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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.

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Unfälle des schlesischen Heeres.
zuvor geschlagenen Generale bei Chateau-Thierry nach hitzigem Gefechte auf
das rechte Ufer der Marne zurück. Am 13. hielt Napoleon seinen triumphi-
renden Einzug in die eroberte Stadt um schon am 14. bei Etoges und Vau-
champs dem letzten noch unberührten Corps der schlesischen Armee, das der
Feldmarschall selber, noch ohne nähere Kenntniß von den Unfällen der
letzten Tage, heranführte, einen unerwarteten blutigen Empfang zu bereiten.
Auch diesmal war das Glück den Franzosen günstig. Während des Ge-
fechtes kam ein furchtbarer Augenblick, der leicht dem ganzen Kriege ein
schmähliches Ende bereiten konnte. Blücher, Gneisenau, Prinz August,
Kleist, Grolmann, fast alle die besten Männer des deutschen Heeres hielten
eingepreßt in einem Viereck preußischen Fußvolks, von überlegenen feind-
lichen Reiterschaaren rings umschwärmt. Blücher selbst suchte den Tod,
lebendig sollte ihn der Feind nicht fangen. Grolmann aber sprach mit
mächtiger Stimme zu den Truppen, die sichere Ruhe der majestätischen
Heldengestalt flößte den Verzweifelnden neuen Muth ein, mit dem Bajo-
nette griffen sie die Reiter an und bahnten den Generalen den Weg bis
zu dem nahen schützenden Walde. Unerschütterlich wie nur je in den
Zeiten des Glücks hatten die Regimenter während dieser Tage der Prü-
fung Stand gehalten. Selbst jener stumme hagere Engländer, der immer
mit demselben langweiligen, steifen Gesichte, mit dem Stocke die Luft
durchfuchtelnd, neben Gneisenau einherzutraben pflegte, selbst Hudson
Lowe fand kaum Worte genug um den Löwenmuth dieser abgerissenen,
halbverhungerten Helden zu preisen. Aber wie ruhmvoll immer -- das
beste Heer der Verbündeten war geschlagen, hatte 15,000 Mann und an
fünfzig Kanonen verloren, nicht ohne die Schuld seiner Führer, die doch
die Zuverlässigkeit der österreichischen Bundesgenossen kennen mußten.

Noch einmal erhob sich strahlend das Gestirn des Kaiserreichs. Napo-
leon hatte mit seinen 30,000 Mann einen fast zweifach so starken Feind
angegriffen und war doch überall auf dem Schlachtfelde mit Uebermacht
erschienen. Wieder wie in den Austerlitzer Zeiten wurden lange Züge
von Gefangenen unter den Klängen der Feldmusik, den Parisern zur
Augenweide, an der Vendomesäule vorübergeführt. Wieder wie damals
jubelten die Truppen, wenn die prächtigen stahlblauen Ordonnanzoffiziere
des Kaisers auf den reichgeschirrten Rossen mit den Tigerschabracken heran-
sprengten um einen Befehl des Unüberwindlichen zu überbringen. Selbst
die schwächste Waffe der Franzosen, die Reiterei, konnte wieder von Siegen
erzählen, da Schwarzenberg von seinen gewaltigen Reitermassen der schlesi-
schen Armee nichts abgetreten hatte. Was Wunder, daß das Selbstver-
trauen im Heere wie im Volke mächtig anwuchs. Die ermüdeten Massen
hatten anfangs mit scheuem Staunen zugeschaut, wie die langen Züge
hochgewachsener blonder Männer ins Land hereinströmten, da und dort
sogar ihre Freude kundgegeben, wenn die Eroberer die drückenden Steuern
des Kaiserreichs beseitigten. Indeß der ehrenhafte patriotische Stolz der

