnen. Schwarzenberg bemerkte verächtlich, mit welcher kin- dischen Wuth Blücher und Gneisenau, alle Regeln der Kriegskunst ver- achtend, nach Paris drängten; er fand diese preußischen Köpfe "zu klein für ein so großes Ereigniß": sie verfolgten ja doch nur den Zweck sichs wohl sein zu lassen in den Restaurants des Palais Royal! Ueber Alexanders Kriegseifer urtheilte er, ganz im Sinne seines Hofes: "nicht Gründe, sondern Lüsternheit leiten Alexanders Schritte;" denn jeder neue Sieg konnte nur noch die Machterweiterung Rußlands und die Wiederher- stellung Preußens sichern. Die zärtlichen Briefe, womit Marie Luise das Herz ihres Vaters bestürmte, richteten freilich bei der Gemüthlosigkeit des Kaisers Franz nichts aus; jedoch sah er mit steigendem Unmuthe, daß er die Kräfte seines Staates und seine eigene Bequemlichkeit für fremde Zwecke opfern sollte. Die Wiederherstellung der getreuen geistlichen Kur- fürsten war doch unmöglich; wie durfte man ihm zumuthen, das linke Rheinufer für Preußen zu erobern? Er verlangte Frieden, schleunigen Abschluß mit Anerkennung jener "natürlichen Grenzen", welche Metternich ja schon in Frankfurt zugestanden hatte. Seine Unlust an dem Kriege steigerte sich bis zum Abscheu, seit er errieth, daß Alexander auf Napoleons Absetzung hinarbeitete. Denn der Sturz des Schwiegersohnes war nicht nur an sich gegen das Interesse des Hauses Oesterreich; es stand auch zu be- fürchten, daß der Czar auf die neue Regierung Frankreichs -- wer immer die Erbschaft des Entthronten antrat -- einen entscheidenden Einfluß gewänne.
I. 5. Ende der Kriegszeit.
dieſes Feldzuges den übereilten Schluß, die Zeit der Feſtungen ſei vor- über. In Nancy feierte Blücher zu ſeiner lebhaften Genugthuung das preußiſche Krönungsfeſt, in derſelben Stadt, die zwei Jahre lang ſeine unglücklichen kriegsgefangenen Kameraden beherbergt hatte. Dann wen- dete er ſich in kühner Schwenkung ſüdweſtwärts, überſchritt die Marne und langte in den letzten Tagen des Januar bei Brienne an der Aube an. So ſchob er ſein Heer mitten hinein zwiſchen den von Chalons heranrückenden Imperator und die Große Armee, die nach einem Marſche von mehr als einem Monat endlich das Plateau von Langres erreicht hatte. Der alte Held hoffte den zaudernden Schwarzenberg mit ſich zum gewiſſen Siege fortzureißen.
Im großen Hauptquartier herrſchte wieder Zwietracht und Rath- loſigkeit. Die wunderſame Hochebene, von deren Beſitznahme Langenau die Entſcheidung des Krieges erwartet hatte, war glücklich erreicht, die Feſtung Langres ſelber hatte faſt ohne Widerſtand ihre Thore geöffnet und doch war mit Alledem gar nichts gewonnen. Die Thorheit dieſer gegen Berge und Flüſſe gerichteten Kriegführung drängte ſich jedem un- befangenen Kopfe auf. Nur um ſo zäher hielten die gelehrten Strategen an ihren Principien feſt. Kneſebeck erklärte die Waſſerſcheide von Langres für den Rubicon, der nicht überſchritten werden dürfe. General Duca empfahl, durch die Belagerung von Mainz einen methodiſchen Feſtungs- krieg zu eröffnen. Schwarzenberg bemerkte verächtlich, mit welcher kin- diſchen Wuth Blücher und Gneiſenau, alle Regeln der Kriegskunſt ver- achtend, nach Paris drängten; er fand dieſe preußiſchen Köpfe „zu klein für ein ſo großes Ereigniß“: ſie verfolgten ja doch nur den Zweck ſichs wohl ſein zu laſſen in den Reſtaurants des Palais Royal! Ueber Alexanders Kriegseifer urtheilte er, ganz im Sinne ſeines Hofes: „nicht Gründe, ſondern Lüſternheit leiten Alexanders Schritte;“ denn jeder neue Sieg konnte nur noch die Machterweiterung Rußlands und die Wiederher- ſtellung Preußens ſichern. Die zärtlichen Briefe, womit Marie Luiſe das Herz ihres Vaters beſtürmte, richteten freilich bei der Gemüthloſigkeit des Kaiſers Franz nichts aus; jedoch ſah er mit ſteigendem Unmuthe, daß er die Kräfte ſeines Staates und ſeine eigene Bequemlichkeit für fremde Zwecke opfern ſollte. Die Wiederherſtellung der getreuen geiſtlichen Kur- fürſten war doch unmöglich; wie durfte man ihm zumuthen, das linke Rheinufer für Preußen zu erobern? Er verlangte Frieden, ſchleunigen Abſchluß mit Anerkennung jener „natürlichen Grenzen“, welche Metternich ja ſchon in Frankfurt zugeſtanden hatte. Seine Unluſt an dem Kriege ſteigerte ſich bis zum Abſcheu, ſeit er errieth, daß Alexander auf Napoleons Abſetzung hinarbeitete. Denn der Sturz des Schwiegerſohnes war nicht nur an ſich gegen das Intereſſe des Hauſes Oeſterreich; es ſtand auch zu be- fürchten, daß der Czar auf die neue Regierung Frankreichs — wer immer die Erbſchaft des Entthronten antrat — einen entſcheidenden Einfluß gewänne.
