Die neue Gesetzgebung hielt im Ganzen sehr glücklich die Mitte zwi- schen Handelsfreiheit und Zollschutz. Nur nach einer Richtung hin wich sie auffällig ab von den Grundsätzen des gemäßigten Freihandels: sie be- lastete den Durchfuhrhandel unverhältnißmäßig schwer. Der Centner Transitgut zahlte im Durchschnitt einen halben Thaler Zoll, auf einzelnen wichtigen Handelsstraßen noch weit mehr -- sicherlich eine sehr drückende Last für ordinäre Güter, zumal wenn sie das preußische Gebiet mehrmals berührten. Die nächste Veranlassung zu dieser Härte lag in dem Be- dürfniß der Finanzen. Preußen beherrschte einige der wichtigsten Handels- straßen Mitteleuropas: die Verbindung Hollands mit dem Oberlande, die alten Absatzwege des polnischen Getreides, den Verkehr Leipzigs mit der See, mit Polen, mit Frankfurt. Man berechnete, daß die volle Hälfte der in Preußen eingehenden Waaren dem Durchfuhrhandel angehörte. Die erschöpfte Staatskasse war nicht in der Lage, diesen einzigen Vortheil, den ihr die unglückliche langgestreckte Gestalt des Gebietes gewährte, aus der Hand zu geben. Ueberdies stimmten alle Kenner des Mauthwesens überein in der für jene Zeit wohlbegründeten Meinung, daß nur durch Besteuerung der Durchfuhr der finanzielle Ertrag des Grenzzollsystems ge- sichert werden könne. Gab man den Transit völlig frei, so wurde dem Unterschleif Thür und Thor geöffnet, ein ungeheurer Schmuggelhandel von Hamburg, Frankfurt, Leipzig her geradezu herausgefordert, das ganze Gelingen der Reform in Frage gestellt. Die unbillige Höhe der Durch- fuhrzölle aber und das zähe Festhalten der Regierung an diesen für die deutschen Nachbarlande unleidlichen Sätzen erklärt sich nur aus politischen Gründen. Der Transitzoll diente dem Berliner Cabinet als ein wirksames Unterhandlungsmittel, um die deutschen Kleinstaaten zum Anschluß an die preußische Handelspolitik zu bewegen.
Von jenem Traumbilde einer gesammtdeutschen Handelspolitik, das während des Wiener Congresses den preußischen Bevollmächtigten vorge- schwebt hatte, war man in Berlin längst zurückgekommen. Die Unmög- lichkeit solcher Pläne ergab sich nicht blos aus der Nichtigkeit der Bundes- verfassung, sondern auch aus den inneren Verhältnissen der Bundes- staaten. Hardenberg wußte, daß der Wiener Hof an seinem altväterischen Provinzialzollsystem nichts ändern wollte und seine nichtdeutschen Kron- länder einem Bundeszollwesen schlechterdings nicht unterordnen konnte. Aber auch das übrige Deutschland bewahrte noch viele Trümmer aus der schmählichen kosmopolitischen Epoche unserer Vergangenheit. Noch war Hannover von England, Schleswigholstein von Dänemark abhängig, noch stand Luxemburg in unmittelbarer geographischer Verbindung mit dem niederländischen Gesammtstaate. Wie war ein gesammtdeutsches Zoll- wesen denkbar, so lange diese Fremdherrschaft währte? Auch die Verfas- sung mehrerer Bundesstaaten bot unübersteigliche Hindernisse. Die preu- ßische Zollreform ruhte auf dem Gedanken des gemeinen Rechts. Wer
Grundgedanken des Zollgeſetzes.
