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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.

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II. 5. Die Wiederherstellung des preußischen Staates.
hin, in der parlamentarischen Epoche, ihre üppigsten Blüthen entfalten sollte.
Von Haus aus ein Freund der Ruhe und der überlieferten Ordnung hatte
er im Juni 1789 zu Versailles selber mit angesehen, wie die Vertreter
des Dritten Standes sich die Rechte einer Nationalversammlung anmaßten
und also den Sturz des Königthums vorbereiteten. Seit jenem Tage lag
ihm die Angst vor der Revolution in allen Gliedern, und als das revo-
lutionäre Weltreich endlich gefallen war, wahrlich ohne Ancillons Zuthun,
da wendete sich der Zaghafte den Ansichten Metternichs zu und folgte ge-
lehrig jedem Winke der Hofburg. Geschäftig trug er die Anschuldigungen
der Schmalzischen Schrift in der Hofgesellschaft umher, und obwohl er sich
noch hütete den Staatskanzler offen zu bekämpfen, so sprach er doch jetzt
schon mit verdächtigem Eifer von den unermeßlichen Schwierigkeiten, welche
dem Verfassungsplane entgegenständen, und wer den Mann kannte mußte
errathen, daß er insgeheim zu Wittgensteins Partei gehörte.

Das Volk begann den geheimen Parteikampf am Hofe zuerst zu be-
merken, als bald nach dem Frieden einige unerwartete Veränderungen in
den rheinischen Provinzen erfolgten. Dort am Rhein war die festliche Stim-
mung der Kriegsjahre so schnell nicht verflogen. Die preußischen Offiziere
und Beamten, die das theuer erkaufte Grenzland jetzt dem deutschen Staats-
leben einfügen sollten, schauten mit dem Hochgefühle des Siegers um sich;
sie schwelgten in den Reizen der schönen Landschaft und in der hellen
Lebenslust der rheinischen Geselligkeit. Ihnen war, als ob die Heldenkraft
des Nordens hier mit der Anmuth des reichen Südens fröhlich Hochzeit
hielte. Um Gneisenau, der in Coblenz befehligte, sammelte sich ein froher
Kreis von bedeutenden Männern und schönen Frauen, der selbst die leicht-
lebigen Bewohner der alten Bischofsstadt zu dem Geständniß zwang, daß
ihre neue Landesherrschaft doch über ganz andere geistige Kräfte gebot als
weiland der kurtriersche Hof und der Präfekt Napoleons. Da waren Clause-
witz und Bärsch, einer von Schills Gefährten; der tollkühne Husar Hellwig
und der hünenhafte Graf Karl v. d. Gröben, der einst als Gneisenaus
Vertrauter, fast so abenteuerlich wie sein Ahn, der afrikanische Held des
großen Kurfürsten, von Land zu Land gezogen war um den heiligen Krieg
vorzubereiten; dann die romantischen Schwärmer Max v. Schenkendorf,
Werner v. Haxthausen, Sixt v. Armin, der Pädagog Johannes Schulze
und der gelehrte Sammler Meusebach. Wenn Gneisenau Abends die Damen
in dem Wagen Napoleons, dem Beutestücke von Belle Alliance, zu einem
Feste abholen ließ und nun in seiner heitern Hoheit, gebieterisch und doch
bescheiden, erröthend vor dem eigenen Ruhm, inmitten der lauten Tafel-
runde saß, wenn die Lieder Arndts und Körners erklangen, die Kriegs-
männer von ihren Fahrten erzählten und Meusebach durch den urkräftigen
Humor seiner geistreichen Verse Alles zu stürmischem Gelächter hinriß,
dann meinte Schenkendorf glückselig:

So hab' ich wohl im Knabentraume
Die alte Ritterschaft gesehn.