Unfälle des ſchleſiſchen Heeres.
zuvor geſchlagenen Generale bei Chateau-Thierry nach hitzigem Gefechte auf
das rechte Ufer der Marne zurück. Am 13. hielt Napoleon ſeinen triumphi-
renden Einzug in die eroberte Stadt um ſchon am 14. bei Etoges und Vau-
champs dem letzten noch unberührten Corps der ſchleſiſchen Armee, das der
Feldmarſchall ſelber, noch ohne nähere Kenntniß von den Unfällen der
letzten Tage, heranführte, einen unerwarteten blutigen Empfang zu bereiten.
Auch diesmal war das Glück den Franzoſen günſtig. Während des Ge-
fechtes kam ein furchtbarer Augenblick, der leicht dem ganzen Kriege ein
ſchmähliches Ende bereiten konnte. Blücher, Gneiſenau, Prinz Auguſt,
Kleiſt, Grolmann, faſt alle die beſten Männer des deutſchen Heeres hielten
eingepreßt in einem Viereck preußiſchen Fußvolks, von überlegenen feind-
lichen Reiterſchaaren rings umſchwärmt. Blücher ſelbſt ſuchte den Tod,
lebendig ſollte ihn der Feind nicht fangen. Grolmann aber ſprach mit
mächtiger Stimme zu den Truppen, die ſichere Ruhe der majeſtätiſchen
Heldengeſtalt flößte den Verzweifelnden neuen Muth ein, mit dem Bajo-
nette griffen ſie die Reiter an und bahnten den Generalen den Weg bis
zu dem nahen ſchützenden Walde. Unerſchütterlich wie nur je in den
Zeiten des Glücks hatten die Regimenter während dieſer Tage der Prü-
fung Stand gehalten. Selbſt jener ſtumme hagere Engländer, der immer
mit demſelben langweiligen, ſteifen Geſichte, mit dem Stocke die Luft
durchfuchtelnd, neben Gneiſenau einherzutraben pflegte, ſelbſt Hudſon
Lowe fand kaum Worte genug um den Löwenmuth dieſer abgeriſſenen,
halbverhungerten Helden zu preiſen. Aber wie ruhmvoll immer — das
beſte Heer der Verbündeten war geſchlagen, hatte 15,000 Mann und an
fünfzig Kanonen verloren, nicht ohne die Schuld ſeiner Führer, die doch
die Zuverläſſigkeit der öſterreichiſchen Bundesgenoſſen kennen mußten.

Noch einmal erhob ſich ſtrahlend das Geſtirn des Kaiſerreichs. Napo-
leon hatte mit ſeinen 30,000 Mann einen faſt zweifach ſo ſtarken Feind
angegriffen und war doch überall auf dem Schlachtfelde mit Uebermacht
erſchienen. Wieder wie in den Auſterlitzer Zeiten wurden lange Züge
von Gefangenen unter den Klängen der Feldmuſik, den Pariſern zur
Augenweide, an der Vendomeſäule vorübergeführt. Wieder wie damals
jubelten die Truppen, wenn die prächtigen ſtahlblauen Ordonnanzoffiziere
des Kaiſers auf den reichgeſchirrten Roſſen mit den Tigerſchabracken heran-
ſprengten um einen Befehl des Unüberwindlichen zu überbringen. Selbſt
die ſchwächſte Waffe der Franzoſen, die Reiterei, konnte wieder von Siegen
erzählen, da Schwarzenberg von ſeinen gewaltigen Reitermaſſen der ſchleſi-
ſchen Armee nichts abgetreten hatte. Was Wunder, daß das Selbſtver-
trauen im Heere wie im Volke mächtig anwuchs. Die ermüdeten Maſſen
hatten anfangs mit ſcheuem Staunen zugeſchaut, wie die langen Züge
hochgewachſener blonder Männer ins Land hereinſtrömten, da und dort
ſogar ihre Freude kundgegeben, wenn die Eroberer die drückenden Steuern
des Kaiſerreichs beſeitigten. Indeß der ehrenhafte patriotiſche Stolz der

