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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.

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II. 3. Geistige Strömungen der ersten Friedensjahre.
mögen! Für diese Sprache des geraden Menschenverstandes hatte die ver-
bissene Parteigesinnung der Liberalen kein Ohr; der Name Freischaar
klang ihnen so unwiderstehlich wie das Wort Freistaat. Man dachte sich
jene unbedeutenden preußischen Freicorps den spanischen Guerillas ähnlich
und betrachtete die "heiligen Schaaren" als die eigentlichen Besieger Na-
poleons. Die feurigen Verse von Lützows wilder Jagd, welche der junge
Dichter einst arglos aus der Fülle seines begeisterten Herzens heraus ge-
schaffen hatte, erhielten allmählich den Sinn eines Parteigesanges. Man
wiederholte das Lied herausfordernd wie um die Linientruppen zu verhöhnen,
und König Friedrich Wilhelm mochte bald die frischen Klänge gar nicht
mehr hören weil sie ihm wie eine Kränkung seines tapferen Heeres er-
schienen. Dies verstimmte Geschlecht schien gar nicht mehr im Stande,
sich der Großthaten der vaterländischen Geschichte unschuldig zu erfreuen.

Die ganze Verbitterung des Liberalismus entlud sich in Rottecks Schrift
"über stehende Heere und Nationalmiliz" (1816). Welch ein Gegensatz zu
jenem patriotischen Buche Rühle von Liliensterns "vom Kriege"! Der preu-
ßische Offizier dachte mit staatsmännischer Mäßigung die Heere zu natio-
nalisiren und die Völker zu militarisiren; der Parteimann Rotteck stellte
sogleich sein radikales Entweder -- oder: "wollen wir die Nation selbst zum
Heer oder die Soldaten zu Bürgern machen?" Das sei die große Frage
dieses verhängnißschweren Augenblicks. Mit fanatischem Grimme wendete
er sich gegen das preußische Wehrgesetz und erklärte, kaum ein Jahr nach-
dem Linie und Landwehr bei Belle Alliance so ruhmvoll zusammengewirkt,
voll dreister Zuversicht: "welcher Staat durch ein stehendes Heer stark sein
will, derselbe thut Verzicht auf eine kräftige Landwehr." Er schilderte das
stehende Heer als die Stütze des Despotismus; er behauptete: "wenn alle
Jünglinge zum Heere berufen werden, so wird die ganze Nation von den
Gesinnungen des Miethlings durchdrungen sein;" er forderte endlich kurz-
weg Abschaffung der stehenden Heere, dergestalt daß im Frieden nur eine
kleine geworbene Truppe unterhalten, die Landwehr aber einige Wochen
lang nothdürftig ausgebildet würde. Während er also in radikalen Schlag-
worten schwelgte, verlangte er zugleich mit naiver Standesselbstsucht die Ein-
führung der Stellvertretung bei seiner Landwehr; ganze Klassen, namentlich
die Studenten sollten befreit sein. Den Schluß bildete die stolze Weissagung:
welcher Fürst das vollbringt, der wird in ganz eigener Glorie glänzen und,
wäre er ein Deutscher, der erste sein!

Mit solcher Verblendung äußerte sich die Selbstüberhebung des klein-
staatlichen Liberalismus schon in seinen ersten Anfängen: Deutschlands
Fürsten sollten sich, wetteifernd in liberalen Thaten, bei den alleinigen
Vertretern des gebietenden Zeitgeistes demüthig um die Krone des künf-
tigen Reiches bewerben. Als fast zur selben Zeit Herzog Karl August
das weimarische Kriegsheer auflöste und sich mit einigen Wachmannschaften
begnügte, ward er mit Lobsprüchen überhäuft, und die Allgemeine Zeitung

