Ein entschlossener preußischer Staatsmann mußte nach Empfang dieser Erwiderungen sofort erkennen, daß auf die beiden Bundesgenossen kein Verlaß und ein fester Anschluß an Rußland geboten war. Von den drei preußischen Bedingungen hatte Metternich zwei rundweg abgelehnt; und wer irgend wußte, wie wenig selbst ein entschiedenes Ja aus diesem Munde bedeutete, der mochte leicht berechnen, wie viel auf die halbe, gewundene, widerwillige Zustimmung zu der dritten Bedingung zu geben sei. Lag es denn nicht auf flacher Hand, daß "die Gewalt der Umstände die Einver- leibung Sachsens nicht mehr unvermeidlich machte", sobald Preußen den größten Theil von Warschau zurück erhielt? Metternich aber rechnete auf das leichtgläubige Vertrauen seines preußischen Freundes und frohlockte laut, daß er seine Gedanken so geschickt umhüllt habe. Auch Gentz war mit der schriftstellerischen Leistung seines Freundes einverstanden und weissagte jubelnd an Wrede's Tafel, in vierzehn Tagen würde das System der europäischen Allianzen verschoben -- das will sagen: eine Annäherung Oesterreichs an die Westmächte vollzogen sein.
Gentz war es, der den Fürsten Metternich bewogen hatte in der Mainzer Frage so bestimmt ablehnend aufzutreten; selbst durch ein Bündniß mit Frankreich, meinte er grimmig, müsse Mainz vor Preußens Habgier gerettet werden. Diese Ansicht fand einen treuen Bundesgenossen an der unsterb- lichen Neigung unserer Kleinfürsten, das einfach Zweckmäßige nicht zu thun, die bedrohten Stellen des Vaterlandes stets den schwächsten Händen anzuver- trauen. Die ernestinischen Höfe, Nassau und Hessen erklärten am 25. Oc- tober, diese wichtige Festung dürfe an keinen der größeren Staaten, weder an Baiern noch an Preußen, preisgegeben werden; sie gehöre dem ge- sammten Deutschland. Man schlug vor, einen neuen Deutschen Orden zum Schutze der Rheinfestung zu bilden; so allgemein war der Wider- spruch gegen die Befestigung der preußischen Macht am Mittelrhein, daß der Freiherr vom Stein endlich auf den künstlichen Plan verfiel, den Kronprinzen von Württemberg als deutschen Feldmarschall in Mainz zu versorgen. Wer sehen wollte, konnte auch aus anderen Anzeichen ent- nehmen, wie Oesterreich gegen Preußen gesinnt war. Die im tiefsten Vertrauen an Metternich mitgetheilte preußische Landkarte, welche jenen "Isthmus" südhannoverschen Landes zur Verbindung der östlichen mit den westlichen Provinzen für Preußen verlangte, wurde, wie Münster selbst erzählt, durch die österreichischen Staatsmänner dem welfischen Diplo- maten verrathen.
Gleichzeitig mit der Antwort an Hardenberg (22. Oct.) erklärte Met- ternich in einem Schreiben an Castlereagh: Oesterreich könne nur ungern einen Zwischenstaat fallen lassen, der so oft für das Gleichgewicht Deutsch- lands und Europas nützlich gewesen; wenn aber die Einverleibung Sach- sens von den Verbündeten als unvermeidlich angesehen werde, dann wolle Oesterreich dies schwere Opfer bringen unter der zweifachen Bedingung:
Metternichs Antwort.
