männern und Offizieren, Priestern und Gelehrten, Abenteurern, Gaunern und Supplikanten, unterthänigst angestaunt und unterthänigst ausgebeutelt von den gemüthlichen Wienern, die sich an den hohen Herrschaften gar nicht satt sehen konnten. Die Erbsünde des gemeinen Durchschnitts- schlages der Diplomaten, die Vermischung der ernsten Staatsgeschäfte mit der Tändelei, dem Ränkespiel und dem Klatsch des Salons, gedieh zur üppigsten Blüthe. Häßlicher als die unvermeidliche Sittenlosigkeit dieses großen Fürstenbacchanals erschien die lächelnde Verlogenheit, die sich jetzt zur Virtuosität ausbildete: wer hier etwas gelten wollte mußte sich auf die Kunst verstehen Morgens ein geheimes Kriegsbündniß gegen seine täglichen Tischgenossen abzuschließen und Nachmittags mit den nämlichen Freunden wieder in ungetrübter Zärtlichkeit zu verkehren.
Ueber dem ganzen glitzernden und blitzenden Treiben lag der Hauch jener trivialen Gedankenlosigkeit, welche das Habsburgerregiment auf dem Wiener Boden eingebürgert hatte. Die Zeit war dahin, da das wackere Bürgerthum der ehrenfesten deutschen Landstadt Wien sich seine herrlichen Kirchen errichtete. Was hatten diese langen drei Jahrhunderte, seit die Donaustadt der Mittelpunkt eines großen Reiches geworden, an Schönem gebaut und gebildet? Nichts, gar nichts, kaum daß der Kuppelbau der Karlskirche und das Belvedereschloß mindestens einige Eigenthümlichkeit zeigten. Sonst allüberall, an dem häßlichen Häuserhaufen der Burg wie an den Palästen des reichen Adels, dieselbe abschreckende Geschmack- losigkeit. Einige Kunstsammlungen waren wohl vorhanden, doch Niemand beachtete sie; die Schätze der Ambraser Sammlung lagen vergessen, Karl August von Weimar entdeckte sie erst jetzt von Neuem, denn der geistvolle Fürst hielt es in der schalen Nichtigkeit dieser geselligen Freuden nicht aus und durchstreifte die Stadt nach feineren Genüssen suchend. Es war noch ganz das von Schiller verspottete alte Wien, die Stadt der Phäaken mit ihrem ewigen Sonntag und dem ewig schnurrenden Brat- spieß. Keine Spur von wissenschaftlicher Thätigkeit: wer hatte von der altehrwürdigen Universität je etwas gehört, außer daß sie ein wohleinge- richtetes Hospital mit einigen trefflichen Aerzten besaß? Dazu der dumpfe Druck der geheimen Polizei und ein allgemeiner politischer Stumpfsinn. Kein Mensch in diesem lustigen Völkchen bekümmerte sich um die politische Thätigkeit des Congresses; der Oesterreichische Beobachter brachte in neun Monaten einen einzigen Artikel über die Geschäfte der erlauchten Ver- sammlung, und Niemand fand das sonderbar. Allein die Blüthe des Theaters ließ errathen, daß hier doch ein reichbegabter Menschenschlag lebte und das verfallene geistige Leben dereinst doch wieder erwachen konnte. Die Bildung in den Kreisen der österreichischen Magnatenge- schlechter war noch ganz französisch; nur mit den Herren aus Preußen sprach man deutsch um dem nordischen Teutonenthum doch eine Liebens- würdigkeit zu erweisen. Der Esprit der alten bourbonischen Aristokratie
II. 1. Der Wiener Congreß.
männern und Offizieren, Prieſtern und Gelehrten, Abenteurern, Gaunern und Supplikanten, unterthänigſt angeſtaunt und unterthänigſt ausgebeutelt von den gemüthlichen Wienern, die ſich an den hohen Herrſchaften gar nicht ſatt ſehen konnten. Die Erbſünde des gemeinen Durchſchnitts- ſchlages der Diplomaten, die Vermiſchung der ernſten Staatsgeſchäfte mit der Tändelei, dem Ränkeſpiel und dem Klatſch des Salons, gedieh zur üppigſten Blüthe. Häßlicher als die unvermeidliche Sittenloſigkeit dieſes großen Fürſtenbacchanals erſchien die lächelnde Verlogenheit, die ſich jetzt zur Virtuoſität ausbildete: wer hier etwas gelten wollte mußte ſich auf die Kunſt verſtehen Morgens ein geheimes Kriegsbündniß gegen ſeine täglichen Tiſchgenoſſen abzuſchließen und Nachmittags mit den nämlichen Freunden wieder in ungetrübter Zärtlichkeit zu verkehren.
