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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.

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I. 5. Ende der Kriegszeit.

Aehnliche Auftritte stürmischer Freude wiederholten sich überall. Als
die Preußen durch das alte Thor von Hildburghausen einzogen, da sang
Rückert:

Niemals durchritten
Hat Dich ein Heer
Milder von Sitten,
Tapf'rer von Speer.

Wie athmete das unglückliche Hamburg wieder auf, das bis zum Friedens-
schlusse in Davousts harten Händen geblieben war. Dank der Barmherzig-
keit des wackeren dänischen Obersten Buchwald hatten die aus der Stadt
vertriebenen Tausende armer Leute freilich in Altona ein Unterkommen
gefunden; ihrer fünfhundert waren doch der Noth erlegen und ruhten
nun in dem unheimlichen Massengrabe auf dem Kirchhofe von Ottensen.
Auch die aus der Bank geraubten Millionen kehrten nicht zurück, da die
strenge Untersuchung, welche König Ludwig im Pariser Frieden versprach,
natürlich kein Ergebniß hatte: den Deutschen gegenüber zeigten sich die
Bourbonen durchaus als Napoleons Erben, Treu und Glauben galt
ihnen nichts.

Aller Jubel der Daheimgebliebenen reichte doch nicht heran an das
unsagbare Gefühl freudigen Stolzes, das den heimkehrenden Kriegern die
Seele schwellte. Noch in Paris wurde die Auflösung der Jägerdetache-
ments angeordnet. Sodann stellte die Cabinetsordre vom 27. Mai 1814
die für die Dauer des Krieges aufgehobenen Exemtionen von der Cantons-
pflicht wieder her, "nachdem der Zweck der großen Anstrengungen so glück-
lich erreicht ist," und befahl allen Beamten und Lehrern die Rückkehr in ihre
Aemter. Die Bedürfnisse des bürgerlichen Lebens forderten gebieterisch
ihr Recht. Wie ging diesen Freiwilligen das Herz auf, als sie aus dem
wüsten Getöse des Kriegslagers wieder hinübertraten in des Friedens heilige
Sabbathstille. Da lag es strahlend in der Büthenpracht seines Frühlings,
das herrliche Rheinland, und es war wieder unser und die Glocken seiner
alten Dome läuteten zur Feier deutscher Siege. Recht aus dem Herzen
seiner Kameraden rief Schenkendorf:

Wie mir Deine Freuden winken
Nach der Knechtschaft, nach dem Streit!
Vaterland, ich muß versinken
Hier in Deiner Herrlichkeit!

Und wie hatte sich das Urtheil des Auslandes über die Deutschen
geändert, seit die bestechende Macht des Erfolges für sie redete. Frau von
Stael gestand wehmüthig: so sei es nun doch, die Freiheit gehe heute wie
die Sonne im Osten auf; und Capodistrias meinte: der feste Hort der
europäischen Gesittung bleibe doch dies alte Deutschland mit seiner Treue,
seinem Muthe und der Macht seiner tiefen Leidenschaft, überall sonst Fels
oder Sand, hier allein fruchtbares Erdreich.

I. 5. Ende der Kriegszeit.

Aehnliche Auftritte ſtürmiſcher Freude wiederholten ſich überall. Als
die Preußen durch das alte Thor von Hildburghauſen einzogen, da ſang
Rückert:

Niemals durchritten
Hat Dich ein Heer
Milder von Sitten,
Tapf’rer von Speer.

Wie athmete das unglückliche Hamburg wieder auf, das bis zum Friedens-
ſchluſſe in Davouſts harten Händen geblieben war. Dank der Barmherzig-
keit des wackeren däniſchen Oberſten Buchwald hatten die aus der Stadt
vertriebenen Tauſende armer Leute freilich in Altona ein Unterkommen
gefunden; ihrer fünfhundert waren doch der Noth erlegen und ruhten
nun in dem unheimlichen Maſſengrabe auf dem Kirchhofe von Ottenſen.
Auch die aus der Bank geraubten Millionen kehrten nicht zurück, da die
ſtrenge Unterſuchung, welche König Ludwig im Pariſer Frieden verſprach,
natürlich kein Ergebniß hatte: den Deutſchen gegenüber zeigten ſich die
Bourbonen durchaus als Napoleons Erben, Treu und Glauben galt
ihnen nichts.

