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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.

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II. 2. Belle Alliance.
stolz dem schwer zu Befriedigenden genug zu thun; ein Tadel oder auch
nur ein Urtheil über die Maßregeln des Feldherrn wagte sich selbst im ver-
trauten Gespräche der Offiziere nicht heraus. Sie folgten seinen Befehlen
blindlings wie den unerforschlichen Rathschlüssen des Schicksals; selten einmal
würdigte er sie einer Ansprache und setzte dann in langsamer Rede, schwer-
fällig und unschön, aber bestimmt und deutlich seine Absichten auseinander.

Eine so unbedingte Abhängigkeit war nur möglich in den kleinen
Armeen der alten Zeit. In der That befand sich Wellington dann am
wohlsten, wenn er selber, wie die Landsknechtsführer des sechzehnten Jahr-
hunderts, die Frundsberg, Emser und Leyva, den persönlichen Mittel-
punkt des Heeres bildete, wenn er seine Regimenter in dicht gedrängter
Aufstellung eng um sich versammelt hielt und sie mit seinem Auge nahe-
zu übersah. Tief unter den hochadlichen Offizieren, die ihre Patente
durch Kauf erwarben, von ihnen getrennt durch eine unausfüllbare Kluft
stand die rohe Masse der Mannschaft, der Abschaum des englischen Volks,
wie Wellington selber sagte. Reicher Sold und gute Kost nebst der ent-
sprechenden Prügeltracht hielt diese Miethlinge zusammen. Wunderbares
vermochten die athletischen Körper mit ihrem altenglischen Boxermuthe,
ihrer Muskelkraft und Ausdauer zu leisten, wenn der Drillsergeant sie
einige Jahre lang unter seine Fuchtel genommen hatte; unwiderstehlich
wirkte der Bajonettangriff der Hünengestalten der Garde oder der wuchtige
Anprall der schweren Reiter auf ihren großen edlen Rossen. Aber wehe
der Stadt, die von diesen Truppen mit Sturm genommen ward wie das
unglückliche Badajoz; in dem Taumel des Sieges verlor die neunschwänzige
Katze ihre Schrecken, die Bande der Mannszucht zerrissen und entfesselt
rasten die Mordlust, die Raubgier, alle viehischen Begierden dahin. So
glich dies Heer einem großen, mit höchster Sicherheit arbeitenden Uhr-
werke und war doch mehr als eine Maschine; denn in dem Offizierscorps
lebten der ritterliche Anstand und der Nationalstolz des englischen Adels,
auch der brutale Soldat war nach so vielen glänzenden Erfolgen dem
nie besiegten Feldherrn ganz und gar ergeben, sah mit Selbstgefühl auf
seine ruhmreiche Fahne.

Wellington hatte in Spanien sein kleines Heer mit bedachtsamer
Umsicht geschont, nur von Zeit zu Zeit, wenn alle Anzeichen den Erfolg
verbürgten, einen kühnen Angriff gewagt, ohne je das Dasein seiner
Armee auf das Spiel zu setzen. Dem Imperator selber war er niemals
auf dem Schlachtfelde begegnet; die großartige, durch ungeheure Massen-
schläge den Sieg mit einem male erzwingende Kriegsweise Napoleons
blieb ihm unbekannt. Ganz unbefangen hielt er jene altväterisch bedacht-
same Kriegführung, die ihm selber in den ungewöhnlichen Verhältnissen
des spanischen Kriegsschauplatzes so große Erfolge bereitet hatte, für die
einzig richtige. Auf die Volksheere sah er mit der ganzen Verachtung
des Berufssoldaten herunter; sie waren ihm allesammt um nichts besser

II. 2. Belle Alliance.
ſtolz dem ſchwer zu Befriedigenden genug zu thun; ein Tadel oder auch
nur ein Urtheil über die Maßregeln des Feldherrn wagte ſich ſelbſt im ver-
trauten Geſpräche der Offiziere nicht heraus. Sie folgten ſeinen Befehlen
blindlings wie den unerforſchlichen Rathſchlüſſen des Schickſals; ſelten einmal
würdigte er ſie einer Anſprache und ſetzte dann in langſamer Rede, ſchwer-
fällig und unſchön, aber beſtimmt und deutlich ſeine Abſichten auseinander.

Eine ſo unbedingte Abhängigkeit war nur möglich in den kleinen
Armeen der alten Zeit. In der That befand ſich Wellington dann am
wohlſten, wenn er ſelber, wie die Landsknechtsführer des ſechzehnten Jahr-
hunderts, die Frundsberg, Emſer und Leyva, den perſönlichen Mittel-
punkt des Heeres bildete, wenn er ſeine Regimenter in dicht gedrängter
Aufſtellung eng um ſich verſammelt hielt und ſie mit ſeinem Auge nahe-
zu überſah. Tief unter den hochadlichen Offizieren, die ihre Patente
durch Kauf erwarben, von ihnen getrennt durch eine unausfüllbare Kluft
ſtand die rohe Maſſe der Mannſchaft, der Abſchaum des engliſchen Volks,
wie Wellington ſelber ſagte. Reicher Sold und gute Koſt nebſt der ent-
ſprechenden Prügeltracht hielt dieſe Miethlinge zuſammen. Wunderbares
vermochten die athletiſchen Körper mit ihrem altengliſchen Boxermuthe,
ihrer Muskelkraft und Ausdauer zu leiſten, wenn der Drillſergeant ſie
einige Jahre lang unter ſeine Fuchtel genommen hatte; unwiderſtehlich
wirkte der Bajonettangriff der Hünengeſtalten der Garde oder der wuchtige
Anprall der ſchweren Reiter auf ihren großen edlen Roſſen. Aber wehe
der Stadt, die von dieſen Truppen mit Sturm genommen ward wie das
unglückliche Badajoz; in dem Taumel des Sieges verlor die neunſchwänzige
Katze ihre Schrecken, die Bande der Mannszucht zerriſſen und entfeſſelt
raſten die Mordluſt, die Raubgier, alle viehiſchen Begierden dahin. So
glich dies Heer einem großen, mit höchſter Sicherheit arbeitenden Uhr-
werke und war doch mehr als eine Maſchine; denn in dem Offizierscorps
lebten der ritterliche Anſtand und der Nationalſtolz des engliſchen Adels,
auch der brutale Soldat war nach ſo vielen glänzenden Erfolgen dem
nie beſiegten Feldherrn ganz und gar ergeben, ſah mit Selbſtgefühl auf
ſeine ruhmreiche Fahne.

