polnischen Pläne zu äußern, von denen auch Stein noch immer nichts Sicheres wußte. In der That sprachen auch gewichtige sachliche Gründe für die Verschiebung der Entscheidung bis zu dem Congresse, der die neue Gestalt des Staatensystems festsetzen sollte. Es zeigte sich jetzt, daß dieser ungeheure Krieg doch in erster Linie ein Kampf um Preußens Dasein gewesen war. Die Wiederherstellung Preußens setzte voraus Ver- handlungen mit Rußland, Oesterreich, England-Hannover, Dänemark, Schweden, Holland und einer langen Reihe deutscher Kleinstaaten; sie berührte die beiden Fragen, worüber die Meinungen am Weitesten aus- einandergingen, den sächsischen und den polnischen Handel. Diese Fragen jetzt erledigen hieß nichts anderes als dem Congresse die wichtigsten Auf- gaben, um derentwillen er berufen war, im Voraus wegnehmen. Von der Umgestaltung des preußischen Gebietes hing die neue Ordnung der Staatengesellschaft vornehmlich ab; darin lag die Bedeutung zugleich und die schwere Gefahr unserer centralen Stellung.
Stein hat späterhin den Staatskanzler getadelt, weil er den gün- stigen Augenblick, da die Waffenthaten Preußens noch in frischer Erinne- rung standen, nicht benutzt habe, um sich den Siegespreis zu sichern. Als ob solche gemüthliche Stimmungen irgend etwas bedeuteten gegen- über den mächtigen Interessen, welche die berechnete Zurückhaltung der Alliirten bestimmten! In den Augen Oesterreichs und Englands waren die Siege Blüchers und Gneisenaus wahrhaftig kein Verdienst, sondern nur ein Grund mehr, Preußen zu beargwöhnen, den aufstrebenden Staat in Schranken zu halten. Der Reichsritter war völlig im Irrthum, wenn er wähnte, Metternich sei in jenem Augenblicke zur Abtretung von Sachsen bereit gewesen. Und welches Mittel besaß denn Hardenberg, um die widerstrebenden Höfe jetzt zu bindenden Versprechungen zu zwingen? Da die Alliirten sich verpflichtet hatten nur gemeinsam (d'un commun ac- cord) Frieden zu schließen, so war Preußen allerdings formell berechtigt seine Zustimmung an Bedingungen zu knüpfen; man konnte erklären: wir gestatten nicht, daß Bestimmungen über die Niederlande und Italien in den Friedensschluß aufgenommen werden, wenn nicht auch unsere Ent- schädigungen Erwähnung finden. Aber dieser letzte Trumpf war schon verspielt; Preußen hatte ja längst der Herrschaft Oesterreichs über Ober- italien und der Verstärkung der Niederlande zugestimmt. Ein nachträg- licher Widerspruch war ein Lufthieb, konnte höchstens bewirken, daß die Artikel über Italien und Holland aus der Friedensurkunde wegblieben. Damit ward Preußens Stellung nicht gebessert, nur das Mißtrauen der Alliirten verschärft.
Für jetzt war schlechterdings nichts zu erreichen. Preußen unterzeich- nete am 31. Mai mit den drei verbündeten Höfen ein Protokoll, das die Ent- scheidung aller noch streitigen Gebietsfragen auf den Congreß verwies. Bis dahin sollten Würzburg und Aschaffenburg durch Baiern, das Herzog-
Vertagung der Gebietsfragen.
polniſchen Pläne zu äußern, von denen auch Stein noch immer nichts Sicheres wußte. In der That ſprachen auch gewichtige ſachliche Gründe für die Verſchiebung der Entſcheidung bis zu dem Congreſſe, der die neue Geſtalt des Staatenſyſtems feſtſetzen ſollte. Es zeigte ſich jetzt, daß dieſer ungeheure Krieg doch in erſter Linie ein Kampf um Preußens Daſein geweſen war. Die Wiederherſtellung Preußens ſetzte voraus Ver- handlungen mit Rußland, Oeſterreich, England-Hannover, Dänemark, Schweden, Holland und einer langen Reihe deutſcher Kleinſtaaten; ſie berührte die beiden Fragen, worüber die Meinungen am Weiteſten aus- einandergingen, den ſächſiſchen und den polniſchen Handel. Dieſe Fragen jetzt erledigen hieß nichts anderes als dem Congreſſe die wichtigſten Auf- gaben, um derentwillen er berufen war, im Voraus wegnehmen. Von der Umgeſtaltung des preußiſchen Gebietes hing die neue Ordnung der Staatengeſellſchaft vornehmlich ab; darin lag die Bedeutung zugleich und die ſchwere Gefahr unſerer centralen Stellung.