Ein entſchloſſener preußiſcher Staatsmann mußte nach Empfang dieſer Erwiderungen ſofort erkennen, daß auf die beiden Bundesgenoſſen kein Verlaß und ein feſter Anſchluß an Rußland geboten war. Von den drei preußiſchen Bedingungen hatte Metternich zwei rundweg abgelehnt; und wer irgend wußte, wie wenig ſelbſt ein entſchiedenes Ja aus dieſem Munde bedeutete, der mochte leicht berechnen, wie viel auf die halbe, gewundene, widerwillige Zuſtimmung zu der dritten Bedingung zu geben ſei. Lag es denn nicht auf flacher Hand, daß „die Gewalt der Umſtände die Einver- leibung Sachſens nicht mehr unvermeidlich machte“, ſobald Preußen den größten Theil von Warſchau zurück erhielt? Metternich aber rechnete auf das leichtgläubige Vertrauen ſeines preußiſchen Freundes und frohlockte laut, daß er ſeine Gedanken ſo geſchickt umhüllt habe. Auch Gentz war mit der ſchriftſtelleriſchen Leiſtung ſeines Freundes einverſtanden und weiſſagte jubelnd an Wrede’s Tafel, in vierzehn Tagen würde das Syſtem der europäiſchen Allianzen verſchoben — das will ſagen: eine Annäherung Oeſterreichs an die Weſtmächte vollzogen ſein.
Gentz war es, der den Fürſten Metternich bewogen hatte in der Mainzer Frage ſo beſtimmt ablehnend aufzutreten; ſelbſt durch ein Bündniß mit Frankreich, meinte er grimmig, müſſe Mainz vor Preußens Habgier gerettet werden. Dieſe Anſicht fand einen treuen Bundesgenoſſen an der unſterb- lichen Neigung unſerer Kleinfürſten, das einfach Zweckmäßige nicht zu thun, die bedrohten Stellen des Vaterlandes ſtets den ſchwächſten Händen anzuver- trauen. Die erneſtiniſchen Höfe, Naſſau und Heſſen erklärten am 25. Oc- tober, dieſe wichtige Feſtung dürfe an keinen der größeren Staaten, weder an Baiern noch an Preußen, preisgegeben werden; ſie gehöre dem ge- ſammten Deutſchland. Man ſchlug vor, einen neuen Deutſchen Orden zum Schutze der Rheinfeſtung zu bilden; ſo allgemein war der Wider- ſpruch gegen die Befeſtigung der preußiſchen Macht am Mittelrhein, daß der Freiherr vom Stein endlich auf den künſtlichen Plan verfiel, den Kronprinzen von Württemberg als deutſchen Feldmarſchall in Mainz zu verſorgen. Wer ſehen wollte, konnte auch aus anderen Anzeichen ent- nehmen, wie Oeſterreich gegen Preußen geſinnt war. Die im tiefſten Vertrauen an Metternich mitgetheilte preußiſche Landkarte, welche jenen „Iſthmus“ ſüdhannoverſchen Landes zur Verbindung der öſtlichen mit den weſtlichen Provinzen für Preußen verlangte, wurde, wie Münſter ſelbſt erzählt, durch die öſterreichiſchen Staatsmänner dem welfiſchen Diplo- maten verrathen.
Gleichzeitig mit der Antwort an Hardenberg (22. Oct.) erklärte Met- ternich in einem Schreiben an Caſtlereagh: Oeſterreich könne nur ungern einen Zwiſchenſtaat fallen laſſen, der ſo oft für das Gleichgewicht Deutſch- lands und Europas nützlich geweſen; wenn aber die Einverleibung Sach- ſens von den Verbündeten als unvermeidlich angeſehen werde, dann wolle Oeſterreich dies ſchwere Opfer bringen unter der zweifachen Bedingung:
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><pbfacs="#f0645"n="629"/><fwplace="top"type="header">Metternichs Antwort.</fw><lb/><p>Ein entſchloſſener preußiſcher Staatsmann mußte nach Empfang dieſer<lb/>
