lage des Friedensschlusses bereits festgestellt noch bevor der Friedenscongreß eröffnet wurde. Die Coalition hatte, gegen den Widerspruch Preußens, that- sächlich schon den Grundsatz anerkannt, daß die Grenzen vom 1. Januar 1792 zwar im Allgemeinen die Regel bilden, doch im Einzelnen zu Gunsten des Besiegten verändert werden müßten. Jene Frankfurter Verheißung: Frankreich wird größer sein als unter seinen Königen -- sollte sich erfüllen.
Die Verhandlungen über den Friedensvertrag konnten erst am 9. Mai beginnen*), sobald wieder eine anerkannte Staatsgewalt in Frankreich bestand. Die Bevollmächtigten versammelten sich in Talleyrands Hause. Metternich und Stadion, Hardenberg und Humboldt, Nesselrode und Rassumowsky, endlich Castlereagh, Stewart, Aberdeen und Cathcart ver- traten die Coalition. Der soeben zum Minister des Auswärtigen ernannte Talleyrand und jener Laforest, der vor 1806 in Berlin die Geschäfte Napo- leons geführt hatte, verhandelten im Namen des Allerchristlichsten Königs. Mit gewohnter Dreistigkeit sprach der französische Minister sein Befrem- den darüber aus, daß man dem unbefleckten Lilienbanner dieselben Zu- muthungen stellte, wie der revolutionären Tricolore, und wiederholte pathetisch die in Napoleons letzten Erklärungen so oft erneuerte Versiche- rung: alle anderen Großmächte hätten sich unmäßig vergrößert; kehre Frankreich wieder in die Grenzen von 92 zurück, so werde das Gleich- gewicht Europas bedenklich verschoben. Indeß sah der kluge Mann wohl ein, daß alles Wesentliche in Wahrheit schon entschieden war; er wußte, daß dies entwaffnete Frankreich nach Lage der Umstände sich gar nichts Besseres wünschen konnte als die nachsichtigen Anerbietungen der Coalition, und beschränkte sich daher bald auf den Versuch, die Grenzen von 92 möglichst vortheilhaft abzurunden. Die wenigen kurzen Sitzungen des Congresses, die in Eile mitten in einem Strudel von Bällen, Schmäusen und Vergnügungen aller Art abgehalten wurden, galten nur der Erle- digung von Fragen zweiten Ranges; darum ist auch in den Archiven wenig darüber zu finden. Bei der Gönnerschaft, welche Rußland, Eng- land und Oesterreich den Franzosen wetteifernd entgegentrugen, konnte von einer Verschärfung der ursprünglichen Bedingungen nicht mehr die Rede sein; die Frage war nur, wie viel Land Talleyrands Schlauheit noch zu dem alten Gebiete hinzu erhandeln würde. Wohl bäumte sich der französische Hochmuth noch zuweilen auf. Am 11. Mai verlangten die Marschälle im Staatsrathe die Wiedereröffnung des Krieges, offenen Widerstand gegen die schimpflichen Anforderungen der Coalition, und die preußischen Generale befürchteten einige Tage lang den Ausbruch eines Straßenkampfes in Paris.**) Doch das Gewölk zog vorüber, die Nüchtern- heit König Ludwigs wollte sich auf den tollen Vorschlag nicht einlassen.
*) Metternich an Hardenberg, 8. Mai 1814.
**) Gneisenau an Hardenberg, 13. Mai 1814.
I. 5. Ende der Kriegszeit.
lage des Friedensſchluſſes bereits feſtgeſtellt noch bevor der Friedenscongreß eröffnet wurde. Die Coalition hatte, gegen den Widerſpruch Preußens, that- ſächlich ſchon den Grundſatz anerkannt, daß die Grenzen vom 1. Januar 1792 zwar im Allgemeinen die Regel bilden, doch im Einzelnen zu Gunſten des Beſiegten verändert werden müßten. Jene Frankfurter Verheißung: Frankreich wird größer ſein als unter ſeinen Königen — ſollte ſich erfüllen.
