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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.

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II. 1. Der Wiener Congreß.
narchen, schlechterdings nichts zu unterzeichnen, so lange der König von
Sachsen nicht wieder eingesetzt sei. Nicht anders dachte sein Sohn, der
excentrische Kronprinz Ludwig, obgleich er zum Aerger des Vaters sich zu
den begeisterten Teutonen hielt und gern mit großen Worten von teutschen
Sinnes teutschester Bewährung sprach.

Ungleich herausfordernder trat der württembergische Despot auf. Als
Senior hatte er unter den gekrönten Häuptern überall den Vortritt und
schloß daraus mit dem naiven Dünkel des deutschen Kleinfürstenstandes,
daß er nun wirklich der Vornehmste von Allen sei, gab stets die reichsten
Trinkgelder, um die Großmächtigkeit der neuen Schwabenkrone zu erweisen,
bemühte sich in Worten und Gebärden dem gefallenen Imperator nach-
zuahmen, so weit sein ungeheurer Leibesumfang dies erlaubte, bekundete
seinen Ingrimm über den Untergang der rheinbündischen Herrlichkeit
ungescheut in rohen Zornreden. Auch sein Thronfolger war wie der
bairische ein Gegner der bonapartistischen Gesinnung des Vaters. Ein rast-
loser Ehrgeiz arbeitete in der Seele dieses Kronprinzen Wilhelm; da er
sich in dem letzten Winterfeldzuge als ein tapferer und geschickter Offizier
gezeigt hatte, so hoffte er auf das Generalat der deutschen Bundesarmee.
Seine Geliebte, die geistreiche Großfürstin Katharina bestärkte ihn in seinen
stolzen Träumen; das junge Paar verstand einen solchen Nimbus geistiger
Größe um sich zu verbreiten, daß selbst nüchterne Männer meinten, von
dem Stuttgarter Hofe werde dereinst ein neues Zeitalter über Deutsch-
land ausgehen. Man überschätzte den Prinzen allgemein, und Manche
sahen in ihm schon den künftigen deutschen Kaiser; von den so ungleich
größeren Leistungen der preußischen Generale wollte der deutsche Parti-
cularismus schon nichts mehr hören.

Unter den Staatsmännern der kleinen Höfe thaten sich namentlich
Drei hervor, Wrede, Münster und Gagern, Jeder in seiner Weise ein
typischer Vertreter jener den kleinstaatlichen Diplomaten eigenthümlichen
impotenten Großmannssucht, welche schon so viel Schmach über Deutsch-
land gebracht hatte und nunmehr während eines halben Jahrhunderts
das große Wort in unserem Vaterlande führen sollte. Als ein tapferer
Haudegen hatte sich Wrede immer bewährt, seit jenen Tagen, da er den
Landsturm der Odenwälder Bauern gegen die Sansculotten führte, bis
herab zu der "Entscheidungsschlacht" von Arcis, wie die servile bairische
Presse sagte. Von wirklichem Feldherrntalente besaß er so wenig wie von
edler Gesinnung und ernster Bildung. Im Stehlen und im Plündern
hatte er es den verworfensten napoleonischen Marschällen gleich gethan,
vornehmlich während des schlesischen Winterfeldzuges im Jahre 1807; von
seiner brutalen Roheit wußten die unglücklichen Tyroler Aufständischen zu
erzählen. Die einsichtigen bairischen Offiziere glaubten selber nicht an diese
gemachte Größe; sie wußten wohl, daß sein in Rußland gebliebener Kamerad
Deroy, der Reformator der bairischen Infanterie, ein ungleich tüchtigerer

II. 1. Der Wiener Congreß.
narchen, ſchlechterdings nichts zu unterzeichnen, ſo lange der König von
Sachſen nicht wieder eingeſetzt ſei. Nicht anders dachte ſein Sohn, der
excentriſche Kronprinz Ludwig, obgleich er zum Aerger des Vaters ſich zu
den begeiſterten Teutonen hielt und gern mit großen Worten von teutſchen
Sinnes teutſcheſter Bewährung ſprach.

Ungleich herausfordernder trat der württembergiſche Despot auf. Als
Senior hatte er unter den gekrönten Häuptern überall den Vortritt und
ſchloß daraus mit dem naiven Dünkel des deutſchen Kleinfürſtenſtandes,
daß er nun wirklich der Vornehmſte von Allen ſei, gab ſtets die reichſten
Trinkgelder, um die Großmächtigkeit der neuen Schwabenkrone zu erweiſen,
bemühte ſich in Worten und Gebärden dem gefallenen Imperator nach-
zuahmen, ſo weit ſein ungeheurer Leibesumfang dies erlaubte, bekundete
ſeinen Ingrimm über den Untergang der rheinbündiſchen Herrlichkeit
ungeſcheut in rohen Zornreden. Auch ſein Thronfolger war wie der
bairiſche ein Gegner der bonapartiſtiſchen Geſinnung des Vaters. Ein raſt-
loſer Ehrgeiz arbeitete in der Seele dieſes Kronprinzen Wilhelm; da er
ſich in dem letzten Winterfeldzuge als ein tapferer und geſchickter Offizier
gezeigt hatte, ſo hoffte er auf das Generalat der deutſchen Bundesarmee.
Seine Geliebte, die geiſtreiche Großfürſtin Katharina beſtärkte ihn in ſeinen
ſtolzen Träumen; das junge Paar verſtand einen ſolchen Nimbus geiſtiger
Größe um ſich zu verbreiten, daß ſelbſt nüchterne Männer meinten, von
dem Stuttgarter Hofe werde dereinſt ein neues Zeitalter über Deutſch-
land ausgehen. Man überſchätzte den Prinzen allgemein, und Manche
ſahen in ihm ſchon den künftigen deutſchen Kaiſer; von den ſo ungleich
größeren Leiſtungen der preußiſchen Generale wollte der deutſche Parti-
cularismus ſchon nichts mehr hören.