Erwiderungen ſofort erkennen, daß auf die beiden Bundesgenoſſen kein<lb/>
Verlaß und ein feſter Anſchluß an Rußland geboten war. Von den drei<lb/>
preußiſchen Bedingungen hatte Metternich zwei rundweg abgelehnt; und<lb/>
wer irgend wußte, wie wenig ſelbſt ein entſchiedenes Ja aus dieſem Munde<lb/>
bedeutete, der mochte leicht berechnen, wie viel auf die halbe, gewundene,<lb/>
widerwillige Zuſtimmung zu der dritten Bedingung zu geben ſei. Lag es<lb/>
denn nicht auf flacher Hand, daß „die Gewalt der Umſtände die Einver-<lb/>
leibung Sachſens <hirendition="#g">nicht</hi> mehr unvermeidlich machte“, ſobald Preußen den<lb/>
größten Theil von Warſchau zurück erhielt? Metternich aber rechnete auf<lb/>
das leichtgläubige Vertrauen ſeines preußiſchen Freundes und frohlockte<lb/>
laut, daß er ſeine Gedanken ſo geſchickt umhüllt habe. Auch Gentz war<lb/>
mit der ſchriftſtelleriſchen Leiſtung ſeines Freundes einverſtanden und<lb/>
weiſſagte jubelnd an Wrede’s Tafel, in vierzehn Tagen würde das Syſtem<lb/>
der europäiſchen Allianzen verſchoben — das will ſagen: eine Annäherung<lb/>
Oeſterreichs an die Weſtmächte vollzogen ſein.</p><lb/><p>Gentz war es, der den Fürſten Metternich bewogen hatte in der Mainzer<lb/>
Frage ſo beſtimmt ablehnend aufzutreten; ſelbſt durch ein Bündniß mit<lb/>
Frankreich, meinte er grimmig, müſſe Mainz vor Preußens Habgier gerettet<lb/>
werden. Dieſe Anſicht fand einen treuen Bundesgenoſſen an der unſterb-<lb/>
lichen Neigung unſerer Kleinfürſten, das einfach Zweckmäßige <hirendition="#g">nicht</hi> zu thun,<lb/>
die bedrohten Stellen des Vaterlandes ſtets den ſchwächſten Händen anzuver-<lb/>
trauen. Die erneſtiniſchen Höfe, Naſſau und Heſſen erklärten am 25. Oc-<lb/>
tober, dieſe wichtige Feſtung dürfe an keinen der größeren Staaten, weder<lb/>
an Baiern noch an Preußen, preisgegeben werden; ſie gehöre dem ge-<lb/>ſammten Deutſchland. Man ſchlug vor, einen neuen Deutſchen Orden<lb/>
zum Schutze der Rheinfeſtung zu bilden; ſo allgemein war der Wider-<lb/>ſpruch gegen die Befeſtigung der preußiſchen Macht am Mittelrhein, daß<lb/>
der Freiherr vom Stein endlich auf den künſtlichen Plan verfiel, den<lb/>
Kronprinzen von Württemberg als deutſchen Feldmarſchall in Mainz zu<lb/>
verſorgen. Wer ſehen wollte, konnte auch aus anderen Anzeichen ent-<lb/>
nehmen, wie Oeſterreich gegen Preußen geſinnt war. Die im tiefſten<lb/>
Vertrauen an Metternich mitgetheilte preußiſche Landkarte, welche jenen<lb/>„Iſthmus“ſüdhannoverſchen Landes zur Verbindung der öſtlichen mit<lb/>
den weſtlichen Provinzen für Preußen verlangte, wurde, wie Münſter<lb/>ſelbſt erzählt, durch die öſterreichiſchen Staatsmänner dem welfiſchen Diplo-<lb/>
maten verrathen.</p><lb/><p>Gleichzeitig mit der Antwort an Hardenberg (22. Oct.) erklärte Met-<lb/>
ternich in einem Schreiben an Caſtlereagh: Oeſterreich könne nur ungern<lb/>
einen Zwiſchenſtaat fallen laſſen, der ſo oft für das Gleichgewicht Deutſch-<lb/>
lands und Europas nützlich geweſen; wenn aber die Einverleibung Sach-<lb/>ſens von den Verbündeten als unvermeidlich angeſehen werde, dann wolle<lb/>
Oeſterreich dies ſchwere Opfer bringen unter der zweifachen Bedingung:<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[629/0645]
Metternichs Antwort.
