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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.

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II. 5. Die Wiederherstellung des preußischen Staates.
gestaltung, zumal da sie jetzt auch den thüringischen Landestheilen einen
Ersatz für die längst aufgehobene Erfurter Hochschule bieten sollte. Mit
dieser Aufgabe verkettete sich die peinliche Frage, ob neben der Heimstätte
des reformatorischen Pietismus noch ihre alte Feindin, die kursächsische
Fridericiana im nahen Wittenberg fortbestehen könne. Der Pietät des
Königs lag nichts ferner als die Absicht die Cultur der Provinzen zum
Vortheil Berlins zu verkümmern; er hoffte womöglich in jeder Provinz
eine blühende Hochschule als den geistigen Mittelpunkt des landschaftlichen
Sonderlebens erstehen zu sehen, und am Wenigsten die Wiege der Re-
formation wollte der treue Protestant ohne dringende Noth antasten. Aber
in dem unglücklichen Wittenberg war nichts mehr zu zerstören. Zwei-
hundert Jahre lang war die weiland glorreichste aller deutschen Univer-
sitäten nur ein Zerrbild alter Größe gewesen, die Hochburg eines geistlosen
Buchstabenglaubens, der ex cathedra Lutheri seine Bannstrahlen schleu-
derte und die Religion durch die Theologie ertödete. Als gegen Ausgang
des achtzehnten Jahrhunderts endlich ein freierer Geist in den entweihten
Hörsaal des Reformators einzog, war der Verfall der Hochschule nicht
mehr aufzuhalten. Die Belagerung von 1813 gab der Universität den
Todesstoß: die Studenten stoben auseinander, die Bibliothek ward geflüchtet,
die akademischen Gebäude gingen in Flammen auf, und das kleine Häuflein
der Professoren, das sich nach Schmiedeberg gerettet hatte, legte dem säch-
sischen Hofe selber die Frage vor, ob nicht die Vereinigung mit Leipzig ge-
boten sei.

Sollte Preußen jetzt auf dieser Trümmerstätte einen Neubau aufführen,
in einer zur Grenzfestung bestimmten Stadt, so nahe bei den drei anderen
sächsischen Universitäten, die einander ohnehin schon oft das Licht ver-
traten? Die lebendige Gegenwart forderte ihr Recht vor der ruhmvollen
Vergangenheit; Halle besaß, trotz schwerer Verluste, doch noch einen leid-
lich vollständigen Lehrkörper, zahlreiche Institute und eine rasch wieder
anwachsende Studentenschaft. Schweren Herzens befahl der König noch
von Wien aus, im April 1815, die Vereinigung der beiden Friedrichs-
Universitäten in Halle. Die Wittenberger Professoren selbst versuchten
keinen Widerspruch, ihrer sieben traten im Frühjahr 1817 in die neue
Universität Halle-Wittenberg ein; das war Alles was von der glänzenden
Stiftung Friedrichs des Weisen noch übrig blieb. Das Volk aber im
Herzogthum Sachsen klagte laut, als gerade im Jubeljahre der Refor-
mation die Hochschule der alten Lutherstadt in das Magdeburgische über-
siedeln mußte: jetzt haben die Preußen dem Sachsenlande das Herz aus-
gebrochen, sagte man zornig. Erst nach Jahren, als die neue Doppel-
Universität unter Altensteins sorglicher Pflege kräftig aufgeblüht war,
begann man einzusehen, daß der König das Nothwendige gethan und die
Provinz durch den Untergang von zwei verlebten Universitäten an geistigen
Kräften nichts verloren hatte. Nur die Stadt Wittenberg ließ sich durch

II. 5. Die Wiederherſtellung des preußiſchen Staates.
geſtaltung, zumal da ſie jetzt auch den thüringiſchen Landestheilen einen
Erſatz für die längſt aufgehobene Erfurter Hochſchule bieten ſollte. Mit
dieſer Aufgabe verkettete ſich die peinliche Frage, ob neben der Heimſtätte
des reformatoriſchen Pietismus noch ihre alte Feindin, die kurſächſiſche
Fridericiana im nahen Wittenberg fortbeſtehen könne. Der Pietät des
Königs lag nichts ferner als die Abſicht die Cultur der Provinzen zum
Vortheil Berlins zu verkümmern; er hoffte womöglich in jeder Provinz
eine blühende Hochſchule als den geiſtigen Mittelpunkt des landſchaftlichen
Sonderlebens erſtehen zu ſehen, und am Wenigſten die Wiege der Re-
formation wollte der treue Proteſtant ohne dringende Noth antaſten. Aber
in dem unglücklichen Wittenberg war nichts mehr zu zerſtören. Zwei-
hundert Jahre lang war die weiland glorreichſte aller deutſchen Univer-
ſitäten nur ein Zerrbild alter Größe geweſen, die Hochburg eines geiſtloſen
Buchſtabenglaubens, der ex cathedra Lutheri ſeine Bannſtrahlen ſchleu-
derte und die Religion durch die Theologie ertödete. Als gegen Ausgang
des achtzehnten Jahrhunderts endlich ein freierer Geiſt in den entweihten
Hörſaal des Reformators einzog, war der Verfall der Hochſchule nicht
mehr aufzuhalten. Die Belagerung von 1813 gab der Univerſität den
Todesſtoß: die Studenten ſtoben auseinander, die Bibliothek ward geflüchtet,
die akademiſchen Gebäude gingen in Flammen auf, und das kleine Häuflein
der Profeſſoren, das ſich nach Schmiedeberg gerettet hatte, legte dem ſäch-
ſiſchen Hofe ſelber die Frage vor, ob nicht die Vereinigung mit Leipzig ge-
boten ſei.