Unter den Staatsmännern der kleinen Höfe thaten ſich namentlich
Drei hervor, Wrede, Münſter und Gagern, Jeder in ſeiner Weiſe ein
typiſcher Vertreter jener den kleinſtaatlichen Diplomaten eigenthümlichen
impotenten Großmannsſucht, welche ſchon ſo viel Schmach über Deutſch-
land gebracht hatte und nunmehr während eines halben Jahrhunderts
das große Wort in unſerem Vaterlande führen ſollte. Als ein tapferer
Haudegen hatte ſich Wrede immer bewährt, ſeit jenen Tagen, da er den
Landſturm der Odenwälder Bauern gegen die Sansculotten führte, bis
herab zu der „Entſcheidungsſchlacht“ von Arcis, wie die ſervile bairiſche
Preſſe ſagte. Von wirklichem Feldherrntalente beſaß er ſo wenig wie von
edler Geſinnung und ernſter Bildung. Im Stehlen und im Plündern
hatte er es den verworfenſten napoleoniſchen Marſchällen gleich gethan,
vornehmlich während des ſchleſiſchen Winterfeldzuges im Jahre 1807; von
ſeiner brutalen Roheit wußten die unglücklichen Tyroler Aufſtändiſchen zu
erzählen. Die einſichtigen bairiſchen Offiziere glaubten ſelber nicht an dieſe
gemachte Größe; ſie wußten wohl, daß ſein in Rußland gebliebener Kamerad
Deroy, der Reformator der bairiſchen Infanterie, ein ungleich tüchtigerer

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[608/0624] II. 1. Der Wiener Congreß. narchen, ſchlechterdings nichts zu unterzeichnen, ſo lange der König von Sachſen nicht wieder eingeſetzt ſei. Nicht anders dachte ſein Sohn, der excentriſche Kronprinz Ludwig, obgleich er zum Aerger des Vaters ſich zu den begeiſterten Teutonen hielt und gern mit großen Worten von teutſchen Sinnes teutſcheſter Bewährung ſprach. Ungleich herausfordernder trat der württembergiſche Despot auf. Als Senior hatte er unter den gekrönten Häuptern überall den Vortritt und ſchloß daraus mit dem naiven Dünkel des deutſchen Kleinfürſtenſtandes, daß er nun wirklich der Vornehmſte von Allen ſei, gab ſtets die reichſten Trinkgelder, um die Großmächtigkeit der neuen Schwabenkrone zu erweiſen, bemühte ſich in Worten und Gebärden dem gefallenen Imperator nach- zuahmen, ſo weit ſein ungeheurer Leibesumfang dies erlaubte, bekundete ſeinen Ingrimm über den Untergang der rheinbündiſchen Herrlichkeit ungeſcheut in rohen Zornreden. Auch ſein Thronfolger war wie der bairiſche ein Gegner der bonapartiſtiſchen Geſinnung des Vaters. Ein raſt- loſer Ehrgeiz arbeitete in der Seele dieſes Kronprinzen Wilhelm; da er ſich in dem letzten Winterfeldzuge als ein tapferer und geſchickter Offizier gezeigt hatte, ſo hoffte er auf das Generalat der deutſchen Bundesarmee. Seine Geliebte, die geiſtreiche Großfürſtin Katharina beſtärkte ihn in ſeinen ſtolzen Träumen; das junge Paar verſtand einen ſolchen Nimbus geiſtiger Größe um ſich zu verbreiten, daß ſelbſt nüchterne Männer meinten, von dem Stuttgarter Hofe werde dereinſt ein neues Zeitalter über Deutſch- land ausgehen. Man überſchätzte den Prinzen allgemein, und Manche ſahen in ihm ſchon den künftigen deutſchen Kaiſer; von den ſo ungleich größeren Leiſtungen der preußiſchen Generale wollte der deutſche Parti- cularismus ſchon nichts mehr hören. Unter den Staatsmännern der kleinen Höfe thaten ſich namentlich Drei hervor, Wrede, Münſter und Gagern, Jeder in ſeiner Weiſe ein typiſcher Vertreter jener den kleinſtaatlichen Diplomaten eigenthümlichen impotenten Großmannsſucht, welche ſchon ſo viel Schmach über Deutſch- land gebracht hatte und nunmehr während eines halben Jahrhunderts das große Wort in unſerem Vaterlande führen ſollte. Als ein tapferer Haudegen hatte ſich Wrede immer bewährt, ſeit jenen Tagen, da er den Landſturm der Odenwälder Bauern gegen die Sansculotten führte, bis herab zu der „Entſcheidungsſchlacht“ von Arcis, wie die ſervile bairiſche Preſſe ſagte. Von wirklichem Feldherrntalente beſaß er ſo wenig wie von edler Geſinnung und ernſter Bildung. Im Stehlen und im Plündern hatte er es den verworfenſten napoleoniſchen Marſchällen gleich gethan, vornehmlich während des ſchleſiſchen Winterfeldzuges im Jahre 1807; von ſeiner brutalen Roheit wußten die unglücklichen Tyroler Aufſtändiſchen zu erzählen. Die einſichtigen bairiſchen Offiziere glaubten ſelber nicht an dieſe gemachte Größe; ſie wußten wohl, daß ſein in Rußland gebliebener Kamerad Deroy, der Reformator der bairiſchen Infanterie, ein ungleich tüchtigerer

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 608. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/624>, abgerufen am 22.11.2024.