rechtlich nicht geboten; nur aus freiem Willen sind die Eroberer bereit, die eine Hälfte des Landes an Friedrich August zurückzugeben, wenn er zuvor die Bewohner der anderen Hälfte ihres Eides entbunden und sich den Wiener Beschlüssen unterworfen hat; bis dahin verbleibt die Ver- waltung des ganzen Landes in Preußens Händen. Mit solchen Aufträgen traten am 12. März Metternich, Wellington und Talleyrand vor den Wettiner.
Als er trotzig die Wiederaufnahme der Verhandlungen verlangte, er- widerten sie in einer scharfen Note, "er verkenne gänzlich seine Lage." Talleyrand aber versicherte erhaben: Friedrich August habe "dem grau- samsten Feinde Deutschlands" gedient und verdiene darum keine Scho- nung! Das Hin- und Herzerren, das nun begann (von Unterhand- lungen kann man kaum reden), erregt höchstens ein pathologisches Inter- esse. Zwei Monate lang hielt der verblendete alte Mann die Mächte hin mit Entschädigungsforderungen für Warschau oder die Lausitz, mit Rechtsverwahrungen, Formbedenken und tausend armseligen Quälereien. Erst am 18. Mai kam der Friede zwischen Preußen und Sachsen zu Stande, genau nach den Beschlüssen des Comites der Fünf. An den Höfen regte sich der Verdacht, Friedrich August suche absichtlich die Ver- handlungen hinzuziehen, bis ein neuer Sieg Napoleons den Albertinern ihre alte Macht zurückgäbe. Die Vermuthung lag sehr nahe. Der Dresdner Pöbel, der mit blauem wie der mit rothem Blute, jubelte dem rückkehrenden Großen Alliirten entgegen; damals wie im Jahre 1866 fand das Ehrgefühl dieser Kreise seinen getreuen Ausdruck in dem Vers- lein: "Preußischer Kukuk, warte! Uns hilft Bonaparte!" Der Hof in Preßburg dachte doch anders; die Rückkehr der napoleonischen Herrschaft war dem alten Könige in jenem Augenblicke unwillkommen, weil sie ihn des Beistandes seiner mächtigen Beschützer beraubte. Der mühselige Gang der letzten Verhandlungen erklärt sich genugsam aus der legitimistischen Starrheit und der pedantischen Formenseligkeit des Albertiners. Was verschlug es dem kleinköniglichen Stolze, wenn die unleidlichen proviso- rischen Zustände in dem armen Lande, das seit anderthalb Jahren nicht mehr zur Ruhe gekommen, noch um einige Monate verlängert wurden?
Derselben Gesinnung begegnete das preußische General-Gouvernement bei den sächsischen Beamten. Die obersten Behörden widersetzten sich hart- näckig, als die in Folge der Theilung unvermeidliche Absonderung der Archive und Registraturen anbefohlen wurde; man ging so weit, sogar Rechnungs-Ablegung von dem General-Gouvernement zu verlangen. Das Dresdner Geheime Consilium behauptete in einem höchst possirlichen band- wurmartigen Schriftstücke*) "die Ohnmöglichkeit, ohne allerseitiges Einver- ständniß" die Theilung durchzuführen, und berief sich auf die Parlaments-
*) v. 31. März, eingetragen als "Nr. 6 der ausländischen Registrande".
II. 2. Belle Alliance.
rechtlich nicht geboten; nur aus freiem Willen ſind die Eroberer bereit, die eine Hälfte des Landes an Friedrich Auguſt zurückzugeben, wenn er zuvor die Bewohner der anderen Hälfte ihres Eides entbunden und ſich den Wiener Beſchlüſſen unterworfen hat; bis dahin verbleibt die Ver- waltung des ganzen Landes in Preußens Händen. Mit ſolchen Aufträgen traten am 12. März Metternich, Wellington und Talleyrand vor den Wettiner.
Als er trotzig die Wiederaufnahme der Verhandlungen verlangte, er- widerten ſie in einer ſcharfen Note, „er verkenne gänzlich ſeine Lage.“ Talleyrand aber verſicherte erhaben: Friedrich Auguſt habe „dem grau- ſamſten Feinde Deutſchlands“ gedient und verdiene darum keine Scho- nung! Das Hin- und Herzerren, das nun begann (von Unterhand- lungen kann man kaum reden), erregt höchſtens ein pathologiſches Inter- eſſe. Zwei Monate lang hielt der verblendete alte Mann die Mächte hin mit Entſchädigungsforderungen für Warſchau oder die Lauſitz, mit Rechtsverwahrungen, Formbedenken und tauſend armſeligen Quälereien. Erſt am 18. Mai kam der Friede zwiſchen Preußen und Sachſen zu Stande, genau nach den Beſchlüſſen des Comités der Fünf. An den Höfen regte ſich der Verdacht, Friedrich Auguſt ſuche abſichtlich die Ver- handlungen hinzuziehen, bis ein neuer Sieg Napoleons den Albertinern ihre alte Macht zurückgäbe. Die Vermuthung lag ſehr nahe. Der Dresdner Pöbel, der mit blauem wie der mit rothem Blute, jubelte dem rückkehrenden Großen Alliirten entgegen; damals wie im Jahre 1866 fand das Ehrgefühl dieſer Kreiſe ſeinen getreuen Ausdruck in dem Vers- lein: „Preußiſcher Kukuk, warte! Uns hilft Bonaparte!“ Der Hof in Preßburg dachte doch anders; die Rückkehr der napoleoniſchen Herrſchaft war dem alten Könige in jenem Augenblicke unwillkommen, weil ſie ihn des Beiſtandes ſeiner mächtigen Beſchützer beraubte. Der mühſelige Gang der letzten Verhandlungen erklärt ſich genugſam aus der legitimiſtiſchen Starrheit und der pedantiſchen Formenſeligkeit des Albertiners. Was verſchlug es dem kleinköniglichen Stolze, wenn die unleidlichen proviſo- riſchen Zuſtände in dem armen Lande, das ſeit anderthalb Jahren nicht mehr zur Ruhe gekommen, noch um einige Monate verlängert wurden?