Aller Jubel der Daheimgebliebenen reichte doch nicht heran an das
unſagbare Gefühl freudigen Stolzes, das den heimkehrenden Kriegern die
Seele ſchwellte. Noch in Paris wurde die Auflöſung der Jägerdetache-
ments angeordnet. Sodann ſtellte die Cabinetsordre vom 27. Mai 1814
die für die Dauer des Krieges aufgehobenen Exemtionen von der Cantons-
pflicht wieder her, „nachdem der Zweck der großen Anſtrengungen ſo glück-
lich erreicht iſt,“ und befahl allen Beamten und Lehrern die Rückkehr in ihre
Aemter. Die Bedürfniſſe des bürgerlichen Lebens forderten gebieteriſch
ihr Recht. Wie ging dieſen Freiwilligen das Herz auf, als ſie aus dem
wüſten Getöſe des Kriegslagers wieder hinübertraten in des Friedens heilige
Sabbathſtille. Da lag es ſtrahlend in der Büthenpracht ſeines Frühlings,
das herrliche Rheinland, und es war wieder unſer und die Glocken ſeiner
alten Dome läuteten zur Feier deutſcher Siege. Recht aus dem Herzen
ſeiner Kameraden rief Schenkendorf:

Wie mir Deine Freuden winken
Nach der Knechtſchaft, nach dem Streit!
Vaterland, ich muß verſinken
Hier in Deiner Herrlichkeit!

Und wie hatte ſich das Urtheil des Auslandes über die Deutſchen
geändert, ſeit die beſtechende Macht des Erfolges für ſie redete. Frau von
Staël geſtand wehmüthig: ſo ſei es nun doch, die Freiheit gehe heute wie
die Sonne im Oſten auf; und Capodiſtrias meinte: der feſte Hort der
europäiſchen Geſittung bleibe doch dies alte Deutſchland mit ſeiner Treue,
ſeinem Muthe und der Macht ſeiner tiefen Leidenſchaft, überall ſonſt Fels
oder Sand, hier allein fruchtbares Erdreich.

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[570/0586] I. 5. Ende der Kriegszeit. Aehnliche Auftritte ſtürmiſcher Freude wiederholten ſich überall. Als die Preußen durch das alte Thor von Hildburghauſen einzogen, da ſang Rückert: Niemals durchritten Hat Dich ein Heer Milder von Sitten, Tapf’rer von Speer. Wie athmete das unglückliche Hamburg wieder auf, das bis zum Friedens- ſchluſſe in Davouſts harten Händen geblieben war. Dank der Barmherzig- keit des wackeren däniſchen Oberſten Buchwald hatten die aus der Stadt vertriebenen Tauſende armer Leute freilich in Altona ein Unterkommen gefunden; ihrer fünfhundert waren doch der Noth erlegen und ruhten nun in dem unheimlichen Maſſengrabe auf dem Kirchhofe von Ottenſen. Auch die aus der Bank geraubten Millionen kehrten nicht zurück, da die ſtrenge Unterſuchung, welche König Ludwig im Pariſer Frieden verſprach, natürlich kein Ergebniß hatte: den Deutſchen gegenüber zeigten ſich die Bourbonen durchaus als Napoleons Erben, Treu und Glauben galt ihnen nichts. Aller Jubel der Daheimgebliebenen reichte doch nicht heran an das unſagbare Gefühl freudigen Stolzes, das den heimkehrenden Kriegern die Seele ſchwellte. Noch in Paris wurde die Auflöſung der Jägerdetache- ments angeordnet. Sodann ſtellte die Cabinetsordre vom 27. Mai 1814 die für die Dauer des Krieges aufgehobenen Exemtionen von der Cantons- pflicht wieder her, „nachdem der Zweck der großen Anſtrengungen ſo glück- lich erreicht iſt,“ und befahl allen Beamten und Lehrern die Rückkehr in ihre Aemter. Die Bedürfniſſe des bürgerlichen Lebens forderten gebieteriſch ihr Recht. Wie ging dieſen Freiwilligen das Herz auf, als ſie aus dem wüſten Getöſe des Kriegslagers wieder hinübertraten in des Friedens heilige Sabbathſtille. Da lag es ſtrahlend in der Büthenpracht ſeines Frühlings, das herrliche Rheinland, und es war wieder unſer und die Glocken ſeiner alten Dome läuteten zur Feier deutſcher Siege. Recht aus dem Herzen ſeiner Kameraden rief Schenkendorf: Wie mir Deine Freuden winken Nach der Knechtſchaft, nach dem Streit! Vaterland, ich muß verſinken Hier in Deiner Herrlichkeit! Und wie hatte ſich das Urtheil des Auslandes über die Deutſchen geändert, ſeit die beſtechende Macht des Erfolges für ſie redete. Frau von Staël geſtand wehmüthig: ſo ſei es nun doch, die Freiheit gehe heute wie die Sonne im Oſten auf; und Capodiſtrias meinte: der feſte Hort der europäiſchen Geſittung bleibe doch dies alte Deutſchland mit ſeiner Treue, ſeinem Muthe und der Macht ſeiner tiefen Leidenſchaft, überall ſonſt Fels oder Sand, hier allein fruchtbares Erdreich.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 570. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/586>, abgerufen am 22.11.2024.