neuen Steuern nur "unter Zuziehung einer aus der Nation gewählten Ständeversammlung" aufzulegen und der Stadt in Friedenszeiten keine Garnison aufzudrängen. *) Weiter ging er nicht. Das gemeine Recht der monarchischen Verwaltung konnte die oligarchischen Vorrechte nicht unbe- rührt fortbestehen lassen.
Gewiß sind auch in Sachsen einzelne Mißgriffe vorgekommen; die Erhebung aus der Enge der Kleinstaaterei ist noch in keiner unserer neuen Provinzen ganz ohne verletzende Härte geschehen. Aber die Masse des Volks blieb trotz ihrer unzweifelhaft particularistischen Gesinnung von jedem Gedanken des Widerstandes weit entfernt. Ein gründlicher Kenner der Verhältnisse, der Gouvernementscommissar von Zeschau in Wittenberg, der spätere sächsische Finanzminister, erklärte freimüthig: man könne nicht verlangen, "daß das sächsische Volk einen Fürsten ganz vergesse, unter dessen Regierung es bis zum Jahre 1806 ganz glücklich lebte;" doch die Mäßigung der Regierung finde Anerkennung; ganz gewiß seien keine Un- ruhen zu befürchten, das Volk werde sich rasch in die neue Ordnung ein- gewöhnen. **) Jedermann weiß, wie genau diese Weissagung bald nachher in der nördlichen Hälfte des Landes sich erfüllt hat. Doch weil es so stand, weil die leichte Verschmelzung des Landes mit dem preußischen Staate außer Zweifel war, darum kämpfte die Adeliche Ressource in Dresden, der alte Sammelplatz des Hofadels und der Bureaukratie, mit leiden- schaftlichem Eifer gegen den drohenden Untergang ihrer alten Herrlichkeit. Die Förster -- fast die einzigen Menschen im Lande, denen sich der alte König, frei von dem Zwange der Etikette, in seiner menschlichen Harm- losigkeit gezeigt hatte -- beförderten eifrig die Briefe des Gefangenen und seines Contino Marcolini. Die Ungewißheit der Zukunft gab der Wüh- lerei des Junkerthums stets neue Nahrung. Man lauschte angstvoll auf jede Nachricht aus Wien, auf jeden Wink aus Friedrichsfelde. Als der Herzog von Braunschweig im November durch Dresden kam, hielt er für Welfenpflicht, gegen Jedermann von der nahen Rückkehr des angestamm- ten Herrn zu sprechen. Sofort bemerkte Geh. Rath Krüger, wie die Aufregung in der Residenz zunahm; "meine eigene Kanzlei, schrieb er dem Staatskanzler, zittert und bebt bei dieser Aussicht!" ***)
Unterdessen tobte weithin durch das Lager des Rheinbundes, am Lautesten in Baiern, ein erbitterter Federkrieg, dessen bodenlose Gemein- heit der Sachse Karl von Nostitz treffend als "pamphletistische Mord- brennerei" bezeichnete. Diese Libelle, zumeist von den Cabinetten selber veranlaßt oder beeinflußt, haben nicht nur die Leidenschaften des Tages
*) Hardenberg an Miltitz 12. December 1814, an Bülow 25. Januar 1815.
**) Schreiben Zeschaus an den provisorischen Chef der sächsischen Polizei von Bülow (18. November 1814).
***) Krügers Bericht an Hardenberg, 29. November 1814.
Sachſen unter preußiſcher Verwaltung.
neuen Steuern nur „unter Zuziehung einer aus der Nation gewählten Ständeverſammlung“ aufzulegen und der Stadt in Friedenszeiten keine Garniſon aufzudrängen. *) Weiter ging er nicht. Das gemeine Recht der monarchiſchen Verwaltung konnte die oligarchiſchen Vorrechte nicht unbe- rührt fortbeſtehen laſſen.