Wellington hatte in Spanien ſein kleines Heer mit bedachtſamer
Umſicht geſchont, nur von Zeit zu Zeit, wenn alle Anzeichen den Erfolg
verbürgten, einen kühnen Angriff gewagt, ohne je das Daſein ſeiner
Armee auf das Spiel zu ſetzen. Dem Imperator ſelber war er niemals
auf dem Schlachtfelde begegnet; die großartige, durch ungeheure Maſſen-
ſchläge den Sieg mit einem male erzwingende Kriegsweiſe Napoleons
blieb ihm unbekannt. Ganz unbefangen hielt er jene altväteriſch bedacht-
ſame Kriegführung, die ihm ſelber in den ungewöhnlichen Verhältniſſen
des ſpaniſchen Kriegsſchauplatzes ſo große Erfolge bereitet hatte, für die
einzig richtige. Auf die Volksheere ſah er mit der ganzen Verachtung
des Berufsſoldaten herunter; ſie waren ihm alleſammt um nichts beſſer

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[726/0742] II. 2. Belle Alliance. ſtolz dem ſchwer zu Befriedigenden genug zu thun; ein Tadel oder auch nur ein Urtheil über die Maßregeln des Feldherrn wagte ſich ſelbſt im ver- trauten Geſpräche der Offiziere nicht heraus. Sie folgten ſeinen Befehlen blindlings wie den unerforſchlichen Rathſchlüſſen des Schickſals; ſelten einmal würdigte er ſie einer Anſprache und ſetzte dann in langſamer Rede, ſchwer- fällig und unſchön, aber beſtimmt und deutlich ſeine Abſichten auseinander. Eine ſo unbedingte Abhängigkeit war nur möglich in den kleinen Armeen der alten Zeit. In der That befand ſich Wellington dann am wohlſten, wenn er ſelber, wie die Landsknechtsführer des ſechzehnten Jahr- hunderts, die Frundsberg, Emſer und Leyva, den perſönlichen Mittel- punkt des Heeres bildete, wenn er ſeine Regimenter in dicht gedrängter Aufſtellung eng um ſich verſammelt hielt und ſie mit ſeinem Auge nahe- zu überſah. Tief unter den hochadlichen Offizieren, die ihre Patente durch Kauf erwarben, von ihnen getrennt durch eine unausfüllbare Kluft ſtand die rohe Maſſe der Mannſchaft, der Abſchaum des engliſchen Volks, wie Wellington ſelber ſagte. Reicher Sold und gute Koſt nebſt der ent- ſprechenden Prügeltracht hielt dieſe Miethlinge zuſammen. Wunderbares vermochten die athletiſchen Körper mit ihrem altengliſchen Boxermuthe, ihrer Muskelkraft und Ausdauer zu leiſten, wenn der Drillſergeant ſie einige Jahre lang unter ſeine Fuchtel genommen hatte; unwiderſtehlich wirkte der Bajonettangriff der Hünengeſtalten der Garde oder der wuchtige Anprall der ſchweren Reiter auf ihren großen edlen Roſſen. Aber wehe der Stadt, die von dieſen Truppen mit Sturm genommen ward wie das unglückliche Badajoz; in dem Taumel des Sieges verlor die neunſchwänzige Katze ihre Schrecken, die Bande der Mannszucht zerriſſen und entfeſſelt raſten die Mordluſt, die Raubgier, alle viehiſchen Begierden dahin. So glich dies Heer einem großen, mit höchſter Sicherheit arbeitenden Uhr- werke und war doch mehr als eine Maſchine; denn in dem Offizierscorps lebten der ritterliche Anſtand und der Nationalſtolz des engliſchen Adels, auch der brutale Soldat war nach ſo vielen glänzenden Erfolgen dem nie beſiegten Feldherrn ganz und gar ergeben, ſah mit Selbſtgefühl auf ſeine ruhmreiche Fahne. Wellington hatte in Spanien ſein kleines Heer mit bedachtſamer Umſicht geſchont, nur von Zeit zu Zeit, wenn alle Anzeichen den Erfolg verbürgten, einen kühnen Angriff gewagt, ohne je das Daſein ſeiner Armee auf das Spiel zu ſetzen. Dem Imperator ſelber war er niemals auf dem Schlachtfelde begegnet; die großartige, durch ungeheure Maſſen- ſchläge den Sieg mit einem male erzwingende Kriegsweiſe Napoleons blieb ihm unbekannt. Ganz unbefangen hielt er jene altväteriſch bedacht- ſame Kriegführung, die ihm ſelber in den ungewöhnlichen Verhältniſſen des ſpaniſchen Kriegsſchauplatzes ſo große Erfolge bereitet hatte, für die einzig richtige. Auf die Volksheere ſah er mit der ganzen Verachtung des Berufsſoldaten herunter; ſie waren ihm alleſammt um nichts beſſer

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 726. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/742>, abgerufen am 22.11.2024.