mit dem Bajonett den Reitern zu Leibe gingen. Indessen nahmen Al- tens tapfere Regimenter den Wald von Bossu, und auf der Brüsseler Straße zogen neue Reserven heran: die englischen Garden und die letzten Braunschweiger. Wellington verfügte jetzt über mehr als 30,000 Mann gegen 21,000. Als die Dämmerung hereinbrach, war seine ganze Linie im langsamen Vorgehen, freilich nur eine kleine Strecke weit; die Schlacht endete fast auf der nämlichen Stelle wo sie begonnen.
Ein seltsamer Glücksfall kam dem englischen Feldherrn zu gute. Das Corps des Generals Erlon war der Armee Neys zugetheilt, aber am Nach- mittage, noch bevor Erlon an dem Treffen von Quatrebras theilnehmen konnte, durch Napoleon nach dem Schlachtfelde von Ligny abberufen worden; die Regimenter langten in der That schon in der Nähe des rechten Flügels der Preußen an, als Ney sie nach Quatrebras zurückrief. So irrte dies Corps, das leicht gegen Wellington den Ausschlag geben konnte, während des Nachmittags zwischen den beiden Schlachtfeldern hin und her und vereinigte sich erst am Abend, als das Treffen bereits entschieden war, mit Neys Armee. Der Marschall hatte, wenngleich er den unmöglichen Zumuthungen des Imperators nicht genügen konnte, doch einen werth- vollen Erfolg erreicht: die Vereinigung der beiden Heere der Coalition war vorläufig verhindert. Wellington aber sprach mit unerquicklichem Hoch- muth von seinem wahrlich bescheidenen Siege; "wir haben geschlagen, die Preußen sind geschlagen" -- wiederholte er mehrfach. Da er Napoleons Pläne noch immer nicht durchschaute, noch am 17. ja selbst am 18. Juni eine Umgehung von Westen her für möglich hielt, so konnte er auch nicht begreifen, daß er selber das ganze heillose Wirrsal dieser unnöthigen Doppelschlacht hervorgerufen, und fand kein Wort der Dankbarkeit für die Preußen, deren uneigennützige Aufopferung ihm doch allein die An- nahme des Gefechts bei Quatrebras ermöglicht hatte. --
Spät in der Nacht wurde Blücher von seinen Generalstabsoffizieren in einem Bauernhause zu Mellery, auf dem Wege nach Wavre, aufge- funden. Ruhig seine Pfeife rauchend lag der Alte auf der Streu; er fühlte sich an allen Gliedern zerschlagen von dem schweren Sturze, doch seine frohe Zuversicht war nicht gebrochen. Unbedenklich genehmigte er die Anordnungen seines Freundes; die Beiden hatten sich so ganz in einan- der eingelebt, daß Gneisenau sicher war stets aus der Seele des Feldmar- schalls heraus zu beschließen. Am Morgen ritt der Feldherr dem Heere voraus nach Wavre; die Soldaten jubelten sobald sie des Geretteten an- sichtig wurden, und antworteten mit einem fröhlichen Ja als er im Vor- überreiten fragte, ob sie morgen wieder schlagen wollten. Auf den Sonnen- brand von gestern folgte ein grauer schwüler Tag mit vereinzelten Ge- witterschauern, dann am Abend strömender Regen, die ganze Nacht hindurch. Mühsam wateten die Soldaten, die nun seit drei Tagen im Marsch oder im Gefechte gewesen, in dem aufgeweichten schweren Boden und schoben
II. 2. Belle Alliance.
mit dem Bajonett den Reitern zu Leibe gingen. Indeſſen nahmen Al- tens tapfere Regimenter den Wald von Boſſu, und auf der Brüſſeler Straße zogen neue Reſerven heran: die engliſchen Garden und die letzten Braunſchweiger. Wellington verfügte jetzt über mehr als 30,000 Mann gegen 21,000. Als die Dämmerung hereinbrach, war ſeine ganze Linie im langſamen Vorgehen, freilich nur eine kleine Strecke weit; die Schlacht endete faſt auf der nämlichen Stelle wo ſie begonnen.