Die neue Geſetzgebung hielt im Ganzen ſehr glücklich die Mitte zwi- ſchen Handelsfreiheit und Zollſchutz. Nur nach einer Richtung hin wich ſie auffällig ab von den Grundſätzen des gemäßigten Freihandels: ſie be- laſtete den Durchfuhrhandel unverhältnißmäßig ſchwer. Der Centner Tranſitgut zahlte im Durchſchnitt einen halben Thaler Zoll, auf einzelnen wichtigen Handelsſtraßen noch weit mehr — ſicherlich eine ſehr drückende Laſt für ordinäre Güter, zumal wenn ſie das preußiſche Gebiet mehrmals berührten. Die nächſte Veranlaſſung zu dieſer Härte lag in dem Be- dürfniß der Finanzen. Preußen beherrſchte einige der wichtigſten Handels- ſtraßen Mitteleuropas: die Verbindung Hollands mit dem Oberlande, die alten Abſatzwege des polniſchen Getreides, den Verkehr Leipzigs mit der See, mit Polen, mit Frankfurt. Man berechnete, daß die volle Hälfte der in Preußen eingehenden Waaren dem Durchfuhrhandel angehörte. Die erſchöpfte Staatskaſſe war nicht in der Lage, dieſen einzigen Vortheil, den ihr die unglückliche langgeſtreckte Geſtalt des Gebietes gewährte, aus der Hand zu geben. Ueberdies ſtimmten alle Kenner des Mauthweſens überein in der für jene Zeit wohlbegründeten Meinung, daß nur durch Beſteuerung der Durchfuhr der finanzielle Ertrag des Grenzzollſyſtems ge- ſichert werden könne. Gab man den Tranſit völlig frei, ſo wurde dem Unterſchleif Thür und Thor geöffnet, ein ungeheurer Schmuggelhandel von Hamburg, Frankfurt, Leipzig her geradezu herausgefordert, das ganze Gelingen der Reform in Frage geſtellt. Die unbillige Höhe der Durch- fuhrzölle aber und das zähe Feſthalten der Regierung an dieſen für die deutſchen Nachbarlande unleidlichen Sätzen erklärt ſich nur aus politiſchen Gründen. Der Tranſitzoll diente dem Berliner Cabinet als ein wirkſames Unterhandlungsmittel, um die deutſchen Kleinſtaaten zum Anſchluß an die preußiſche Handelspolitik zu bewegen.
Von jenem Traumbilde einer geſammtdeutſchen Handelspolitik, das während des Wiener Congreſſes den preußiſchen Bevollmächtigten vorge- ſchwebt hatte, war man in Berlin längſt zurückgekommen. Die Unmög- lichkeit ſolcher Pläne ergab ſich nicht blos aus der Nichtigkeit der Bundes- verfaſſung, ſondern auch aus den inneren Verhältniſſen der Bundes- ſtaaten. Hardenberg wußte, daß der Wiener Hof an ſeinem altväteriſchen Provinzialzollſyſtem nichts ändern wollte und ſeine nichtdeutſchen Kron- länder einem Bundeszollweſen ſchlechterdings nicht unterordnen konnte. Aber auch das übrige Deutſchland bewahrte noch viele Trümmer aus der ſchmählichen kosmopolitiſchen Epoche unſerer Vergangenheit. Noch war Hannover von England, Schleswigholſtein von Dänemark abhängig, noch ſtand Luxemburg in unmittelbarer geographiſcher Verbindung mit dem niederländiſchen Geſammtſtaate. Wie war ein geſammtdeutſches Zoll- weſen denkbar, ſo lange dieſe Fremdherrſchaft währte? Auch die Verfaſ- ſung mehrerer Bundesſtaaten bot unüberſteigliche Hinderniſſe. Die preu- ßiſche Zollreform ruhte auf dem Gedanken des gemeinen Rechts. Wer
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0231"n="217"/><fwplace="top"type="header">Grundgedanken des Zollgeſetzes.</fw><lb/><p>Die neue Geſetzgebung hielt im Ganzen ſehr glücklich die Mitte zwi-<lb/>ſchen Handelsfreiheit und Zollſchutz. Nur nach einer Richtung hin wich<lb/>ſie auffällig ab von den Grundſätzen des gemäßigten Freihandels: ſie be-<lb/>
