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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.

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Hardenbergs Plan für die Herstellung Preußens.
Dergestalt wird Oesterreich um 1,7 Mill. Seelen stärker als im Jahre
1801. Preußen verzichtet, wenngleich sehr ungern, auf das treue Ans-
bach-Baireuth und verlangt, außer den beiden Herzogthümern Westphalen
und Berg: ganz Sachsen sowie die Rheinlande von Mainz bis Wesel.

Der Staatskanzler unterschätzte also keineswegs, wie die Uneinge-
weihten ihm vorwarfen, die militärische Bedeutung des Rheinlandes; viel-
mehr war die Spitze seines Planes ersichtlich gegen Frankreich gerichtet.
Hardenberg berechnete die Einwohnerzahl der also hergestellten Monarchie,
offenbar zu niedrig, auf 101/2 Millionen, 600,000 Köpfe mehr als im
Jahre 1805. Wie Vorderösterreich, so sollten auch Preußens westliche
Provinzen durch einen "Isthmus" mit dem Hauptkörper des Staates ver-
bunden werden; die Landkarten der Staatskanzlei bestimmten ein Stück
hannoverschen Landes südlich von Göttingen für Preußen, um den Zu-
sammenhang zwischen dem Eichsfelde und dem östlichen Westphalen her-
zustellen. Den Niederlanden wurde außer Belgien auch Luxemburg und
ein Stück der deutschen Rheinlande zugedacht; doch war man jetzt etwas
behutsamer geworden und bot dem Oranier nur noch einen Strich im
äußersten Westen mit der Festung Jülich, außerdem die Versetzung seiner
deutschen Vettern auf das linke Ufer, an die luxemburgische Grenze. Die
festen Plätze des Rheinthals wollte Hardenberg schlechterdings nicht in
schwache Hände kommen lassen. Nur ungern, so gestand er selbst, forderte
er für seinen Staat diesen gefährlichen Wachtposten; er fühlte, daß Preußen
hier eine Ehrenpflicht gegen das große Vaterland zu erfüllen hatte. Der
mißtrauische Blick des oranischen Staatsmannes Gagern bemerkte wohl,
wie das preußische provisorische Gouvernement in Aachen die wiederge-
wonnenen altpreußischen Lande Cleve und Geldern mit den kölnisch-trieri-
schen Krummstabslanden durchaus auf gleichen Fuß behandelte; man
bereitete in der Stille die Einverleibung vor. Baiern endlich sollte für
die an Oesterreich abgetretenen Provinzen das gesammte nördliche Baden
mit Mannheim und Heidelberg sowie einen Theil der linksrheinischen
Pfalz mit Speyer empfangen. Der badische Hof mochte irgendwo auf
dem linken Rheinufer seine Entschädigung finden; das schlaffe Regiment
des Großherzogs Karl stand überhaupt bei den großen Mächten in
schlechtem Ansehen, zudem schien seine Dynastie dem Aussterben nahe.

So Hardenbergs Hoffnungen. Oesterreich empfing durch die Denk-
schrift einen schlagenden Beweis der treuen Freundschaft des Berliner
Cabinets. Wie oft hatte einst der große König jeden Schritt westwärts,
den Oesterreich wagte, mit der Feder und dem Schwerte bekämpft; jetzt
reichte Preußen selber der Hofburg die Herrschaft über Süddeutschland
wie auf einem Teller entgegen. Der Staatskanzler erbot sich selbst die
Stammesvettern seines Monarchen, die schwäbischen Hohenzollern dem
Gedanken des deutschen Dualismus zu opfern, ja er wollte, um nur der
Kaisermacht eine feste Stellung am Oberrheine zu verschaffen, sogar dem

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Hardenbergs Plan für die Herſtellung Preußens.
Dergeſtalt wird Oeſterreich um 1,7 Mill. Seelen ſtärker als im Jahre
1801. Preußen verzichtet, wenngleich ſehr ungern, auf das treue Ans-
bach-Baireuth und verlangt, außer den beiden Herzogthümern Weſtphalen
und Berg: ganz Sachſen ſowie die Rheinlande von Mainz bis Weſel.

