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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.

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I. 5. Ende der Kriegszeit.
hausten wieder in Florenz und Modena, die Halbinsel lag jederzeit seinen
Waffen offen. Ganz Italien, allein Piemont ausgenommen, stand fortan
unter fremden Herrschern, die mit der Hofburg durch eine natürliche
Interessengemeinschaft verbunden waren. Der gefährliche Name des König-
reichs Italien wurde sofort beseitigt, das Vaterland Machiavellis sollte
nicht mehr sein als ein Familiengut der Sippe des Hauses Oesterreich.
Darum durften auch die altehrwürdigen Republiken Venedig und Genua
nicht wieder aufleben; wie leicht hätte der durch Napoleon wieder erweckte
Nationalgeist der Italiener hier eine Zuflucht finden können.

Ohnehin war dies Zeitalter der beginnenden Restauration allen Re-
publiken ungünstig; wo kein Prinz auftrat, der ein Erbrecht von Gottes
Gnaden geltend machte, da schien überhaupt kein Recht vorhanden zu sein.
Das neue Staatensystem Europas trug durchaus den Charakter eines
großen Fürstenbundes, und immer stärker ward in dieser monarchischen
Staatengesellschaft der Einfluß der fünf großen Mächte. Sie allein hatten
den Pariser Friedenscongreß beschickt. Nur der Form halber gestatteten
sie nachher den drei Staaten Spanien, Portugal und Schweden auch
ihrerseits Frieden mit Frankreich zu schließen, so daß die huit puissances
signatrices
gleichsam einen weiteren Ausschuß der Pentarchie bildeten.
Ueber das Schicksal der Schweiz ward entschieden ohne daß man die Eid-
genossenschaft auch nur befragt hätte.

Mit der üblichen officiellen Glückseligkeit benachrichtigte der Staats-
kanzler den in Berlin zurückgebliebenen Minister des Auswärtigen, Graf
Goltz, von dem Abschlusse des Friedens, worauf Goltz allen Diplomaten
Preußens in einem Rundschreiben versicherte: wir können uns der ge-
wissen Erwartung hingeben, unsere Wünsche für den Glanz und die
Macht Preußens vollständig erfüllt zu sehen*). In Wahrheit war die
Stimmung der leitenden Kreise besorgt und gedrückt. Die Generale
zürnten laut über die noch immer völlig ungesicherte Lage der Monarchie.
Gneisenau schrieb dem Staatskanzler, ohne Mainz und Jülich sei Preußen
schlechterdings nicht im Stande die deutsche Westgrenze zu decken. Müff-
ling erzählte, wie Wrede bereits triumphirend von der künftigen Bundes-
festung Mainz spreche, und fragte, ob denn das Elend der alten Reichs-
festungen wiederkehren solle. "Welche Sicherheit für uns, fuhr er fort,
und welche traurige Aussicht, wenn die Krautfürsten trotzen und wir --
nachgeben! Wenn wir nicht in demselben Verhältniß vergrößert werden
als Oesterreich und Rußland, wenn wir uns von dem österreichischen
Systeme der Familien-Apanage täuschen und Mainz und Jülich entreißen
lassen, so kann es die Nation, die so viel gethan hat, nicht vergeben."
Besser ein neuer Krieg als eine große Enttäuschung!**) --

Der Masse des Volkes blieben solche Befürchtungen fern, ob auch

*) Hardenberg an Goltz, 31. Mai. Goltz an die Gesandten, 8. Juni 1814.
**) Gneisenau an Hardenberg, 18. Mai. Müffling an Gneisenau, 17. Mai 1814.

I. 5. Ende der Kriegszeit.
hauſten wieder in Florenz und Modena, die Halbinſel lag jederzeit ſeinen
Waffen offen. Ganz Italien, allein Piemont ausgenommen, ſtand fortan
unter fremden Herrſchern, die mit der Hofburg durch eine natürliche
Intereſſengemeinſchaft verbunden waren. Der gefährliche Name des König-
reichs Italien wurde ſofort beſeitigt, das Vaterland Machiavellis ſollte
nicht mehr ſein als ein Familiengut der Sippe des Hauſes Oeſterreich.
Darum durften auch die altehrwürdigen Republiken Venedig und Genua
nicht wieder aufleben; wie leicht hätte der durch Napoleon wieder erweckte
Nationalgeiſt der Italiener hier eine Zuflucht finden können.

Ohnehin war dies Zeitalter der beginnenden Reſtauration allen Re-
publiken ungünſtig; wo kein Prinz auftrat, der ein Erbrecht von Gottes
Gnaden geltend machte, da ſchien überhaupt kein Recht vorhanden zu ſein.
Das neue Staatenſyſtem Europas trug durchaus den Charakter eines
großen Fürſtenbundes, und immer ſtärker ward in dieſer monarchiſchen
Staatengeſellſchaft der Einfluß der fünf großen Mächte. Sie allein hatten
den Pariſer Friedenscongreß beſchickt. Nur der Form halber geſtatteten
ſie nachher den drei Staaten Spanien, Portugal und Schweden auch
ihrerſeits Frieden mit Frankreich zu ſchließen, ſo daß die huit puissances
signatrices
gleichſam einen weiteren Ausſchuß der Pentarchie bildeten.
Ueber das Schickſal der Schweiz ward entſchieden ohne daß man die Eid-
genoſſenſchaft auch nur befragt hätte.

