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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.

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Wiederaufnahme der Verhandlungen.
selber bei der Hofburg nicht durchsetzen konnte. Nach der Haltung, welche
die Mittelstaaten im Fünfer-Ausschuß und in den sächsischen Händeln
eingenommen hatten, schien es auch sehr zweifelhaft, ob ein Rath von
fünf, sieben oder zehn Staaten die executive Gewalt des Bundes ein-
trächtiger, wirksamer handhaben würde als ein aus allen Staaten gebil-
deter Bundestag.

Daher erwog Humboldt mit dem Staatskanzler schon im Januar
die Frage, ob man nicht, Angesichts der Verstimmung der Kleinstaaten,
besser thue die zwei Räthe fallen zu lassen und statt ihrer eine einzige
Bundesversammlung zu bilden, welche die laufenden Geschäfte in einem
engeren Rathe, wichtigere Fragen im Plenum zu erledigen hätte; in dem
Plenum sollten alle Staaten mindestens eine Stimme, die Mediatisirten
einige Curiatstimmen erhalten. Bei der grenzenlosen Eifersucht Aller
gegen Alle erschien die nahezu vollständige Parität als das einzige
Mittel um nur irgend eine Form bündischer Einheit zu erreichen. Die
beiden Staatsmänner entwarfen sodann eine Note an Metternich, baten
um die bestimmte Erklärung: ob der kaiserliche Hof die Kreisverfassung
endgiltig ablehne? und ob er die Bildung eines einfachen Bundestages,
statt der zwei Räthe, genehmige? Dann könne ein neuer Entwurf aus-
gearbeitet werden. Preußen sei zu jedem Zugeständniß bereit: "nur drei
Punkte sind es, von denen man nicht abgehen kann: eine kraftvolle
Kriegsgewalt, ein Bundesgericht und landständische, durch den Bundes-
vertrag gesicherte Verfassungen. Ohne das Bundesgericht würde es dem
Rechtsgebäude in Deutschland an dem letzten und nothwendigsten Schluß-
steine mangeln."*) Es waren dieselben drei Cardinalpunkte, welche Har-
denberg schon in Paris als die Hauptaufgaben der Bundesverfassung be-
zeichnet hatte.

Also quälten die treuen Patrioten sich ab an der hoffnungslosen
Arbeit. Preußen allein unter allen deutschen Staaten betrieb das deutsche
Verfassungswerk mit nachhaltigem Eifer; seine Staatsmänner wiesen jetzt
auch den einzigen Weg, der noch mindestens zu einer nothdürftigen Ver-
ständigung führen konnte. Seine Politik zeigte sich in Allem rechtschaffen
und ohne Hintergedanken, namentlich auch den Mediatisirten gegenüber,
die es wiederholt dankbar aussprachen, daß sie allein an der preußischen
Krone einen großmüthigen Beschützer fänden.**)

Um die Sache nur rasch wieder in Gang zu bringen, beschlossen die
preußischen Staatsmänner am 2. Februar, das Einzige was fertig vor-

*) Hardenberg und Humboldt, Entwurf einer Note an Fürst Metternich, die neue
Organisation des Bundestags betreffend. Das Concept ist undatirt, muß aber schon
im Januar geschrieben sein, da mehrere der darin enthaltenen Sätze wörtlich in der
preußischen Note vom 2./10. Februar wiederkehren.
**) Graf Solms-Laubach an Hardenberg, 4. April 1815, und viele andere ähnliche
Eingaben.
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Wiederaufnahme der Verhandlungen.
ſelber bei der Hofburg nicht durchſetzen konnte. Nach der Haltung, welche
die Mittelſtaaten im Fünfer-Ausſchuß und in den ſächſiſchen Händeln
eingenommen hatten, ſchien es auch ſehr zweifelhaft, ob ein Rath von
fünf, ſieben oder zehn Staaten die executive Gewalt des Bundes ein-
trächtiger, wirkſamer handhaben würde als ein aus allen Staaten gebil-
deter Bundestag.

Daher erwog Humboldt mit dem Staatskanzler ſchon im Januar
die Frage, ob man nicht, Angeſichts der Verſtimmung der Kleinſtaaten,
beſſer thue die zwei Räthe fallen zu laſſen und ſtatt ihrer eine einzige
Bundesverſammlung zu bilden, welche die laufenden Geſchäfte in einem
engeren Rathe, wichtigere Fragen im Plenum zu erledigen hätte; in dem
Plenum ſollten alle Staaten mindeſtens eine Stimme, die Mediatiſirten
einige Curiatſtimmen erhalten. Bei der grenzenloſen Eiferſucht Aller
gegen Alle erſchien die nahezu vollſtändige Parität als das einzige
Mittel um nur irgend eine Form bündiſcher Einheit zu erreichen. Die
beiden Staatsmänner entwarfen ſodann eine Note an Metternich, baten
um die beſtimmte Erklärung: ob der kaiſerliche Hof die Kreisverfaſſung
endgiltig ablehne? und ob er die Bildung eines einfachen Bundestages,
ſtatt der zwei Räthe, genehmige? Dann könne ein neuer Entwurf aus-
gearbeitet werden. Preußen ſei zu jedem Zugeſtändniß bereit: „nur drei
Punkte ſind es, von denen man nicht abgehen kann: eine kraftvolle
Kriegsgewalt, ein Bundesgericht und landſtändiſche, durch den Bundes-
vertrag geſicherte Verfaſſungen. Ohne das Bundesgericht würde es dem
Rechtsgebäude in Deutſchland an dem letzten und nothwendigſten Schluß-
ſteine mangeln.“*) Es waren dieſelben drei Cardinalpunkte, welche Har-
denberg ſchon in Paris als die Hauptaufgaben der Bundesverfaſſung be-
zeichnet hatte.