II. 3. Geiſtige Strömungen der erſten Friedensjahre.
mögen! Für dieſe Sprache des geraden Menſchenverſtandes hatte die ver-
biſſene Parteigeſinnung der Liberalen kein Ohr; der Name Freiſchaar
klang ihnen ſo unwiderſtehlich wie das Wort Freiſtaat. Man dachte ſich
jene unbedeutenden preußiſchen Freicorps den ſpaniſchen Guerillas ähnlich
und betrachtete die „heiligen Schaaren“ als die eigentlichen Beſieger Na-
poleons. Die feurigen Verſe von Lützows wilder Jagd, welche der junge
Dichter einſt arglos aus der Fülle ſeines begeiſterten Herzens heraus ge-
ſchaffen hatte, erhielten allmählich den Sinn eines Parteigeſanges. Man
wiederholte das Lied herausfordernd wie um die Linientruppen zu verhöhnen,
und König Friedrich Wilhelm mochte bald die friſchen Klänge gar nicht
mehr hören weil ſie ihm wie eine Kränkung ſeines tapferen Heeres er-
ſchienen. Dies verſtimmte Geſchlecht ſchien gar nicht mehr im Stande,
ſich der Großthaten der vaterländiſchen Geſchichte unſchuldig zu erfreuen.

Die ganze Verbitterung des Liberalismus entlud ſich in Rottecks Schrift
„über ſtehende Heere und Nationalmiliz“ (1816). Welch ein Gegenſatz zu
jenem patriotiſchen Buche Rühle von Lilienſterns „vom Kriege“! Der preu-
ßiſche Offizier dachte mit ſtaatsmänniſcher Mäßigung die Heere zu natio-
naliſiren und die Völker zu militariſiren; der Parteimann Rotteck ſtellte
ſogleich ſein radikales Entweder — oder: „wollen wir die Nation ſelbſt zum
Heer oder die Soldaten zu Bürgern machen?“ Das ſei die große Frage
dieſes verhängnißſchweren Augenblicks. Mit fanatiſchem Grimme wendete
er ſich gegen das preußiſche Wehrgeſetz und erklärte, kaum ein Jahr nach-
dem Linie und Landwehr bei Belle Alliance ſo ruhmvoll zuſammengewirkt,
voll dreiſter Zuverſicht: „welcher Staat durch ein ſtehendes Heer ſtark ſein
will, derſelbe thut Verzicht auf eine kräftige Landwehr.“ Er ſchilderte das
ſtehende Heer als die Stütze des Despotismus; er behauptete: „wenn alle
Jünglinge zum Heere berufen werden, ſo wird die ganze Nation von den
Geſinnungen des Miethlings durchdrungen ſein;“ er forderte endlich kurz-
weg Abſchaffung der ſtehenden Heere, dergeſtalt daß im Frieden nur eine
kleine geworbene Truppe unterhalten, die Landwehr aber einige Wochen
lang nothdürftig ausgebildet würde. Während er alſo in radikalen Schlag-
worten ſchwelgte, verlangte er zugleich mit naiver Standesſelbſtſucht die Ein-
führung der Stellvertretung bei ſeiner Landwehr; ganze Klaſſen, namentlich
die Studenten ſollten befreit ſein. Den Schluß bildete die ſtolze Weiſſagung:
welcher Fürſt das vollbringt, der wird in ganz eigener Glorie glänzen und,
wäre er ein Deutſcher, der erſte ſein!

Mit ſolcher Verblendung äußerte ſich die Selbſtüberhebung des klein-
ſtaatlichen Liberalismus ſchon in ſeinen erſten Anfängen: Deutſchlands
Fürſten ſollten ſich, wetteifernd in liberalen Thaten, bei den alleinigen
Vertretern des gebietenden Zeitgeiſtes demüthig um die Krone des künf-
tigen Reiches bewerben. Als faſt zur ſelben Zeit Herzog Karl Auguſt
das weimariſche Kriegsheer auflöſte und ſich mit einigen Wachmannſchaften
begnügte, ward er mit Lobſprüchen überhäuft, und die Allgemeine Zeitung

