fahrt; er hatte dort den sittlichen und wirthschaftlichen Segen einer weit verbreiteten Schulbildung kennen gelernt und fühlte dunkel, daß die Lebenskraft der protestantischen Cultur in der Volksschule liegt. Da er einsah, daß die gedrückten und verdumpften Volksmassen des Nordostens nur durch die Zwangsgewalt des Staates ihrer Roheit entrissen werden konnten, so schritt er auch hier der Gesetzgebung aller anderen Großmächte entschlossen voraus und legte durch das Schulgesetz von 1717 jedem Hausvater kurzab die Pflicht auf seine Kinder in die Schule zu schicken. Sehr langsam hat sich auf dem Boden dieses Gesetzes das preußische Volksschulwesen ausgebildet. Die Entwicklung ward erschwert nicht blos durch die Armuth und Trägheit des Volks, sondern auch durch die Schuld des Königs selber; denn alle Volksbildung ruht auf dem Gedeihen selbständiger Forschung und schöpferischer Kunst, und für dies ideale Schaffen hatte Friedrich Wilhelm nur den Spott des Barbaren.
So, durch die Gemeinschaft schwerer Bürgerpflichten, durch die Ein- heit des Beamtenthums und des Heerwesens wurden die Magdeburger und Pommern, die Märker und Westphalen zu einem preußischen Volke, und Friedrich II. gab nur dem Werke seines Vaters den rechtlichen Ab- schluß, als er allen seinen Unterthanen das preußische Indigenat verlieh. Aber wie schroff und herrisch auch dies Königthum seine Souveränität als einen rocher von bronze jedem Ungehorsam entgegenstellte, das Werk der Einigung schritt doch weit schonender vorwärts als im Nachbarlande die gewaltsame "Einebnung des französischen Bodens". Der Staat konnte seine germanische Natur nicht verleugnen; ein Zug historischer Pietät lag tief in seinem Wesen. Wie er die kirchlichen Gegensätze zu versöhnen suchte, so mußte er auch in der Politik eine mittlere Richtung einhalten um die Ueberfülle der centrifugalen Kräfte zu beschwichtigen. Geduldige Achtung ward den alten Erinnerungen der Landschaften überall erwiesen; noch heute prangt der Doppeladler Oesterreichs fast auf jedem Ring der schlesischen Städte, und der Schutzheilige Böhmens blickt noch von der Glatzer Citadelle auf die schöne Grafschaft hernieder. Jene übermüthigen Herren Stände, die dem großen Kurfürsten noch verbieten wollten seinen Vater nach calvinischem Brauche zu beerdigen, waren endlich nach gewaltigem Ringen in die Reihen der gemeinen Unterthanen herabgedrückt. Die Landtage verloren ihre alten Regierungsrechte sowie jeden Einfluß auf Staatshaushalt und Heerwesen; doch nachdem dieser Kampf siegreich beendigt war, ließ man ihnen den Schein des Lebens.
Preußens Krone hat bis zum Untergange des heiligen Reiches in allen den Landschaften, die sie nach und nach erwarb, nur dreimal eine land- ständische Verfassung förmlich aufgehoben: in Schlesien, in Westpreußen und im Münsterlande, da dort die Stände den Heerd einer staatsfeind- lichen Partei bildeten, die dem Eroberer bedrohlich schien. Ueberall sonst kamen die Landtage in die neueren Tage hinüber, ein seltsames Getrümmer
Die Krone und die Stände.