Mit der üblichen officiellen Glückſeligkeit benachrichtigte der Staats-
kanzler den in Berlin zurückgebliebenen Miniſter des Auswärtigen, Graf
Goltz, von dem Abſchluſſe des Friedens, worauf Goltz allen Diplomaten
Preußens in einem Rundſchreiben verſicherte: wir können uns der ge-
wiſſen Erwartung hingeben, unſere Wünſche für den Glanz und die
Macht Preußens vollſtändig erfüllt zu ſehen*). In Wahrheit war die
Stimmung der leitenden Kreiſe beſorgt und gedrückt. Die Generale
zürnten laut über die noch immer völlig ungeſicherte Lage der Monarchie.
Gneiſenau ſchrieb dem Staatskanzler, ohne Mainz und Jülich ſei Preußen
ſchlechterdings nicht im Stande die deutſche Weſtgrenze zu decken. Müff-
ling erzählte, wie Wrede bereits triumphirend von der künftigen Bundes-
feſtung Mainz ſpreche, und fragte, ob denn das Elend der alten Reichs-
feſtungen wiederkehren ſolle. „Welche Sicherheit für uns, fuhr er fort,
und welche traurige Ausſicht, wenn die Krautfürſten trotzen und wir —
nachgeben! Wenn wir nicht in demſelben Verhältniß vergrößert werden
als Oeſterreich und Rußland, wenn wir uns von dem öſterreichiſchen
Syſteme der Familien-Apanage täuſchen und Mainz und Jülich entreißen
laſſen, ſo kann es die Nation, die ſo viel gethan hat, nicht vergeben.“
Beſſer ein neuer Krieg als eine große Enttäuſchung!**)

Der Maſſe des Volkes blieben ſolche Befürchtungen fern, ob auch

*) Hardenberg an Goltz, 31. Mai. Goltz an die Geſandten, 8. Juni 1814.
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[568/0584] I. 5. Ende der Kriegszeit. hauſten wieder in Florenz und Modena, die Halbinſel lag jederzeit ſeinen Waffen offen. Ganz Italien, allein Piemont ausgenommen, ſtand fortan unter fremden Herrſchern, die mit der Hofburg durch eine natürliche Intereſſengemeinſchaft verbunden waren. Der gefährliche Name des König- reichs Italien wurde ſofort beſeitigt, das Vaterland Machiavellis ſollte nicht mehr ſein als ein Familiengut der Sippe des Hauſes Oeſterreich. Darum durften auch die altehrwürdigen Republiken Venedig und Genua nicht wieder aufleben; wie leicht hätte der durch Napoleon wieder erweckte Nationalgeiſt der Italiener hier eine Zuflucht finden können. Ohnehin war dies Zeitalter der beginnenden Reſtauration allen Re- publiken ungünſtig; wo kein Prinz auftrat, der ein Erbrecht von Gottes Gnaden geltend machte, da ſchien überhaupt kein Recht vorhanden zu ſein. Das neue Staatenſyſtem Europas trug durchaus den Charakter eines großen Fürſtenbundes, und immer ſtärker ward in dieſer monarchiſchen Staatengeſellſchaft der Einfluß der fünf großen Mächte. Sie allein hatten den Pariſer Friedenscongreß beſchickt. Nur der Form halber geſtatteten ſie nachher den drei Staaten Spanien, Portugal und Schweden auch ihrerſeits Frieden mit Frankreich zu ſchließen, ſo daß die huit puissances signatrices gleichſam einen weiteren Ausſchuß der Pentarchie bildeten. Ueber das Schickſal der Schweiz ward entſchieden ohne daß man die Eid- genoſſenſchaft auch nur befragt hätte. Mit der üblichen officiellen Glückſeligkeit benachrichtigte der Staats- kanzler den in Berlin zurückgebliebenen Miniſter des Auswärtigen, Graf Goltz, von dem Abſchluſſe des Friedens, worauf Goltz allen Diplomaten Preußens in einem Rundſchreiben verſicherte: wir können uns der ge- wiſſen Erwartung hingeben, unſere Wünſche für den Glanz und die Macht Preußens vollſtändig erfüllt zu ſehen *). In Wahrheit war die Stimmung der leitenden Kreiſe beſorgt und gedrückt. Die Generale zürnten laut über die noch immer völlig ungeſicherte Lage der Monarchie. Gneiſenau ſchrieb dem Staatskanzler, ohne Mainz und Jülich ſei Preußen ſchlechterdings nicht im Stande die deutſche Weſtgrenze zu decken. Müff- ling erzählte, wie Wrede bereits triumphirend von der künftigen Bundes- feſtung Mainz ſpreche, und fragte, ob denn das Elend der alten Reichs- feſtungen wiederkehren ſolle. „Welche Sicherheit für uns, fuhr er fort, und welche traurige Ausſicht, wenn die Krautfürſten trotzen und wir — nachgeben! Wenn wir nicht in demſelben Verhältniß vergrößert werden als Oeſterreich und Rußland, wenn wir uns von dem öſterreichiſchen Syſteme der Familien-Apanage täuſchen und Mainz und Jülich entreißen laſſen, ſo kann es die Nation, die ſo viel gethan hat, nicht vergeben.“ Beſſer ein neuer Krieg als eine große Enttäuſchung! **) — Der Maſſe des Volkes blieben ſolche Befürchtungen fern, ob auch *) Hardenberg an Goltz, 31. Mai. Goltz an die Geſandten, 8. Juni 1814. **) Gneiſenau an Hardenberg, 18. Mai. Müffling an Gneiſenau, 17. Mai 1814.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 568. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/584>, abgerufen am 22.11.2024.