Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.

Bild:
<< vorherige Seite

Der König und die Parteien.
für Volksvertretung und Preßfreiheit betrachtet wurde, und nahmen jetzt
den alten Parteistreit, der während des Krieges nie ganz geruht hatte, eine
Masse persönlichen Hasses und sachlicher Gegensätze als eine böse Erbschaft
in die Tage des Friedens hinüber. Aus diesen Kreisen drang Tadelsucht
und Klatscherei in alle Klassen der Gesellschaft; der Staat, der bei allen
Gebrechen seiner Unfertigkeit doch die beste und sparsamste Verwaltung
Europas besaß, ward in den Briefen und Gesprächen seiner eigenen treuen
Diener so maßlos gescholten, als eilte er, geleitet durch eine Rotte von
Betrügern und Thoren, rettungslos dem Verderben entgegen.

Vier keineswegs klar geschiedene Parteien bekämpften einander innerhalb
der Regierung. Die alte Schule der absolutistischen Hofleute und Be-
amten zählte nur noch wenige Anhänger, doch sie gewann jetzt mächtige
Bundesgenossen an Hardenbergs alten Gegnern, den Feudalen, die in dem
Adel der Kurmark ihre Stütze, in Marwitz und dem vormaligen Minister
Voß-Buch ihre Führer fanden. Die jungen Beamten dagegen und fast
alle Geheimen Räthe der Ministerien bekannten sich zu dem bureaukratischen
Liberalismus Hardenbergs, was freilich nicht ausschloß, daß ihrer viele den
Staatskanzler persönlich heftig bekämpften. Wieder eines anderen Wegs ging
die kleine Schaar der aristokratischen Reformer, die noch an Steins Gedanken
festhielten. Die Schwarmgeisterei der teutonischen Jugend fand unter den
gewiegten Geschäftsmännern des hohen Beamtenthums zwar manchen nach-
sichtigen Richter, doch keinen einzigen Anhänger. Gleichwohl wirkte jener
finstere Argwohn, welchen alle Höfe des In- und Auslandes gegen Preußens
Volk und Heer hegten, unausbleiblich auf Preußen selbst zurück. Seit
Schmalz seinen Unheilsruf erhoben hatte, nahmen die Verleumdungen und
giftigen Flüsterreden kein Ende. Nicht blos Stein, der erklärte Gönner
Arndts, sondern auch der Staatskanzler selbst ward des geheimen Einver-
ständnisses mit den Deutschthümlern beschuldigt, obgleich Hardenberg die
jugendlichen Einheitsschwärmer als unbequeme Störer seiner dualistischen
Politik ansah und sie selbst in seinem verschwiegenen Tagebuche immer
nur mit ärgerlichem Tadel behandelte.

So scharfe Gegensätze in fester Zucht zu halten, war der schonenden
Gutherzigkeit König Friedrich Wilhelms nicht gegeben. Allzu rücksichtsvoll
gegen seine Räthe ließ er den Parteikampf am Hofe lange gewähren und
fuhr nur zuweilen mit einer Mahnung dazwischen. Wurde eine neue Kraft
in die Regierung berufen, so pflegte man ein Ministerialdepartement in
zwei Theile zu zerlegen, nur um den alten Minister nicht zu kränken, der
oft ein Gegner des neuen war. Vollständige Uebereinstimmung unter den
Ministern galt noch für entbehrlich, da der Monarch am letzten Ende stets
nach seinem freien Ermessen entschied. Wie viele Stürme waren über
das Land dahingebraust in den kurzen zwei Jahrzehnten seit Friedrich
Wilhelm die Krone trug; den Rückschauenden war, als ob die Anfänge
seiner Regierung um mehrere Menschenalter zurücklägen. Das treue Volk

Der König und die Parteien.
für Volksvertretung und Preßfreiheit betrachtet wurde, und nahmen jetzt
den alten Parteiſtreit, der während des Krieges nie ganz geruht hatte, eine
Maſſe perſönlichen Haſſes und ſachlicher Gegenſätze als eine böſe Erbſchaft
in die Tage des Friedens hinüber. Aus dieſen Kreiſen drang Tadelſucht
und Klatſcherei in alle Klaſſen der Geſellſchaft; der Staat, der bei allen
Gebrechen ſeiner Unfertigkeit doch die beſte und ſparſamſte Verwaltung
Europas beſaß, ward in den Briefen und Geſprächen ſeiner eigenen treuen
Diener ſo maßlos geſcholten, als eilte er, geleitet durch eine Rotte von
Betrügern und Thoren, rettungslos dem Verderben entgegen.