fahrt; er hatte dort den ſittlichen und wirthſchaftlichen Segen einer weit verbreiteten Schulbildung kennen gelernt und fühlte dunkel, daß die Lebenskraft der proteſtantiſchen Cultur in der Volksſchule liegt. Da er einſah, daß die gedrückten und verdumpften Volksmaſſen des Nordoſtens nur durch die Zwangsgewalt des Staates ihrer Roheit entriſſen werden konnten, ſo ſchritt er auch hier der Geſetzgebung aller anderen Großmächte entſchloſſen voraus und legte durch das Schulgeſetz von 1717 jedem Hausvater kurzab die Pflicht auf ſeine Kinder in die Schule zu ſchicken. Sehr langſam hat ſich auf dem Boden dieſes Geſetzes das preußiſche Volksſchulweſen ausgebildet. Die Entwicklung ward erſchwert nicht blos durch die Armuth und Trägheit des Volks, ſondern auch durch die Schuld des Königs ſelber; denn alle Volksbildung ruht auf dem Gedeihen ſelbſtändiger Forſchung und ſchöpferiſcher Kunſt, und für dies ideale Schaffen hatte Friedrich Wilhelm nur den Spott des Barbaren.
So, durch die Gemeinſchaft ſchwerer Bürgerpflichten, durch die Ein- heit des Beamtenthums und des Heerweſens wurden die Magdeburger und Pommern, die Märker und Weſtphalen zu einem preußiſchen Volke, und Friedrich II. gab nur dem Werke ſeines Vaters den rechtlichen Ab- ſchluß, als er allen ſeinen Unterthanen das preußiſche Indigenat verlieh. Aber wie ſchroff und herriſch auch dies Königthum ſeine Souveränität als einen rocher von bronze jedem Ungehorſam entgegenſtellte, das Werk der Einigung ſchritt doch weit ſchonender vorwärts als im Nachbarlande die gewaltſame „Einebnung des franzöſiſchen Bodens“. Der Staat konnte ſeine germaniſche Natur nicht verleugnen; ein Zug hiſtoriſcher Pietät lag tief in ſeinem Weſen. Wie er die kirchlichen Gegenſätze zu verſöhnen ſuchte, ſo mußte er auch in der Politik eine mittlere Richtung einhalten um die Ueberfülle der centrifugalen Kräfte zu beſchwichtigen. Geduldige Achtung ward den alten Erinnerungen der Landſchaften überall erwieſen; noch heute prangt der Doppeladler Oeſterreichs faſt auf jedem Ring der ſchleſiſchen Städte, und der Schutzheilige Böhmens blickt noch von der Glatzer Citadelle auf die ſchöne Grafſchaft hernieder. Jene übermüthigen Herren Stände, die dem großen Kurfürſten noch verbieten wollten ſeinen Vater nach calviniſchem Brauche zu beerdigen, waren endlich nach gewaltigem Ringen in die Reihen der gemeinen Unterthanen herabgedrückt. Die Landtage verloren ihre alten Regierungsrechte ſowie jeden Einfluß auf Staatshaushalt und Heerweſen; doch nachdem dieſer Kampf ſiegreich beendigt war, ließ man ihnen den Schein des Lebens.
Preußens Krone hat bis zum Untergange des heiligen Reiches in allen den Landſchaften, die ſie nach und nach erwarb, nur dreimal eine land- ſtändiſche Verfaſſung förmlich aufgehoben: in Schleſien, in Weſtpreußen und im Münſterlande, da dort die Stände den Heerd einer ſtaatsfeind- lichen Partei bildeten, die dem Eroberer bedrohlich ſchien. Ueberall ſonſt kamen die Landtage in die neueren Tage hinüber, ein ſeltſames Getrümmer
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0059"n="43"/><fwplace="top"type="header">Die Krone und die Stände.</fw><lb/>
fahrt; er hatte dort den ſittlichen und wirthſchaftlichen Segen einer weit<lb/>
verbreiteten Schulbildung kennen gelernt und fühlte dunkel, daß die<lb/>