Der Staatskanzler unterſchätzte alſo keineswegs, wie die Uneinge-
weihten ihm vorwarfen, die militäriſche Bedeutung des Rheinlandes; viel-
mehr war die Spitze ſeines Planes erſichtlich gegen Frankreich gerichtet.
Hardenberg berechnete die Einwohnerzahl der alſo hergeſtellten Monarchie,
offenbar zu niedrig, auf 10½ Millionen, 600,000 Köpfe mehr als im
Jahre 1805. Wie Vorderöſterreich, ſo ſollten auch Preußens weſtliche
Provinzen durch einen „Iſthmus“ mit dem Hauptkörper des Staates ver-
bunden werden; die Landkarten der Staatskanzlei beſtimmten ein Stück
hannoverſchen Landes ſüdlich von Göttingen für Preußen, um den Zu-
ſammenhang zwiſchen dem Eichsfelde und dem öſtlichen Weſtphalen her-
zuſtellen. Den Niederlanden wurde außer Belgien auch Luxemburg und
ein Stück der deutſchen Rheinlande zugedacht; doch war man jetzt etwas
behutſamer geworden und bot dem Oranier nur noch einen Strich im
äußerſten Weſten mit der Feſtung Jülich, außerdem die Verſetzung ſeiner
deutſchen Vettern auf das linke Ufer, an die luxemburgiſche Grenze. Die
feſten Plätze des Rheinthals wollte Hardenberg ſchlechterdings nicht in
ſchwache Hände kommen laſſen. Nur ungern, ſo geſtand er ſelbſt, forderte
er für ſeinen Staat dieſen gefährlichen Wachtpoſten; er fühlte, daß Preußen
hier eine Ehrenpflicht gegen das große Vaterland zu erfüllen hatte. Der
mißtrauiſche Blick des oraniſchen Staatsmannes Gagern bemerkte wohl,
wie das preußiſche proviſoriſche Gouvernement in Aachen die wiederge-
wonnenen altpreußiſchen Lande Cleve und Geldern mit den kölniſch-trieri-
ſchen Krummſtabslanden durchaus auf gleichen Fuß behandelte; man
bereitete in der Stille die Einverleibung vor. Baiern endlich ſollte für
die an Oeſterreich abgetretenen Provinzen das geſammte nördliche Baden
mit Mannheim und Heidelberg ſowie einen Theil der linksrheiniſchen
Pfalz mit Speyer empfangen. Der badiſche Hof mochte irgendwo auf
dem linken Rheinufer ſeine Entſchädigung finden; das ſchlaffe Regiment
des Großherzogs Karl ſtand überhaupt bei den großen Mächten in
ſchlechtem Anſehen, zudem ſchien ſeine Dynaſtie dem Ausſterben nahe.

So Hardenbergs Hoffnungen. Oeſterreich empfing durch die Denk-
ſchrift einen ſchlagenden Beweis der treuen Freundſchaft des Berliner
Cabinets. Wie oft hatte einſt der große König jeden Schritt weſtwärts,
den Oeſterreich wagte, mit der Feder und dem Schwerte bekämpft; jetzt
reichte Preußen ſelber der Hofburg die Herrſchaft über Süddeutſchland
wie auf einem Teller entgegen. Der Staatskanzler erbot ſich ſelbſt die
Stammesvettern ſeines Monarchen, die ſchwäbiſchen Hohenzollern dem
Gedanken des deutſchen Dualismus zu opfern, ja er wollte, um nur der
Kaiſermacht eine feſte Stellung am Oberrheine zu verſchaffen, ſogar dem

