müdliche russische Gönner verkaufte endlich sogar einen Theil seiner eigenen Flotte an Spanien und verlangte, daß Europa durch gemeinsame Inter- vention die aufständischen Kolonien Südamerikas mit dem spanischen Mutter- lande versöhnen solle. Alle Mächte widersprachen diesem abenteuerlichen Vorschlage; England und Oesterreich verfolgten die mediterranische Politik des Czaren mit um so lebhafterer Besorgniß, da inzwischen die Zustände der Balkanhalbinsel ersichtlich einer neuen Erschütterung entgegenreiften.
Wie oft beklagte Metternich, daß sein "bester und sicherster Bundes- genosse", die Türkei, der einzige Staat Europas blieb, der sich nicht auf die Anerkennung der großen Mächte berufen konnte. Die Pforte hatte aus trägem Hochmuth versäumt, die Bürgschaft Europas für ihren Länder- bestand in Anspruch zu nehmen; nun sah sie sich durch den Abschluß der Heiligen Allianz aus der Gemeinschaft der europäischen Staaten förmlich ausgeschlossen. Der Haß der Muhamedaner gegen die Giaurs flammte wieder mächtig auf; Sultan Machmud ließ absichtlich einige Bestimmungen des Bukarester Friedens unausgeführt und erwartete mit Zuversicht den Wiederausbruch des russischen Krieges.*) Unterdessen hatte die unaufhalt- same Erhebung der unglücklichen Rajah-Völker bereits begonnen. Die Serben legten die Waffen nicht mehr aus der Hand und errichteten unter der Leitung ihres Milosch ein halb-unabhängiges christlich-nationales Ge- meinwesen, dessen Dasein schon den Grundgedanken des ottomanischen Reichs widersprach; Sendboten der unzufriedenen Griechen verkehrten in Petersburg und fanden bei Kapodistrias freundliche Aufnahme. Für die Nothwendigkeit der Befreiungskämpfe, die sich hier vorbereiteten, fehlte in London wie in Wien jedes Verständniß. In den Kreisen der Hochtorys galt die Erhaltung der Türkei kurzweg als ein politischer Glaubenssatz, zumal seit das englische Interesse im Osten durch die Erwerbung der ionischen Inseln gewahrt schien; statt aller Gründe berief man sich auf den Ausspruch Pitts: mit einem Menschen, der den Bestand der Pforte nicht für nöthig hält, spreche ich kein Wort mehr über Politik. Metternich aber wendete seine Doktrin von dem unantastbaren Rechte jeder legitimen Obrigkeit unbedenklich auf die Fremdherrschaft der Türken an und verab- scheute die verzweifelnden christlichen Völker der Halbinsel nicht bloß als Schützlinge Rußlands, sondern auch als frevelhafte Rebellen. In seiner Angst bemerkte er nicht, daß der unstete Ehrgeiz des liberalen Selbstherr- schers wohl zuweilen mit hochfliegenden Entwürfen spielte, doch den Muth des Vollbringens nicht besaß. Der Czar erwiderte auf die besorgten Fragen des Generals Steigentesch verächtlich: es sei eine Gewissenssache, das Blut eines einzigen Soldaten zu vergießen im Kampfe gegen diese türkischen Schweine.**) Und seinem Gesandten in Wien ließ er schreiben: die euro-
*) Krusemarks Bericht 8. Jan. 1817.
**) Krusemarks Bericht, 17. April, 13. Mai 1816.
II. 4. Die Eröffnung des Deutſchen Bundestages.
müdliche ruſſiſche Gönner verkaufte endlich ſogar einen Theil ſeiner eigenen Flotte an Spanien und verlangte, daß Europa durch gemeinſame Inter- vention die aufſtändiſchen Kolonien Südamerikas mit dem ſpaniſchen Mutter- lande verſöhnen ſolle. Alle Mächte widerſprachen dieſem abenteuerlichen Vorſchlage; England und Oeſterreich verfolgten die mediterraniſche Politik des Czaren mit um ſo lebhafterer Beſorgniß, da inzwiſchen die Zuſtände der Balkanhalbinſel erſichtlich einer neuen Erſchütterung entgegenreiften.
