Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.Privat-Eingaben an den Bundestag. sammlung endlich im Juni 1817 einige provisorische Bestimmungen überihre Competenz angenommen hatte. Und woher sollte der Bundestag in schwierigen Fällen die nöthigen thatsächlichen Mittheilungen erlangen? Da er keine Executivgewalt besaß, so blieb er immer nur auf den guten Willen der betheiligten Regierungen angewiesen. Zu alledem endlich die lächerlich schwerfällige Geschäftsordnung. In seiner Instruktion hatte Hardenberg noch den Vorschlag gewagt: nach Ablauf einer billigen Frist solle die Versamm- lung kurzweg ihre Beschlüsse fassen, ohne Rücksicht auf abwesende oder nicht- instruirte Mitglieder. Goltz mußte aber bald einsehen, wie unannehmbar dieser Gedanke dem Souveränitätsdünkel der kleinen Höfe schien; der würt- tembergische Gesandte v. Linden erklärte sogar rund heraus, ein einstimmiger Beschluß sei unmöglich sobald auch nur ein einziger Gesandter fehle. Die nachlässige Geschäftsführung der Wiener Behörden und Metternichs Gleich- giltigkeit gegen den Bund bewirkten, daß der österreichische Gesandte fast regelmäßig am Längsten auf seine Instruktionen warten mußte. Da der Prä- sidialhof also mit schlechtem Beispiele voranging, so gewöhnte man sich bald die Abstimmungen zu verschieben und wieder zu verschieben bis auch die letzte Instruktion eingetroffen war, und das Schicksal der Bundesbeschlüsse lag am letzten Ende in der Hand der trägsten und böswilligsten Souveräne. So geschah es, daß selbst diese Privat-Eingaben, denen die Mehrzahl *) Goltz, Rückblick auf die erste Session der Bundesversammlung, 5. August 1817.
Privat-Eingaben an den Bundestag. ſammlung endlich im Juni 1817 einige proviſoriſche Beſtimmungen überihre Competenz angenommen hatte. Und woher ſollte der Bundestag in ſchwierigen Fällen die nöthigen thatſächlichen Mittheilungen erlangen? Da er keine Executivgewalt beſaß, ſo blieb er immer nur auf den guten Willen der betheiligten Regierungen angewieſen. Zu alledem endlich die lächerlich ſchwerfällige Geſchäftsordnung. In ſeiner Inſtruktion hatte Hardenberg noch den Vorſchlag gewagt: nach Ablauf einer billigen Friſt ſolle die Verſamm- lung kurzweg ihre Beſchlüſſe faſſen, ohne Rückſicht auf abweſende oder nicht- inſtruirte Mitglieder. Goltz mußte aber bald einſehen, wie unannehmbar dieſer Gedanke dem Souveränitätsdünkel der kleinen Höfe ſchien; der würt- tembergiſche Geſandte v. Linden erklärte ſogar rund heraus, ein einſtimmiger Beſchluß ſei unmöglich ſobald auch nur ein einziger Geſandter fehle. Die nachläſſige Geſchäftsführung der Wiener Behörden und Metternichs Gleich- giltigkeit gegen den Bund bewirkten, daß der öſterreichiſche Geſandte faſt regelmäßig am Längſten auf ſeine Inſtruktionen warten mußte. Da der Prä- ſidialhof alſo mit ſchlechtem Beiſpiele voranging, ſo gewöhnte man ſich bald die Abſtimmungen zu verſchieben und wieder zu verſchieben bis auch die letzte Inſtruktion eingetroffen war, und das Schickſal der Bundesbeſchlüſſe lag am letzten Ende in der Hand der trägſten und böswilligſten Souveräne. So geſchah es, daß ſelbſt dieſe Privat-Eingaben, denen die Mehrzahl *) Goltz, Rückblick auf die erſte Seſſion der Bundesverſammlung, 5. Auguſt 1817.
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Privat-Eingaben an den Bundestag.
