für Volksvertretung und Preßfreiheit betrachtet wurde, und nahmen jetzt den alten Parteistreit, der während des Krieges nie ganz geruht hatte, eine Masse persönlichen Hasses und sachlicher Gegensätze als eine böse Erbschaft in die Tage des Friedens hinüber. Aus diesen Kreisen drang Tadelsucht und Klatscherei in alle Klassen der Gesellschaft; der Staat, der bei allen Gebrechen seiner Unfertigkeit doch die beste und sparsamste Verwaltung Europas besaß, ward in den Briefen und Gesprächen seiner eigenen treuen Diener so maßlos gescholten, als eilte er, geleitet durch eine Rotte von Betrügern und Thoren, rettungslos dem Verderben entgegen.
Vier keineswegs klar geschiedene Parteien bekämpften einander innerhalb der Regierung. Die alte Schule der absolutistischen Hofleute und Be- amten zählte nur noch wenige Anhänger, doch sie gewann jetzt mächtige Bundesgenossen an Hardenbergs alten Gegnern, den Feudalen, die in dem Adel der Kurmark ihre Stütze, in Marwitz und dem vormaligen Minister Voß-Buch ihre Führer fanden. Die jungen Beamten dagegen und fast alle Geheimen Räthe der Ministerien bekannten sich zu dem bureaukratischen Liberalismus Hardenbergs, was freilich nicht ausschloß, daß ihrer viele den Staatskanzler persönlich heftig bekämpften. Wieder eines anderen Wegs ging die kleine Schaar der aristokratischen Reformer, die noch an Steins Gedanken festhielten. Die Schwarmgeisterei der teutonischen Jugend fand unter den gewiegten Geschäftsmännern des hohen Beamtenthums zwar manchen nach- sichtigen Richter, doch keinen einzigen Anhänger. Gleichwohl wirkte jener finstere Argwohn, welchen alle Höfe des In- und Auslandes gegen Preußens Volk und Heer hegten, unausbleiblich auf Preußen selbst zurück. Seit Schmalz seinen Unheilsruf erhoben hatte, nahmen die Verleumdungen und giftigen Flüsterreden kein Ende. Nicht blos Stein, der erklärte Gönner Arndts, sondern auch der Staatskanzler selbst ward des geheimen Einver- ständnisses mit den Deutschthümlern beschuldigt, obgleich Hardenberg die jugendlichen Einheitsschwärmer als unbequeme Störer seiner dualistischen Politik ansah und sie selbst in seinem verschwiegenen Tagebuche immer nur mit ärgerlichem Tadel behandelte.
So scharfe Gegensätze in fester Zucht zu halten, war der schonenden Gutherzigkeit König Friedrich Wilhelms nicht gegeben. Allzu rücksichtsvoll gegen seine Räthe ließ er den Parteikampf am Hofe lange gewähren und fuhr nur zuweilen mit einer Mahnung dazwischen. Wurde eine neue Kraft in die Regierung berufen, so pflegte man ein Ministerialdepartement in zwei Theile zu zerlegen, nur um den alten Minister nicht zu kränken, der oft ein Gegner des neuen war. Vollständige Uebereinstimmung unter den Ministern galt noch für entbehrlich, da der Monarch am letzten Ende stets nach seinem freien Ermessen entschied. Wie viele Stürme waren über das Land dahingebraust in den kurzen zwei Jahrzehnten seit Friedrich Wilhelm die Krone trug; den Rückschauenden war, als ob die Anfänge seiner Regierung um mehrere Menschenalter zurücklägen. Das treue Volk
Der König und die Parteien.
für Volksvertretung und Preßfreiheit betrachtet wurde, und nahmen jetzt den alten Parteiſtreit, der während des Krieges nie ganz geruht hatte, eine Maſſe perſönlichen Haſſes und ſachlicher Gegenſätze als eine böſe Erbſchaft in die Tage des Friedens hinüber. Aus dieſen Kreiſen drang Tadelſucht und Klatſcherei in alle Klaſſen der Geſellſchaft; der Staat, der bei allen Gebrechen ſeiner Unfertigkeit doch die beſte und ſparſamſte Verwaltung Europas beſaß, ward in den Briefen und Geſprächen ſeiner eigenen treuen Diener ſo maßlos geſcholten, als eilte er, geleitet durch eine Rotte von Betrügern und Thoren, rettungslos dem Verderben entgegen.
Vier keineswegs klar geſchiedene Parteien bekämpften einander innerhalb der Regierung. Die alte Schule der abſolutiſtiſchen Hofleute und Be- amten zählte nur noch wenige Anhänger, doch ſie gewann jetzt mächtige Bundesgenoſſen an Hardenbergs alten Gegnern, den Feudalen, die in dem Adel der Kurmark ihre Stütze, in Marwitz und dem vormaligen Miniſter Voß-Buch ihre Führer fanden. Die jungen Beamten dagegen und faſt alle Geheimen Räthe der Miniſterien bekannten ſich zu dem bureaukratiſchen Liberalismus Hardenbergs, was freilich nicht ausſchloß, daß ihrer viele den Staatskanzler perſönlich heftig bekämpften. Wieder eines anderen Wegs ging die kleine Schaar der ariſtokratiſchen Reformer, die noch an Steins Gedanken feſthielten. Die Schwarmgeiſterei der teutoniſchen Jugend fand unter den gewiegten Geſchäftsmännern des hohen Beamtenthums zwar manchen nach- ſichtigen Richter, doch keinen einzigen Anhänger. Gleichwohl wirkte jener finſtere Argwohn, welchen alle Höfe des In- und Auslandes gegen Preußens Volk und Heer hegten, unausbleiblich auf Preußen ſelbſt zurück. Seit Schmalz ſeinen Unheilsruf erhoben hatte, nahmen die Verleumdungen und giftigen Flüſterreden kein Ende. Nicht blos Stein, der erklärte Gönner Arndts, ſondern auch der Staatskanzler ſelbſt ward des geheimen Einver- ſtändniſſes mit den Deutſchthümlern beſchuldigt, obgleich Hardenberg die jugendlichen Einheitsſchwärmer als unbequeme Störer ſeiner dualiſtiſchen Politik anſah und ſie ſelbſt in ſeinem verſchwiegenen Tagebuche immer nur mit ärgerlichem Tadel behandelte.