Ein ſeltſamer Glücksfall kam dem engliſchen Feldherrn zu gute. Das Corps des Generals Erlon war der Armee Neys zugetheilt, aber am Nach- mittage, noch bevor Erlon an dem Treffen von Quatrebras theilnehmen konnte, durch Napoleon nach dem Schlachtfelde von Ligny abberufen worden; die Regimenter langten in der That ſchon in der Nähe des rechten Flügels der Preußen an, als Ney ſie nach Quatrebras zurückrief. So irrte dies Corps, das leicht gegen Wellington den Ausſchlag geben konnte, während des Nachmittags zwiſchen den beiden Schlachtfeldern hin und her und vereinigte ſich erſt am Abend, als das Treffen bereits entſchieden war, mit Neys Armee. Der Marſchall hatte, wenngleich er den unmöglichen Zumuthungen des Imperators nicht genügen konnte, doch einen werth- vollen Erfolg erreicht: die Vereinigung der beiden Heere der Coalition war vorläufig verhindert. Wellington aber ſprach mit unerquicklichem Hoch- muth von ſeinem wahrlich beſcheidenen Siege; „wir haben geſchlagen, die Preußen ſind geſchlagen“ — wiederholte er mehrfach. Da er Napoleons Pläne noch immer nicht durchſchaute, noch am 17. ja ſelbſt am 18. Juni eine Umgehung von Weſten her für möglich hielt, ſo konnte er auch nicht begreifen, daß er ſelber das ganze heilloſe Wirrſal dieſer unnöthigen Doppelſchlacht hervorgerufen, und fand kein Wort der Dankbarkeit für die Preußen, deren uneigennützige Aufopferung ihm doch allein die An- nahme des Gefechts bei Quatrebras ermöglicht hatte. —
Spät in der Nacht wurde Blücher von ſeinen Generalſtabsoffizieren in einem Bauernhauſe zu Mellery, auf dem Wege nach Wavre, aufge- funden. Ruhig ſeine Pfeife rauchend lag der Alte auf der Streu; er fühlte ſich an allen Gliedern zerſchlagen von dem ſchweren Sturze, doch ſeine frohe Zuverſicht war nicht gebrochen. Unbedenklich genehmigte er die Anordnungen ſeines Freundes; die Beiden hatten ſich ſo ganz in einan- der eingelebt, daß Gneiſenau ſicher war ſtets aus der Seele des Feldmar- ſchalls heraus zu beſchließen. Am Morgen ritt der Feldherr dem Heere voraus nach Wavre; die Soldaten jubelten ſobald ſie des Geretteten an- ſichtig wurden, und antworteten mit einem fröhlichen Ja als er im Vor- überreiten fragte, ob ſie morgen wieder ſchlagen wollten. Auf den Sonnen- brand von geſtern folgte ein grauer ſchwüler Tag mit vereinzelten Ge- witterſchauern, dann am Abend ſtrömender Regen, die ganze Nacht hindurch. Mühſam wateten die Soldaten, die nun ſeit drei Tagen im Marſch oder im Gefechte geweſen, in dem aufgeweichten ſchweren Boden und ſchoben
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[744/0760]
II. 2. Belle Alliance.
mit dem Bajonett den Reitern zu Leibe gingen. Indeſſen nahmen Al-
tens tapfere Regimenter den Wald von Boſſu, und auf der Brüſſeler
Straße zogen neue Reſerven heran: die engliſchen Garden und die
letzten Braunſchweiger. Wellington verfügte jetzt über mehr als 30,000
Mann gegen 21,000. Als die Dämmerung hereinbrach, war ſeine ganze
Linie im langſamen Vorgehen, freilich nur eine kleine Strecke weit; die
Schlacht endete faſt auf der nämlichen Stelle wo ſie begonnen.
Ein ſeltſamer Glücksfall kam dem engliſchen Feldherrn zu gute. Das
Corps des Generals Erlon war der Armee Neys zugetheilt, aber am Nach-
mittage, noch bevor Erlon an dem Treffen von Quatrebras theilnehmen
konnte, durch Napoleon nach dem Schlachtfelde von Ligny abberufen worden;
die Regimenter langten in der That ſchon in der Nähe des rechten Flügels
der Preußen an, als Ney ſie nach Quatrebras zurückrief. So irrte dies
Corps, das leicht gegen Wellington den Ausſchlag geben konnte, während
des Nachmittags zwiſchen den beiden Schlachtfeldern hin und her und
vereinigte ſich erſt am Abend, als das Treffen bereits entſchieden war,
mit Neys Armee. Der Marſchall hatte, wenngleich er den unmöglichen
Zumuthungen des Imperators nicht genügen konnte, doch einen werth-
vollen Erfolg erreicht: die Vereinigung der beiden Heere der Coalition
war vorläufig verhindert. Wellington aber ſprach mit unerquicklichem Hoch-
muth von ſeinem wahrlich beſcheidenen Siege; „wir haben geſchlagen, die
Preußen ſind geſchlagen“ — wiederholte er mehrfach. Da er Napoleons
Pläne noch immer nicht durchſchaute, noch am 17. ja ſelbſt am 18. Juni
eine Umgehung von Weſten her für möglich hielt, ſo konnte er auch nicht
begreifen, daß er ſelber das ganze heilloſe Wirrſal dieſer unnöthigen
Doppelſchlacht hervorgerufen, und fand kein Wort der Dankbarkeit für
die Preußen, deren uneigennützige Aufopferung ihm doch allein die An-
nahme des Gefechts bei Quatrebras ermöglicht hatte. —
Spät in der Nacht wurde Blücher von ſeinen Generalſtabsoffizieren
in einem Bauernhauſe zu Mellery, auf dem Wege nach Wavre, aufge-
funden. Ruhig ſeine Pfeife rauchend lag der Alte auf der Streu; er
fühlte ſich an allen Gliedern zerſchlagen von dem ſchweren Sturze, doch
ſeine frohe Zuverſicht war nicht gebrochen. Unbedenklich genehmigte er die
Anordnungen ſeines Freundes; die Beiden hatten ſich ſo ganz in einan-
der eingelebt, daß Gneiſenau ſicher war ſtets aus der Seele des Feldmar-
ſchalls heraus zu beſchließen. Am Morgen ritt der Feldherr dem Heere
voraus nach Wavre; die Soldaten jubelten ſobald ſie des Geretteten an-
ſichtig wurden, und antworteten mit einem fröhlichen Ja als er im Vor-
überreiten fragte, ob ſie morgen wieder ſchlagen wollten. Auf den Sonnen-
brand von geſtern folgte ein grauer ſchwüler Tag mit vereinzelten Ge-
witterſchauern, dann am Abend ſtrömender Regen, die ganze Nacht hindurch.
Mühſam wateten die Soldaten, die nun ſeit drei Tagen im Marſch oder
im Gefechte geweſen, in dem aufgeweichten ſchweren Boden und ſchoben
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 744. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/760>, abgerufen am 22.11.2024.
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