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[539/0555] Unfälle des ſchleſiſchen Heeres. zuvor geſchlagenen Generale bei Chateau-Thierry nach hitzigem Gefechte auf das rechte Ufer der Marne zurück. Am 13. hielt Napoleon ſeinen triumphi- renden Einzug in die eroberte Stadt um ſchon am 14. bei Etoges und Vau- champs dem letzten noch unberührten Corps der ſchleſiſchen Armee, das der Feldmarſchall ſelber, noch ohne nähere Kenntniß von den Unfällen der letzten Tage, heranführte, einen unerwarteten blutigen Empfang zu bereiten. Auch diesmal war das Glück den Franzoſen günſtig. Während des Ge- fechtes kam ein furchtbarer Augenblick, der leicht dem ganzen Kriege ein ſchmähliches Ende bereiten konnte. Blücher, Gneiſenau, Prinz Auguſt, Kleiſt, Grolmann, faſt alle die beſten Männer des deutſchen Heeres hielten eingepreßt in einem Viereck preußiſchen Fußvolks, von überlegenen feind- lichen Reiterſchaaren rings umſchwärmt. Blücher ſelbſt ſuchte den Tod, lebendig ſollte ihn der Feind nicht fangen. Grolmann aber ſprach mit mächtiger Stimme zu den Truppen, die ſichere Ruhe der majeſtätiſchen Heldengeſtalt flößte den Verzweifelnden neuen Muth ein, mit dem Bajo- nette griffen ſie die Reiter an und bahnten den Generalen den Weg bis zu dem nahen ſchützenden Walde. Unerſchütterlich wie nur je in den Zeiten des Glücks hatten die Regimenter während dieſer Tage der Prü- fung Stand gehalten. Selbſt jener ſtumme hagere Engländer, der immer mit demſelben langweiligen, ſteifen Geſichte, mit dem Stocke die Luft durchfuchtelnd, neben Gneiſenau einherzutraben pflegte, ſelbſt Hudſon Lowe fand kaum Worte genug um den Löwenmuth dieſer abgeriſſenen, halbverhungerten Helden zu preiſen. Aber wie ruhmvoll immer — das beſte Heer der Verbündeten war geſchlagen, hatte 15,000 Mann und an fünfzig Kanonen verloren, nicht ohne die Schuld ſeiner Führer, die doch die Zuverläſſigkeit der öſterreichiſchen Bundesgenoſſen kennen mußten. Noch einmal erhob ſich ſtrahlend das Geſtirn des Kaiſerreichs. Napo- leon hatte mit ſeinen 30,000 Mann einen faſt zweifach ſo ſtarken Feind angegriffen und war doch überall auf dem Schlachtfelde mit Uebermacht erſchienen. Wieder wie in den Auſterlitzer Zeiten wurden lange Züge von Gefangenen unter den Klängen der Feldmuſik, den Pariſern zur Augenweide, an der Vendomeſäule vorübergeführt. Wieder wie damals jubelten die Truppen, wenn die prächtigen ſtahlblauen Ordonnanzoffiziere des Kaiſers auf den reichgeſchirrten Roſſen mit den Tigerſchabracken heran- ſprengten um einen Befehl des Unüberwindlichen zu überbringen. Selbſt die ſchwächſte Waffe der Franzoſen, die Reiterei, konnte wieder von Siegen erzählen, da Schwarzenberg von ſeinen gewaltigen Reitermaſſen der ſchleſi- ſchen Armee nichts abgetreten hatte. Was Wunder, daß das Selbſtver- trauen im Heere wie im Volke mächtig anwuchs. Die ermüdeten Maſſen hatten anfangs mit ſcheuem Staunen zugeſchaut, wie die langen Züge hochgewachſener blonder Männer ins Land hereinſtrömten, da und dort ſogar ihre Freude kundgegeben, wenn die Eroberer die drückenden Steuern des Kaiſerreichs beſeitigten. Indeß der ehrenhafte patriotiſche Stolz der

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 539. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/555>, abgerufen am 22.11.2024.