Wie oft beklagte Metternich, daß ſein „beſter und ſicherſter Bundes- genoſſe“, die Türkei, der einzige Staat Europas blieb, der ſich nicht auf die Anerkennung der großen Mächte berufen konnte. Die Pforte hatte aus trägem Hochmuth verſäumt, die Bürgſchaft Europas für ihren Länder- beſtand in Anſpruch zu nehmen; nun ſah ſie ſich durch den Abſchluß der Heiligen Allianz aus der Gemeinſchaft der europäiſchen Staaten förmlich ausgeſchloſſen. Der Haß der Muhamedaner gegen die Giaurs flammte wieder mächtig auf; Sultan Machmud ließ abſichtlich einige Beſtimmungen des Bukareſter Friedens unausgeführt und erwartete mit Zuverſicht den Wiederausbruch des ruſſiſchen Krieges.*) Unterdeſſen hatte die unaufhalt- ſame Erhebung der unglücklichen Rajah-Völker bereits begonnen. Die Serben legten die Waffen nicht mehr aus der Hand und errichteten unter der Leitung ihres Miloſch ein halb-unabhängiges chriſtlich-nationales Ge- meinweſen, deſſen Daſein ſchon den Grundgedanken des ottomaniſchen Reichs widerſprach; Sendboten der unzufriedenen Griechen verkehrten in Petersburg und fanden bei Kapodiſtrias freundliche Aufnahme. Für die Nothwendigkeit der Befreiungskämpfe, die ſich hier vorbereiteten, fehlte in London wie in Wien jedes Verſtändniß. In den Kreiſen der Hochtorys galt die Erhaltung der Türkei kurzweg als ein politiſcher Glaubensſatz, zumal ſeit das engliſche Intereſſe im Oſten durch die Erwerbung der ioniſchen Inſeln gewahrt ſchien; ſtatt aller Gründe berief man ſich auf den Ausſpruch Pitts: mit einem Menſchen, der den Beſtand der Pforte nicht für nöthig hält, ſpreche ich kein Wort mehr über Politik. Metternich aber wendete ſeine Doktrin von dem unantaſtbaren Rechte jeder legitimen Obrigkeit unbedenklich auf die Fremdherrſchaft der Türken an und verab- ſcheute die verzweifelnden chriſtlichen Völker der Halbinſel nicht bloß als Schützlinge Rußlands, ſondern auch als frevelhafte Rebellen. In ſeiner Angſt bemerkte er nicht, daß der unſtete Ehrgeiz des liberalen Selbſtherr- ſchers wohl zuweilen mit hochfliegenden Entwürfen ſpielte, doch den Muth des Vollbringens nicht beſaß. Der Czar erwiderte auf die beſorgten Fragen des Generals Steigenteſch verächtlich: es ſei eine Gewiſſensſache, das Blut eines einzigen Soldaten zu vergießen im Kampfe gegen dieſe türkiſchen Schweine.**) Und ſeinem Geſandten in Wien ließ er ſchreiben: die euro-
*) Kruſemarks Bericht 8. Jan. 1817.
**) Kruſemarks Bericht, 17. April, 13. Mai 1816.
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müdliche ruſſiſche Gönner verkaufte endlich ſogar einen Theil ſeiner eigenen
Flotte an Spanien und verlangte, daß Europa durch gemeinſame Inter-
vention die aufſtändiſchen Kolonien Südamerikas mit dem ſpaniſchen Mutter-
lande verſöhnen ſolle. Alle Mächte widerſprachen dieſem abenteuerlichen
Vorſchlage; England und Oeſterreich verfolgten die mediterraniſche Politik
des Czaren mit um ſo lebhafterer Beſorgniß, da inzwiſchen die Zuſtände
der Balkanhalbinſel erſichtlich einer neuen Erſchütterung entgegenreiften.
Wie oft beklagte Metternich, daß ſein „beſter und ſicherſter Bundes-
genoſſe“, die Türkei, der einzige Staat Europas blieb, der ſich nicht auf
die Anerkennung der großen Mächte berufen konnte. Die Pforte hatte
aus trägem Hochmuth verſäumt, die Bürgſchaft Europas für ihren Länder-
beſtand in Anſpruch zu nehmen; nun ſah ſie ſich durch den Abſchluß der
Heiligen Allianz aus der Gemeinſchaft der europäiſchen Staaten förmlich
ausgeſchloſſen. Der Haß der Muhamedaner gegen die Giaurs flammte
wieder mächtig auf; Sultan Machmud ließ abſichtlich einige Beſtimmungen
des Bukareſter Friedens unausgeführt und erwartete mit Zuverſicht den
Wiederausbruch des ruſſiſchen Krieges. *) Unterdeſſen hatte die unaufhalt-
ſame Erhebung der unglücklichen Rajah-Völker bereits begonnen. Die
Serben legten die Waffen nicht mehr aus der Hand und errichteten unter
der Leitung ihres Miloſch ein halb-unabhängiges chriſtlich-nationales Ge-
meinweſen, deſſen Daſein ſchon den Grundgedanken des ottomaniſchen
Reichs widerſprach; Sendboten der unzufriedenen Griechen verkehrten in
Petersburg und fanden bei Kapodiſtrias freundliche Aufnahme. Für die
Nothwendigkeit der Befreiungskämpfe, die ſich hier vorbereiteten, fehlte in
London wie in Wien jedes Verſtändniß. In den Kreiſen der Hochtorys
galt die Erhaltung der Türkei kurzweg als ein politiſcher Glaubensſatz,
zumal ſeit das engliſche Intereſſe im Oſten durch die Erwerbung der
ioniſchen Inſeln gewahrt ſchien; ſtatt aller Gründe berief man ſich auf
den Ausſpruch Pitts: mit einem Menſchen, der den Beſtand der Pforte
nicht für nöthig hält, ſpreche ich kein Wort mehr über Politik. Metternich
aber wendete ſeine Doktrin von dem unantaſtbaren Rechte jeder legitimen
Obrigkeit unbedenklich auf die Fremdherrſchaft der Türken an und verab-
ſcheute die verzweifelnden chriſtlichen Völker der Halbinſel nicht bloß als
Schützlinge Rußlands, ſondern auch als frevelhafte Rebellen. In ſeiner
Angſt bemerkte er nicht, daß der unſtete Ehrgeiz des liberalen Selbſtherr-
ſchers wohl zuweilen mit hochfliegenden Entwürfen ſpielte, doch den Muth
des Vollbringens nicht beſaß. Der Czar erwiderte auf die beſorgten Fragen
des Generals Steigenteſch verächtlich: es ſei eine Gewiſſensſache, das Blut
eines einzigen Soldaten zu vergießen im Kampfe gegen dieſe türkiſchen
Schweine. **) Und ſeinem Geſandten in Wien ließ er ſchreiben: die euro-
*) Kruſemarks Bericht 8. Jan. 1817.
**) Kruſemarks Bericht, 17. April, 13. Mai 1816.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 124. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/138>, abgerufen am 28.11.2024.
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