Gewiß ſind auch in Sachſen einzelne Mißgriffe vorgekommen; die Erhebung aus der Enge der Kleinſtaaterei iſt noch in keiner unſerer neuen Provinzen ganz ohne verletzende Härte geſchehen. Aber die Maſſe des Volks blieb trotz ihrer unzweifelhaft particulariſtiſchen Geſinnung von jedem Gedanken des Widerſtandes weit entfernt. Ein gründlicher Kenner der Verhältniſſe, der Gouvernementscommiſſar von Zeſchau in Wittenberg, der ſpätere ſächſiſche Finanzminiſter, erklärte freimüthig: man könne nicht verlangen, „daß das ſächſiſche Volk einen Fürſten ganz vergeſſe, unter deſſen Regierung es bis zum Jahre 1806 ganz glücklich lebte;“ doch die Mäßigung der Regierung finde Anerkennung; ganz gewiß ſeien keine Un- ruhen zu befürchten, das Volk werde ſich raſch in die neue Ordnung ein- gewöhnen. **) Jedermann weiß, wie genau dieſe Weiſſagung bald nachher in der nördlichen Hälfte des Landes ſich erfüllt hat. Doch weil es ſo ſtand, weil die leichte Verſchmelzung des Landes mit dem preußiſchen Staate außer Zweifel war, darum kämpfte die Adeliche Reſſource in Dresden, der alte Sammelplatz des Hofadels und der Bureaukratie, mit leiden- ſchaftlichem Eifer gegen den drohenden Untergang ihrer alten Herrlichkeit. Die Förſter — faſt die einzigen Menſchen im Lande, denen ſich der alte König, frei von dem Zwange der Etikette, in ſeiner menſchlichen Harm- loſigkeit gezeigt hatte — beförderten eifrig die Briefe des Gefangenen und ſeines Contino Marcolini. Die Ungewißheit der Zukunft gab der Wüh- lerei des Junkerthums ſtets neue Nahrung. Man lauſchte angſtvoll auf jede Nachricht aus Wien, auf jeden Wink aus Friedrichsfelde. Als der Herzog von Braunſchweig im November durch Dresden kam, hielt er für Welfenpflicht, gegen Jedermann von der nahen Rückkehr des angeſtamm- ten Herrn zu ſprechen. Sofort bemerkte Geh. Rath Krüger, wie die Aufregung in der Reſidenz zunahm; „meine eigene Kanzlei, ſchrieb er dem Staatskanzler, zittert und bebt bei dieſer Ausſicht!“ ***)
Unterdeſſen tobte weithin durch das Lager des Rheinbundes, am Lauteſten in Baiern, ein erbitterter Federkrieg, deſſen bodenloſe Gemein- heit der Sachſe Karl von Noſtitz treffend als „pamphletiſtiſche Mord- brennerei“ bezeichnete. Dieſe Libelle, zumeiſt von den Cabinetten ſelber veranlaßt oder beeinflußt, haben nicht nur die Leidenſchaften des Tages
*) Hardenberg an Miltitz 12. December 1814, an Bülow 25. Januar 1815.
