von Belle Alliance hätten theilnehmen können und dort unzweifelhaft ihre Pflicht gethan haben würden! Natürlich schob man alle Schuld auf die preußischen Generale, die doch nur den Befehl ihres Königs ausgeführt und den Sachsen durchaus keinen neuen Eid zugemuthet hatten. Während ganz Deutschland sich das Herz erhob an dem neuen Ruhme der preußi- schen Waffen, herrschte in Sachsen tiefe Trauer; man sang das Lied des sächsischen Tambours: "O Vaterland, daß du zerrissen bist! Wie sollt' ich noch leben zu dieser Frist?" Die kleine Armee hat nach der endlich vollzogenen Theilung noch Jahrzehnte lang unter den Folgen jenes bösen Tages gelitten; sie blieb mit Offizieren überfüllt, das Avancement stockte gänzlich. Die napoleonischen Veteranen, die alten Herren mit dem blau- gelben und dem rothen Bande, gaben den Ton an; aus diesen Kreisen ist dann der Todhaß gegen Preußen wie ein heiliges Vermächtniß auf die jüngere Generation übergegangen.
Der greise Feldmarschall aber fühlte sich unglücklich bis zur Verzweif- lung. Seit fünfundfünfzig Jahren trug er den Degen und hatte niemals anderes Blut vergossen als das Blut der Feinde. Und nun diese Schmach! Nun mußte er, der Vater seiner Soldaten, Hinrichtungen vornehmen in der eigenen Armee und nachher noch sein ganzes Ansehen einsetzen um die Meuterer vor dem Ingrimm der Preußen zu beschützen. Der gewaltige Mann war wie vom Fieber geschüttelt und horchte in furchtbarer Auf- regung auf das Knattern des Gewehrfeuers, als draußen der Spruch des Kriegsgerichts vollstreckt ward. An den König von Sachsen aber schrieb er mit seinem mächtigen Freimuth, in einer Sprache wie sie nie ein Feldherr gegen ein gekröntes Haupt gewagt hat: "Ew. K. Majestät haben durch Ihre früher ergriffenen Maßregeln Ihre Unterthanen, einen ge- achteten deutschen Völkerstamm, in das tiefste Unglück gestürzt. Durch Ihre späteren Maßregeln kann es dahin kommen, daß er allgemein mit Schande bedeckt wird. Das vergossene Blut wird dereinst vor Gottes Gericht über den kommen, der es verschuldet hat, und vor dem Allwissen- den wird Befehle geben und Befehle dulden als ein und dasselbe geachtet werden müssen. Ew. K. Majestät wissen, daß ein Greis von 73 Jahren keine anderen irdischen Absichten mehr haben kann als daß die Stimme der Wahrheit gehört werde und das Rechte geschehe. So haben Ew. K. Majestät dieses Schreiben aufzunehmen!"*) Blücher mochte in seinem Zorne ein Wort zu viel sagen; es ließ sich nicht erweisen, daß die Meuterei planmäßig vorbereitet worden wäre. Doch im Wesentlichen traf der Alte das Rechte: ohne das verblendete Zaudern Friedrich Augusts, ohne die schändliche Aufwiegelung, die von seinen Helfershelfern seit Monaten betrieben wurde, wäre das Blut der sächsischen Soldaten bei Lüttich nicht geflossen. --
*) Blücher an König Friedrich August, 6. Mai 1815.
II. 2. Belle Alliance.
von Belle Alliance hätten theilnehmen können und dort unzweifelhaft ihre Pflicht gethan haben würden! Natürlich ſchob man alle Schuld auf die preußiſchen Generale, die doch nur den Befehl ihres Königs ausgeführt und den Sachſen durchaus keinen neuen Eid zugemuthet hatten. Während ganz Deutſchland ſich das Herz erhob an dem neuen Ruhme der preußi- ſchen Waffen, herrſchte in Sachſen tiefe Trauer; man ſang das Lied des ſächſiſchen Tambours: „O Vaterland, daß du zerriſſen biſt! Wie ſollt’ ich noch leben zu dieſer Friſt?“ Die kleine Armee hat nach der endlich vollzogenen Theilung noch Jahrzehnte lang unter den Folgen jenes böſen Tages gelitten; ſie blieb mit Offizieren überfüllt, das Avancement ſtockte gänzlich. Die napoleoniſchen Veteranen, die alten Herren mit dem blau- gelben und dem rothen Bande, gaben den Ton an; aus dieſen Kreiſen iſt dann der Todhaß gegen Preußen wie ein heiliges Vermächtniß auf die jüngere Generation übergegangen.