Lebenskraft der proteſtantiſchen Cultur in der Volksſchule liegt. Da er<lb/>
einſah, daß die gedrückten und verdumpften Volksmaſſen des Nordoſtens<lb/>
nur durch die Zwangsgewalt des Staates ihrer Roheit entriſſen werden<lb/>
konnten, ſo ſchritt er auch hier der Geſetzgebung aller anderen Großmächte<lb/>
entſchloſſen voraus und legte durch das Schulgeſetz von 1717 jedem<lb/>
Hausvater kurzab die Pflicht auf ſeine Kinder in die Schule zu ſchicken.<lb/>
Sehr langſam hat ſich auf dem Boden dieſes Geſetzes das preußiſche<lb/>
Volksſchulweſen ausgebildet. Die Entwicklung ward erſchwert nicht blos<lb/>
durch die Armuth und Trägheit des Volks, ſondern auch durch die<lb/>
Schuld des Königs ſelber; denn alle Volksbildung ruht auf dem Gedeihen<lb/>ſelbſtändiger Forſchung und ſchöpferiſcher Kunſt, und für dies ideale<lb/>
Schaffen hatte Friedrich Wilhelm nur den Spott des Barbaren.</p><lb/><p>So, durch die Gemeinſchaft ſchwerer Bürgerpflichten, durch die Ein-<lb/>
heit des Beamtenthums und des Heerweſens wurden die Magdeburger<lb/>
und Pommern, die Märker und Weſtphalen zu einem preußiſchen Volke,<lb/>
und Friedrich <hirendition="#aq">II.</hi> gab nur dem Werke ſeines Vaters den rechtlichen Ab-<lb/>ſchluß, als er allen ſeinen Unterthanen das preußiſche Indigenat verlieh.<lb/>
Aber wie ſchroff und herriſch auch dies Königthum ſeine Souveränität<lb/>
als einen <hirendition="#aq">rocher</hi> von <hirendition="#aq">bronze</hi> jedem Ungehorſam entgegenſtellte, das Werk<lb/>
der Einigung ſchritt doch weit ſchonender vorwärts als im Nachbarlande<lb/>
die gewaltſame „Einebnung des franzöſiſchen Bodens“. Der Staat<lb/>
konnte ſeine germaniſche Natur nicht verleugnen; ein Zug hiſtoriſcher<lb/>
Pietät lag tief in ſeinem Weſen. Wie er die kirchlichen Gegenſätze zu<lb/>
verſöhnen ſuchte, ſo mußte er auch in der Politik eine mittlere Richtung<lb/>
einhalten um die Ueberfülle der centrifugalen Kräfte zu beſchwichtigen.<lb/>
Geduldige Achtung ward den alten Erinnerungen der Landſchaften überall<lb/>
erwieſen; noch heute prangt der Doppeladler Oeſterreichs faſt auf jedem<lb/>
Ring der ſchleſiſchen Städte, und der Schutzheilige Böhmens blickt noch<lb/>
von der Glatzer Citadelle auf die ſchöne Grafſchaft hernieder. Jene<lb/>
übermüthigen Herren Stände, die dem großen Kurfürſten noch verbieten<lb/>
wollten ſeinen Vater nach calviniſchem Brauche zu beerdigen, waren<lb/>
endlich nach gewaltigem Ringen in die Reihen der gemeinen Unterthanen<lb/>
herabgedrückt. Die Landtage verloren ihre alten Regierungsrechte ſowie<lb/>
jeden Einfluß auf Staatshaushalt und Heerweſen; doch nachdem dieſer<lb/>
Kampf ſiegreich beendigt war, ließ man ihnen den Schein des Lebens.</p><lb/><p>Preußens Krone hat bis zum Untergange des heiligen Reiches in allen<lb/>
den Landſchaften, die ſie nach und nach erwarb, nur dreimal eine land-<lb/>ſtändiſche Verfaſſung förmlich aufgehoben: in Schleſien, in Weſtpreußen<lb/>
und im Münſterlande, da dort die Stände den Heerd einer ſtaatsfeind-<lb/>
lichen Partei bildeten, die dem Eroberer bedrohlich ſchien. Ueberall ſonſt<lb/>
kamen die Landtage in die neueren Tage hinüber, ein ſeltſames Getrümmer<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[43/0059]
Die Krone und die Stände.
