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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.

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Ergebniß für Preußen.
eingetauscht. Die Gegner hatten ihrer Schadenfreude kein Hehl. Nicht
zufrieden mit dem wirklich errungenen Erfolge sprengten sie das Märchen
aus, der preußische Staat habe sich widerwillig statt der südlichen Hälfte
von Sachsen die Rheinlande aufladen müssen, während doch Hardenbergs
Absichten von Haus aus zugleich auf Sachsen und das Rheinland ge-
richtet waren. Alle aber begegneten sich in der frohen Hoffnung, ein so
künstliches politisches Gebilde könne nicht dauern.

Und doch frohlockten Preußens Feinde zu früh. Das Künstliche
dieses Staatsbaues lag nicht darin, daß er zugleich die äußersten Marken
des Ostens und Westens beherrschte, sondern allein darin, daß er noch
nicht fertig war, daß jene Landschaften, welche die natürlichen Mittelglie-
der zwischen seinen Provinzen bildeten, ihm noch nicht angehörten. Trotz
aller Mißerfolge im Einzelnen hatte Preußen durch die Wiener Verhand-
lungen die Möglichkeit einer gesunden, kräftigen Fortbildung gewonnen. Die
Gefahr eines neuen Rheinbundes, die in Wien so drohend schien, wurde
durch Napoleons Rückkehr und abermalige Niederlage auf lange hinaus be-
seitigt. Die Schwäche der Bourbonen lag vor aller Augen; der von Preußen
so hartnäckig bekämpfte Einfluß Frankreichs auf die kleinen Höfe blieb in
der That während der nächsten Jahrzehnte sehr geringfügig. Und wie ganz
anders stand Deutschland jetzt dem unruhigen Nachbarvolke gegenüber, da
statt jener elenden, vom Versailler Hofe besoldeten geistlichen Fürsten der
norddeutsche Großstaat die Wacht am Rhein übernahm. Des lästigen
polnischen Besitzes ledig verwuchs er jetzt fester denn je mit dem deutschen
Leben; zu den jungen überelbischen Colonien traten die alten Culturlande
des Rheines mit ihren mächtigen Städten und ihrem entwickelten Gewerb-
fleiße hinzu. Es gab fortan kein deutsches Interesse mehr, das den preu-
ßischen Staat nicht im Innersten berührte. Er besaß, wie König Friedrich
Wilhelm sagte, kein Dorf anders als mit der Zustimmung des gesammten
Europas und gewann dadurch die Sicherheit, deren er bedurfte um seine
buntgemischten neuen Gebiete mit seinem Geist und Wesen zu durchdringen.
Wenn er diese unsäglich schwere Aufgabe löste, wenn er das schöne Wort
bewährte, das sein König in jenen Tagen aussprach: "Deutschland hat
gewonnen was Preußen erworben hat," dann konnte der halbe Erfolg
der Wiener Verhandlungen für ihn leicht ebenso segensreich werden wie
einst die diplomatische Niederlage des großen Kurfürsten auf dem West-
phälischen Friedenstage. Nicht aus Uebermuth wahrlich hatte Hardenberg
die Gegner gefragt: wollt Ihr Preußen durchaus zwingen nach neuen Ver-
größerungen zu streben? Nur die Gedankenlosigkeit der Hofburg und der
kleinen Staaten vermochte sich darüber zu täuschen, daß die neue Gestaltung
des preußischen Gebietes keine Dauer versprach, daß eine Großmacht in so
unnatürlicher Lage nicht verharren durfte. Die Hälfte Deutschlands ge-
horchte dem preußischen Scepter; war in dieser erst der deutsche Einheits-
staat fest und sicher begründet, so mußte früher oder später die Stunde

Ergebniß für Preußen.
eingetauſcht. Die Gegner hatten ihrer Schadenfreude kein Hehl. Nicht
zufrieden mit dem wirklich errungenen Erfolge ſprengten ſie das Märchen
aus, der preußiſche Staat habe ſich widerwillig ſtatt der ſüdlichen Hälfte
von Sachſen die Rheinlande aufladen müſſen, während doch Hardenbergs
Abſichten von Haus aus zugleich auf Sachſen und das Rheinland ge-
richtet waren. Alle aber begegneten ſich in der frohen Hoffnung, ein ſo
künſtliches politiſches Gebilde könne nicht dauern.

