Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.Die Getreidesperre. mit sechzehn, zwanzig Pferden Vorspann oft kaum durchkommen. Daherstand im Jahre 1818 der Preis des Scheffels Weizen am Rhein um 2 Thlr. 9 Sgr. 6 Pfg. höher als in Posen, während in den fünfziger Jahren der höchste Preisunterschied innerhalb der preußischen Monarchie nur 10 Sgr. 7 Pfg. betrug. Und dieser ohnehin kümmerliche Verkehr ward jetzt vollends zerstört durch die thörichte Bosheit des Particularismus. Oesterreich verbot, seinen altväterischen volkswirthschaftlichen Grundsätzen gemäß, sofort nach Eintritt der Theuerung die Ausfuhr des Getreides und gab damit das Signal zu einem allgemeinen Zollkriege in Süddeutschland. Auch Baiern, Württemberg, Baden, Darmstadt sperrten ihre Grenzen; der Getreidehandel im Oberlande stockte gänzlich. In Frankfurt ging das Futter aus, die Bundesgesandten zitterten für ihre Wagenpferde, und Graf Buol mußte im Namen seiner Genossen eine Bittschrift an die Krone Baiern schicken, damit eine Hafersendung, die bei Wertheim auf dem Maine lag, von der bairischen Mauth endlich durchgelassen wurde.*) Auch im Norden geschahen manche arge Mißgriffe. Minister Bülow verwendete die zwei Millionen Thlr., welche der König zum Ankauf baltischen Getreides bewilligt hatte, so leichtsinnig, daß den schwer heimgesuchten Rheinlanden wenig davon zu gute kam. Immerhin zeigte sich die Mehrzahl der norddeutschen Re- gierungen ehrlich bemüht, durch Erleichterung des Verkehrs den Nothstand zu bekämpfen. Nachdem die süddeutschen Höfe einander mehrere Monate hindurch mit widerwärtigen Vorwürfen überschüttet und ihre Länder wechsel- seitig ausgehungert hatten, wendete sich Württemberg endlich an den Bund und beantragte schleunige Aufhebung der Sperre durch Bundesbeschluß (19. Mai 1817). Offenbar in der Absicht Alles zu vereiteln stellte Baiern darauf den Gegenantrag: die Maßregel müsse auch auf die nichtdeutschen Provinzen Oesterreichs, Preußens und der Niederlande ausgedehnt werden. Preußen und die Mehrheit der übrigen Staaten stimmten dem Vorschlage Württembergs zu; die Hofburg aber ließ, nach ihrer Gewohnheit, den Prä- sidialgesandten acht Wochen lang ohne Instruktion. Da kam die Güte der Natur dem Bundestage zu Hilfe; die Felder *) Berstetts Bericht, 20. Mai 1817.
Die Getreideſperre. mit ſechzehn, zwanzig Pferden Vorſpann oft kaum durchkommen. Daherſtand im Jahre 1818 der Preis des Scheffels Weizen am Rhein um 2 Thlr. 9 Sgr. 6 Pfg. höher als in Poſen, während in den fünfziger Jahren der höchſte Preisunterſchied innerhalb der preußiſchen Monarchie nur 10 Sgr. 7 Pfg. betrug. Und dieſer ohnehin kümmerliche Verkehr ward jetzt vollends zerſtört durch die thörichte Bosheit des Particularismus. Oeſterreich verbot, ſeinen altväteriſchen volkswirthſchaftlichen Grundſätzen gemäß, ſofort nach Eintritt der Theuerung die Ausfuhr des Getreides und gab damit das Signal zu einem allgemeinen Zollkriege in Süddeutſchland. Auch Baiern, Württemberg, Baden, Darmſtadt ſperrten ihre Grenzen; der Getreidehandel im Oberlande ſtockte gänzlich. In Frankfurt ging das Futter aus, die Bundesgeſandten zitterten für ihre Wagenpferde, und Graf Buol mußte im Namen ſeiner Genoſſen eine Bittſchrift an die Krone Baiern ſchicken, damit eine Haferſendung, die bei Wertheim auf dem Maine lag, von der bairiſchen Mauth endlich durchgelaſſen wurde.*) Auch im Norden geſchahen manche arge Mißgriffe. Miniſter Bülow verwendete die zwei Millionen Thlr., welche der König zum Ankauf baltiſchen Getreides bewilligt hatte, ſo leichtſinnig, daß den ſchwer heimgeſuchten Rheinlanden wenig davon zu gute kam. Immerhin zeigte ſich die Mehrzahl der norddeutſchen Re- gierungen ehrlich bemüht, durch Erleichterung des Verkehrs den Nothſtand zu bekämpfen. Nachdem die ſüddeutſchen Höfe einander mehrere Monate hindurch mit widerwärtigen Vorwürfen überſchüttet und ihre Länder wechſel- ſeitig ausgehungert hatten, wendete ſich Württemberg endlich an den Bund und beantragte ſchleunige Aufhebung der Sperre durch Bundesbeſchluß (19. Mai 1817). Offenbar in der Abſicht Alles zu vereiteln ſtellte Baiern darauf den Gegenantrag: die Maßregel müſſe auch auf die nichtdeutſchen Provinzen Oeſterreichs, Preußens und der Niederlande ausgedehnt werden. Preußen und die Mehrheit der übrigen Staaten ſtimmten dem Vorſchlage Württembergs zu; die Hofburg aber ließ, nach ihrer Gewohnheit, den Prä- ſidialgeſandten acht Wochen lang ohne Inſtruktion. Da kam die Güte der Natur dem Bundestage zu Hilfe; die Felder *) Berſtetts Bericht, 20. Mai 1817.