Derſelben Geſinnung begegnete das preußiſche General-Gouvernement bei den ſächſiſchen Beamten. Die oberſten Behörden widerſetzten ſich hart- näckig, als die in Folge der Theilung unvermeidliche Abſonderung der Archive und Regiſtraturen anbefohlen wurde; man ging ſo weit, ſogar Rechnungs-Ablegung von dem General-Gouvernement zu verlangen. Das Dresdner Geheime Conſilium behauptete in einem höchſt poſſirlichen band- wurmartigen Schriftſtücke*) „die Ohnmöglichkeit, ohne allerſeitiges Einver- ſtändniß“ die Theilung durchzuführen, und berief ſich auf die Parlaments-
*) v. 31. März, eingetragen als „Nr. 6 der ausländiſchen Regiſtrande“.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0746"n="730"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#aq">II.</hi> 2. Belle Alliance.</fw><lb/>
rechtlich nicht geboten; nur aus freiem Willen ſind die Eroberer bereit,<lb/>
die eine Hälfte des Landes an Friedrich Auguſt zurückzugeben, wenn er<lb/>
zuvor die Bewohner der anderen Hälfte ihres Eides entbunden und ſich<lb/>
den Wiener Beſchlüſſen unterworfen hat; bis dahin verbleibt die Ver-<lb/>
waltung des ganzen Landes in Preußens Händen. Mit ſolchen Aufträgen<lb/>
traten am 12. März Metternich, Wellington und Talleyrand vor den<lb/>
Wettiner.</p><lb/><p>Als er trotzig die Wiederaufnahme der Verhandlungen verlangte, er-<lb/>
widerten ſie in einer ſcharfen Note, „er verkenne gänzlich ſeine Lage.“<lb/>
Talleyrand aber verſicherte erhaben: Friedrich Auguſt habe „dem grau-<lb/>ſamſten Feinde Deutſchlands“ gedient und verdiene darum keine Scho-<lb/>
nung! Das Hin- und Herzerren, das nun begann (von Unterhand-<lb/>
lungen kann man kaum reden), erregt höchſtens ein pathologiſches Inter-<lb/>
eſſe. Zwei Monate lang hielt der verblendete alte Mann die Mächte<lb/>
hin mit Entſchädigungsforderungen für Warſchau oder die Lauſitz, mit<lb/>
Rechtsverwahrungen, Formbedenken und tauſend armſeligen Quälereien.<lb/>
Erſt am 18. Mai kam der Friede zwiſchen Preußen und Sachſen zu<lb/>
Stande, genau nach den Beſchlüſſen des Comit<hirendition="#aq">é</hi>s der Fünf. An den<lb/>
Höfen regte ſich der Verdacht, Friedrich Auguſt ſuche abſichtlich die Ver-<lb/>
handlungen hinzuziehen, bis ein neuer Sieg Napoleons den Albertinern<lb/>
ihre alte Macht zurückgäbe. Die Vermuthung lag ſehr nahe. Der<lb/>
Dresdner Pöbel, der mit blauem wie der mit rothem Blute, jubelte dem<lb/>
rückkehrenden Großen Alliirten entgegen; damals wie im Jahre 1866<lb/>
fand das Ehrgefühl dieſer Kreiſe ſeinen getreuen Ausdruck in dem Vers-<lb/>
lein: „Preußiſcher Kukuk, warte! Uns hilft Bonaparte!“ Der Hof in<lb/>
Preßburg dachte doch anders; die Rückkehr der napoleoniſchen Herrſchaft<lb/>
war dem alten Könige in jenem Augenblicke unwillkommen, weil ſie ihn<lb/>
des Beiſtandes ſeiner mächtigen Beſchützer beraubte. Der mühſelige Gang<lb/>
der letzten Verhandlungen erklärt ſich genugſam aus der legitimiſtiſchen<lb/>
Starrheit und der pedantiſchen Formenſeligkeit des Albertiners. Was<lb/>
verſchlug es dem kleinköniglichen Stolze, wenn die unleidlichen proviſo-<lb/>
riſchen Zuſtände in dem armen Lande, das ſeit anderthalb Jahren nicht<lb/>
mehr zur Ruhe gekommen, noch um einige Monate verlängert wurden?</p><lb/><p>Derſelben Geſinnung begegnete das preußiſche General-Gouvernement<lb/>
bei den ſächſiſchen Beamten. Die oberſten Behörden widerſetzten ſich hart-<lb/>
näckig, als die in Folge der Theilung unvermeidliche Abſonderung der<lb/>
Archive und Regiſtraturen anbefohlen wurde; man ging ſo weit, ſogar<lb/>
Rechnungs-Ablegung von dem General-Gouvernement zu verlangen. Das<lb/>
Dresdner Geheime Conſilium behauptete in einem höchſt poſſirlichen band-<lb/>
wurmartigen Schriftſtücke<noteplace="foot"n="*)">v. 31. März, eingetragen als „Nr. 6 der ausländiſchen Regiſtrande“.</note>„die Ohnmöglichkeit, ohne allerſeitiges Einver-<lb/>ſtändniß“ die Theilung durchzuführen, und berief ſich auf die Parlaments-<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[730/0746]
