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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.

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Abschluß der Bundesverfassung.
ihre Wurzeln haben sollte, genügten achtunddreißig deutsche Mächte. Da
ergab sich plötzlich, daß noch ein neununddreißigster Souverän vorhanden
war, der Landgraf von Hessen-Homburg. Den hatte man ganz vergessen;
doch da er zugleich k. k. Feldmarschallleutnant war, so durften die Deut-
schen hoffen, daß der Bundestag sich seiner noch erbarmen würde. --
Am Lautesten klagte der römische Stuhl. Cardinal Consalvi berief sich
in einer schwungvollen lateinischen Note auf jenen Nuntius Chigi, der
einst gegen den Westphälischen Frieden protestirt hatte, und legte Ver-
wahrung ein, weil weder das heilige römische Reich, dieser durch die Heilig-
keit des Glaubens geweihte Mittelpunkt der politischen Einheit, noch die
Macht der geistlichen Fürsten wiederhergestellt sei.

Nur damit der Bund gewiß das gesammte Deutschland umfasse
hatten die besser gesinnten Cabinette den letzten schweren Forderungen
Baierns nachgegeben, und dennoch war trotz allem Feilschen und Dingen
der Bund Aller nicht zu Stande gekommen. Wie einst Nordcarolina und
Rhode Island an der Begründung der zweiten Unionsverfassung Nordame-
rikas nicht theilnahmen, so blieben Baden und Württemberg der Stiftung
des Deutschen Bundes fern und traten erst bei als Napoleons Sturz
zum zweiten male entschieden war: Baden am 26. Juli, Württemberg
am 1. September. --

So entstand die Bundesacte, die unwürdigste Verfassung, welche je
einem großen Kulturvolke von eingeborenen Herrschern auferlegt ward,
ein Werk, in mancher Hinsicht noch kläglicher als das Gebäude des alten
Reichs in den Jahrhunderten des Niedergangs. Ihr fehlte jene Majestät
der historischen Größe, die das Reich der Ottonen noch im Verfalle um-
schwebte. Blank und neu stieg dies politische Gebilde aus der Grube,
das Werk einer kurzlebigen, in sich selbst verliebten Diplomatie, die aller
Erinnerungen des eigenen Volkes vergessen hatte; kein Rost der Jahr-
hunderte verhüllte die dürftige Häßlichkeit der Formen. Von Kaiser und
Reich sang und sagte das Volk; bei dem Namen des Deutschen Bundes
hat niemals ein deutsches Herz höher geschlagen. Unter den Bundes-
staaten hatten nur sechs der kleinsten ihren Besitzstand seit zwanzig Jahren
nicht verändert; selbst das geduldigste der Völker konnte an die Legitimität
einer zugleich so neuen und so willkürlichen Ländervertheilung nicht mehr
glauben. Dieselbe Fremdherrschaft, die das alte Reich zu Grunde ge-
richtet, belastete auch den neuen Bund. Oesterreichs Uebermacht hatte sich
seit den Tagen Friedrichs erheblich verstärkt, sie war jetzt um so schwerer
zu brechen, da sie ihren Einfluß mittelbar, ohne die herrischen Formen
des Kaiserthums ausübte. Die auswärtigen Diplomaten lächelten schaden-
froh: wie schön, daß wir Oesterreich und Preußen zusammengekoppelt
und dadurch geschwächt haben! Das alte Reichsrecht sprach doch noch
von einer deutschen Nation; die Vorstellung mindestens, daß alle Deut-
schen ihrem Kaiser treu, hold und gewärtig seien, war niemals ganz ver-

Treitschke, Dentsche Geschichte. I. 45

Abſchluß der Bundesverfaſſung.
ihre Wurzeln haben ſollte, genügten achtunddreißig deutſche Mächte. Da
ergab ſich plötzlich, daß noch ein neununddreißigſter Souverän vorhanden
war, der Landgraf von Heſſen-Homburg. Den hatte man ganz vergeſſen;
doch da er zugleich k. k. Feldmarſchallleutnant war, ſo durften die Deut-
ſchen hoffen, daß der Bundestag ſich ſeiner noch erbarmen würde. —
Am Lauteſten klagte der römiſche Stuhl. Cardinal Conſalvi berief ſich
in einer ſchwungvollen lateiniſchen Note auf jenen Nuntius Chigi, der
einſt gegen den Weſtphäliſchen Frieden proteſtirt hatte, und legte Ver-
wahrung ein, weil weder das heilige römiſche Reich, dieſer durch die Heilig-
keit des Glaubens geweihte Mittelpunkt der politiſchen Einheit, noch die
Macht der geiſtlichen Fürſten wiederhergeſtellt ſei.

Nur damit der Bund gewiß das geſammte Deutſchland umfaſſe
hatten die beſſer geſinnten Cabinette den letzten ſchweren Forderungen
Baierns nachgegeben, und dennoch war trotz allem Feilſchen und Dingen
der Bund Aller nicht zu Stande gekommen. Wie einſt Nordcarolina und
Rhode Island an der Begründung der zweiten Unionsverfaſſung Nordame-
rikas nicht theilnahmen, ſo blieben Baden und Württemberg der Stiftung
des Deutſchen Bundes fern und traten erſt bei als Napoleons Sturz
zum zweiten male entſchieden war: Baden am 26. Juli, Württemberg
am 1. September. —