Sollte Preußen jetzt auf dieſer Trümmerſtätte einen Neubau aufführen,
in einer zur Grenzfeſtung beſtimmten Stadt, ſo nahe bei den drei anderen
ſächſiſchen Univerſitäten, die einander ohnehin ſchon oft das Licht ver-
traten? Die lebendige Gegenwart forderte ihr Recht vor der ruhmvollen
Vergangenheit; Halle beſaß, trotz ſchwerer Verluſte, doch noch einen leid-
lich vollſtändigen Lehrkörper, zahlreiche Inſtitute und eine raſch wieder
anwachſende Studentenſchaft. Schweren Herzens befahl der König noch
von Wien aus, im April 1815, die Vereinigung der beiden Friedrichs-
Univerſitäten in Halle. Die Wittenberger Profeſſoren ſelbſt verſuchten
keinen Widerſpruch, ihrer ſieben traten im Frühjahr 1817 in die neue
Univerſität Halle-Wittenberg ein; das war Alles was von der glänzenden
Stiftung Friedrichs des Weiſen noch übrig blieb. Das Volk aber im
Herzogthum Sachſen klagte laut, als gerade im Jubeljahre der Refor-
mation die Hochſchule der alten Lutherſtadt in das Magdeburgiſche über-
ſiedeln mußte: jetzt haben die Preußen dem Sachſenlande das Herz aus-
gebrochen, ſagte man zornig. Erſt nach Jahren, als die neue Doppel-
Univerſität unter Altenſteins ſorglicher Pflege kräftig aufgeblüht war,
begann man einzuſehen, daß der König das Nothwendige gethan und die
Provinz durch den Untergang von zwei verlebten Univerſitäten an geiſtigen
Kräften nichts verloren hatte. Nur die Stadt Wittenberg ließ ſich durch

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[234/0248] II. 5. Die Wiederherſtellung des preußiſchen Staates. geſtaltung, zumal da ſie jetzt auch den thüringiſchen Landestheilen einen Erſatz für die längſt aufgehobene Erfurter Hochſchule bieten ſollte. Mit dieſer Aufgabe verkettete ſich die peinliche Frage, ob neben der Heimſtätte des reformatoriſchen Pietismus noch ihre alte Feindin, die kurſächſiſche Fridericiana im nahen Wittenberg fortbeſtehen könne. Der Pietät des Königs lag nichts ferner als die Abſicht die Cultur der Provinzen zum Vortheil Berlins zu verkümmern; er hoffte womöglich in jeder Provinz eine blühende Hochſchule als den geiſtigen Mittelpunkt des landſchaftlichen Sonderlebens erſtehen zu ſehen, und am Wenigſten die Wiege der Re- formation wollte der treue Proteſtant ohne dringende Noth antaſten. Aber in dem unglücklichen Wittenberg war nichts mehr zu zerſtören. Zwei- hundert Jahre lang war die weiland glorreichſte aller deutſchen Univer- ſitäten nur ein Zerrbild alter Größe geweſen, die Hochburg eines geiſtloſen Buchſtabenglaubens, der ex cathedra Lutheri ſeine Bannſtrahlen ſchleu- derte und die Religion durch die Theologie ertödete. Als gegen Ausgang des achtzehnten Jahrhunderts endlich ein freierer Geiſt in den entweihten Hörſaal des Reformators einzog, war der Verfall der Hochſchule nicht mehr aufzuhalten. Die Belagerung von 1813 gab der Univerſität den Todesſtoß: die Studenten ſtoben auseinander, die Bibliothek ward geflüchtet, die akademiſchen Gebäude gingen in Flammen auf, und das kleine Häuflein der Profeſſoren, das ſich nach Schmiedeberg gerettet hatte, legte dem ſäch- ſiſchen Hofe ſelber die Frage vor, ob nicht die Vereinigung mit Leipzig ge- boten ſei. Sollte Preußen jetzt auf dieſer Trümmerſtätte einen Neubau aufführen, in einer zur Grenzfeſtung beſtimmten Stadt, ſo nahe bei den drei anderen ſächſiſchen Univerſitäten, die einander ohnehin ſchon oft das Licht ver- traten? Die lebendige Gegenwart forderte ihr Recht vor der ruhmvollen Vergangenheit; Halle beſaß, trotz ſchwerer Verluſte, doch noch einen leid- lich vollſtändigen Lehrkörper, zahlreiche Inſtitute und eine raſch wieder anwachſende Studentenſchaft. Schweren Herzens befahl der König noch von Wien aus, im April 1815, die Vereinigung der beiden Friedrichs- Univerſitäten in Halle. Die Wittenberger Profeſſoren ſelbſt verſuchten keinen Widerſpruch, ihrer ſieben traten im Frühjahr 1817 in die neue Univerſität Halle-Wittenberg ein; das war Alles was von der glänzenden Stiftung Friedrichs des Weiſen noch übrig blieb. Das Volk aber im Herzogthum Sachſen klagte laut, als gerade im Jubeljahre der Refor- mation die Hochſchule der alten Lutherſtadt in das Magdeburgiſche über- ſiedeln mußte: jetzt haben die Preußen dem Sachſenlande das Herz aus- gebrochen, ſagte man zornig. Erſt nach Jahren, als die neue Doppel- Univerſität unter Altenſteins ſorglicher Pflege kräftig aufgeblüht war, begann man einzuſehen, daß der König das Nothwendige gethan und die Provinz durch den Untergang von zwei verlebten Univerſitäten an geiſtigen Kräften nichts verloren hatte. Nur die Stadt Wittenberg ließ ſich durch

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 234. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/248>, abgerufen am 21.11.2024.