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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.

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Napoleons Aechtung.
Land bis auf das letzte Dorf hatte räumen müssen. Der legitime Herrscher
saß als ein Fürst ohne Land in Gent, jetzt gänzlich unter dem Einfluß
der racheschnaubenden Emigrantenpartei; der geächtete Störer der öffent-
lichen Ruhe aber zeigte seinen gekrönten Herren Brüdern in friedfertigen
Briefen die unblutige Unterwerfung Frankreichs an und erbot sich sofort
den Pariser Vertrag anzuerkennen. Die Lage war mit einem Schlage
verändert, und die grollenden Whigs im Parlamente säumten nicht sie
auszubeuten: Whitebread und Burdett fragten in donnernden Reden,
ob England von Neuem bluten solle um einem freien Volke eine Regie-
rung aufzuzwingen, eine Dynastie, deren haltlose Schwäche sich so kläglich
offenbart habe?

Die Tory-Regierung fühlte, daß sie die Opposition beschwichtigen
mußte, und ließ daher in Wien erklären: der Prinzregent genehmige
zwar den Vertrag vom 25. März und werde Alles aufbieten um Buona-
parte zu bekämpfen, doch könne er sich nicht verpflichten den Franzosen
eine bestimmte Regierung aufzuerlegen. Oesterreich, Preußen und Ruß-
land erkannten am 9. Mai diese Auslegung des Vertrages als wohlbe-
gründet an und behielten sich ebenfalls freie Hand vor gegenüber der künf-
tigen Regierung Frankreichs. Sodann entspann sich in dem Comite der
acht Mächte eine langwierige Berathung über die Frage: ob nicht in
Folge der thatsächlichen Erfolge und der friedfertigen Zuschriften Buona-
partes eine neue veränderte Erklärung geboten sei. Die zu diesem Zwecke
ernannte Commission gelangte zu dem Schlusse, daß die Betheuerungen
des Usurpators keinen Glauben verdienten; sie behauptete in sehr ge-
mäßigten Worten: das Recht einer Nation ihre Regierungsform zu ver-
ändern sei nicht schrankenlos, sondern den Nachbarstaaten stehe die Befugniß
zu sich gegen den gemeingefährlichen Mißbrauch dieses Rechtes zu ver-
wahren; sie erinnerte an die allbekannte Thatsache, daß die Alliirten dem
besiegten Frankreich nur unter der ausdrücklichen Bedingung der Ent-
thronung des corsischen Friedensstörers einen milden Frieden gewährt
hätten, und erklärte scharf und treffend: "die förmliche Zustimmung der
französischen Nation zu der erneuten Thronbesteigung Buonapartes würde
einer Kriegserklärung gegen Europa gleichkommen." Diese förmliche Zustim-
mung der französischen Nation zu dem Gewaltstreiche des Usurpators er-
folgte in der That, fast im nämlichen Augenblicke da der Commissionsbericht
(am 12. Mai) dem Comite der Acht vorgelegt wurde. Die napoleonische
Zusatzacte ward der Nation zur allgemeinen Abstimmung vorgelegt; mehr
als 11/4 Millionen Stimmen erklärten sich dafür, kaum 5000 wagten
zu widersprechen, die große Mehrzahl hielt sich fern, ließ willenlos Alles
über sich ergehen. Damit hatte das französische Volk die Thronrevolu-
tion unzweifelhaft anerkannt, und für die acht Mächte ergab sich, nach
den eigenen Worten ihrer Commission, die Nothwendigkeit, nunmehr die
frühere, allein gegen die Person Buonapartes gerichtete Declaration fallen

Napoleons Aechtung.
Land bis auf das letzte Dorf hatte räumen müſſen. Der legitime Herrſcher
ſaß als ein Fürſt ohne Land in Gent, jetzt gänzlich unter dem Einfluß
der racheſchnaubenden Emigrantenpartei; der geächtete Störer der öffent-
lichen Ruhe aber zeigte ſeinen gekrönten Herren Brüdern in friedfertigen
Briefen die unblutige Unterwerfung Frankreichs an und erbot ſich ſofort
den Pariſer Vertrag anzuerkennen. Die Lage war mit einem Schlage
verändert, und die grollenden Whigs im Parlamente ſäumten nicht ſie
auszubeuten: Whitebread und Burdett fragten in donnernden Reden,
ob England von Neuem bluten ſolle um einem freien Volke eine Regie-
rung aufzuzwingen, eine Dynaſtie, deren haltloſe Schwäche ſich ſo kläglich
offenbart habe?