II. 2. Belle Alliance.
rechtlich nicht geboten; nur aus freiem Willen ſind die Eroberer bereit,
die eine Hälfte des Landes an Friedrich Auguſt zurückzugeben, wenn er
zuvor die Bewohner der anderen Hälfte ihres Eides entbunden und ſich
den Wiener Beſchlüſſen unterworfen hat; bis dahin verbleibt die Ver-
waltung des ganzen Landes in Preußens Händen. Mit ſolchen Aufträgen
traten am 12. März Metternich, Wellington und Talleyrand vor den
Wettiner.
Als er trotzig die Wiederaufnahme der Verhandlungen verlangte, er-
widerten ſie in einer ſcharfen Note, „er verkenne gänzlich ſeine Lage.“
Talleyrand aber verſicherte erhaben: Friedrich Auguſt habe „dem grau-
ſamſten Feinde Deutſchlands“ gedient und verdiene darum keine Scho-
nung! Das Hin- und Herzerren, das nun begann (von Unterhand-
lungen kann man kaum reden), erregt höchſtens ein pathologiſches Inter-
eſſe. Zwei Monate lang hielt der verblendete alte Mann die Mächte
hin mit Entſchädigungsforderungen für Warſchau oder die Lauſitz, mit
Rechtsverwahrungen, Formbedenken und tauſend armſeligen Quälereien.
Erſt am 18. Mai kam der Friede zwiſchen Preußen und Sachſen zu
Stande, genau nach den Beſchlüſſen des Comités der Fünf. An den
Höfen regte ſich der Verdacht, Friedrich Auguſt ſuche abſichtlich die Ver-
handlungen hinzuziehen, bis ein neuer Sieg Napoleons den Albertinern
ihre alte Macht zurückgäbe. Die Vermuthung lag ſehr nahe. Der
Dresdner Pöbel, der mit blauem wie der mit rothem Blute, jubelte dem
rückkehrenden Großen Alliirten entgegen; damals wie im Jahre 1866
fand das Ehrgefühl dieſer Kreiſe ſeinen getreuen Ausdruck in dem Vers-
lein: „Preußiſcher Kukuk, warte! Uns hilft Bonaparte!“ Der Hof in
Preßburg dachte doch anders; die Rückkehr der napoleoniſchen Herrſchaft
war dem alten Könige in jenem Augenblicke unwillkommen, weil ſie ihn
des Beiſtandes ſeiner mächtigen Beſchützer beraubte. Der mühſelige Gang
der letzten Verhandlungen erklärt ſich genugſam aus der legitimiſtiſchen
Starrheit und der pedantiſchen Formenſeligkeit des Albertiners. Was
verſchlug es dem kleinköniglichen Stolze, wenn die unleidlichen proviſo-
riſchen Zuſtände in dem armen Lande, das ſeit anderthalb Jahren nicht
mehr zur Ruhe gekommen, noch um einige Monate verlängert wurden?
Derſelben Geſinnung begegnete das preußiſche General-Gouvernement
bei den ſächſiſchen Beamten. Die oberſten Behörden widerſetzten ſich hart-
näckig, als die in Folge der Theilung unvermeidliche Abſonderung der
Archive und Regiſtraturen anbefohlen wurde; man ging ſo weit, ſogar
Rechnungs-Ablegung von dem General-Gouvernement zu verlangen. Das
Dresdner Geheime Conſilium behauptete in einem höchſt poſſirlichen band-
wurmartigen Schriftſtücke *) „die Ohnmöglichkeit, ohne allerſeitiges Einver-
ſtändniß“ die Theilung durchzuführen, und berief ſich auf die Parlaments-
*) v. 31. März, eingetragen als „Nr. 6 der ausländiſchen Regiſtrande“.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 730. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/746>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.