sein österreichischer College General Koller, der festen Meinung, daß man diesem Ehrgeiz entgegentreten müsse.
Am 7. September übergab er dem Czaren den Brief des Königs. Alexander nahm die Zeilen mit sichtlicher Befriedigung entgegen, doch als ihm Schöler sodann das Ministerialschreiben vorlas, fuhr er in hellem Zorne auf: die Minister in Berlin verfolgen offenbar eine andere Politik als ihr königlicher Herr; ich habe Warschau erobert; was ich davon be- halten will (und dazu gehört Krakau, Thorn, Czenstochau, Kalisch) werde ich mit 700,000 Mann gegen Jedermann vertheidigen. Zugleich be- theuerte er hoch und heilig, in allen anderen Fragen stehe er seinem alten Freunde unbedingt zur Verfügung. Er versprach, sofort bei Eröff- nung des Congresses das Königreich Sachsen ganz und allein an Preußen auszuliefern; ohne jede Frage habe Preußen das Recht seine neue Pro- vinz nach Belieben zu organisiren, wenngleich es wünschenswerth sei den alten sächsischen Namen und die Verfassung des Landes noch eine Zeit lang zu erhalten. Mitten in seinem herrischen Zorne erbot er sich also zu einer werthvollen bindenden Verpflichtung, während Oesterreich und England dem Berliner Hofe nur unbestimmte Verheißungen entgegenge- bracht hatten.
Ein kluger Unterhändler mußte auf Grund dieser Zusage weiter gehen und eine klare Verständigung zu erwirken suchen. Schöler aber, allein beschäftigt mit der polnischen Frage, bemerkte die Gunst der Stunde nicht. Am 11. September rief ihn der Kaiser auf der Parade heran und entschuldigte sich mit warmen Worten wegen seiner Heftigkeit. Die Antwort des Gesandten war "ein kurzes und erbauliches Billet", das er gleich nachher dem Czaren sandte. "Das Gefühl Seiner Erkenntlichkeit nur -- so schrieb er -- hindert Ihren besten Freund, Sire, Seine Wünsche selbst laut werden zu lassen. Dagegen scheint es mir, daß es keine stärkere Aufforderung, als diese edle Nachgiebigkeit des Königs, für Ew. Kaiserliche Majestät geben könne, soweit es möglich ist die Wünsche Ihres Freundes zu erfüllen. Die Billigkeit der Forderungen Ew. Majestät beruht auf den Vortheilen, welche Europa Ihnen zu ver- danken haben soll und wirklich hat, so lange die Unabhängigkeit der an- deren Staaten ungefährdet, der eben erfochtene Frieden ungestört bleibt. Rußlands innere Kraft und seine daraus entspringende Sicherheit ist unleugbar. Soll durch überwiegende Vortheile seiner Abgrenzung mit den Nachbarn diese Kraft so weit vermehrt werden, daß die Sicherheit dieser Nachbarn gefährdet wird, so schwindet jenes Verdienst Ew. Majestät um Europa völlig."*) Eine solche Sprache, die nicht einmal den Versuch einer Annäherung machte, konnte den Czaren nur in seinem herrischen Trotze bestärken; er wich fortan jeder Unterredung aus.
*) Nach Schölers Berichten, St. Petersburg 7., 10. und 12. September 1814.
I. 5. Ende der Kriegszeit.
ſein öſterreichiſcher College General Koller, der feſten Meinung, daß man dieſem Ehrgeiz entgegentreten müſſe.
Am 7. September übergab er dem Czaren den Brief des Königs. Alexander nahm die Zeilen mit ſichtlicher Befriedigung entgegen, doch als ihm Schöler ſodann das Miniſterialſchreiben vorlas, fuhr er in hellem Zorne auf: die Miniſter in Berlin verfolgen offenbar eine andere Politik als ihr königlicher Herr; ich habe Warſchau erobert; was ich davon be- halten will (und dazu gehört Krakau, Thorn, Czenſtochau, Kaliſch) werde ich mit 700,000 Mann gegen Jedermann vertheidigen. Zugleich be- theuerte er hoch und heilig, in allen anderen Fragen ſtehe er ſeinem alten Freunde unbedingt zur Verfügung. Er verſprach, ſofort bei Eröff- nung des Congreſſes das Königreich Sachſen ganz und allein an Preußen auszuliefern; ohne jede Frage habe Preußen das Recht ſeine neue Pro- vinz nach Belieben zu organiſiren, wenngleich es wünſchenswerth ſei den alten ſächſiſchen Namen und die Verfaſſung des Landes noch eine Zeit lang zu erhalten. Mitten in ſeinem herriſchen Zorne erbot er ſich alſo zu einer werthvollen bindenden Verpflichtung, während Oeſterreich und England dem Berliner Hofe nur unbeſtimmte Verheißungen entgegenge- bracht hatten.