Vier keineswegs klar geſchiedene Parteien bekämpften einander innerhalb
der Regierung. Die alte Schule der abſolutiſtiſchen Hofleute und Be-
amten zählte nur noch wenige Anhänger, doch ſie gewann jetzt mächtige
Bundesgenoſſen an Hardenbergs alten Gegnern, den Feudalen, die in dem
Adel der Kurmark ihre Stütze, in Marwitz und dem vormaligen Miniſter
Voß-Buch ihre Führer fanden. Die jungen Beamten dagegen und faſt
alle Geheimen Räthe der Miniſterien bekannten ſich zu dem bureaukratiſchen
Liberalismus Hardenbergs, was freilich nicht ausſchloß, daß ihrer viele den
Staatskanzler perſönlich heftig bekämpften. Wieder eines anderen Wegs ging
die kleine Schaar der ariſtokratiſchen Reformer, die noch an Steins Gedanken
feſthielten. Die Schwarmgeiſterei der teutoniſchen Jugend fand unter den
gewiegten Geſchäftsmännern des hohen Beamtenthums zwar manchen nach-
ſichtigen Richter, doch keinen einzigen Anhänger. Gleichwohl wirkte jener
finſtere Argwohn, welchen alle Höfe des In- und Auslandes gegen Preußens
Volk und Heer hegten, unausbleiblich auf Preußen ſelbſt zurück. Seit
Schmalz ſeinen Unheilsruf erhoben hatte, nahmen die Verleumdungen und
giftigen Flüſterreden kein Ende. Nicht blos Stein, der erklärte Gönner
Arndts, ſondern auch der Staatskanzler ſelbſt ward des geheimen Einver-
ſtändniſſes mit den Deutſchthümlern beſchuldigt, obgleich Hardenberg die
jugendlichen Einheitsſchwärmer als unbequeme Störer ſeiner dualiſtiſchen
Politik anſah und ſie ſelbſt in ſeinem verſchwiegenen Tagebuche immer
nur mit ärgerlichem Tadel behandelte.

So ſcharfe Gegenſätze in feſter Zucht zu halten, war der ſchonenden
Gutherzigkeit König Friedrich Wilhelms nicht gegeben. Allzu rückſichtsvoll
gegen ſeine Räthe ließ er den Parteikampf am Hofe lange gewähren und
fuhr nur zuweilen mit einer Mahnung dazwiſchen. Wurde eine neue Kraft
in die Regierung berufen, ſo pflegte man ein Miniſterialdepartement in
zwei Theile zu zerlegen, nur um den alten Miniſter nicht zu kränken, der
oft ein Gegner des neuen war. Vollſtändige Uebereinſtimmung unter den
Miniſtern galt noch für entbehrlich, da der Monarch am letzten Ende ſtets
nach ſeinem freien Ermeſſen entſchied. Wie viele Stürme waren über
das Land dahingebrauſt in den kurzen zwei Jahrzehnten ſeit Friedrich
Wilhelm die Krone trug; den Rückſchauenden war, als ob die Anfänge
ſeiner Regierung um mehrere Menſchenalter zurücklägen. Das treue Volk

