I. 1. Deutschland nach dem Westphälischen Frieden.
Fürstenköpfe, doch einen unverkennbaren Familienzug zeigen, so auch ihr politischer Charakter. Alle, die großen wie die schwachen, die geistreichen wie die beschränkten, bekunden mit seltenen Ausnahmen einen nüchtern verständigen Sinn für die harten Wirklichkeiten des Lebens, der nicht verschmäht im Kleinen groß zu sein, und alle denken hoch von ihrer Fürstenpflicht.
Die Gesinnung des ersten märkischen Hohenzollern, der sich "Gottes schlichten Amtmann an dem Fürstenthum" nannte, waltet in allen Enkeln; sie kehrt wieder in dem Wahlspruche des großen Kurfürsten "Für Gott und das Volk"; sie spricht aus dem fieberischen Diensteifer des Soldaten- königs, der sich immer bewußt blieb mit seiner Seelen Seligkeit dereinst ein- stehen zu müssen für das Wohl seines Volkes; sie findet endlich einen tieferen und freieren Ausdruck in dem fridericianischen Worte: Der König ist der erste Diener des Staates. Viele der Hohenzollern haben gefehlt durch allzu gewissenhafte Scheu vor dem Würfelspiele des Krieges, Wenige durch unstete Kampflust; die überlieferte Politik des Hauses suchte den Herrscherruhm in der Wahrung des Rechts und der Pflege der Werke des Friedens, richtete nur zuweilen, in großen Augenblicken, die wohlge- schonten Kräfte des Staates nach außen -- auch hierin wie überall das schroffe Gegenbild der gänzlich den europäischen Fragen zugewendeten Staatskunst der Habsburger. Die Dynastie hatte längst gleich den alt- französischen Königen ihr Hausgut an den Staat abgetreten; sie lebte allein dem Ganzen. Während fast alle anderen Territorien des Reichs den Namen und das Wappenschild ihres Fürstenhauses annahmen, trugen die Fahnen der Hohenzollern den alten Reichsadler der Stauferzeit, den sich die ferne Ostmark durch die Jahrhunderte bewahrt hatte, und die Deutsch-Ordensfarben des Landes Preußen. Dies hart politische König- thum erzog ein mißhandeltes und verwildertes Volk zu den Rechten und Pflichten des Staatsbürgerthums. Wo immer man die Zustände deutscher Landschaften vor und nach ihrem Eintritt in den preußischen Staat vergleichen mochte, in Pommern, in Ostpreußen, in Cleve und der Graf- schaft Mark, überall hatte der Klang der preußischen Trommeln den Deutschen die Freiheit gebracht: die Befreiung von der Gewalt des Aus- lands und von der Tyrannei ständischer Vielherrschaft. Auf dem Boden des gemeinen Rechtes ist dann unter schweren Kämpfen, doch in natür- licher, nothwendiger Entwicklung eine neue reifere Form der politischen Freiheit erwachsen, die geordnete Theilnahme der Bürger an der Leitung des Staates. Nicht das Genie, sondern der Charakter und die feste Mannszucht gab diesem Staate sittliche Größe; nicht der Reichthum, sondern die Ordnung und die rasche Schlagfertigkeit seiner Mittel gab ihm Macht.
Doch jetzt am wenigsten konnte die deutsche Nation ein Verständniß gewinnen für die seltsame Erscheinung dieses waffenstarken Staates, wie
I. 1. Deutſchland nach dem Weſtphäliſchen Frieden.
Fürſtenköpfe, doch einen unverkennbaren Familienzug zeigen, ſo auch ihr politiſcher Charakter. Alle, die großen wie die ſchwachen, die geiſtreichen wie die beſchränkten, bekunden mit ſeltenen Ausnahmen einen nüchtern verſtändigen Sinn für die harten Wirklichkeiten des Lebens, der nicht verſchmäht im Kleinen groß zu ſein, und alle denken hoch von ihrer Fürſtenpflicht.
Die Geſinnung des erſten märkiſchen Hohenzollern, der ſich „Gottes ſchlichten Amtmann an dem Fürſtenthum“ nannte, waltet in allen Enkeln; ſie kehrt wieder in dem Wahlſpruche des großen Kurfürſten „Für Gott und das Volk“; ſie ſpricht aus dem fieberiſchen Dienſteifer des Soldaten- königs, der ſich immer bewußt blieb mit ſeiner Seelen Seligkeit dereinſt ein- ſtehen zu müſſen für das Wohl ſeines Volkes; ſie findet endlich einen tieferen und freieren Ausdruck in dem fridericianiſchen Worte: Der König iſt der erſte Diener des Staates. Viele der Hohenzollern haben gefehlt durch allzu gewiſſenhafte Scheu vor dem Würfelſpiele des Krieges, Wenige durch unſtete Kampfluſt; die überlieferte Politik des Hauſes ſuchte den Herrſcherruhm in der Wahrung des Rechts und der Pflege der Werke des Friedens, richtete nur zuweilen, in großen Augenblicken, die wohlge- ſchonten Kräfte des Staates nach außen — auch hierin wie überall das ſchroffe Gegenbild der gänzlich den europäiſchen Fragen zugewendeten Staatskunſt der Habsburger. Die Dynaſtie hatte längſt gleich den alt- franzöſiſchen Königen ihr Hausgut an den Staat abgetreten; ſie lebte allein dem Ganzen. Während faſt alle anderen Territorien des Reichs den Namen und das Wappenſchild ihres Fürſtenhauſes annahmen, trugen die Fahnen der Hohenzollern den alten Reichsadler der Stauferzeit, den ſich die ferne Oſtmark durch die Jahrhunderte bewahrt hatte, und die Deutſch-Ordensfarben des Landes Preußen. Dies hart politiſche König- thum erzog ein mißhandeltes und verwildertes Volk zu den Rechten und Pflichten des Staatsbürgerthums. Wo immer man die Zuſtände deutſcher Landſchaften vor und nach ihrem Eintritt in den preußiſchen Staat vergleichen mochte, in Pommern, in Oſtpreußen, in Cleve und der Graf- ſchaft Mark, überall hatte der Klang der preußiſchen Trommeln den Deutſchen die Freiheit gebracht: die Befreiung von der Gewalt des Aus- lands und von der Tyrannei ſtändiſcher Vielherrſchaft. Auf dem Boden des gemeinen Rechtes iſt dann unter ſchweren Kämpfen, doch in natür- licher, nothwendiger Entwicklung eine neue reifere Form der politiſchen Freiheit erwachſen, die geordnete Theilnahme der Bürger an der Leitung des Staates. Nicht das Genie, ſondern der Charakter und die feſte Mannszucht gab dieſem Staate ſittliche Größe; nicht der Reichthum, ſondern die Ordnung und die raſche Schlagfertigkeit ſeiner Mittel gab ihm Macht.