**) Schreiben Zeſchaus an den proviſoriſchen Chef der ſächſiſchen Polizei von Bülow (18. November 1814).
***) Krügers Bericht an Hardenberg, 29. November 1814.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0655"n="639"/><fwplace="top"type="header">Sachſen unter preußiſcher Verwaltung.</fw><lb/>
neuen Steuern nur „unter Zuziehung einer aus der Nation gewählten<lb/>
Ständeverſammlung“ aufzulegen und der Stadt in Friedenszeiten keine<lb/>
Garniſon aufzudrängen. <noteplace="foot"n="*)">Hardenberg an Miltitz 12. December 1814, an Bülow 25. Januar 1815.</note> Weiter ging er nicht. Das gemeine Recht der<lb/>
monarchiſchen Verwaltung konnte die oligarchiſchen Vorrechte nicht unbe-<lb/>
rührt fortbeſtehen laſſen.</p><lb/><p>Gewiß ſind auch in Sachſen einzelne Mißgriffe vorgekommen; die<lb/>
Erhebung aus der Enge der Kleinſtaaterei iſt noch in keiner unſerer neuen<lb/>
Provinzen ganz ohne verletzende Härte geſchehen. Aber die Maſſe des<lb/>
Volks blieb trotz ihrer unzweifelhaft particulariſtiſchen Geſinnung von<lb/>
jedem Gedanken des Widerſtandes weit entfernt. Ein gründlicher Kenner<lb/>
der Verhältniſſe, der Gouvernementscommiſſar von Zeſchau in Wittenberg,<lb/>
der ſpätere ſächſiſche Finanzminiſter, erklärte freimüthig: man könne nicht<lb/>
verlangen, „daß das ſächſiſche Volk einen Fürſten ganz vergeſſe, unter<lb/>
deſſen Regierung es bis zum Jahre 1806 ganz glücklich lebte;“ doch die<lb/>
Mäßigung der Regierung finde Anerkennung; ganz gewiß ſeien keine Un-<lb/>
ruhen zu befürchten, das Volk werde ſich raſch in die neue Ordnung ein-<lb/>
gewöhnen. <noteplace="foot"n="**)">Schreiben Zeſchaus an den proviſoriſchen Chef der ſächſiſchen Polizei von Bülow<lb/>
(18. November 1814).</note> Jedermann weiß, wie genau dieſe Weiſſagung bald nachher<lb/>
in der nördlichen Hälfte des Landes ſich erfüllt hat. Doch weil es ſo ſtand,<lb/>
weil die leichte Verſchmelzung des Landes mit dem preußiſchen Staate<lb/>
außer Zweifel war, darum kämpfte die Adeliche Reſſource in Dresden,<lb/>
der alte Sammelplatz des Hofadels und der Bureaukratie, mit leiden-<lb/>ſchaftlichem Eifer gegen den drohenden Untergang ihrer alten Herrlichkeit.<lb/>
Die Förſter — faſt die einzigen Menſchen im Lande, denen ſich der alte<lb/>
König, frei von dem Zwange der Etikette, in ſeiner menſchlichen Harm-<lb/>
loſigkeit gezeigt hatte — beförderten eifrig die Briefe des Gefangenen und<lb/>ſeines Contino Marcolini. Die Ungewißheit der Zukunft gab der Wüh-<lb/>
lerei des Junkerthums ſtets neue Nahrung. Man lauſchte angſtvoll auf<lb/>
jede Nachricht aus Wien, auf jeden Wink aus Friedrichsfelde. Als der<lb/>
Herzog von Braunſchweig im November durch Dresden kam, hielt er für<lb/>
Welfenpflicht, gegen Jedermann von der nahen Rückkehr des angeſtamm-<lb/>
ten Herrn zu ſprechen. Sofort bemerkte Geh. Rath Krüger, wie die<lb/>
Aufregung in der Reſidenz zunahm; „meine eigene Kanzlei, ſchrieb er<lb/>
dem Staatskanzler, zittert und bebt bei dieſer Ausſicht!“<noteplace="foot"n="***)">Krügers Bericht an Hardenberg, 29. November 1814.</note></p><lb/><p>Unterdeſſen tobte weithin durch das Lager des Rheinbundes, am<lb/>
Lauteſten in Baiern, ein erbitterter Federkrieg, deſſen bodenloſe Gemein-<lb/>
heit der Sachſe Karl von Noſtitz treffend als „pamphletiſtiſche Mord-<lb/>
brennerei“ bezeichnete. Dieſe Libelle, zumeiſt von den Cabinetten ſelber<lb/>
veranlaßt oder beeinflußt, haben nicht nur die Leidenſchaften des Tages<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[639/0655]
Sachſen unter preußiſcher Verwaltung.
neuen Steuern nur „unter Zuziehung einer aus der Nation gewählten
Ständeverſammlung“ aufzulegen und der Stadt in Friedenszeiten keine
Garniſon aufzudrängen. *) Weiter ging er nicht. Das gemeine Recht der
monarchiſchen Verwaltung konnte die oligarchiſchen Vorrechte nicht unbe-
rührt fortbeſtehen laſſen.