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0197" n="183"/><fw place="top" type="header">Der König und die Parteien.</fw><lb/>
für Volksvertretung und Preßfreiheit betrachtet wurde, und nahmen jetzt<lb/>
den alten Partei&#x017F;treit, der während des Krieges nie ganz geruht hatte, eine<lb/>
Ma&#x017F;&#x017F;e per&#x017F;önlichen Ha&#x017F;&#x017F;es und &#x017F;achlicher Gegen&#x017F;ätze als eine bö&#x017F;e Erb&#x017F;chaft<lb/>
in die Tage des Friedens hinüber. Aus die&#x017F;en Krei&#x017F;en drang Tadel&#x017F;ucht<lb/>
und Klat&#x017F;cherei in alle Kla&#x017F;&#x017F;en der Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft; der Staat, der bei allen<lb/>
Gebrechen &#x017F;einer Unfertigkeit doch die be&#x017F;te und &#x017F;par&#x017F;am&#x017F;te Verwaltung<lb/>
Europas be&#x017F;aß, ward in den Briefen und Ge&#x017F;prächen &#x017F;einer eigenen treuen<lb/>
Diener &#x017F;o maßlos ge&#x017F;cholten, als eilte er, geleitet durch eine Rotte von<lb/>
Betrügern und Thoren, rettungslos dem Verderben entgegen.</p><lb/>
          <p>Vier keineswegs klar ge&#x017F;chiedene Parteien bekämpften einander innerhalb<lb/>
der Regierung. Die alte Schule der ab&#x017F;oluti&#x017F;ti&#x017F;chen Hofleute und Be-<lb/>
amten zählte nur noch wenige Anhänger, doch &#x017F;ie gewann jetzt mächtige<lb/>
Bundesgeno&#x017F;&#x017F;en an Hardenbergs alten Gegnern, den Feudalen, die in dem<lb/>
Adel der Kurmark ihre Stütze, in Marwitz und dem vormaligen Mini&#x017F;ter<lb/>
Voß-Buch ihre Führer fanden. Die jungen Beamten dagegen und fa&#x017F;t<lb/>
alle Geheimen Räthe der Mini&#x017F;terien bekannten &#x017F;ich zu dem bureaukrati&#x017F;chen<lb/>
Liberalismus Hardenbergs, was freilich nicht aus&#x017F;chloß, daß ihrer viele den<lb/>
Staatskanzler per&#x017F;önlich heftig bekämpften. Wieder eines anderen Wegs ging<lb/>
die kleine Schaar der ari&#x017F;tokrati&#x017F;chen Reformer, die noch an Steins Gedanken<lb/>
fe&#x017F;thielten. Die Schwarmgei&#x017F;terei der teutoni&#x017F;chen Jugend fand unter den<lb/>
gewiegten Ge&#x017F;chäftsmännern des hohen Beamtenthums zwar manchen nach-<lb/>
&#x017F;ichtigen Richter, doch keinen einzigen Anhänger. Gleichwohl wirkte jener<lb/>
fin&#x017F;tere Argwohn, welchen alle Höfe des In- und Auslandes gegen Preußens<lb/>
Volk und Heer hegten, unausbleiblich auf Preußen &#x017F;elb&#x017F;t zurück. Seit<lb/>
Schmalz &#x017F;einen Unheilsruf erhoben hatte, nahmen die Verleumdungen und<lb/>
giftigen Flü&#x017F;terreden kein Ende. Nicht blos Stein, der erklärte Gönner<lb/>
Arndts, &#x017F;ondern auch der Staatskanzler &#x017F;elb&#x017F;t ward des geheimen Einver-<lb/>
&#x017F;tändni&#x017F;&#x017F;es mit den Deut&#x017F;chthümlern be&#x017F;chuldigt, obgleich Hardenberg die<lb/>
jugendlichen Einheits&#x017F;chwärmer als unbequeme Störer &#x017F;einer duali&#x017F;ti&#x017F;chen<lb/>
Politik an&#x017F;ah und &#x017F;ie &#x017F;elb&#x017F;t in &#x017F;einem ver&#x017F;chwiegenen Tagebuche immer<lb/>
nur mit ärgerlichem Tadel behandelte.</p><lb/>
          <p>So &#x017F;charfe Gegen&#x017F;ätze in fe&#x017F;ter Zucht zu halten, war der &#x017F;chonenden<lb/>
Gutherzigkeit König Friedrich Wilhelms nicht gegeben. Allzu rück&#x017F;ichtsvoll<lb/>
gegen &#x017F;eine Räthe ließ er den Parteikampf am Hofe lange gewähren und<lb/>
fuhr nur zuweilen mit einer Mahnung dazwi&#x017F;chen. Wurde eine neue Kraft<lb/>
in die Regierung berufen, &#x017F;o pflegte man ein Mini&#x017F;terialdepartement in<lb/>
zwei Theile zu zerlegen, nur um den alten Mini&#x017F;ter nicht zu kränken, der<lb/>
oft ein Gegner des neuen war. Voll&#x017F;tändige Ueberein&#x017F;timmung unter den<lb/>
Mini&#x017F;tern galt noch für entbehrlich, da der Monarch am letzten Ende &#x017F;tets<lb/>