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[563/0579] Hardenbergs Plan für die Herſtellung Preußens. Dergeſtalt wird Oeſterreich um 1,7 Mill. Seelen ſtärker als im Jahre 1801. Preußen verzichtet, wenngleich ſehr ungern, auf das treue Ans- bach-Baireuth und verlangt, außer den beiden Herzogthümern Weſtphalen und Berg: ganz Sachſen ſowie die Rheinlande von Mainz bis Weſel. Der Staatskanzler unterſchätzte alſo keineswegs, wie die Uneinge- weihten ihm vorwarfen, die militäriſche Bedeutung des Rheinlandes; viel- mehr war die Spitze ſeines Planes erſichtlich gegen Frankreich gerichtet. Hardenberg berechnete die Einwohnerzahl der alſo hergeſtellten Monarchie, offenbar zu niedrig, auf 10½ Millionen, 600,000 Köpfe mehr als im Jahre 1805. Wie Vorderöſterreich, ſo ſollten auch Preußens weſtliche Provinzen durch einen „Iſthmus“ mit dem Hauptkörper des Staates ver- bunden werden; die Landkarten der Staatskanzlei beſtimmten ein Stück hannoverſchen Landes ſüdlich von Göttingen für Preußen, um den Zu- ſammenhang zwiſchen dem Eichsfelde und dem öſtlichen Weſtphalen her- zuſtellen. Den Niederlanden wurde außer Belgien auch Luxemburg und ein Stück der deutſchen Rheinlande zugedacht; doch war man jetzt etwas behutſamer geworden und bot dem Oranier nur noch einen Strich im äußerſten Weſten mit der Feſtung Jülich, außerdem die Verſetzung ſeiner deutſchen Vettern auf das linke Ufer, an die luxemburgiſche Grenze. Die feſten Plätze des Rheinthals wollte Hardenberg ſchlechterdings nicht in ſchwache Hände kommen laſſen. Nur ungern, ſo geſtand er ſelbſt, forderte er für ſeinen Staat dieſen gefährlichen Wachtpoſten; er fühlte, daß Preußen hier eine Ehrenpflicht gegen das große Vaterland zu erfüllen hatte. Der mißtrauiſche Blick des oraniſchen Staatsmannes Gagern bemerkte wohl, wie das preußiſche proviſoriſche Gouvernement in Aachen die wiederge- wonnenen altpreußiſchen Lande Cleve und Geldern mit den kölniſch-trieri- ſchen Krummſtabslanden durchaus auf gleichen Fuß behandelte; man bereitete in der Stille die Einverleibung vor. Baiern endlich ſollte für die an Oeſterreich abgetretenen Provinzen das geſammte nördliche Baden mit Mannheim und Heidelberg ſowie einen Theil der linksrheiniſchen Pfalz mit Speyer empfangen. Der badiſche Hof mochte irgendwo auf dem linken Rheinufer ſeine Entſchädigung finden; das ſchlaffe Regiment des Großherzogs Karl ſtand überhaupt bei den großen Mächten in ſchlechtem Anſehen, zudem ſchien ſeine Dynaſtie dem Ausſterben nahe. So Hardenbergs Hoffnungen. Oeſterreich empfing durch die Denk- ſchrift einen ſchlagenden Beweis der treuen Freundſchaft des Berliner Cabinets. Wie oft hatte einſt der große König jeden Schritt weſtwärts, den Oeſterreich wagte, mit der Feder und dem Schwerte bekämpft; jetzt reichte Preußen ſelber der Hofburg die Herrſchaft über Süddeutſchland wie auf einem Teller entgegen. Der Staatskanzler erbot ſich ſelbſt die Stammesvettern ſeines Monarchen, die ſchwäbiſchen Hohenzollern dem Gedanken des deutſchen Dualismus zu opfern, ja er wollte, um nur der Kaiſermacht eine feſte Stellung am Oberrheine zu verſchaffen, ſogar dem 36*

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 563. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/579>, abgerufen am 22.11.2024.