auch ein vive l'empereur erklang. Die beiden Generale, welche in der Armee mit Recht des höchsten Ansehens genossen, Zeschau und Le Coq, waren strenge Legitimisten und durften deshalb nicht bei den Truppen bleiben. Das Commando des Corps wurde durch einen argen Mißgriff dem General Thielmann anvertraut, der seinen alten Kameraden als ein Deserteur verdächtig war; und er verstärkte diese Mißgunst, indem er nach seiner schauspielerischen Weise, mit unmilitärischer Redseligkeit durch Trinksprüche und Anreden die Offiziere für Preußen zu gewinnen suchte. Da aus Wien die Nachricht von der Theilung des Landes kam, forderte er sofort eigenmächtig seine Kameraden auf, zwischen dem preußischen und dem sächsischen Dienste zu wählen; darauf neuer Zwist unter den Offi- zieren, steigendes Mißtrauen unter der Mannschaft. So hat der General durch sein taktlos zudringliches Benehmen die Lockerung der Mannszucht in der kleinen Armee unbestreitbar mitverschuldet.
Diese heillosen Wirren zu beendigen war für den König von Preußen unerläßliche Pflicht. Boyen sah schon im März unruhige Auftritte unter den sächsischen Truppen voraus. Durfte man sie in ihrem unfertigen Zustande belassen bis zu dem ganz unabsehbaren Zeitpunkte, da es dem Albertiner gefallen würde seinen thörichten Widerstand aufzugeben? Der König befahl daher am 14. März dem General Gneisenau ungesäumt aus den dem preußischen Antheile angehörigen Mannschaften neue Re- gimenter zu bilden: "ich werde mich freuen, von jetzt an nie einen Unter- schied zwischen meinen älteren Regimentern und ihnen zu machen."*) Den Offizieren blieb die Wahl des Dienstes freigestellt. Die Gewissen- haftigkeit des Königs ließ sich nicht ein auf die peinliche Frage, ob der alte Fahneneid der Sachsen nicht durch ihren Uebertritt zu den Verbün- deten aufgehoben sei. Er befahl einfach eine neue Formation der säch- sischen Regimenter, wozu er unzweifelhaft befugt war, und wollte die Ver- eidigung der an Preußen kommenden Truppentheile so lange vertagen, bis Friedrich August sie des alten Eides entbunden hätte. Am 1. April schärfte Hardenberg dem General Gneisenau den königlichen Befehl noch- mals ein, da nach dem Gange der Verhandlungen an der schließlichen Zustimmung des Wettiners nicht zu zweifeln sei. Die Mächte in Wien waren mit dem Verfahren des Staatskanzlers einverstanden; sie beschlossen die bei der Krone Sachsen verbleibenden Regimenter der Armee Wellingtons zuzutheilen. Die preußischen Generale schoben dann die Ausführung scho- nend noch um einige Wochen hinaus. Um den Sachsen sein Vertrauen zu zeigen nahm Blücher in Lüttich mitten unter ihnen sein Hauptquartier. Aber seine herzliche Ansprache fand taube Ohren; der Groll der Truppen stieg von Tag zu Tag, die ganz bonapartistisch gesinnten Quartierwirthe des Lütticher Landes regten die Verblendeten noch mehr auf.
*) Cabinetsordre an Gneisenau 14. März 1815.
II. 2. Belle Alliance.
auch ein vive l’empereur erklang. Die beiden Generale, welche in der Armee mit Recht des höchſten Anſehens genoſſen, Zeſchau und Le Coq, waren ſtrenge Legitimiſten und durften deshalb nicht bei den Truppen bleiben. Das Commando des Corps wurde durch einen argen Mißgriff dem General Thielmann anvertraut, der ſeinen alten Kameraden als ein Deſerteur verdächtig war; und er verſtärkte dieſe Mißgunſt, indem er nach ſeiner ſchauſpieleriſchen Weiſe, mit unmilitäriſcher Redſeligkeit durch Trinkſprüche und Anreden die Offiziere für Preußen zu gewinnen ſuchte. Da aus Wien die Nachricht von der Theilung des Landes kam, forderte er ſofort eigenmächtig ſeine Kameraden auf, zwiſchen dem preußiſchen und dem ſächſiſchen Dienſte zu wählen; darauf neuer Zwiſt unter den Offi- zieren, ſteigendes Mißtrauen unter der Mannſchaft. So hat der General durch ſein taktlos zudringliches Benehmen die Lockerung der Mannszucht in der kleinen Armee unbeſtreitbar mitverſchuldet.