nach &#x017F;einem freien Erme&#x017F;&#x017F;en ent&#x017F;chied. Wie viele Stürme waren über<lb/>
das Land dahingebrau&#x017F;t in den kurzen zwei Jahrzehnten &#x017F;eit Friedrich<lb/>
Wilhelm die Krone trug; den Rück&#x017F;chauenden war, als ob die Anfänge<lb/>
&#x017F;einer Regierung um mehrere Men&#x017F;chenalter zurücklägen. Das treue Volk<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[183/0197] Der König und die Parteien. für Volksvertretung und Preßfreiheit betrachtet wurde, und nahmen jetzt den alten Parteiſtreit, der während des Krieges nie ganz geruht hatte, eine Maſſe perſönlichen Haſſes und ſachlicher Gegenſätze als eine böſe Erbſchaft in die Tage des Friedens hinüber. Aus dieſen Kreiſen drang Tadelſucht und Klatſcherei in alle Klaſſen der Geſellſchaft; der Staat, der bei allen Gebrechen ſeiner Unfertigkeit doch die beſte und ſparſamſte Verwaltung Europas beſaß, ward in den Briefen und Geſprächen ſeiner eigenen treuen Diener ſo maßlos geſcholten, als eilte er, geleitet durch eine Rotte von Betrügern und Thoren, rettungslos dem Verderben entgegen. Vier keineswegs klar geſchiedene Parteien bekämpften einander innerhalb der Regierung. Die alte Schule der abſolutiſtiſchen Hofleute und Be- amten zählte nur noch wenige Anhänger, doch ſie gewann jetzt mächtige Bundesgenoſſen an Hardenbergs alten Gegnern, den Feudalen, die in dem Adel der Kurmark ihre Stütze, in Marwitz und dem vormaligen Miniſter Voß-Buch ihre Führer fanden. Die jungen Beamten dagegen und faſt alle Geheimen Räthe der Miniſterien bekannten ſich zu dem bureaukratiſchen Liberalismus Hardenbergs, was freilich nicht ausſchloß, daß ihrer viele den Staatskanzler perſönlich heftig bekämpften. Wieder eines anderen Wegs ging die kleine Schaar der ariſtokratiſchen Reformer, die noch an Steins Gedanken feſthielten. Die Schwarmgeiſterei der teutoniſchen Jugend fand unter den gewiegten Geſchäftsmännern des hohen Beamtenthums zwar manchen nach- ſichtigen Richter, doch keinen einzigen Anhänger. Gleichwohl wirkte jener finſtere Argwohn, welchen alle Höfe des In- und Auslandes gegen Preußens Volk und Heer hegten, unausbleiblich auf Preußen ſelbſt zurück. Seit Schmalz ſeinen Unheilsruf erhoben hatte, nahmen die Verleumdungen und giftigen Flüſterreden kein Ende. Nicht blos Stein, der erklärte Gönner Arndts, ſondern auch der Staatskanzler ſelbſt ward des geheimen Einver- ſtändniſſes mit den Deutſchthümlern beſchuldigt, obgleich Hardenberg die jugendlichen Einheitsſchwärmer als unbequeme Störer ſeiner dualiſtiſchen Politik anſah und ſie ſelbſt in ſeinem verſchwiegenen Tagebuche immer nur mit ärgerlichem Tadel behandelte. So ſcharfe Gegenſätze in feſter Zucht zu halten, war der ſchonenden Gutherzigkeit König Friedrich Wilhelms nicht gegeben. Allzu rückſichtsvoll gegen ſeine Räthe ließ er den Parteikampf am Hofe lange gewähren und fuhr nur zuweilen mit einer Mahnung dazwiſchen. Wurde eine neue Kraft in die Regierung berufen, ſo pflegte man ein Miniſterialdepartement in zwei Theile zu zerlegen, nur um den alten Miniſter nicht zu kränken, der oft ein Gegner des neuen war. Vollſtändige Uebereinſtimmung unter den Miniſtern galt noch für entbehrlich, da der Monarch am letzten Ende ſtets nach ſeinem freien Ermeſſen entſchied. Wie viele Stürme waren über das Land dahingebrauſt in den kurzen zwei Jahrzehnten ſeit Friedrich Wilhelm die Krone trug; den Rückſchauenden war, als ob die Anfänge ſeiner Regierung um mehrere Menſchenalter zurücklägen. Das treue Volk

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/197
Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 183. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/197>, abgerufen am 22.11.2024.