Ueber dem ganzen glitzernden und blitzenden Treiben lag der Hauch jener trivialen Gedankenloſigkeit, welche das Habsburgerregiment auf dem Wiener Boden eingebürgert hatte. Die Zeit war dahin, da das wackere Bürgerthum der ehrenfeſten deutſchen Landſtadt Wien ſich ſeine herrlichen Kirchen errichtete. Was hatten dieſe langen drei Jahrhunderte, ſeit die Donauſtadt der Mittelpunkt eines großen Reiches geworden, an Schönem gebaut und gebildet? Nichts, gar nichts, kaum daß der Kuppelbau der Karlskirche und das Belvedereſchloß mindeſtens einige Eigenthümlichkeit zeigten. Sonſt allüberall, an dem häßlichen Häuſerhaufen der Burg wie an den Paläſten des reichen Adels, dieſelbe abſchreckende Geſchmack- loſigkeit. Einige Kunſtſammlungen waren wohl vorhanden, doch Niemand beachtete ſie; die Schätze der Ambraſer Sammlung lagen vergeſſen, Karl Auguſt von Weimar entdeckte ſie erſt jetzt von Neuem, denn der geiſtvolle Fürſt hielt es in der ſchalen Nichtigkeit dieſer geſelligen Freuden nicht aus und durchſtreifte die Stadt nach feineren Genüſſen ſuchend. Es war noch ganz das von Schiller verſpottete alte Wien, die Stadt der Phäaken mit ihrem ewigen Sonntag und dem ewig ſchnurrenden Brat- ſpieß. Keine Spur von wiſſenſchaftlicher Thätigkeit: wer hatte von der altehrwürdigen Univerſität je etwas gehört, außer daß ſie ein wohleinge- richtetes Hospital mit einigen trefflichen Aerzten beſaß? Dazu der dumpfe Druck der geheimen Polizei und ein allgemeiner politiſcher Stumpfſinn. Kein Menſch in dieſem luſtigen Völkchen bekümmerte ſich um die politiſche Thätigkeit des Congreſſes; der Oeſterreichiſche Beobachter brachte in neun Monaten einen einzigen Artikel über die Geſchäfte der erlauchten Ver- ſammlung, und Niemand fand das ſonderbar. Allein die Blüthe des Theaters ließ errathen, daß hier doch ein reichbegabter Menſchenſchlag lebte und das verfallene geiſtige Leben dereinſt doch wieder erwachen konnte. Die Bildung in den Kreiſen der öſterreichiſchen Magnatenge- ſchlechter war noch ganz franzöſiſch; nur mit den Herren aus Preußen ſprach man deutſch um dem nordiſchen Teutonenthum doch eine Liebens- würdigkeit zu erweiſen. Der Esprit der alten bourboniſchen Ariſtokratie
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II. 1. Der Wiener Congreß.
männern und Offizieren, Prieſtern und Gelehrten, Abenteurern, Gaunern
und Supplikanten, unterthänigſt angeſtaunt und unterthänigſt ausgebeutelt
von den gemüthlichen Wienern, die ſich an den hohen Herrſchaften gar
nicht ſatt ſehen konnten. Die Erbſünde des gemeinen Durchſchnitts-
ſchlages der Diplomaten, die Vermiſchung der ernſten Staatsgeſchäfte mit
der Tändelei, dem Ränkeſpiel und dem Klatſch des Salons, gedieh zur
üppigſten Blüthe. Häßlicher als die unvermeidliche Sittenloſigkeit dieſes
großen Fürſtenbacchanals erſchien die lächelnde Verlogenheit, die ſich jetzt
zur Virtuoſität ausbildete: wer hier etwas gelten wollte mußte ſich auf
die Kunſt verſtehen Morgens ein geheimes Kriegsbündniß gegen ſeine
täglichen Tiſchgenoſſen abzuſchließen und Nachmittags mit den nämlichen
Freunden wieder in ungetrübter Zärtlichkeit zu verkehren.
Ueber dem ganzen glitzernden und blitzenden Treiben lag der Hauch
jener trivialen Gedankenloſigkeit, welche das Habsburgerregiment auf dem
Wiener Boden eingebürgert hatte. Die Zeit war dahin, da das wackere
Bürgerthum der ehrenfeſten deutſchen Landſtadt Wien ſich ſeine herrlichen
Kirchen errichtete. Was hatten dieſe langen drei Jahrhunderte, ſeit die
Donauſtadt der Mittelpunkt eines großen Reiches geworden, an Schönem
gebaut und gebildet? Nichts, gar nichts, kaum daß der Kuppelbau der
Karlskirche und das Belvedereſchloß mindeſtens einige Eigenthümlichkeit
zeigten. Sonſt allüberall, an dem häßlichen Häuſerhaufen der Burg
wie an den Paläſten des reichen Adels, dieſelbe abſchreckende Geſchmack-
loſigkeit. Einige Kunſtſammlungen waren wohl vorhanden, doch Niemand
beachtete ſie; die Schätze der Ambraſer Sammlung lagen vergeſſen, Karl
Auguſt von Weimar entdeckte ſie erſt jetzt von Neuem, denn der geiſtvolle
Fürſt hielt es in der ſchalen Nichtigkeit dieſer geſelligen Freuden nicht
aus und durchſtreifte die Stadt nach feineren Genüſſen ſuchend. Es
war noch ganz das von Schiller verſpottete alte Wien, die Stadt der
Phäaken mit ihrem ewigen Sonntag und dem ewig ſchnurrenden Brat-
ſpieß. Keine Spur von wiſſenſchaftlicher Thätigkeit: wer hatte von der
altehrwürdigen Univerſität je etwas gehört, außer daß ſie ein wohleinge-
richtetes Hospital mit einigen trefflichen Aerzten beſaß? Dazu der dumpfe
Druck der geheimen Polizei und ein allgemeiner politiſcher Stumpfſinn.
Kein Menſch in dieſem luſtigen Völkchen bekümmerte ſich um die politiſche
Thätigkeit des Congreſſes; der Oeſterreichiſche Beobachter brachte in neun
Monaten einen einzigen Artikel über die Geſchäfte der erlauchten Ver-
ſammlung, und Niemand fand das ſonderbar. Allein die Blüthe des
Theaters ließ errathen, daß hier doch ein reichbegabter Menſchenſchlag
lebte und das verfallene geiſtige Leben dereinſt doch wieder erwachen
konnte. Die Bildung in den Kreiſen der öſterreichiſchen Magnatenge-
ſchlechter war noch ganz franzöſiſch; nur mit den Herren aus Preußen
ſprach man deutſch um dem nordiſchen Teutonenthum doch eine Liebens-
würdigkeit zu erweiſen. Der Esprit der alten bourboniſchen Ariſtokratie
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 600. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/616>, abgerufen am 09.11.2024.
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