Doch jetzt am wenigſten konnte die deutſche Nation ein Verſtändniß gewinnen für die ſeltſame Erſcheinung dieſes waffenſtarken Staates, wie
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I. 1. Deutſchland nach dem Weſtphäliſchen Frieden.
Fürſtenköpfe, doch einen unverkennbaren Familienzug zeigen, ſo auch ihr
politiſcher Charakter. Alle, die großen wie die ſchwachen, die geiſtreichen
wie die beſchränkten, bekunden mit ſeltenen Ausnahmen einen nüchtern
verſtändigen Sinn für die harten Wirklichkeiten des Lebens, der nicht
verſchmäht im Kleinen groß zu ſein, und alle denken hoch von ihrer
Fürſtenpflicht.
Die Geſinnung des erſten märkiſchen Hohenzollern, der ſich „Gottes
ſchlichten Amtmann an dem Fürſtenthum“ nannte, waltet in allen Enkeln;
ſie kehrt wieder in dem Wahlſpruche des großen Kurfürſten „Für Gott
und das Volk“; ſie ſpricht aus dem fieberiſchen Dienſteifer des Soldaten-
königs, der ſich immer bewußt blieb mit ſeiner Seelen Seligkeit dereinſt ein-
ſtehen zu müſſen für das Wohl ſeines Volkes; ſie findet endlich einen tieferen
und freieren Ausdruck in dem fridericianiſchen Worte: Der König iſt der
erſte Diener des Staates. Viele der Hohenzollern haben gefehlt durch
allzu gewiſſenhafte Scheu vor dem Würfelſpiele des Krieges, Wenige
durch unſtete Kampfluſt; die überlieferte Politik des Hauſes ſuchte den
Herrſcherruhm in der Wahrung des Rechts und der Pflege der Werke
des Friedens, richtete nur zuweilen, in großen Augenblicken, die wohlge-
ſchonten Kräfte des Staates nach außen — auch hierin wie überall das
ſchroffe Gegenbild der gänzlich den europäiſchen Fragen zugewendeten
Staatskunſt der Habsburger. Die Dynaſtie hatte längſt gleich den alt-
franzöſiſchen Königen ihr Hausgut an den Staat abgetreten; ſie lebte
allein dem Ganzen. Während faſt alle anderen Territorien des Reichs
den Namen und das Wappenſchild ihres Fürſtenhauſes annahmen, trugen
die Fahnen der Hohenzollern den alten Reichsadler der Stauferzeit, den
ſich die ferne Oſtmark durch die Jahrhunderte bewahrt hatte, und die
Deutſch-Ordensfarben des Landes Preußen. Dies hart politiſche König-
thum erzog ein mißhandeltes und verwildertes Volk zu den Rechten und
Pflichten des Staatsbürgerthums. Wo immer man die Zuſtände deutſcher
Landſchaften vor und nach ihrem Eintritt in den preußiſchen Staat
vergleichen mochte, in Pommern, in Oſtpreußen, in Cleve und der Graf-
ſchaft Mark, überall hatte der Klang der preußiſchen Trommeln den
Deutſchen die Freiheit gebracht: die Befreiung von der Gewalt des Aus-
lands und von der Tyrannei ſtändiſcher Vielherrſchaft. Auf dem Boden
des gemeinen Rechtes iſt dann unter ſchweren Kämpfen, doch in natür-
licher, nothwendiger Entwicklung eine neue reifere Form der politiſchen
Freiheit erwachſen, die geordnete Theilnahme der Bürger an der Leitung
des Staates. Nicht das Genie, ſondern der Charakter und die feſte
Mannszucht gab dieſem Staate ſittliche Größe; nicht der Reichthum,
ſondern die Ordnung und die raſche Schlagfertigkeit ſeiner Mittel gab
ihm Macht.
Doch jetzt am wenigſten konnte die deutſche Nation ein Verſtändniß
gewinnen für die ſeltſame Erſcheinung dieſes waffenſtarken Staates, wie
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 46. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/62>, abgerufen am 16.02.2025.
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