Ein kluger Unterhändler mußte auf Grund dieſer Zuſage weiter gehen und eine klare Verſtändigung zu erwirken ſuchen. Schöler aber, allein beſchäftigt mit der polniſchen Frage, bemerkte die Gunſt der Stunde nicht. Am 11. September rief ihn der Kaiſer auf der Parade heran und entſchuldigte ſich mit warmen Worten wegen ſeiner Heftigkeit. Die Antwort des Geſandten war „ein kurzes und erbauliches Billet“, das er gleich nachher dem Czaren ſandte. „Das Gefühl Seiner Erkenntlichkeit nur — ſo ſchrieb er — hindert Ihren beſten Freund, Sire, Seine Wünſche ſelbſt laut werden zu laſſen. Dagegen ſcheint es mir, daß es keine ſtärkere Aufforderung, als dieſe edle Nachgiebigkeit des Königs, für Ew. Kaiſerliche Majeſtät geben könne, ſoweit es möglich iſt die Wünſche Ihres Freundes zu erfüllen. Die Billigkeit der Forderungen Ew. Majeſtät beruht auf den Vortheilen, welche Europa Ihnen zu ver- danken haben ſoll und wirklich hat, ſo lange die Unabhängigkeit der an- deren Staaten ungefährdet, der eben erfochtene Frieden ungeſtört bleibt. Rußlands innere Kraft und ſeine daraus entſpringende Sicherheit iſt unleugbar. Soll durch überwiegende Vortheile ſeiner Abgrenzung mit den Nachbarn dieſe Kraft ſo weit vermehrt werden, daß die Sicherheit dieſer Nachbarn gefährdet wird, ſo ſchwindet jenes Verdienſt Ew. Majeſtät um Europa völlig.“*) Eine ſolche Sprache, die nicht einmal den Verſuch einer Annäherung machte, konnte den Czaren nur in ſeinem herriſchen Trotze beſtärken; er wich fortan jeder Unterredung aus.
*) Nach Schölers Berichten, St. Petersburg 7., 10. und 12. September 1814.
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Am 7. September übergab er dem Czaren den Brief des Königs.
Alexander nahm die Zeilen mit ſichtlicher Befriedigung entgegen, doch
als ihm Schöler ſodann das Miniſterialſchreiben vorlas, fuhr er in hellem
Zorne auf: die Miniſter in Berlin verfolgen offenbar eine andere Politik
als ihr königlicher Herr; ich habe Warſchau erobert; was ich davon be-
halten will (und dazu gehört Krakau, Thorn, Czenſtochau, Kaliſch) werde
ich mit 700,000 Mann gegen Jedermann vertheidigen. Zugleich be-
theuerte er hoch und heilig, in allen anderen Fragen ſtehe er ſeinem
alten Freunde unbedingt zur Verfügung. Er verſprach, ſofort bei Eröff-
nung des Congreſſes das Königreich Sachſen ganz und allein an Preußen
auszuliefern; ohne jede Frage habe Preußen das Recht ſeine neue Pro-
vinz nach Belieben zu organiſiren, wenngleich es wünſchenswerth ſei den
alten ſächſiſchen Namen und die Verfaſſung des Landes noch eine Zeit
lang zu erhalten. Mitten in ſeinem herriſchen Zorne erbot er ſich alſo
zu einer werthvollen bindenden Verpflichtung, während Oeſterreich und
England dem Berliner Hofe nur unbeſtimmte Verheißungen entgegenge-
bracht hatten.
Ein kluger Unterhändler mußte auf Grund dieſer Zuſage weiter
gehen und eine klare Verſtändigung zu erwirken ſuchen. Schöler aber,
allein beſchäftigt mit der polniſchen Frage, bemerkte die Gunſt der Stunde
nicht. Am 11. September rief ihn der Kaiſer auf der Parade heran
und entſchuldigte ſich mit warmen Worten wegen ſeiner Heftigkeit. Die
Antwort des Geſandten war „ein kurzes und erbauliches Billet“, das er
gleich nachher dem Czaren ſandte. „Das Gefühl Seiner Erkenntlichkeit
nur — ſo ſchrieb er — hindert Ihren beſten Freund, Sire, Seine
Wünſche ſelbſt laut werden zu laſſen. Dagegen ſcheint es mir, daß
es keine ſtärkere Aufforderung, als dieſe edle Nachgiebigkeit des Königs,
für Ew. Kaiſerliche Majeſtät geben könne, ſoweit es möglich iſt die
Wünſche Ihres Freundes zu erfüllen. Die Billigkeit der Forderungen
Ew. Majeſtät beruht auf den Vortheilen, welche Europa Ihnen zu ver-
danken haben ſoll und wirklich hat, ſo lange die Unabhängigkeit der an-
deren Staaten ungefährdet, der eben erfochtene Frieden ungeſtört bleibt.
Rußlands innere Kraft und ſeine daraus entſpringende Sicherheit iſt
unleugbar. Soll durch überwiegende Vortheile ſeiner Abgrenzung mit
den Nachbarn dieſe Kraft ſo weit vermehrt werden, daß die Sicherheit
dieſer Nachbarn gefährdet wird, ſo ſchwindet jenes Verdienſt Ew. Majeſtät
um Europa völlig.“ *) Eine ſolche Sprache, die nicht einmal den Verſuch
einer Annäherung machte, konnte den Czaren nur in ſeinem herriſchen
Trotze beſtärken; er wich fortan jeder Unterredung aus.
*) Nach Schölers Berichten, St. Petersburg 7., 10. und 12. September 1814.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 582. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/598>, abgerufen am 22.11.2024.
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