Alſo quälten die treuen Patrioten ſich ab an der hoffnungsloſen
Arbeit. Preußen allein unter allen deutſchen Staaten betrieb das deutſche
Verfaſſungswerk mit nachhaltigem Eifer; ſeine Staatsmänner wieſen jetzt
auch den einzigen Weg, der noch mindeſtens zu einer nothdürftigen Ver-
ſtändigung führen konnte. Seine Politik zeigte ſich in Allem rechtſchaffen
und ohne Hintergedanken, namentlich auch den Mediatiſirten gegenüber,
die es wiederholt dankbar ausſprachen, daß ſie allein an der preußiſchen
Krone einen großmüthigen Beſchützer fänden.**)

Um die Sache nur raſch wieder in Gang zu bringen, beſchloſſen die
preußiſchen Staatsmänner am 2. Februar, das Einzige was fertig vor-

*) Hardenberg und Humboldt, Entwurf einer Note an Fürſt Metternich, die neue
Organiſation des Bundestags betreffend. Das Concept iſt undatirt, muß aber ſchon
im Januar geſchrieben ſein, da mehrere der darin enthaltenen Sätze wörtlich in der
preußiſchen Note vom 2./10. Februar wiederkehren.
**) Graf Solms-Laubach an Hardenberg, 4. April 1815, und viele andere ähnliche
Eingaben.
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[691/0707] Wiederaufnahme der Verhandlungen. ſelber bei der Hofburg nicht durchſetzen konnte. Nach der Haltung, welche die Mittelſtaaten im Fünfer-Ausſchuß und in den ſächſiſchen Händeln eingenommen hatten, ſchien es auch ſehr zweifelhaft, ob ein Rath von fünf, ſieben oder zehn Staaten die executive Gewalt des Bundes ein- trächtiger, wirkſamer handhaben würde als ein aus allen Staaten gebil- deter Bundestag. Daher erwog Humboldt mit dem Staatskanzler ſchon im Januar die Frage, ob man nicht, Angeſichts der Verſtimmung der Kleinſtaaten, beſſer thue die zwei Räthe fallen zu laſſen und ſtatt ihrer eine einzige Bundesverſammlung zu bilden, welche die laufenden Geſchäfte in einem engeren Rathe, wichtigere Fragen im Plenum zu erledigen hätte; in dem Plenum ſollten alle Staaten mindeſtens eine Stimme, die Mediatiſirten einige Curiatſtimmen erhalten. Bei der grenzenloſen Eiferſucht Aller gegen Alle erſchien die nahezu vollſtändige Parität als das einzige Mittel um nur irgend eine Form bündiſcher Einheit zu erreichen. Die beiden Staatsmänner entwarfen ſodann eine Note an Metternich, baten um die beſtimmte Erklärung: ob der kaiſerliche Hof die Kreisverfaſſung endgiltig ablehne? und ob er die Bildung eines einfachen Bundestages, ſtatt der zwei Räthe, genehmige? Dann könne ein neuer Entwurf aus- gearbeitet werden. Preußen ſei zu jedem Zugeſtändniß bereit: „nur drei Punkte ſind es, von denen man nicht abgehen kann: eine kraftvolle Kriegsgewalt, ein Bundesgericht und landſtändiſche, durch den Bundes- vertrag geſicherte Verfaſſungen. Ohne das Bundesgericht würde es dem Rechtsgebäude in Deutſchland an dem letzten und nothwendigſten Schluß- ſteine mangeln.“ *) Es waren dieſelben drei Cardinalpunkte, welche Har- denberg ſchon in Paris als die Hauptaufgaben der Bundesverfaſſung be- zeichnet hatte. Alſo quälten die treuen Patrioten ſich ab an der hoffnungsloſen Arbeit. Preußen allein unter allen deutſchen Staaten betrieb das deutſche Verfaſſungswerk mit nachhaltigem Eifer; ſeine Staatsmänner wieſen jetzt auch den einzigen Weg, der noch mindeſtens zu einer nothdürftigen Ver- ſtändigung führen konnte. Seine Politik zeigte ſich in Allem rechtſchaffen und ohne Hintergedanken, namentlich auch den Mediatiſirten gegenüber, die es wiederholt dankbar ausſprachen, daß ſie allein an der preußiſchen Krone einen großmüthigen Beſchützer fänden. **) Um die Sache nur raſch wieder in Gang zu bringen, beſchloſſen die preußiſchen Staatsmänner am 2. Februar, das Einzige was fertig vor- *) Hardenberg und Humboldt, Entwurf einer Note an Fürſt Metternich, die neue Organiſation des Bundestags betreffend. Das Concept iſt undatirt, muß aber ſchon im Januar geſchrieben ſein, da mehrere der darin enthaltenen Sätze wörtlich in der preußiſchen Note vom 2./10. Februar wiederkehren. **) Graf Solms-Laubach an Hardenberg, 4. April 1815, und viele andere ähnliche Eingaben. 44*

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 691. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/707>, abgerufen am 22.11.2024.