Dieſe heilloſen Wirren zu beendigen war für den König von Preußen unerläßliche Pflicht. Boyen ſah ſchon im März unruhige Auftritte unter den ſächſiſchen Truppen voraus. Durfte man ſie in ihrem unfertigen Zuſtande belaſſen bis zu dem ganz unabſehbaren Zeitpunkte, da es dem Albertiner gefallen würde ſeinen thörichten Widerſtand aufzugeben? Der König befahl daher am 14. März dem General Gneiſenau ungeſäumt aus den dem preußiſchen Antheile angehörigen Mannſchaften neue Re- gimenter zu bilden: „ich werde mich freuen, von jetzt an nie einen Unter- ſchied zwiſchen meinen älteren Regimentern und ihnen zu machen.“*) Den Offizieren blieb die Wahl des Dienſtes freigeſtellt. Die Gewiſſen- haftigkeit des Königs ließ ſich nicht ein auf die peinliche Frage, ob der alte Fahneneid der Sachſen nicht durch ihren Uebertritt zu den Verbün- deten aufgehoben ſei. Er befahl einfach eine neue Formation der ſäch- ſiſchen Regimenter, wozu er unzweifelhaft befugt war, und wollte die Ver- eidigung der an Preußen kommenden Truppentheile ſo lange vertagen, bis Friedrich Auguſt ſie des alten Eides entbunden hätte. Am 1. April ſchärfte Hardenberg dem General Gneiſenau den königlichen Befehl noch- mals ein, da nach dem Gange der Verhandlungen an der ſchließlichen Zuſtimmung des Wettiners nicht zu zweifeln ſei. Die Mächte in Wien waren mit dem Verfahren des Staatskanzlers einverſtanden; ſie beſchloſſen die bei der Krone Sachſen verbleibenden Regimenter der Armee Wellingtons zuzutheilen. Die preußiſchen Generale ſchoben dann die Ausführung ſcho- nend noch um einige Wochen hinaus. Um den Sachſen ſein Vertrauen zu zeigen nahm Blücher in Lüttich mitten unter ihnen ſein Hauptquartier. Aber ſeine herzliche Anſprache fand taube Ohren; der Groll der Truppen ſtieg von Tag zu Tag, die ganz bonapartiſtiſch geſinnten Quartierwirthe des Lütticher Landes regten die Verblendeten noch mehr auf.
*) Cabinetsordre an Gneiſenau 14. März 1815.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0748"n="732"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#aq">II.</hi> 2. Belle Alliance.</fw><lb/>
auch ein <hirendition="#aq">vive l’empereur</hi> erklang. Die beiden Generale, welche in der<lb/>
Armee mit Recht des höchſten Anſehens genoſſen, Zeſchau und Le Coq,<lb/>
waren ſtrenge Legitimiſten und durften deshalb nicht bei den Truppen<lb/>
bleiben. Das Commando des Corps wurde durch einen argen Mißgriff<lb/>
dem General Thielmann anvertraut, der ſeinen alten Kameraden als ein<lb/>
Deſerteur verdächtig war; und er verſtärkte dieſe Mißgunſt, indem er<lb/>
nach ſeiner ſchauſpieleriſchen Weiſe, mit unmilitäriſcher Redſeligkeit durch<lb/>
Trinkſprüche und Anreden die Offiziere für Preußen zu gewinnen ſuchte.<lb/>
Da aus Wien die Nachricht von der Theilung des Landes kam, forderte<lb/>
er ſofort eigenmächtig ſeine Kameraden auf, zwiſchen dem preußiſchen und<lb/>
dem ſächſiſchen Dienſte zu wählen; darauf neuer Zwiſt unter den Offi-<lb/>
zieren, ſteigendes Mißtrauen unter der Mannſchaft. So hat der General<lb/>
durch ſein taktlos zudringliches Benehmen die Lockerung der Mannszucht<lb/>
in der kleinen Armee unbeſtreitbar mitverſchuldet.</p><lb/><p>Dieſe heilloſen Wirren zu beendigen war für den König von Preußen<lb/>
unerläßliche Pflicht. Boyen ſah ſchon im März unruhige Auftritte unter<lb/>
den ſächſiſchen Truppen voraus. Durfte man ſie in ihrem unfertigen<lb/>
Zuſtande belaſſen bis zu dem ganz unabſehbaren Zeitpunkte, da es dem<lb/>
Albertiner gefallen würde ſeinen thörichten Widerſtand aufzugeben? Der<lb/>
König befahl daher am 14. März dem General Gneiſenau ungeſäumt<lb/>
aus den dem preußiſchen Antheile angehörigen Mannſchaften neue Re-<lb/>
gimenter zu bilden: „ich werde mich freuen, von jetzt an nie einen Unter-<lb/>ſchied zwiſchen meinen älteren Regimentern und ihnen zu machen.“<noteplace="foot"n="*)">Cabinetsordre an Gneiſenau 14. März 1815.</note><lb/>
Den Offizieren blieb die Wahl des Dienſtes freigeſtellt. Die Gewiſſen-<lb/>
haftigkeit des Königs ließ ſich nicht ein auf die peinliche Frage, ob der<lb/>
alte Fahneneid der Sachſen nicht durch ihren Uebertritt zu den Verbün-<lb/>
deten aufgehoben ſei. Er befahl einfach eine neue Formation der ſäch-<lb/>ſiſchen Regimenter, wozu er unzweifelhaft befugt war, und wollte die Ver-<lb/>
eidigung der an Preußen kommenden Truppentheile ſo lange vertagen,<lb/>
bis Friedrich Auguſt ſie des alten Eides entbunden hätte. Am 1. April<lb/>ſchärfte Hardenberg dem General Gneiſenau den königlichen Befehl noch-<lb/>
mals ein, da nach dem Gange der Verhandlungen an der ſchließlichen<lb/>
Zuſtimmung des Wettiners nicht zu zweifeln ſei. Die Mächte in Wien<lb/>
waren mit dem Verfahren des Staatskanzlers einverſtanden; ſie beſchloſſen<lb/>
die bei der Krone Sachſen verbleibenden Regimenter der Armee Wellingtons<lb/>
zuzutheilen. Die preußiſchen Generale ſchoben dann die Ausführung ſcho-<lb/>
nend noch um einige Wochen hinaus. Um den Sachſen ſein Vertrauen<lb/>
zu zeigen nahm Blücher in Lüttich mitten unter ihnen ſein Hauptquartier.<lb/>
Aber ſeine herzliche Anſprache fand taube Ohren; der Groll der Truppen<lb/>ſtieg von Tag zu Tag, die ganz bonapartiſtiſch geſinnten Quartierwirthe<lb/>
des Lütticher Landes regten die Verblendeten noch mehr auf.</p><lb/></div></div></div></body></text></TEI>
[732/0748]