Der greiſe Feldmarſchall aber fühlte ſich unglücklich bis zur Verzweif- lung. Seit fünfundfünfzig Jahren trug er den Degen und hatte niemals anderes Blut vergoſſen als das Blut der Feinde. Und nun dieſe Schmach! Nun mußte er, der Vater ſeiner Soldaten, Hinrichtungen vornehmen in der eigenen Armee und nachher noch ſein ganzes Anſehen einſetzen um die Meuterer vor dem Ingrimm der Preußen zu beſchützen. Der gewaltige Mann war wie vom Fieber geſchüttelt und horchte in furchtbarer Auf- regung auf das Knattern des Gewehrfeuers, als draußen der Spruch des Kriegsgerichts vollſtreckt ward. An den König von Sachſen aber ſchrieb er mit ſeinem mächtigen Freimuth, in einer Sprache wie ſie nie ein Feldherr gegen ein gekröntes Haupt gewagt hat: „Ew. K. Majeſtät haben durch Ihre früher ergriffenen Maßregeln Ihre Unterthanen, einen ge- achteten deutſchen Völkerſtamm, in das tiefſte Unglück geſtürzt. Durch Ihre ſpäteren Maßregeln kann es dahin kommen, daß er allgemein mit Schande bedeckt wird. Das vergoſſene Blut wird dereinſt vor Gottes Gericht über den kommen, der es verſchuldet hat, und vor dem Allwiſſen- den wird Befehle geben und Befehle dulden als ein und daſſelbe geachtet werden müſſen. Ew. K. Majeſtät wiſſen, daß ein Greis von 73 Jahren keine anderen irdiſchen Abſichten mehr haben kann als daß die Stimme der Wahrheit gehört werde und das Rechte geſchehe. So haben Ew. K. Majeſtät dieſes Schreiben aufzunehmen!“*) Blücher mochte in ſeinem Zorne ein Wort zu viel ſagen; es ließ ſich nicht erweiſen, daß die Meuterei planmäßig vorbereitet worden wäre. Doch im Weſentlichen traf der Alte das Rechte: ohne das verblendete Zaudern Friedrich Auguſts, ohne die ſchändliche Aufwiegelung, die von ſeinen Helfershelfern ſeit Monaten betrieben wurde, wäre das Blut der ſächſiſchen Soldaten bei Lüttich nicht gefloſſen. —
*) Blücher an König Friedrich Auguſt, 6. Mai 1815.
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preußiſchen Generale, die doch nur den Befehl ihres Königs ausgeführt
und den Sachſen durchaus keinen neuen Eid zugemuthet hatten. Während
ganz Deutſchland ſich das Herz erhob an dem neuen Ruhme der preußi-
ſchen Waffen, herrſchte in Sachſen tiefe Trauer; man ſang das Lied des
ſächſiſchen Tambours: „O Vaterland, daß du zerriſſen biſt! Wie ſollt’
ich noch leben zu dieſer Friſt?“ Die kleine Armee hat nach der endlich
vollzogenen Theilung noch Jahrzehnte lang unter den Folgen jenes böſen
Tages gelitten; ſie blieb mit Offizieren überfüllt, das Avancement ſtockte
gänzlich. Die napoleoniſchen Veteranen, die alten Herren mit dem blau-
gelben und dem rothen Bande, gaben den Ton an; aus dieſen Kreiſen
iſt dann der Todhaß gegen Preußen wie ein heiliges Vermächtniß auf die
jüngere Generation übergegangen.
Der greiſe Feldmarſchall aber fühlte ſich unglücklich bis zur Verzweif-
lung. Seit fünfundfünfzig Jahren trug er den Degen und hatte niemals
anderes Blut vergoſſen als das Blut der Feinde. Und nun dieſe Schmach!
Nun mußte er, der Vater ſeiner Soldaten, Hinrichtungen vornehmen in
der eigenen Armee und nachher noch ſein ganzes Anſehen einſetzen um die
Meuterer vor dem Ingrimm der Preußen zu beſchützen. Der gewaltige
Mann war wie vom Fieber geſchüttelt und horchte in furchtbarer Auf-
regung auf das Knattern des Gewehrfeuers, als draußen der Spruch des
Kriegsgerichts vollſtreckt ward. An den König von Sachſen aber ſchrieb
er mit ſeinem mächtigen Freimuth, in einer Sprache wie ſie nie ein
Feldherr gegen ein gekröntes Haupt gewagt hat: „Ew. K. Majeſtät haben
durch Ihre früher ergriffenen Maßregeln Ihre Unterthanen, einen ge-
achteten deutſchen Völkerſtamm, in das tiefſte Unglück geſtürzt. Durch
Ihre ſpäteren Maßregeln kann es dahin kommen, daß er allgemein mit
Schande bedeckt wird. Das vergoſſene Blut wird dereinſt vor Gottes
Gericht über den kommen, der es verſchuldet hat, und vor dem Allwiſſen-
den wird Befehle geben und Befehle dulden als ein und daſſelbe geachtet
werden müſſen. Ew. K. Majeſtät wiſſen, daß ein Greis von 73 Jahren
keine anderen irdiſchen Abſichten mehr haben kann als daß die Stimme
der Wahrheit gehört werde und das Rechte geſchehe. So haben Ew. K.
Majeſtät dieſes Schreiben aufzunehmen!“ *) Blücher mochte in ſeinem
Zorne ein Wort zu viel ſagen; es ließ ſich nicht erweiſen, daß die
Meuterei planmäßig vorbereitet worden wäre. Doch im Weſentlichen
traf der Alte das Rechte: ohne das verblendete Zaudern Friedrich Auguſts,
ohne die ſchändliche Aufwiegelung, die von ſeinen Helfershelfern ſeit
Monaten betrieben wurde, wäre das Blut der ſächſiſchen Soldaten bei
Lüttich nicht gefloſſen. —
*) Blücher an König Friedrich Auguſt, 6. Mai 1815.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 734. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/750>, abgerufen am 22.11.2024.
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