Ein entſchloſſener preußiſcher Staatsmann mußte nach Empfang dieſer
Erwiderungen ſofort erkennen, daß auf die beiden Bundesgenoſſen kein
Verlaß und ein feſter Anſchluß an Rußland geboten war. Von den drei
preußiſchen Bedingungen hatte Metternich zwei rundweg abgelehnt; und
wer irgend wußte, wie wenig ſelbſt ein entſchiedenes Ja aus dieſem Munde
bedeutete, der mochte leicht berechnen, wie viel auf die halbe, gewundene,
widerwillige Zuſtimmung zu der dritten Bedingung zu geben ſei. Lag es
denn nicht auf flacher Hand, daß „die Gewalt der Umſtände die Einver-
leibung Sachſens nicht mehr unvermeidlich machte“, ſobald Preußen den
größten Theil von Warſchau zurück erhielt? Metternich aber rechnete auf
das leichtgläubige Vertrauen ſeines preußiſchen Freundes und frohlockte
laut, daß er ſeine Gedanken ſo geſchickt umhüllt habe. Auch Gentz war
mit der ſchriftſtelleriſchen Leiſtung ſeines Freundes einverſtanden und
weiſſagte jubelnd an Wrede’s Tafel, in vierzehn Tagen würde das Syſtem
der europäiſchen Allianzen verſchoben — das will ſagen: eine Annäherung
Oeſterreichs an die Weſtmächte vollzogen ſein.
Gentz war es, der den Fürſten Metternich bewogen hatte in der Mainzer
Frage ſo beſtimmt ablehnend aufzutreten; ſelbſt durch ein Bündniß mit
Frankreich, meinte er grimmig, müſſe Mainz vor Preußens Habgier gerettet
werden. Dieſe Anſicht fand einen treuen Bundesgenoſſen an der unſterb-
lichen Neigung unſerer Kleinfürſten, das einfach Zweckmäßige nicht zu thun,
die bedrohten Stellen des Vaterlandes ſtets den ſchwächſten Händen anzuver-
trauen. Die erneſtiniſchen Höfe, Naſſau und Heſſen erklärten am 25. Oc-
tober, dieſe wichtige Feſtung dürfe an keinen der größeren Staaten, weder
an Baiern noch an Preußen, preisgegeben werden; ſie gehöre dem ge-
ſammten Deutſchland. Man ſchlug vor, einen neuen Deutſchen Orden
zum Schutze der Rheinfeſtung zu bilden; ſo allgemein war der Wider-
ſpruch gegen die Befeſtigung der preußiſchen Macht am Mittelrhein, daß
der Freiherr vom Stein endlich auf den künſtlichen Plan verfiel, den
Kronprinzen von Württemberg als deutſchen Feldmarſchall in Mainz zu
verſorgen. Wer ſehen wollte, konnte auch aus anderen Anzeichen ent-
nehmen, wie Oeſterreich gegen Preußen geſinnt war. Die im tiefſten
Vertrauen an Metternich mitgetheilte preußiſche Landkarte, welche jenen
„Iſthmus“ ſüdhannoverſchen Landes zur Verbindung der öſtlichen mit
den weſtlichen Provinzen für Preußen verlangte, wurde, wie Münſter
ſelbſt erzählt, durch die öſterreichiſchen Staatsmänner dem welfiſchen Diplo-
maten verrathen.
Gleichzeitig mit der Antwort an Hardenberg (22. Oct.) erklärte Met-
ternich in einem Schreiben an Caſtlereagh: Oeſterreich könne nur ungern
einen Zwiſchenſtaat fallen laſſen, der ſo oft für das Gleichgewicht Deutſch-
lands und Europas nützlich geweſen; wenn aber die Einverleibung Sach-
ſens von den Verbündeten als unvermeidlich angeſehen werde, dann wolle
Oeſterreich dies ſchwere Opfer bringen unter der zweifachen Bedingung:
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 629. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/645>, abgerufen am 09.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.