II. 2. Belle Alliance.
auch ein vive l’empereur erklang. Die beiden Generale, welche in der
Armee mit Recht des höchſten Anſehens genoſſen, Zeſchau und Le Coq,
waren ſtrenge Legitimiſten und durften deshalb nicht bei den Truppen
bleiben. Das Commando des Corps wurde durch einen argen Mißgriff
dem General Thielmann anvertraut, der ſeinen alten Kameraden als ein
Deſerteur verdächtig war; und er verſtärkte dieſe Mißgunſt, indem er
nach ſeiner ſchauſpieleriſchen Weiſe, mit unmilitäriſcher Redſeligkeit durch
Trinkſprüche und Anreden die Offiziere für Preußen zu gewinnen ſuchte.
Da aus Wien die Nachricht von der Theilung des Landes kam, forderte
er ſofort eigenmächtig ſeine Kameraden auf, zwiſchen dem preußiſchen und
dem ſächſiſchen Dienſte zu wählen; darauf neuer Zwiſt unter den Offi-
zieren, ſteigendes Mißtrauen unter der Mannſchaft. So hat der General
durch ſein taktlos zudringliches Benehmen die Lockerung der Mannszucht
in der kleinen Armee unbeſtreitbar mitverſchuldet.
Dieſe heilloſen Wirren zu beendigen war für den König von Preußen
unerläßliche Pflicht. Boyen ſah ſchon im März unruhige Auftritte unter
den ſächſiſchen Truppen voraus. Durfte man ſie in ihrem unfertigen
Zuſtande belaſſen bis zu dem ganz unabſehbaren Zeitpunkte, da es dem
Albertiner gefallen würde ſeinen thörichten Widerſtand aufzugeben? Der
König befahl daher am 14. März dem General Gneiſenau ungeſäumt
aus den dem preußiſchen Antheile angehörigen Mannſchaften neue Re-
gimenter zu bilden: „ich werde mich freuen, von jetzt an nie einen Unter-
ſchied zwiſchen meinen älteren Regimentern und ihnen zu machen.“ *)
Den Offizieren blieb die Wahl des Dienſtes freigeſtellt. Die Gewiſſen-
haftigkeit des Königs ließ ſich nicht ein auf die peinliche Frage, ob der
alte Fahneneid der Sachſen nicht durch ihren Uebertritt zu den Verbün-
deten aufgehoben ſei. Er befahl einfach eine neue Formation der ſäch-
ſiſchen Regimenter, wozu er unzweifelhaft befugt war, und wollte die Ver-
eidigung der an Preußen kommenden Truppentheile ſo lange vertagen,
bis Friedrich Auguſt ſie des alten Eides entbunden hätte. Am 1. April
ſchärfte Hardenberg dem General Gneiſenau den königlichen Befehl noch-
mals ein, da nach dem Gange der Verhandlungen an der ſchließlichen
Zuſtimmung des Wettiners nicht zu zweifeln ſei. Die Mächte in Wien
waren mit dem Verfahren des Staatskanzlers einverſtanden; ſie beſchloſſen
die bei der Krone Sachſen verbleibenden Regimenter der Armee Wellingtons
zuzutheilen. Die preußiſchen Generale ſchoben dann die Ausführung ſcho-
nend noch um einige Wochen hinaus. Um den Sachſen ſein Vertrauen
zu zeigen nahm Blücher in Lüttich mitten unter ihnen ſein Hauptquartier.
Aber ſeine herzliche Anſprache fand taube Ohren; der Groll der Truppen
ſtieg von Tag zu Tag, die ganz bonapartiſtiſch geſinnten Quartierwirthe
des Lütticher Landes regten die Verblendeten noch mehr auf.
*) Cabinetsordre an Gneiſenau 14. März 1815.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 732. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/748>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.