II. 5. Die Wiederherstellung des preußischen Staates.
flüsterungen der Kapläne ließen die Dankbarkeit für die Wohlthaten der preußischen Herrschaft nicht aufkommen, und bald galten bei den Bauern die Namen: katholisch und polnisch, evangelisch und deutsch als gleichbe- deutend. Das Feuer des Aufruhrs glimmte unter der Asche, aber erst nach wiederholtem Verrath der Polen entschloß sich die Krone zu der ein- zigen Politik, welche dies bedrohte Grenzland dem Staate sichern konnte, zur unverhohlenen Begünstigung der deutschen Cultur. --
Einfacher lagen die Dinge in Preußen. Wohl bestand auch in West- preußen eine Adelspartei, welche sehnsüchtig nach dem Restitutor Poloniae hinüberblickte. Die polnischen Edelleute in den zurückgewonnenen Gebieten Michelau und Kulmerland verhielten sich so zweideutig, daß der geistreiche Prä- sident Hippel kurz vor der Huldigung in Thorn dem Staatskanzler schreiben mußte: "leider kann ich eigentlich Keinen als würdig nennen, wenn nicht durch Gnadenbezeigungen Verirrte bekehrt und gewonnen werden sollen."*) Auch Danzig, furchtbar heimgesucht von den Nöthen des Krieges, stand noch lange störrisch dem Staate gegenüber, der ihm Frieden und Wohl- stand wiederbrachte. Wie hatte sich doch diese schönste unserer alten Städte, fast den Holländern gleich, so ganz hinausgelebt aus der Gemeinschaft ihres Volkes. Der dreißigjährige Krieg, für uns die Zeit des tiefsten Verfalls, war für Danzig wie für Holland das Zeitalter der Blüthe. Trotzig wie nirgends auf deutschem Boden war hier, im beständigen Kampfe mit dem polnischen Adel, der reichsstädtische Geist aufgeblüht; an dem Artus- hofe und den hochgiebligen Patricierhäusern prangten überall die Bilder der republikanischen Helden Maccabäus, Camillus, Scipio. Obwohl von den alten kriegerischen Stadtjunkergeschlechtern des nordischen Venedig nur wenige die Stürme der napoleonischen Kriege überstanden hatten, so ge- wöhnte sich die rührige Handelsstadt doch schwer an die Formen des mo- dernen Beamtenstaats, und nach einem Menschenalter rechnete sich der Danziger von altem Schrot und Korn noch nicht zu "den Preußen". Die Hauptmasse der Provinz dagegen gehörte nun schon seit vierzig Jahren dem deutschen Staate an und hatte -- das polnische Landvolk nicht aus- geschlossen -- in schwerer Zeit eine musterhafte Treue bewährt. Vollends in Ostpreußen gedachten Deutsche, Litthauer und Masuren alle mit gleichem Stolze des Königsberger Landtags und ihrer tapfern Heurichs.
Beide Provinzen hatten unsäglich gelitten. Der König bewilligte den Grundbesitzern bedeutende Mittel zur Wiederherstellung ihrer Güter, für Ostpreußen allein 3,7 Mill. Thlr., und ließ den Oberpräsidenten mit den Provinzialständen über die Vertheilung verhandeln. Aber was wollten diese Summen bedeuten, da der Gesammtverlust der beiden Provinzen an Kriegsschäden und Leistungen seit 1806 von den Landständen auf 152 Mill. Thlr. geschätzt wurde? Manche Irrthümer und Mißgriffe liefen dabei mit
*) Hippel, Bericht an den Staatskanzler, 19. Juli 1815.
II. 5. Die Wiederherſtellung des preußiſchen Staates.
flüſterungen der Kapläne ließen die Dankbarkeit für die Wohlthaten der preußiſchen Herrſchaft nicht aufkommen, und bald galten bei den Bauern die Namen: katholiſch und polniſch, evangeliſch und deutſch als gleichbe- deutend. Das Feuer des Aufruhrs glimmte unter der Aſche, aber erſt nach wiederholtem Verrath der Polen entſchloß ſich die Krone zu der ein- zigen Politik, welche dies bedrohte Grenzland dem Staate ſichern konnte, zur unverhohlenen Begünſtigung der deutſchen Cultur. —
Einfacher lagen die Dinge in Preußen. Wohl beſtand auch in Weſt- preußen eine Adelspartei, welche ſehnſüchtig nach dem Restitutor Poloniae hinüberblickte. Die polniſchen Edelleute in den zurückgewonnenen Gebieten Michelau und Kulmerland verhielten ſich ſo zweideutig, daß der geiſtreiche Prä- ſident Hippel kurz vor der Huldigung in Thorn dem Staatskanzler ſchreiben mußte: „leider kann ich eigentlich Keinen als würdig nennen, wenn nicht durch Gnadenbezeigungen Verirrte bekehrt und gewonnen werden ſollen.“*) Auch Danzig, furchtbar heimgeſucht von den Nöthen des Krieges, ſtand noch lange ſtörriſch dem Staate gegenüber, der ihm Frieden und Wohl- ſtand wiederbrachte. Wie hatte ſich doch dieſe ſchönſte unſerer alten Städte, faſt den Holländern gleich, ſo ganz hinausgelebt aus der Gemeinſchaft ihres Volkes. Der dreißigjährige Krieg, für uns die Zeit des tiefſten Verfalls, war für Danzig wie für Holland das Zeitalter der Blüthe. Trotzig wie nirgends auf deutſchem Boden war hier, im beſtändigen Kampfe mit dem polniſchen Adel, der reichsſtädtiſche Geiſt aufgeblüht; an dem Artus- hofe und den hochgiebligen Patricierhäuſern prangten überall die Bilder der republikaniſchen Helden Maccabäus, Camillus, Scipio. Obwohl von den alten kriegeriſchen Stadtjunkergeſchlechtern des nordiſchen Venedig nur wenige die Stürme der napoleoniſchen Kriege überſtanden hatten, ſo ge- wöhnte ſich die rührige Handelsſtadt doch ſchwer an die Formen des mo- dernen Beamtenſtaats, und nach einem Menſchenalter rechnete ſich der Danziger von altem Schrot und Korn noch nicht zu „den Preußen“. Die Hauptmaſſe der Provinz dagegen gehörte nun ſchon ſeit vierzig Jahren dem deutſchen Staate an und hatte — das polniſche Landvolk nicht aus- geſchloſſen — in ſchwerer Zeit eine muſterhafte Treue bewährt. Vollends in Oſtpreußen gedachten Deutſche, Litthauer und Maſuren alle mit gleichem Stolze des Königsberger Landtags und ihrer tapfern Heurichs.