laſtete den Durchfuhrhandel unverhältnißmäßig ſchwer. Der Centner<lb/>
Tranſitgut zahlte im Durchſchnitt einen halben Thaler Zoll, auf einzelnen<lb/>
wichtigen Handelsſtraßen noch weit mehr —ſicherlich eine ſehr drückende<lb/>
Laſt für ordinäre Güter, zumal wenn ſie das preußiſche Gebiet mehrmals<lb/>
berührten. Die nächſte Veranlaſſung zu dieſer Härte lag in dem Be-<lb/>
dürfniß der Finanzen. Preußen beherrſchte einige der wichtigſten Handels-<lb/>ſtraßen Mitteleuropas: die Verbindung Hollands mit dem Oberlande, die<lb/>
alten Abſatzwege des polniſchen Getreides, den Verkehr Leipzigs mit der<lb/>
See, mit Polen, mit Frankfurt. Man berechnete, daß die volle Hälfte<lb/>
der in Preußen eingehenden Waaren dem Durchfuhrhandel angehörte.<lb/>
Die erſchöpfte Staatskaſſe war nicht in der Lage, dieſen einzigen Vortheil,<lb/>
den ihr die unglückliche langgeſtreckte Geſtalt des Gebietes gewährte, aus<lb/>
der Hand zu geben. Ueberdies ſtimmten alle Kenner des Mauthweſens<lb/>
überein in der für jene Zeit wohlbegründeten Meinung, daß nur durch<lb/>
Beſteuerung der Durchfuhr der finanzielle Ertrag des Grenzzollſyſtems ge-<lb/>ſichert werden könne. Gab man den Tranſit völlig frei, ſo wurde dem<lb/>
Unterſchleif Thür und Thor geöffnet, ein ungeheurer Schmuggelhandel<lb/>
von Hamburg, Frankfurt, Leipzig her geradezu herausgefordert, das ganze<lb/>
Gelingen der Reform in Frage geſtellt. Die unbillige Höhe der Durch-<lb/>
fuhrzölle aber und das zähe Feſthalten der Regierung an dieſen für die<lb/>
deutſchen Nachbarlande unleidlichen Sätzen erklärt ſich nur aus politiſchen<lb/>
Gründen. Der Tranſitzoll diente dem Berliner Cabinet als ein wirkſames<lb/>
Unterhandlungsmittel, um die deutſchen Kleinſtaaten zum Anſchluß an<lb/>
die preußiſche Handelspolitik zu bewegen.</p><lb/><p>Von jenem Traumbilde einer geſammtdeutſchen Handelspolitik, das<lb/>
während des Wiener Congreſſes den preußiſchen Bevollmächtigten vorge-<lb/>ſchwebt hatte, war man in Berlin längſt zurückgekommen. Die Unmög-<lb/>
lichkeit ſolcher Pläne ergab ſich nicht blos aus der Nichtigkeit der Bundes-<lb/>
verfaſſung, ſondern auch aus den inneren Verhältniſſen der Bundes-<lb/>ſtaaten. Hardenberg wußte, daß der Wiener Hof an ſeinem altväteriſchen<lb/>
Provinzialzollſyſtem nichts ändern wollte und ſeine nichtdeutſchen Kron-<lb/>
länder einem Bundeszollweſen ſchlechterdings nicht unterordnen konnte.<lb/>
Aber auch das übrige Deutſchland bewahrte noch viele Trümmer aus der<lb/>ſchmählichen kosmopolitiſchen Epoche unſerer Vergangenheit. Noch war<lb/>
Hannover von England, Schleswigholſtein von Dänemark abhängig, noch<lb/>ſtand Luxemburg in unmittelbarer geographiſcher Verbindung mit dem<lb/>
niederländiſchen Geſammtſtaate. Wie war ein geſammtdeutſches Zoll-<lb/>
weſen denkbar, ſo lange dieſe Fremdherrſchaft währte? Auch die Verfaſ-<lb/>ſung mehrerer Bundesſtaaten bot unüberſteigliche Hinderniſſe. Die preu-<lb/>
ßiſche Zollreform ruhte auf dem Gedanken des gemeinen Rechts. Wer<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[217/0231]
Grundgedanken des Zollgeſetzes.