II. 5. Die Wiederherſtellung des preußiſchen Staates.
hin, in der parlamentariſchen Epoche, ihre üppigſten Blüthen entfalten ſollte.
Von Haus aus ein Freund der Ruhe und der überlieferten Ordnung hatte
er im Juni 1789 zu Verſailles ſelber mit angeſehen, wie die Vertreter
des Dritten Standes ſich die Rechte einer Nationalverſammlung anmaßten
und alſo den Sturz des Königthums vorbereiteten. Seit jenem Tage lag
ihm die Angſt vor der Revolution in allen Gliedern, und als das revo-
lutionäre Weltreich endlich gefallen war, wahrlich ohne Ancillons Zuthun,
da wendete ſich der Zaghafte den Anſichten Metternichs zu und folgte ge-
lehrig jedem Winke der Hofburg. Geſchäftig trug er die Anſchuldigungen
der Schmalziſchen Schrift in der Hofgeſellſchaft umher, und obwohl er ſich
noch hütete den Staatskanzler offen zu bekämpfen, ſo ſprach er doch jetzt
ſchon mit verdächtigem Eifer von den unermeßlichen Schwierigkeiten, welche
dem Verfaſſungsplane entgegenſtänden, und wer den Mann kannte mußte
errathen, daß er insgeheim zu Wittgenſteins Partei gehörte.

Das Volk begann den geheimen Parteikampf am Hofe zuerſt zu be-
merken, als bald nach dem Frieden einige unerwartete Veränderungen in
den rheiniſchen Provinzen erfolgten. Dort am Rhein war die feſtliche Stim-
mung der Kriegsjahre ſo ſchnell nicht verflogen. Die preußiſchen Offiziere
und Beamten, die das theuer erkaufte Grenzland jetzt dem deutſchen Staats-
leben einfügen ſollten, ſchauten mit dem Hochgefühle des Siegers um ſich;
ſie ſchwelgten in den Reizen der ſchönen Landſchaft und in der hellen
Lebensluſt der rheiniſchen Geſelligkeit. Ihnen war, als ob die Heldenkraft
des Nordens hier mit der Anmuth des reichen Südens fröhlich Hochzeit
hielte. Um Gneiſenau, der in Coblenz befehligte, ſammelte ſich ein froher
Kreis von bedeutenden Männern und ſchönen Frauen, der ſelbſt die leicht-
lebigen Bewohner der alten Biſchofsſtadt zu dem Geſtändniß zwang, daß
ihre neue Landesherrſchaft doch über ganz andere geiſtige Kräfte gebot als
weiland der kurtrierſche Hof und der Präfekt Napoleons. Da waren Clauſe-
witz und Bärſch, einer von Schills Gefährten; der tollkühne Huſar Hellwig
und der hünenhafte Graf Karl v. d. Gröben, der einſt als Gneiſenaus
Vertrauter, faſt ſo abenteuerlich wie ſein Ahn, der afrikaniſche Held des
großen Kurfürſten, von Land zu Land gezogen war um den heiligen Krieg
vorzubereiten; dann die romantiſchen Schwärmer Max v. Schenkendorf,
Werner v. Haxthauſen, Sixt v. Armin, der Pädagog Johannes Schulze
und der gelehrte Sammler Meuſebach. Wenn Gneiſenau Abends die Damen
in dem Wagen Napoleons, dem Beuteſtücke von Belle Alliance, zu einem
Feſte abholen ließ und nun in ſeiner heitern Hoheit, gebieteriſch und doch
beſcheiden, erröthend vor dem eigenen Ruhm, inmitten der lauten Tafel-
runde ſaß, wenn die Lieder Arndts und Körners erklangen, die Kriegs-
männer von ihren Fahrten erzählten und Meuſebach durch den urkräftigen
Humor ſeiner geiſtreichen Verſe Alles zu ſtürmiſchem Gelächter hinriß,
dann meinte Schenkendorf glückſelig:

So hab’ ich wohl im Knabentraume
Die alte Ritterſchaft geſehn.
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[190/0204] II. 5. Die Wiederherſtellung des preußiſchen Staates. hin, in der parlamentariſchen Epoche, ihre üppigſten Blüthen entfalten ſollte. Von Haus aus ein Freund der Ruhe und der überlieferten Ordnung hatte er im Juni 1789 zu Verſailles ſelber mit angeſehen, wie die Vertreter des Dritten Standes ſich die Rechte einer Nationalverſammlung anmaßten und alſo den Sturz des Königthums vorbereiteten. Seit jenem Tage lag ihm die Angſt vor der Revolution in allen Gliedern, und als das revo- lutionäre Weltreich endlich gefallen war, wahrlich ohne Ancillons Zuthun, da wendete ſich der Zaghafte den Anſichten Metternichs zu und folgte ge- lehrig jedem Winke der Hofburg. Geſchäftig trug er die Anſchuldigungen der Schmalziſchen Schrift in der Hofgeſellſchaft umher, und obwohl er ſich noch hütete den Staatskanzler offen zu bekämpfen, ſo ſprach er doch jetzt ſchon mit verdächtigem Eifer von den unermeßlichen Schwierigkeiten, welche dem Verfaſſungsplane entgegenſtänden, und wer den Mann kannte mußte errathen, daß er insgeheim zu Wittgenſteins Partei gehörte. Das Volk begann den geheimen Parteikampf am Hofe zuerſt zu be- merken, als bald nach dem Frieden einige unerwartete Veränderungen in den rheiniſchen Provinzen erfolgten. Dort am Rhein war die feſtliche Stim- mung der Kriegsjahre ſo ſchnell nicht verflogen. Die preußiſchen Offiziere und Beamten, die das theuer erkaufte Grenzland jetzt dem deutſchen Staats- leben einfügen ſollten, ſchauten mit dem Hochgefühle des Siegers um ſich; ſie ſchwelgten in den Reizen der ſchönen Landſchaft und in der hellen Lebensluſt der rheiniſchen Geſelligkeit. Ihnen war, als ob die Heldenkraft des Nordens hier mit der Anmuth des reichen Südens fröhlich Hochzeit hielte. Um Gneiſenau, der in Coblenz befehligte, ſammelte ſich ein froher Kreis von bedeutenden Männern und ſchönen Frauen, der ſelbſt die leicht- lebigen Bewohner der alten Biſchofsſtadt zu dem Geſtändniß zwang, daß ihre neue Landesherrſchaft doch über ganz andere geiſtige Kräfte gebot als weiland der kurtrierſche Hof und der Präfekt Napoleons. Da waren Clauſe- witz und Bärſch, einer von Schills Gefährten; der tollkühne Huſar Hellwig und der hünenhafte Graf Karl v. d. Gröben, der einſt als Gneiſenaus Vertrauter, faſt ſo abenteuerlich wie ſein Ahn, der afrikaniſche Held des großen Kurfürſten, von Land zu Land gezogen war um den heiligen Krieg vorzubereiten; dann die romantiſchen Schwärmer Max v. Schenkendorf, Werner v. Haxthauſen, Sixt v. Armin, der Pädagog Johannes Schulze und der gelehrte Sammler Meuſebach. Wenn Gneiſenau Abends die Damen in dem Wagen Napoleons, dem Beuteſtücke von Belle Alliance, zu einem Feſte abholen ließ und nun in ſeiner heitern Hoheit, gebieteriſch und doch beſcheiden, erröthend vor dem eigenen Ruhm, inmitten der lauten Tafel- runde ſaß, wenn die Lieder Arndts und Körners erklangen, die Kriegs- männer von ihren Fahrten erzählten und Meuſebach durch den urkräftigen Humor ſeiner geiſtreichen Verſe Alles zu ſtürmiſchem Gelächter hinriß, dann meinte Schenkendorf glückſelig: So hab’ ich wohl im Knabentraume Die alte Ritterſchaft geſehn.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 190. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/204>, abgerufen am 24.11.2024.