Gewiß ſind auch in Sachſen einzelne Mißgriffe vorgekommen; die
Erhebung aus der Enge der Kleinſtaaterei iſt noch in keiner unſerer neuen
Provinzen ganz ohne verletzende Härte geſchehen. Aber die Maſſe des
Volks blieb trotz ihrer unzweifelhaft particulariſtiſchen Geſinnung von
jedem Gedanken des Widerſtandes weit entfernt. Ein gründlicher Kenner
der Verhältniſſe, der Gouvernementscommiſſar von Zeſchau in Wittenberg,
der ſpätere ſächſiſche Finanzminiſter, erklärte freimüthig: man könne nicht
verlangen, „daß das ſächſiſche Volk einen Fürſten ganz vergeſſe, unter
deſſen Regierung es bis zum Jahre 1806 ganz glücklich lebte;“ doch die
Mäßigung der Regierung finde Anerkennung; ganz gewiß ſeien keine Un-
ruhen zu befürchten, das Volk werde ſich raſch in die neue Ordnung ein-
gewöhnen. **) Jedermann weiß, wie genau dieſe Weiſſagung bald nachher
in der nördlichen Hälfte des Landes ſich erfüllt hat. Doch weil es ſo ſtand,
weil die leichte Verſchmelzung des Landes mit dem preußiſchen Staate
außer Zweifel war, darum kämpfte die Adeliche Reſſource in Dresden,
der alte Sammelplatz des Hofadels und der Bureaukratie, mit leiden-
ſchaftlichem Eifer gegen den drohenden Untergang ihrer alten Herrlichkeit.
Die Förſter — faſt die einzigen Menſchen im Lande, denen ſich der alte
König, frei von dem Zwange der Etikette, in ſeiner menſchlichen Harm-
loſigkeit gezeigt hatte — beförderten eifrig die Briefe des Gefangenen und
ſeines Contino Marcolini. Die Ungewißheit der Zukunft gab der Wüh-
lerei des Junkerthums ſtets neue Nahrung. Man lauſchte angſtvoll auf
jede Nachricht aus Wien, auf jeden Wink aus Friedrichsfelde. Als der
Herzog von Braunſchweig im November durch Dresden kam, hielt er für
Welfenpflicht, gegen Jedermann von der nahen Rückkehr des angeſtamm-
ten Herrn zu ſprechen. Sofort bemerkte Geh. Rath Krüger, wie die
Aufregung in der Reſidenz zunahm; „meine eigene Kanzlei, ſchrieb er
dem Staatskanzler, zittert und bebt bei dieſer Ausſicht!“ ***)
Unterdeſſen tobte weithin durch das Lager des Rheinbundes, am
Lauteſten in Baiern, ein erbitterter Federkrieg, deſſen bodenloſe Gemein-
heit der Sachſe Karl von Noſtitz treffend als „pamphletiſtiſche Mord-
brennerei“ bezeichnete. Dieſe Libelle, zumeiſt von den Cabinetten ſelber
veranlaßt oder beeinflußt, haben nicht nur die Leidenſchaften des Tages
*) Hardenberg an Miltitz 12. December 1814, an Bülow 25. Januar 1815.
**) Schreiben Zeſchaus an den proviſoriſchen Chef der ſächſiſchen Polizei von Bülow
(18. November 1814).
***) Krügers Bericht an Hardenberg, 29. November 1814.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 639. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/655>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.