Die neue Geſetzgebung hielt im Ganzen ſehr glücklich die Mitte zwi-
ſchen Handelsfreiheit und Zollſchutz. Nur nach einer Richtung hin wich
ſie auffällig ab von den Grundſätzen des gemäßigten Freihandels: ſie be-
laſtete den Durchfuhrhandel unverhältnißmäßig ſchwer. Der Centner
Tranſitgut zahlte im Durchſchnitt einen halben Thaler Zoll, auf einzelnen
wichtigen Handelsſtraßen noch weit mehr — ſicherlich eine ſehr drückende
Laſt für ordinäre Güter, zumal wenn ſie das preußiſche Gebiet mehrmals
berührten. Die nächſte Veranlaſſung zu dieſer Härte lag in dem Be-
dürfniß der Finanzen. Preußen beherrſchte einige der wichtigſten Handels-
ſtraßen Mitteleuropas: die Verbindung Hollands mit dem Oberlande, die
alten Abſatzwege des polniſchen Getreides, den Verkehr Leipzigs mit der
See, mit Polen, mit Frankfurt. Man berechnete, daß die volle Hälfte
der in Preußen eingehenden Waaren dem Durchfuhrhandel angehörte.
Die erſchöpfte Staatskaſſe war nicht in der Lage, dieſen einzigen Vortheil,
den ihr die unglückliche langgeſtreckte Geſtalt des Gebietes gewährte, aus
der Hand zu geben. Ueberdies ſtimmten alle Kenner des Mauthweſens
überein in der für jene Zeit wohlbegründeten Meinung, daß nur durch
Beſteuerung der Durchfuhr der finanzielle Ertrag des Grenzzollſyſtems ge-
ſichert werden könne. Gab man den Tranſit völlig frei, ſo wurde dem
Unterſchleif Thür und Thor geöffnet, ein ungeheurer Schmuggelhandel
von Hamburg, Frankfurt, Leipzig her geradezu herausgefordert, das ganze
Gelingen der Reform in Frage geſtellt. Die unbillige Höhe der Durch-
fuhrzölle aber und das zähe Feſthalten der Regierung an dieſen für die
deutſchen Nachbarlande unleidlichen Sätzen erklärt ſich nur aus politiſchen
Gründen. Der Tranſitzoll diente dem Berliner Cabinet als ein wirkſames
Unterhandlungsmittel, um die deutſchen Kleinſtaaten zum Anſchluß an
die preußiſche Handelspolitik zu bewegen.
Von jenem Traumbilde einer geſammtdeutſchen Handelspolitik, das
während des Wiener Congreſſes den preußiſchen Bevollmächtigten vorge-
ſchwebt hatte, war man in Berlin längſt zurückgekommen. Die Unmög-
lichkeit ſolcher Pläne ergab ſich nicht blos aus der Nichtigkeit der Bundes-
verfaſſung, ſondern auch aus den inneren Verhältniſſen der Bundes-
ſtaaten. Hardenberg wußte, daß der Wiener Hof an ſeinem altväteriſchen
Provinzialzollſyſtem nichts ändern wollte und ſeine nichtdeutſchen Kron-
länder einem Bundeszollweſen ſchlechterdings nicht unterordnen konnte.
Aber auch das übrige Deutſchland bewahrte noch viele Trümmer aus der
ſchmählichen kosmopolitiſchen Epoche unſerer Vergangenheit. Noch war
Hannover von England, Schleswigholſtein von Dänemark abhängig, noch
ſtand Luxemburg in unmittelbarer geographiſcher Verbindung mit dem
niederländiſchen Geſammtſtaate. Wie war ein geſammtdeutſches Zoll-
weſen denkbar, ſo lange dieſe Fremdherrſchaft währte? Auch die Verfaſ-
ſung mehrerer Bundesſtaaten bot unüberſteigliche Hinderniſſe. Die preu-
ßiſche Zollreform ruhte auf dem Gedanken des gemeinen Rechts. Wer
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 217. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/231>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.