Und doch frohlockten Preußens Feinde zu früh. Das Künſtliche
dieſes Staatsbaues lag nicht darin, daß er zugleich die äußerſten Marken
des Oſtens und Weſtens beherrſchte, ſondern allein darin, daß er noch
nicht fertig war, daß jene Landſchaften, welche die natürlichen Mittelglie-
der zwiſchen ſeinen Provinzen bildeten, ihm noch nicht angehörten. Trotz
aller Mißerfolge im Einzelnen hatte Preußen durch die Wiener Verhand-
lungen die Möglichkeit einer geſunden, kräftigen Fortbildung gewonnen. Die
Gefahr eines neuen Rheinbundes, die in Wien ſo drohend ſchien, wurde
durch Napoleons Rückkehr und abermalige Niederlage auf lange hinaus be-
ſeitigt. Die Schwäche der Bourbonen lag vor aller Augen; der von Preußen
ſo hartnäckig bekämpfte Einfluß Frankreichs auf die kleinen Höfe blieb in
der That während der nächſten Jahrzehnte ſehr geringfügig. Und wie ganz
anders ſtand Deutſchland jetzt dem unruhigen Nachbarvolke gegenüber, da
ſtatt jener elenden, vom Verſailler Hofe beſoldeten geiſtlichen Fürſten der
norddeutſche Großſtaat die Wacht am Rhein übernahm. Des läſtigen
polniſchen Beſitzes ledig verwuchs er jetzt feſter denn je mit dem deutſchen
Leben; zu den jungen überelbiſchen Colonien traten die alten Culturlande
des Rheines mit ihren mächtigen Städten und ihrem entwickelten Gewerb-
fleiße hinzu. Es gab fortan kein deutſches Intereſſe mehr, das den preu-
ßiſchen Staat nicht im Innerſten berührte. Er beſaß, wie König Friedrich
Wilhelm ſagte, kein Dorf anders als mit der Zuſtimmung des geſammten
Europas und gewann dadurch die Sicherheit, deren er bedurfte um ſeine
buntgemiſchten neuen Gebiete mit ſeinem Geiſt und Weſen zu durchdringen.
Wenn er dieſe unſäglich ſchwere Aufgabe löſte, wenn er das ſchöne Wort
bewährte, das ſein König in jenen Tagen ausſprach: „Deutſchland hat
gewonnen was Preußen erworben hat,“ dann konnte der halbe Erfolg
der Wiener Verhandlungen für ihn leicht ebenſo ſegensreich werden wie
einſt die diplomatiſche Niederlage des großen Kurfürſten auf dem Weſt-
phäliſchen Friedenstage. Nicht aus Uebermuth wahrlich hatte Hardenberg
die Gegner gefragt: wollt Ihr Preußen durchaus zwingen nach neuen Ver-
größerungen zu ſtreben? Nur die Gedankenloſigkeit der Hofburg und der
kleinen Staaten vermochte ſich darüber zu täuſchen, daß die neue Geſtaltung
des preußiſchen Gebietes keine Dauer verſprach, daß eine Großmacht in ſo
unnatürlicher Lage nicht verharren durfte. Die Hälfte Deutſchlands ge-
horchte dem preußiſchen Scepter; war in dieſer erſt der deutſche Einheits-
ſtaat feſt und ſicher begründet, ſo mußte früher oder ſpäter die Stunde