ſammlung endlich im Juni 1817 einige proviſoriſche Beſtimmungen über
ihre Competenz angenommen hatte. Und woher ſollte der Bundestag in
ſchwierigen Fällen die nöthigen thatſächlichen Mittheilungen erlangen? Da
er keine Executivgewalt beſaß, ſo blieb er immer nur auf den guten Willen
der betheiligten Regierungen angewieſen. Zu alledem endlich die lächerlich
ſchwerfällige Geſchäftsordnung. In ſeiner Inſtruktion hatte Hardenberg noch
den Vorſchlag gewagt: nach Ablauf einer billigen Friſt ſolle die Verſamm-
lung kurzweg ihre Beſchlüſſe faſſen, ohne Rückſicht auf abweſende oder nicht-
inſtruirte Mitglieder. Goltz mußte aber bald einſehen, wie unannehmbar
dieſer Gedanke dem Souveränitätsdünkel der kleinen Höfe ſchien; der würt-
tembergiſche Geſandte v. Linden erklärte ſogar rund heraus, ein einſtimmiger
Beſchluß ſei unmöglich ſobald auch nur ein einziger Geſandter fehle. Die
nachläſſige Geſchäftsführung der Wiener Behörden und Metternichs Gleich-
giltigkeit gegen den Bund bewirkten, daß der öſterreichiſche Geſandte faſt
regelmäßig am Längſten auf ſeine Inſtruktionen warten mußte. Da der Prä-
ſidialhof alſo mit ſchlechtem Beiſpiele voranging, ſo gewöhnte man ſich bald
die Abſtimmungen zu verſchieben und wieder zu verſchieben bis auch die letzte
Inſtruktion eingetroffen war, und das Schickſal der Bundesbeſchlüſſe lag
am letzten Ende in der Hand der trägſten und böswilligſten Souveräne.
So geſchah es, daß ſelbſt dieſe Privat-Eingaben, denen die Mehrzahl
der Bundesgeſandten ein ehrliches Wohlwollen entgegenbrachte, mit ſchimpf-
licher Langſamkeit erledigt wurden. Die überrheiniſchen Cleriker, deren
Anſprüche nach der Bundesakte binnen Jahresfriſt befriedigt werden ſollten,
erhielten erſt im Jahre 1824 ihren Beſcheid; die Procuratoren des Kammer-
gerichts mußten bis 1831 warten; die glücklichen Enkel der Gläubiger der
Reichsoperationskaſſe empfingen im Jahre 1843 die Entſchädigung für die
Arbeiten ihrer Großväter aus den Jahren 1793—96; das kur- und ober-
rheiniſche Schuldenweſen endlich ward erſt im Jahre 1844 geordnet, durch
Vermittlung der Krone Preußen, welche für dieſe ſchleunige Hilfsleiſtung
den warmen Dank des Bundestags empfing. Viele der Geſandten lebten
ſich gemüthlich in dies ſubalterne Treiben ein, und bald entwickelte ſich im
Schooße der Bundesverſammlung die eigenthümliche Menſchenklaſſe der
Bundesbureaukraten — treufleißige, gewiegte Geſchäftsmänner, deren Geiſt
niemals durch einen politiſchen Gedanken beunruhigt wurde, aber dafür
in Sachen des Joſeph Fahrenkopf und der Lit. D. um ſo genauer Be-
ſcheid wußte. Das Muſterbild dieſer Bundestagsphiliſter war der Ver-
treter der ſechzehnten Stimme, v. Leonhardi. Auch der gute Goltz ſchrieb
nach Schluß der erſten Seſſion hoch befriedigt heim: die verheißene Feſt-
ſtellung der Grundgeſetze des Bundes ſei freilich unmöglich geweſen; dafür
habe die Bundesverſammlung ihr Daſein und ihre Wirkſamkeit in den
inneren Verhältniſſen gezeigt und ſo auf die innere Beruhigung eingewirkt. *)
*) Goltz, Rückblick auf die erſte Seſſion der Bundesverſammlung, 5. Auguſt 1817.
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