So ſcharfe Gegenſätze in feſter Zucht zu halten, war der ſchonenden Gutherzigkeit König Friedrich Wilhelms nicht gegeben. Allzu rückſichtsvoll gegen ſeine Räthe ließ er den Parteikampf am Hofe lange gewähren und fuhr nur zuweilen mit einer Mahnung dazwiſchen. Wurde eine neue Kraft in die Regierung berufen, ſo pflegte man ein Miniſterialdepartement in zwei Theile zu zerlegen, nur um den alten Miniſter nicht zu kränken, der oft ein Gegner des neuen war. Vollſtändige Uebereinſtimmung unter den Miniſtern galt noch für entbehrlich, da der Monarch am letzten Ende ſtets nach ſeinem freien Ermeſſen entſchied. Wie viele Stürme waren über das Land dahingebrauſt in den kurzen zwei Jahrzehnten ſeit Friedrich Wilhelm die Krone trug; den Rückſchauenden war, als ob die Anfänge ſeiner Regierung um mehrere Menſchenalter zurücklägen. Das treue Volk
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Der König und die Parteien.
für Volksvertretung und Preßfreiheit betrachtet wurde, und nahmen jetzt
den alten Parteiſtreit, der während des Krieges nie ganz geruht hatte, eine
Maſſe perſönlichen Haſſes und ſachlicher Gegenſätze als eine böſe Erbſchaft
in die Tage des Friedens hinüber. Aus dieſen Kreiſen drang Tadelſucht
und Klatſcherei in alle Klaſſen der Geſellſchaft; der Staat, der bei allen
Gebrechen ſeiner Unfertigkeit doch die beſte und ſparſamſte Verwaltung
Europas beſaß, ward in den Briefen und Geſprächen ſeiner eigenen treuen
Diener ſo maßlos geſcholten, als eilte er, geleitet durch eine Rotte von
Betrügern und Thoren, rettungslos dem Verderben entgegen.
Vier keineswegs klar geſchiedene Parteien bekämpften einander innerhalb
der Regierung. Die alte Schule der abſolutiſtiſchen Hofleute und Be-
amten zählte nur noch wenige Anhänger, doch ſie gewann jetzt mächtige
Bundesgenoſſen an Hardenbergs alten Gegnern, den Feudalen, die in dem
Adel der Kurmark ihre Stütze, in Marwitz und dem vormaligen Miniſter
Voß-Buch ihre Führer fanden. Die jungen Beamten dagegen und faſt
alle Geheimen Räthe der Miniſterien bekannten ſich zu dem bureaukratiſchen
Liberalismus Hardenbergs, was freilich nicht ausſchloß, daß ihrer viele den
Staatskanzler perſönlich heftig bekämpften. Wieder eines anderen Wegs ging
die kleine Schaar der ariſtokratiſchen Reformer, die noch an Steins Gedanken
feſthielten. Die Schwarmgeiſterei der teutoniſchen Jugend fand unter den
gewiegten Geſchäftsmännern des hohen Beamtenthums zwar manchen nach-
ſichtigen Richter, doch keinen einzigen Anhänger. Gleichwohl wirkte jener
finſtere Argwohn, welchen alle Höfe des In- und Auslandes gegen Preußens
Volk und Heer hegten, unausbleiblich auf Preußen ſelbſt zurück. Seit
Schmalz ſeinen Unheilsruf erhoben hatte, nahmen die Verleumdungen und
giftigen Flüſterreden kein Ende. Nicht blos Stein, der erklärte Gönner
Arndts, ſondern auch der Staatskanzler ſelbſt ward des geheimen Einver-
ſtändniſſes mit den Deutſchthümlern beſchuldigt, obgleich Hardenberg die
jugendlichen Einheitsſchwärmer als unbequeme Störer ſeiner dualiſtiſchen
Politik anſah und ſie ſelbſt in ſeinem verſchwiegenen Tagebuche immer
nur mit ärgerlichem Tadel behandelte.
So ſcharfe Gegenſätze in feſter Zucht zu halten, war der ſchonenden
Gutherzigkeit König Friedrich Wilhelms nicht gegeben. Allzu rückſichtsvoll
gegen ſeine Räthe ließ er den Parteikampf am Hofe lange gewähren und
fuhr nur zuweilen mit einer Mahnung dazwiſchen. Wurde eine neue Kraft
in die Regierung berufen, ſo pflegte man ein Miniſterialdepartement in
zwei Theile zu zerlegen, nur um den alten Miniſter nicht zu kränken, der
oft ein Gegner des neuen war. Vollſtändige Uebereinſtimmung unter den
Miniſtern galt noch für entbehrlich, da der Monarch am letzten Ende ſtets
nach ſeinem freien Ermeſſen entſchied. Wie viele Stürme waren über
das Land dahingebrauſt in den kurzen zwei Jahrzehnten ſeit Friedrich
Wilhelm die Krone trug; den Rückſchauenden war, als ob die Anfänge
ſeiner Regierung um mehrere Menſchenalter zurücklägen. Das treue Volk
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 183. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/197>, abgerufen am 22.11.2024.
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