Die Verhandlungen über den Friedensvertrag konnten erſt am 9. Mai beginnen*), ſobald wieder eine anerkannte Staatsgewalt in Frankreich beſtand. Die Bevollmächtigten verſammelten ſich in Talleyrands Hauſe. Metternich und Stadion, Hardenberg und Humboldt, Neſſelrode und Raſſumowsky, endlich Caſtlereagh, Stewart, Aberdeen und Cathcart ver- traten die Coalition. Der ſoeben zum Miniſter des Auswärtigen ernannte Talleyrand und jener Laforeſt, der vor 1806 in Berlin die Geſchäfte Napo- leons geführt hatte, verhandelten im Namen des Allerchriſtlichſten Königs. Mit gewohnter Dreiſtigkeit ſprach der franzöſiſche Miniſter ſein Befrem- den darüber aus, daß man dem unbefleckten Lilienbanner dieſelben Zu- muthungen ſtellte, wie der revolutionären Tricolore, und wiederholte pathetiſch die in Napoleons letzten Erklärungen ſo oft erneuerte Verſiche- rung: alle anderen Großmächte hätten ſich unmäßig vergrößert; kehre Frankreich wieder in die Grenzen von 92 zurück, ſo werde das Gleich- gewicht Europas bedenklich verſchoben. Indeß ſah der kluge Mann wohl ein, daß alles Weſentliche in Wahrheit ſchon entſchieden war; er wußte, daß dies entwaffnete Frankreich nach Lage der Umſtände ſich gar nichts Beſſeres wünſchen konnte als die nachſichtigen Anerbietungen der Coalition, und beſchränkte ſich daher bald auf den Verſuch, die Grenzen von 92 möglichſt vortheilhaft abzurunden. Die wenigen kurzen Sitzungen des Congreſſes, die in Eile mitten in einem Strudel von Bällen, Schmäuſen und Vergnügungen aller Art abgehalten wurden, galten nur der Erle- digung von Fragen zweiten Ranges; darum iſt auch in den Archiven wenig darüber zu finden. Bei der Gönnerſchaft, welche Rußland, Eng- land und Oeſterreich den Franzoſen wetteifernd entgegentrugen, konnte von einer Verſchärfung der urſprünglichen Bedingungen nicht mehr die Rede ſein; die Frage war nur, wie viel Land Talleyrands Schlauheit noch zu dem alten Gebiete hinzu erhandeln würde. Wohl bäumte ſich der franzöſiſche Hochmuth noch zuweilen auf. Am 11. Mai verlangten die Marſchälle im Staatsrathe die Wiedereröffnung des Krieges, offenen Widerſtand gegen die ſchimpflichen Anforderungen der Coalition, und die preußiſchen Generale befürchteten einige Tage lang den Ausbruch eines Straßenkampfes in Paris.**) Doch das Gewölk zog vorüber, die Nüchtern- heit König Ludwigs wollte ſich auf den tollen Vorſchlag nicht einlaſſen.
*) Metternich an Hardenberg, 8. Mai 1814.
**) Gneiſenau an Hardenberg, 13. Mai 1814.
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I. 5. Ende der Kriegszeit.
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ſächlich ſchon den Grundſatz anerkannt, daß die Grenzen vom 1. Januar
1792 zwar im Allgemeinen die Regel bilden, doch im Einzelnen zu Gunſten
des Beſiegten verändert werden müßten. Jene Frankfurter Verheißung:
Frankreich wird größer ſein als unter ſeinen Königen — ſollte ſich erfüllen.
Die Verhandlungen über den Friedensvertrag konnten erſt am 9. Mai
beginnen *), ſobald wieder eine anerkannte Staatsgewalt in Frankreich
beſtand. Die Bevollmächtigten verſammelten ſich in Talleyrands Hauſe.
Metternich und Stadion, Hardenberg und Humboldt, Neſſelrode und
Raſſumowsky, endlich Caſtlereagh, Stewart, Aberdeen und Cathcart ver-
traten die Coalition. Der ſoeben zum Miniſter des Auswärtigen ernannte
Talleyrand und jener Laforeſt, der vor 1806 in Berlin die Geſchäfte Napo-
leons geführt hatte, verhandelten im Namen des Allerchriſtlichſten Königs.
Mit gewohnter Dreiſtigkeit ſprach der franzöſiſche Miniſter ſein Befrem-
den darüber aus, daß man dem unbefleckten Lilienbanner dieſelben Zu-
muthungen ſtellte, wie der revolutionären Tricolore, und wiederholte
pathetiſch die in Napoleons letzten Erklärungen ſo oft erneuerte Verſiche-
rung: alle anderen Großmächte hätten ſich unmäßig vergrößert; kehre
Frankreich wieder in die Grenzen von 92 zurück, ſo werde das Gleich-
gewicht Europas bedenklich verſchoben. Indeß ſah der kluge Mann wohl
ein, daß alles Weſentliche in Wahrheit ſchon entſchieden war; er wußte,
daß dies entwaffnete Frankreich nach Lage der Umſtände ſich gar nichts
Beſſeres wünſchen konnte als die nachſichtigen Anerbietungen der Coalition,
und beſchränkte ſich daher bald auf den Verſuch, die Grenzen von 92
möglichſt vortheilhaft abzurunden. Die wenigen kurzen Sitzungen des
Congreſſes, die in Eile mitten in einem Strudel von Bällen, Schmäuſen
und Vergnügungen aller Art abgehalten wurden, galten nur der Erle-
digung von Fragen zweiten Ranges; darum iſt auch in den Archiven
wenig darüber zu finden. Bei der Gönnerſchaft, welche Rußland, Eng-
land und Oeſterreich den Franzoſen wetteifernd entgegentrugen, konnte
von einer Verſchärfung der urſprünglichen Bedingungen nicht mehr die
Rede ſein; die Frage war nur, wie viel Land Talleyrands Schlauheit
noch zu dem alten Gebiete hinzu erhandeln würde. Wohl bäumte ſich
der franzöſiſche Hochmuth noch zuweilen auf. Am 11. Mai verlangten
die Marſchälle im Staatsrathe die Wiedereröffnung des Krieges, offenen
Widerſtand gegen die ſchimpflichen Anforderungen der Coalition, und die
preußiſchen Generale befürchteten einige Tage lang den Ausbruch eines
Straßenkampfes in Paris. **) Doch das Gewölk zog vorüber, die Nüchtern-
heit König Ludwigs wollte ſich auf den tollen Vorſchlag nicht einlaſſen.
*) Metternich an Hardenberg, 8. Mai 1814.
**) Gneiſenau an Hardenberg, 13. Mai 1814.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 558. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/574>, abgerufen am 22.11.2024.
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