Die Tory-Regierung fühlte, daß ſie die Oppoſition beſchwichtigen
mußte, und ließ daher in Wien erklären: der Prinzregent genehmige
zwar den Vertrag vom 25. März und werde Alles aufbieten um Buona-
parte zu bekämpfen, doch könne er ſich nicht verpflichten den Franzoſen
eine beſtimmte Regierung aufzuerlegen. Oeſterreich, Preußen und Ruß-
land erkannten am 9. Mai dieſe Auslegung des Vertrages als wohlbe-
gründet an und behielten ſich ebenfalls freie Hand vor gegenüber der künf-
tigen Regierung Frankreichs. Sodann entſpann ſich in dem Comité der
acht Mächte eine langwierige Berathung über die Frage: ob nicht in
Folge der thatſächlichen Erfolge und der friedfertigen Zuſchriften Buona-
partes eine neue veränderte Erklärung geboten ſei. Die zu dieſem Zwecke
ernannte Commiſſion gelangte zu dem Schluſſe, daß die Betheuerungen
des Uſurpators keinen Glauben verdienten; ſie behauptete in ſehr ge-
mäßigten Worten: das Recht einer Nation ihre Regierungsform zu ver-
ändern ſei nicht ſchrankenlos, ſondern den Nachbarſtaaten ſtehe die Befugniß
zu ſich gegen den gemeingefährlichen Mißbrauch dieſes Rechtes zu ver-
wahren; ſie erinnerte an die allbekannte Thatſache, daß die Alliirten dem
beſiegten Frankreich nur unter der ausdrücklichen Bedingung der Ent-
thronung des corſiſchen Friedensſtörers einen milden Frieden gewährt
hätten, und erklärte ſcharf und treffend: „die förmliche Zuſtimmung der
franzöſiſchen Nation zu der erneuten Thronbeſteigung Buonapartes würde
einer Kriegserklärung gegen Europa gleichkommen.“ Dieſe förmliche Zuſtim-
mung der franzöſiſchen Nation zu dem Gewaltſtreiche des Uſurpators er-
folgte in der That, faſt im nämlichen Augenblicke da der Commiſſionsbericht
(am 12. Mai) dem Comité der Acht vorgelegt wurde. Die napoleoniſche
Zuſatzacte ward der Nation zur allgemeinen Abſtimmung vorgelegt; mehr
als 1¼ Millionen Stimmen erklärten ſich dafür, kaum 5000 wagten
zu widerſprechen, die große Mehrzahl hielt ſich fern, ließ willenlos Alles
über ſich ergehen. Damit hatte das franzöſiſche Volk die Thronrevolu-
tion unzweifelhaft anerkannt, und für die acht Mächte ergab ſich, nach
den eigenen Worten ihrer Commiſſion, die Nothwendigkeit, nunmehr die
frühere, allein gegen die Perſon Buonapartes gerichtete Declaration fallen

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[715/0731] Napoleons Aechtung. Land bis auf das letzte Dorf hatte räumen müſſen. Der legitime Herrſcher ſaß als ein Fürſt ohne Land in Gent, jetzt gänzlich unter dem Einfluß der racheſchnaubenden Emigrantenpartei; der geächtete Störer der öffent- lichen Ruhe aber zeigte ſeinen gekrönten Herren Brüdern in friedfertigen Briefen die unblutige Unterwerfung Frankreichs an und erbot ſich ſofort den Pariſer Vertrag anzuerkennen. Die Lage war mit einem Schlage verändert, und die grollenden Whigs im Parlamente ſäumten nicht ſie auszubeuten: Whitebread und Burdett fragten in donnernden Reden, ob England von Neuem bluten ſolle um einem freien Volke eine Regie- rung aufzuzwingen, eine Dynaſtie, deren haltloſe Schwäche ſich ſo kläglich offenbart habe? Die Tory-Regierung fühlte, daß ſie die Oppoſition beſchwichtigen mußte, und ließ daher in Wien erklären: der Prinzregent genehmige zwar den Vertrag vom 25. März und werde Alles aufbieten um Buona- parte zu bekämpfen, doch könne er ſich nicht verpflichten den Franzoſen eine beſtimmte Regierung aufzuerlegen. Oeſterreich, Preußen und Ruß- land erkannten am 9. Mai dieſe Auslegung des Vertrages als wohlbe- gründet an und behielten ſich ebenfalls freie Hand vor gegenüber der künf- tigen Regierung Frankreichs. Sodann entſpann ſich in dem Comité der acht Mächte eine langwierige Berathung über die Frage: ob nicht in Folge der thatſächlichen Erfolge und der friedfertigen Zuſchriften Buona- partes eine neue veränderte Erklärung geboten ſei. Die zu dieſem Zwecke ernannte Commiſſion gelangte zu dem Schluſſe, daß die Betheuerungen des Uſurpators keinen Glauben verdienten; ſie behauptete in ſehr ge- mäßigten Worten: das Recht einer Nation ihre Regierungsform zu ver- ändern ſei nicht ſchrankenlos, ſondern den Nachbarſtaaten ſtehe die Befugniß zu ſich gegen den gemeingefährlichen Mißbrauch dieſes Rechtes zu ver- wahren; ſie erinnerte an die allbekannte Thatſache, daß die Alliirten dem beſiegten Frankreich nur unter der ausdrücklichen Bedingung der Ent- thronung des corſiſchen Friedensſtörers einen milden Frieden gewährt hätten, und erklärte ſcharf und treffend: „die förmliche Zuſtimmung der franzöſiſchen Nation zu der erneuten Thronbeſteigung Buonapartes würde einer Kriegserklärung gegen Europa gleichkommen.“ Dieſe förmliche Zuſtim- mung der franzöſiſchen Nation zu dem Gewaltſtreiche des Uſurpators er- folgte in der That, faſt im nämlichen Augenblicke da der Commiſſionsbericht (am 12. Mai) dem Comité der Acht vorgelegt wurde. Die napoleoniſche Zuſatzacte ward der Nation zur allgemeinen Abſtimmung vorgelegt; mehr als 1¼ Millionen Stimmen erklärten ſich dafür, kaum 5000 wagten zu widerſprechen, die große Mehrzahl hielt ſich fern, ließ willenlos Alles über ſich ergehen. Damit hatte das franzöſiſche Volk die Thronrevolu- tion unzweifelhaft anerkannt, und für die acht Mächte ergab ſich, nach den eigenen Worten ihrer Commiſſion, die Nothwendigkeit, nunmehr die frühere, allein gegen die Perſon Buonapartes gerichtete Declaration fallen

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 715. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/731>, abgerufen am 22.11.2024.