Beide Provinzen hatten unſäglich gelitten. Der König bewilligte den Grundbeſitzern bedeutende Mittel zur Wiederherſtellung ihrer Güter, für Oſtpreußen allein 3,7 Mill. Thlr., und ließ den Oberpräſidenten mit den Provinzialſtänden über die Vertheilung verhandeln. Aber was wollten dieſe Summen bedeuten, da der Geſammtverluſt der beiden Provinzen an Kriegsſchäden und Leiſtungen ſeit 1806 von den Landſtänden auf 152 Mill. Thlr. geſchätzt wurde? Manche Irrthümer und Mißgriffe liefen dabei mit
*) Hippel, Bericht an den Staatskanzler, 19. Juli 1815.
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II. 5. Die Wiederherſtellung des preußiſchen Staates.
flüſterungen der Kapläne ließen die Dankbarkeit für die Wohlthaten der
preußiſchen Herrſchaft nicht aufkommen, und bald galten bei den Bauern
die Namen: katholiſch und polniſch, evangeliſch und deutſch als gleichbe-
deutend. Das Feuer des Aufruhrs glimmte unter der Aſche, aber erſt
nach wiederholtem Verrath der Polen entſchloß ſich die Krone zu der ein-
zigen Politik, welche dies bedrohte Grenzland dem Staate ſichern konnte,
zur unverhohlenen Begünſtigung der deutſchen Cultur. —
Einfacher lagen die Dinge in Preußen. Wohl beſtand auch in Weſt-
preußen eine Adelspartei, welche ſehnſüchtig nach dem Restitutor Poloniae
hinüberblickte. Die polniſchen Edelleute in den zurückgewonnenen Gebieten
Michelau und Kulmerland verhielten ſich ſo zweideutig, daß der geiſtreiche Prä-
ſident Hippel kurz vor der Huldigung in Thorn dem Staatskanzler ſchreiben
mußte: „leider kann ich eigentlich Keinen als würdig nennen, wenn nicht
durch Gnadenbezeigungen Verirrte bekehrt und gewonnen werden ſollen.“ *)
Auch Danzig, furchtbar heimgeſucht von den Nöthen des Krieges, ſtand
noch lange ſtörriſch dem Staate gegenüber, der ihm Frieden und Wohl-
ſtand wiederbrachte. Wie hatte ſich doch dieſe ſchönſte unſerer alten Städte,
faſt den Holländern gleich, ſo ganz hinausgelebt aus der Gemeinſchaft ihres
Volkes. Der dreißigjährige Krieg, für uns die Zeit des tiefſten Verfalls,
war für Danzig wie für Holland das Zeitalter der Blüthe. Trotzig wie
nirgends auf deutſchem Boden war hier, im beſtändigen Kampfe mit
dem polniſchen Adel, der reichsſtädtiſche Geiſt aufgeblüht; an dem Artus-
hofe und den hochgiebligen Patricierhäuſern prangten überall die Bilder
der republikaniſchen Helden Maccabäus, Camillus, Scipio. Obwohl von
den alten kriegeriſchen Stadtjunkergeſchlechtern des nordiſchen Venedig nur
wenige die Stürme der napoleoniſchen Kriege überſtanden hatten, ſo ge-
wöhnte ſich die rührige Handelsſtadt doch ſchwer an die Formen des mo-
dernen Beamtenſtaats, und nach einem Menſchenalter rechnete ſich der
Danziger von altem Schrot und Korn noch nicht zu „den Preußen“. Die
Hauptmaſſe der Provinz dagegen gehörte nun ſchon ſeit vierzig Jahren
dem deutſchen Staate an und hatte — das polniſche Landvolk nicht aus-
geſchloſſen — in ſchwerer Zeit eine muſterhafte Treue bewährt. Vollends
in Oſtpreußen gedachten Deutſche, Litthauer und Maſuren alle mit gleichem
Stolze des Königsberger Landtags und ihrer tapfern Heurichs.
Beide Provinzen hatten unſäglich gelitten. Der König bewilligte den
Grundbeſitzern bedeutende Mittel zur Wiederherſtellung ihrer Güter, für
Oſtpreußen allein 3,7 Mill. Thlr., und ließ den Oberpräſidenten mit den
Provinzialſtänden über die Vertheilung verhandeln. Aber was wollten dieſe
Summen bedeuten, da der Geſammtverluſt der beiden Provinzen an
Kriegsſchäden und Leiſtungen ſeit 1806 von den Landſtänden auf 152 Mill.
Thlr. geſchätzt wurde? Manche Irrthümer und Mißgriffe liefen dabei mit
*) Hippel, Bericht an den Staatskanzler, 19. Juli 1815.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 250. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/264>, abgerufen am 24.11.2024.
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