Stein hat ſpäterhin den Staatskanzler getadelt, weil er den gün- ſtigen Augenblick, da die Waffenthaten Preußens noch in friſcher Erinne- rung ſtanden, nicht benutzt habe, um ſich den Siegespreis zu ſichern. Als ob ſolche gemüthliche Stimmungen irgend etwas bedeuteten gegen- über den mächtigen Intereſſen, welche die berechnete Zurückhaltung der Alliirten beſtimmten! In den Augen Oeſterreichs und Englands waren die Siege Blüchers und Gneiſenaus wahrhaftig kein Verdienſt, ſondern nur ein Grund mehr, Preußen zu beargwöhnen, den aufſtrebenden Staat in Schranken zu halten. Der Reichsritter war völlig im Irrthum, wenn er wähnte, Metternich ſei in jenem Augenblicke zur Abtretung von Sachſen bereit geweſen. Und welches Mittel beſaß denn Hardenberg, um die widerſtrebenden Höfe jetzt zu bindenden Verſprechungen zu zwingen? Da die Alliirten ſich verpflichtet hatten nur gemeinſam (d’un commun ac- cord) Frieden zu ſchließen, ſo war Preußen allerdings formell berechtigt ſeine Zuſtimmung an Bedingungen zu knüpfen; man konnte erklären: wir geſtatten nicht, daß Beſtimmungen über die Niederlande und Italien in den Friedensſchluß aufgenommen werden, wenn nicht auch unſere Ent- ſchädigungen Erwähnung finden. Aber dieſer letzte Trumpf war ſchon verſpielt; Preußen hatte ja längſt der Herrſchaft Oeſterreichs über Ober- italien und der Verſtärkung der Niederlande zugeſtimmt. Ein nachträg- licher Widerſpruch war ein Lufthieb, konnte höchſtens bewirken, daß die Artikel über Italien und Holland aus der Friedensurkunde wegblieben. Damit ward Preußens Stellung nicht gebeſſert, nur das Mißtrauen der Alliirten verſchärft.
Für jetzt war ſchlechterdings nichts zu erreichen. Preußen unterzeich- nete am 31. Mai mit den drei verbündeten Höfen ein Protokoll, das die Ent- ſcheidung aller noch ſtreitigen Gebietsfragen auf den Congreß verwies. Bis dahin ſollten Würzburg und Aſchaffenburg durch Baiern, das Herzog-
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Vertagung der Gebietsfragen.
polniſchen Pläne zu äußern, von denen auch Stein noch immer nichts
Sicheres wußte. In der That ſprachen auch gewichtige ſachliche Gründe
für die Verſchiebung der Entſcheidung bis zu dem Congreſſe, der die neue
Geſtalt des Staatenſyſtems feſtſetzen ſollte. Es zeigte ſich jetzt, daß
dieſer ungeheure Krieg doch in erſter Linie ein Kampf um Preußens
Daſein geweſen war. Die Wiederherſtellung Preußens ſetzte voraus Ver-
handlungen mit Rußland, Oeſterreich, England-Hannover, Dänemark,
Schweden, Holland und einer langen Reihe deutſcher Kleinſtaaten; ſie
berührte die beiden Fragen, worüber die Meinungen am Weiteſten aus-
einandergingen, den ſächſiſchen und den polniſchen Handel. Dieſe Fragen
jetzt erledigen hieß nichts anderes als dem Congreſſe die wichtigſten Auf-
gaben, um derentwillen er berufen war, im Voraus wegnehmen. Von
der Umgeſtaltung des preußiſchen Gebietes hing die neue Ordnung der
Staatengeſellſchaft vornehmlich ab; darin lag die Bedeutung zugleich und
die ſchwere Gefahr unſerer centralen Stellung.
Stein hat ſpäterhin den Staatskanzler getadelt, weil er den gün-
ſtigen Augenblick, da die Waffenthaten Preußens noch in friſcher Erinne-
rung ſtanden, nicht benutzt habe, um ſich den Siegespreis zu ſichern.
Als ob ſolche gemüthliche Stimmungen irgend etwas bedeuteten gegen-
über den mächtigen Intereſſen, welche die berechnete Zurückhaltung der
Alliirten beſtimmten! In den Augen Oeſterreichs und Englands waren
die Siege Blüchers und Gneiſenaus wahrhaftig kein Verdienſt, ſondern
nur ein Grund mehr, Preußen zu beargwöhnen, den aufſtrebenden Staat
in Schranken zu halten. Der Reichsritter war völlig im Irrthum, wenn
er wähnte, Metternich ſei in jenem Augenblicke zur Abtretung von Sachſen
bereit geweſen. Und welches Mittel beſaß denn Hardenberg, um die
widerſtrebenden Höfe jetzt zu bindenden Verſprechungen zu zwingen? Da
die Alliirten ſich verpflichtet hatten nur gemeinſam (d’un commun ac-
cord) Frieden zu ſchließen, ſo war Preußen allerdings formell berechtigt
ſeine Zuſtimmung an Bedingungen zu knüpfen; man konnte erklären:
wir geſtatten nicht, daß Beſtimmungen über die Niederlande und Italien
in den Friedensſchluß aufgenommen werden, wenn nicht auch unſere Ent-
ſchädigungen Erwähnung finden. Aber dieſer letzte Trumpf war ſchon
verſpielt; Preußen hatte ja längſt der Herrſchaft Oeſterreichs über Ober-
italien und der Verſtärkung der Niederlande zugeſtimmt. Ein nachträg-
licher Widerſpruch war ein Lufthieb, konnte höchſtens bewirken, daß die
Artikel über Italien und Holland aus der Friedensurkunde wegblieben.
Damit ward Preußens Stellung nicht gebeſſert, nur das Mißtrauen der
Alliirten verſchärft.
Für jetzt war ſchlechterdings nichts zu erreichen. Preußen unterzeich-
nete am 31. Mai mit den drei verbündeten Höfen ein Protokoll, das die Ent-
ſcheidung aller noch ſtreitigen Gebietsfragen auf den Congreß verwies. Bis
dahin ſollten Würzburg und Aſchaffenburg durch Baiern, das Herzog-
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 565. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/581>, abgerufen am 22.11.2024.
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