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[104/0118] II. 3. Geiſtige Strömungen der erſten Friedensjahre. mögen! Für dieſe Sprache des geraden Menſchenverſtandes hatte die ver- biſſene Parteigeſinnung der Liberalen kein Ohr; der Name Freiſchaar klang ihnen ſo unwiderſtehlich wie das Wort Freiſtaat. Man dachte ſich jene unbedeutenden preußiſchen Freicorps den ſpaniſchen Guerillas ähnlich und betrachtete die „heiligen Schaaren“ als die eigentlichen Beſieger Na- poleons. Die feurigen Verſe von Lützows wilder Jagd, welche der junge Dichter einſt arglos aus der Fülle ſeines begeiſterten Herzens heraus ge- ſchaffen hatte, erhielten allmählich den Sinn eines Parteigeſanges. Man wiederholte das Lied herausfordernd wie um die Linientruppen zu verhöhnen, und König Friedrich Wilhelm mochte bald die friſchen Klänge gar nicht mehr hören weil ſie ihm wie eine Kränkung ſeines tapferen Heeres er- ſchienen. Dies verſtimmte Geſchlecht ſchien gar nicht mehr im Stande, ſich der Großthaten der vaterländiſchen Geſchichte unſchuldig zu erfreuen. Die ganze Verbitterung des Liberalismus entlud ſich in Rottecks Schrift „über ſtehende Heere und Nationalmiliz“ (1816). Welch ein Gegenſatz zu jenem patriotiſchen Buche Rühle von Lilienſterns „vom Kriege“! Der preu- ßiſche Offizier dachte mit ſtaatsmänniſcher Mäßigung die Heere zu natio- naliſiren und die Völker zu militariſiren; der Parteimann Rotteck ſtellte ſogleich ſein radikales Entweder — oder: „wollen wir die Nation ſelbſt zum Heer oder die Soldaten zu Bürgern machen?“ Das ſei die große Frage dieſes verhängnißſchweren Augenblicks. Mit fanatiſchem Grimme wendete er ſich gegen das preußiſche Wehrgeſetz und erklärte, kaum ein Jahr nach- dem Linie und Landwehr bei Belle Alliance ſo ruhmvoll zuſammengewirkt, voll dreiſter Zuverſicht: „welcher Staat durch ein ſtehendes Heer ſtark ſein will, derſelbe thut Verzicht auf eine kräftige Landwehr.“ Er ſchilderte das ſtehende Heer als die Stütze des Despotismus; er behauptete: „wenn alle Jünglinge zum Heere berufen werden, ſo wird die ganze Nation von den Geſinnungen des Miethlings durchdrungen ſein;“ er forderte endlich kurz- weg Abſchaffung der ſtehenden Heere, dergeſtalt daß im Frieden nur eine kleine geworbene Truppe unterhalten, die Landwehr aber einige Wochen lang nothdürftig ausgebildet würde. Während er alſo in radikalen Schlag- worten ſchwelgte, verlangte er zugleich mit naiver Standesſelbſtſucht die Ein- führung der Stellvertretung bei ſeiner Landwehr; ganze Klaſſen, namentlich die Studenten ſollten befreit ſein. Den Schluß bildete die ſtolze Weiſſagung: welcher Fürſt das vollbringt, der wird in ganz eigener Glorie glänzen und, wäre er ein Deutſcher, der erſte ſein! Mit ſolcher Verblendung äußerte ſich die Selbſtüberhebung des klein- ſtaatlichen Liberalismus ſchon in ſeinen erſten Anfängen: Deutſchlands Fürſten ſollten ſich, wetteifernd in liberalen Thaten, bei den alleinigen Vertretern des gebietenden Zeitgeiſtes demüthig um die Krone des künf- tigen Reiches bewerben. Als faſt zur ſelben Zeit Herzog Karl Auguſt das weimariſche Kriegsheer auflöſte und ſich mit einigen Wachmannſchaften begnügte, ward er mit Lobſprüchen überhäuft, und die Allgemeine Zeitung

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 104. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/118>, abgerufen am 28.11.2024.