fahrt; er hatte dort den ſittlichen und wirthſchaftlichen Segen einer weit
verbreiteten Schulbildung kennen gelernt und fühlte dunkel, daß die
Lebenskraft der proteſtantiſchen Cultur in der Volksſchule liegt. Da er
einſah, daß die gedrückten und verdumpften Volksmaſſen des Nordoſtens
nur durch die Zwangsgewalt des Staates ihrer Roheit entriſſen werden
konnten, ſo ſchritt er auch hier der Geſetzgebung aller anderen Großmächte
entſchloſſen voraus und legte durch das Schulgeſetz von 1717 jedem
Hausvater kurzab die Pflicht auf ſeine Kinder in die Schule zu ſchicken.
Sehr langſam hat ſich auf dem Boden dieſes Geſetzes das preußiſche
Volksſchulweſen ausgebildet. Die Entwicklung ward erſchwert nicht blos
durch die Armuth und Trägheit des Volks, ſondern auch durch die
Schuld des Königs ſelber; denn alle Volksbildung ruht auf dem Gedeihen
ſelbſtändiger Forſchung und ſchöpferiſcher Kunſt, und für dies ideale
Schaffen hatte Friedrich Wilhelm nur den Spott des Barbaren.
So, durch die Gemeinſchaft ſchwerer Bürgerpflichten, durch die Ein-
heit des Beamtenthums und des Heerweſens wurden die Magdeburger
und Pommern, die Märker und Weſtphalen zu einem preußiſchen Volke,
und Friedrich II. gab nur dem Werke ſeines Vaters den rechtlichen Ab-
ſchluß, als er allen ſeinen Unterthanen das preußiſche Indigenat verlieh.
Aber wie ſchroff und herriſch auch dies Königthum ſeine Souveränität
als einen rocher von bronze jedem Ungehorſam entgegenſtellte, das Werk
der Einigung ſchritt doch weit ſchonender vorwärts als im Nachbarlande
die gewaltſame „Einebnung des franzöſiſchen Bodens“. Der Staat
konnte ſeine germaniſche Natur nicht verleugnen; ein Zug hiſtoriſcher
Pietät lag tief in ſeinem Weſen. Wie er die kirchlichen Gegenſätze zu
verſöhnen ſuchte, ſo mußte er auch in der Politik eine mittlere Richtung
einhalten um die Ueberfülle der centrifugalen Kräfte zu beſchwichtigen.
Geduldige Achtung ward den alten Erinnerungen der Landſchaften überall
erwieſen; noch heute prangt der Doppeladler Oeſterreichs faſt auf jedem
Ring der ſchleſiſchen Städte, und der Schutzheilige Böhmens blickt noch
von der Glatzer Citadelle auf die ſchöne Grafſchaft hernieder. Jene
übermüthigen Herren Stände, die dem großen Kurfürſten noch verbieten
wollten ſeinen Vater nach calviniſchem Brauche zu beerdigen, waren
endlich nach gewaltigem Ringen in die Reihen der gemeinen Unterthanen
herabgedrückt. Die Landtage verloren ihre alten Regierungsrechte ſowie
jeden Einfluß auf Staatshaushalt und Heerweſen; doch nachdem dieſer
Kampf ſiegreich beendigt war, ließ man ihnen den Schein des Lebens.
Preußens Krone hat bis zum Untergange des heiligen Reiches in allen
den Landſchaften, die ſie nach und nach erwarb, nur dreimal eine land-
ſtändiſche Verfaſſung förmlich aufgehoben: in Schleſien, in Weſtpreußen
und im Münſterlande, da dort die Stände den Heerd einer ſtaatsfeind-
lichen Partei bildeten, die dem Eroberer bedrohlich ſchien. Ueberall ſonſt
kamen die Landtage in die neueren Tage hinüber, ein ſeltſames Getrümmer
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 43. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/59>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.