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I. 5. Ende der Kriegszeit.
dieſes Feldzuges den übereilten Schluß, die Zeit der Feſtungen ſei vor-
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preußiſche Krönungsfeſt, in derſelben Stadt, die zwei Jahre lang ſeine
unglücklichen kriegsgefangenen Kameraden beherbergt hatte. Dann wen-
dete er ſich in kühner Schwenkung ſüdweſtwärts, überſchritt die Marne
und langte in den letzten Tagen des Januar bei Brienne an der Aube
an. So ſchob er ſein Heer mitten hinein zwiſchen den von Chalons
heranrückenden Imperator und die Große Armee, die nach einem Marſche
von mehr als einem Monat endlich das Plateau von Langres erreicht
hatte. Der alte Held hoffte den zaudernden Schwarzenberg mit ſich zum
gewiſſen Siege fortzureißen.
Im großen Hauptquartier herrſchte wieder Zwietracht und Rath-
loſigkeit. Die wunderſame Hochebene, von deren Beſitznahme Langenau
die Entſcheidung des Krieges erwartet hatte, war glücklich erreicht, die
Feſtung Langres ſelber hatte faſt ohne Widerſtand ihre Thore geöffnet
und doch war mit Alledem gar nichts gewonnen. Die Thorheit dieſer
gegen Berge und Flüſſe gerichteten Kriegführung drängte ſich jedem un-
befangenen Kopfe auf. Nur um ſo zäher hielten die gelehrten Strategen
an ihren Principien feſt. Kneſebeck erklärte die Waſſerſcheide von Langres
für den Rubicon, der nicht überſchritten werden dürfe. General Duca
empfahl, durch die Belagerung von Mainz einen methodiſchen Feſtungs-
krieg zu eröffnen. Schwarzenberg bemerkte verächtlich, mit welcher kin-
diſchen Wuth Blücher und Gneiſenau, alle Regeln der Kriegskunſt ver-
achtend, nach Paris drängten; er fand dieſe preußiſchen Köpfe „zu klein
für ein ſo großes Ereigniß“: ſie verfolgten ja doch nur den Zweck ſichs
wohl ſein zu laſſen in den Reſtaurants des Palais Royal! Ueber
Alexanders Kriegseifer urtheilte er, ganz im Sinne ſeines Hofes: „nicht
Gründe, ſondern Lüſternheit leiten Alexanders Schritte;“ denn jeder neue
Sieg konnte nur noch die Machterweiterung Rußlands und die Wiederher-
ſtellung Preußens ſichern. Die zärtlichen Briefe, womit Marie Luiſe
das Herz ihres Vaters beſtürmte, richteten freilich bei der Gemüthloſigkeit
des Kaiſers Franz nichts aus; jedoch ſah er mit ſteigendem Unmuthe, daß
er die Kräfte ſeines Staates und ſeine eigene Bequemlichkeit für fremde
Zwecke opfern ſollte. Die Wiederherſtellung der getreuen geiſtlichen Kur-
fürſten war doch unmöglich; wie durfte man ihm zumuthen, das linke
Rheinufer für Preußen zu erobern? Er verlangte Frieden, ſchleunigen
Abſchluß mit Anerkennung jener „natürlichen Grenzen“, welche Metternich
ja ſchon in Frankfurt zugeſtanden hatte. Seine Unluſt an dem Kriege
ſteigerte ſich bis zum Abſcheu, ſeit er errieth, daß Alexander auf Napoleons
Abſetzung hinarbeitete. Denn der Sturz des Schwiegerſohnes war nicht nur
an ſich gegen das Intereſſe des Hauſes Oeſterreich; es ſtand auch zu be-
fürchten, daß der Czar auf die neue Regierung Frankreichs — wer immer die
Erbſchaft des Entthronten antrat — einen entſcheidenden Einfluß gewänne.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 534. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/550>, abgerufen am 22.11.2024.
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