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Die Getreideſperre.
mit ſechzehn, zwanzig Pferden Vorſpann oft kaum durchkommen. Daher
ſtand im Jahre 1818 der Preis des Scheffels Weizen am Rhein um
2 Thlr. 9 Sgr. 6 Pfg. höher als in Poſen, während in den fünfziger
Jahren der höchſte Preisunterſchied innerhalb der preußiſchen Monarchie
nur 10 Sgr. 7 Pfg. betrug. Und dieſer ohnehin kümmerliche Verkehr
ward jetzt vollends zerſtört durch die thörichte Bosheit des Particularismus.
Oeſterreich verbot, ſeinen altväteriſchen volkswirthſchaftlichen Grundſätzen
gemäß, ſofort nach Eintritt der Theuerung die Ausfuhr des Getreides und
gab damit das Signal zu einem allgemeinen Zollkriege in Süddeutſchland.
Auch Baiern, Württemberg, Baden, Darmſtadt ſperrten ihre Grenzen; der
Getreidehandel im Oberlande ſtockte gänzlich. In Frankfurt ging das Futter
aus, die Bundesgeſandten zitterten für ihre Wagenpferde, und Graf Buol
mußte im Namen ſeiner Genoſſen eine Bittſchrift an die Krone Baiern
ſchicken, damit eine Haferſendung, die bei Wertheim auf dem Maine lag,
von der bairiſchen Mauth endlich durchgelaſſen wurde. *) Auch im Norden
geſchahen manche arge Mißgriffe. Miniſter Bülow verwendete die zwei
Millionen Thlr., welche der König zum Ankauf baltiſchen Getreides bewilligt
hatte, ſo leichtſinnig, daß den ſchwer heimgeſuchten Rheinlanden wenig davon
zu gute kam. Immerhin zeigte ſich die Mehrzahl der norddeutſchen Re-
gierungen ehrlich bemüht, durch Erleichterung des Verkehrs den Nothſtand
zu bekämpfen. Nachdem die ſüddeutſchen Höfe einander mehrere Monate
hindurch mit widerwärtigen Vorwürfen überſchüttet und ihre Länder wechſel-
ſeitig ausgehungert hatten, wendete ſich Württemberg endlich an den Bund
und beantragte ſchleunige Aufhebung der Sperre durch Bundesbeſchluß
(19. Mai 1817). Offenbar in der Abſicht Alles zu vereiteln ſtellte Baiern
darauf den Gegenantrag: die Maßregel müſſe auch auf die nichtdeutſchen
Provinzen Oeſterreichs, Preußens und der Niederlande ausgedehnt werden.
Preußen und die Mehrheit der übrigen Staaten ſtimmten dem Vorſchlage
Württembergs zu; die Hofburg aber ließ, nach ihrer Gewohnheit, den Prä-
ſidialgeſandten acht Wochen lang ohne Inſtruktion.
Da kam die Güte der Natur dem Bundestage zu Hilfe; die Felder
prangten in reichem Aehrenſchmucke, die Preiſe fielen, und befriedigt konnte
Buol am 14. Juli in ſeinem claſſiſchen Deutſch der Verſammlung ver-
künden: er kenne zwar noch immer nicht die Abſichten ſeines Hofes, dies
ſchade aber wenig, „da die Ausſicht zu einer ſo geſegneten reichen Ernte
die Sperre von ſelbſt aufhebt“. Im folgenden Jahre berieth man noch-
mals über gemeinſame Maßregeln für die Zukunft, und nochmals zeigte
Baiern ſeinen böſen Willen, bis endlich der Präſidialgeſandte (9. Juli 1818)
dies Schauſpiel bundesgenöſſiſcher Eintracht mit den Worten ſchloß: die
Verhandlungen hätten allerdings zu keinem Ergebniß geführt; er „nähre
jedoch die Hoffnung, daß demnächſt dieſer Gegenſtand wieder in erneuerte
*) Berſtetts Bericht, 20. Mai 1817.
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