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[671/0687] Ergebniß für Preußen. eingetauſcht. Die Gegner hatten ihrer Schadenfreude kein Hehl. Nicht zufrieden mit dem wirklich errungenen Erfolge ſprengten ſie das Märchen aus, der preußiſche Staat habe ſich widerwillig ſtatt der ſüdlichen Hälfte von Sachſen die Rheinlande aufladen müſſen, während doch Hardenbergs Abſichten von Haus aus zugleich auf Sachſen und das Rheinland ge- richtet waren. Alle aber begegneten ſich in der frohen Hoffnung, ein ſo künſtliches politiſches Gebilde könne nicht dauern. Und doch frohlockten Preußens Feinde zu früh. Das Künſtliche dieſes Staatsbaues lag nicht darin, daß er zugleich die äußerſten Marken des Oſtens und Weſtens beherrſchte, ſondern allein darin, daß er noch nicht fertig war, daß jene Landſchaften, welche die natürlichen Mittelglie- der zwiſchen ſeinen Provinzen bildeten, ihm noch nicht angehörten. Trotz aller Mißerfolge im Einzelnen hatte Preußen durch die Wiener Verhand- lungen die Möglichkeit einer geſunden, kräftigen Fortbildung gewonnen. Die Gefahr eines neuen Rheinbundes, die in Wien ſo drohend ſchien, wurde durch Napoleons Rückkehr und abermalige Niederlage auf lange hinaus be- ſeitigt. Die Schwäche der Bourbonen lag vor aller Augen; der von Preußen ſo hartnäckig bekämpfte Einfluß Frankreichs auf die kleinen Höfe blieb in der That während der nächſten Jahrzehnte ſehr geringfügig. Und wie ganz anders ſtand Deutſchland jetzt dem unruhigen Nachbarvolke gegenüber, da ſtatt jener elenden, vom Verſailler Hofe beſoldeten geiſtlichen Fürſten der norddeutſche Großſtaat die Wacht am Rhein übernahm. Des läſtigen polniſchen Beſitzes ledig verwuchs er jetzt feſter denn je mit dem deutſchen Leben; zu den jungen überelbiſchen Colonien traten die alten Culturlande des Rheines mit ihren mächtigen Städten und ihrem entwickelten Gewerb- fleiße hinzu. Es gab fortan kein deutſches Intereſſe mehr, das den preu- ßiſchen Staat nicht im Innerſten berührte. Er beſaß, wie König Friedrich Wilhelm ſagte, kein Dorf anders als mit der Zuſtimmung des geſammten Europas und gewann dadurch die Sicherheit, deren er bedurfte um ſeine buntgemiſchten neuen Gebiete mit ſeinem Geiſt und Weſen zu durchdringen. Wenn er dieſe unſäglich ſchwere Aufgabe löſte, wenn er das ſchöne Wort bewährte, das ſein König in jenen Tagen ausſprach: „Deutſchland hat gewonnen was Preußen erworben hat,“ dann konnte der halbe Erfolg der Wiener Verhandlungen für ihn leicht ebenſo ſegensreich werden wie einſt die diplomatiſche Niederlage des großen Kurfürſten auf dem Weſt- phäliſchen Friedenstage. Nicht aus Uebermuth wahrlich hatte Hardenberg die Gegner gefragt: wollt Ihr Preußen durchaus zwingen nach neuen Ver- größerungen zu ſtreben? Nur die Gedankenloſigkeit der Hofburg und der kleinen Staaten vermochte ſich darüber zu täuſchen, daß die neue Geſtaltung des preußiſchen Gebietes keine Dauer verſprach, daß eine Großmacht in ſo unnatürlicher Lage nicht verharren durfte. Die Hälfte Deutſchlands ge- horchte dem preußiſchen Scepter; war in dieſer erſt der deutſche Einheits- ſtaat feſt und ſicher begründet, ſo mußte früher oder ſpäter die Stunde

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 671. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/687>, abgerufen am 22.11.2024.