So entſtand die Bundesacte, die unwürdigſte Verfaſſung, welche je
einem großen Kulturvolke von eingeborenen Herrſchern auferlegt ward,
ein Werk, in mancher Hinſicht noch kläglicher als das Gebäude des alten
Reichs in den Jahrhunderten des Niedergangs. Ihr fehlte jene Majeſtät
der hiſtoriſchen Größe, die das Reich der Ottonen noch im Verfalle um-
ſchwebte. Blank und neu ſtieg dies politiſche Gebilde aus der Grube,
das Werk einer kurzlebigen, in ſich ſelbſt verliebten Diplomatie, die aller
Erinnerungen des eigenen Volkes vergeſſen hatte; kein Roſt der Jahr-
hunderte verhüllte die dürftige Häßlichkeit der Formen. Von Kaiſer und
Reich ſang und ſagte das Volk; bei dem Namen des Deutſchen Bundes
hat niemals ein deutſches Herz höher geſchlagen. Unter den Bundes-
ſtaaten hatten nur ſechs der kleinſten ihren Beſitzſtand ſeit zwanzig Jahren
nicht verändert; ſelbſt das geduldigſte der Völker konnte an die Legitimität
einer zugleich ſo neuen und ſo willkürlichen Ländervertheilung nicht mehr
glauben. Dieſelbe Fremdherrſchaft, die das alte Reich zu Grunde ge-
richtet, belaſtete auch den neuen Bund. Oeſterreichs Uebermacht hatte ſich
ſeit den Tagen Friedrichs erheblich verſtärkt, ſie war jetzt um ſo ſchwerer
zu brechen, da ſie ihren Einfluß mittelbar, ohne die herriſchen Formen
des Kaiſerthums ausübte. Die auswärtigen Diplomaten lächelten ſchaden-
froh: wie ſchön, daß wir Oeſterreich und Preußen zuſammengekoppelt
und dadurch geſchwächt haben! Das alte Reichsrecht ſprach doch noch
von einer deutſchen Nation; die Vorſtellung mindeſtens, daß alle Deut-
ſchen ihrem Kaiſer treu, hold und gewärtig ſeien, war niemals ganz ver-

Treitſchke, Dentſche Geſchichte. I. 45
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[705/0721] Abſchluß der Bundesverfaſſung. ihre Wurzeln haben ſollte, genügten achtunddreißig deutſche Mächte. Da ergab ſich plötzlich, daß noch ein neununddreißigſter Souverän vorhanden war, der Landgraf von Heſſen-Homburg. Den hatte man ganz vergeſſen; doch da er zugleich k. k. Feldmarſchallleutnant war, ſo durften die Deut- ſchen hoffen, daß der Bundestag ſich ſeiner noch erbarmen würde. — Am Lauteſten klagte der römiſche Stuhl. Cardinal Conſalvi berief ſich in einer ſchwungvollen lateiniſchen Note auf jenen Nuntius Chigi, der einſt gegen den Weſtphäliſchen Frieden proteſtirt hatte, und legte Ver- wahrung ein, weil weder das heilige römiſche Reich, dieſer durch die Heilig- keit des Glaubens geweihte Mittelpunkt der politiſchen Einheit, noch die Macht der geiſtlichen Fürſten wiederhergeſtellt ſei. Nur damit der Bund gewiß das geſammte Deutſchland umfaſſe hatten die beſſer geſinnten Cabinette den letzten ſchweren Forderungen Baierns nachgegeben, und dennoch war trotz allem Feilſchen und Dingen der Bund Aller nicht zu Stande gekommen. Wie einſt Nordcarolina und Rhode Island an der Begründung der zweiten Unionsverfaſſung Nordame- rikas nicht theilnahmen, ſo blieben Baden und Württemberg der Stiftung des Deutſchen Bundes fern und traten erſt bei als Napoleons Sturz zum zweiten male entſchieden war: Baden am 26. Juli, Württemberg am 1. September. — So entſtand die Bundesacte, die unwürdigſte Verfaſſung, welche je einem großen Kulturvolke von eingeborenen Herrſchern auferlegt ward, ein Werk, in mancher Hinſicht noch kläglicher als das Gebäude des alten Reichs in den Jahrhunderten des Niedergangs. Ihr fehlte jene Majeſtät der hiſtoriſchen Größe, die das Reich der Ottonen noch im Verfalle um- ſchwebte. Blank und neu ſtieg dies politiſche Gebilde aus der Grube, das Werk einer kurzlebigen, in ſich ſelbſt verliebten Diplomatie, die aller Erinnerungen des eigenen Volkes vergeſſen hatte; kein Roſt der Jahr- hunderte verhüllte die dürftige Häßlichkeit der Formen. Von Kaiſer und Reich ſang und ſagte das Volk; bei dem Namen des Deutſchen Bundes hat niemals ein deutſches Herz höher geſchlagen. Unter den Bundes- ſtaaten hatten nur ſechs der kleinſten ihren Beſitzſtand ſeit zwanzig Jahren nicht verändert; ſelbſt das geduldigſte der Völker konnte an die Legitimität einer zugleich ſo neuen und ſo willkürlichen Ländervertheilung nicht mehr glauben. Dieſelbe Fremdherrſchaft, die das alte Reich zu Grunde ge- richtet, belaſtete auch den neuen Bund. Oeſterreichs Uebermacht hatte ſich ſeit den Tagen Friedrichs erheblich verſtärkt, ſie war jetzt um ſo ſchwerer zu brechen, da ſie ihren Einfluß mittelbar, ohne die herriſchen Formen des Kaiſerthums ausübte. Die auswärtigen Diplomaten lächelten ſchaden- froh: wie ſchön, daß wir Oeſterreich und Preußen zuſammengekoppelt und dadurch geſchwächt haben! Das alte Reichsrecht ſprach doch noch von einer deutſchen Nation; die Vorſtellung mindeſtens, daß alle Deut- ſchen ihrem Kaiſer treu, hold und gewärtig ſeien, war niemals ganz ver- Treitſchke, Dentſche Geſchichte. I. 45

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 705. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/721>, abgerufen am 22.11.2024.