Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.Der rheinische Adel. rheinische Freiheit, und wer nur auf die losen Worte der Schoppenstecherhörte mochte leicht an dem Lande verzweifeln. Als der treffliche Land- wirth Schwerz im Auftrage der Regierung die rheinischen Landgüter be- reiste, vernahm er in seiner Vaterstadt Coblenz eine solche Fülle von Zornreden, daß er dem Staatskanzler gestand: "kein Mensch ist mehr hier, der nicht Gott auf den Knien danken würde, wenn das Land wieder unter französischer Botmäßigkeit stünde." Andere wohlmeinende Beobachter verglichen die Provinz einem Vulkane, der jederzeit ausbrechen könne.*) Erschreckt durch so düstere Berichte glaubte Hardenberg eine Zeit lang Das Mißtrauen der Provinz gegen die Regierung fand stets neue *) Regierungsrath Schwerz an Hardenberg, Coblenz August 1816. Bericht eines kölnischen Grundbesitzers an Klewiz, Januar 1817. Oberstltnt, v. Romberg an den Staatskanzler 24. August 1817 u. s. w. Treitschke, Deutsche Geschichte. II. 18
Der rheiniſche Adel. rheiniſche Freiheit, und wer nur auf die loſen Worte der Schoppenſtecherhörte mochte leicht an dem Lande verzweifeln. Als der treffliche Land- wirth Schwerz im Auftrage der Regierung die rheiniſchen Landgüter be- reiſte, vernahm er in ſeiner Vaterſtadt Coblenz eine ſolche Fülle von Zornreden, daß er dem Staatskanzler geſtand: „kein Menſch iſt mehr hier, der nicht Gott auf den Knien danken würde, wenn das Land wieder unter franzöſiſcher Botmäßigkeit ſtünde.“ Andere wohlmeinende Beobachter verglichen die Provinz einem Vulkane, der jederzeit ausbrechen könne.*) Erſchreckt durch ſo düſtere Berichte glaubte Hardenberg eine Zeit lang Das Mißtrauen der Provinz gegen die Regierung fand ſtets neue *) Regierungsrath Schwerz an Hardenberg, Coblenz Auguſt 1816. Bericht eines kölniſchen Grundbeſitzers an Klewiz, Januar 1817. Oberſtltnt, v. Romberg an den Staatskanzler 24. Auguſt 1817 u. ſ. w. Treitſchke, Deutſche Geſchichte. II. 18
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Der rheiniſche Adel.
rheiniſche Freiheit, und wer nur auf die loſen Worte der Schoppenſtecher
hörte mochte leicht an dem Lande verzweifeln. Als der treffliche Land-
wirth Schwerz im Auftrage der Regierung die rheiniſchen Landgüter be-
reiſte, vernahm er in ſeiner Vaterſtadt Coblenz eine ſolche Fülle von
Zornreden, daß er dem Staatskanzler geſtand: „kein Menſch iſt mehr
hier, der nicht Gott auf den Knien danken würde, wenn das Land wieder
unter franzöſiſcher Botmäßigkeit ſtünde.“ Andere wohlmeinende Beobachter
verglichen die Provinz einem Vulkane, der jederzeit ausbrechen könne. *)
Erſchreckt durch ſo düſtere Berichte glaubte Hardenberg eine Zeit lang
ernſtlich an einen möglichen Abfall. In Wahrheit wurde die Wiederver-
einigung mit Frankreich nur von einer kleinen Minderheit am Rhein auf-
richtig gewünſcht. Die Rheinländer wußten wohl wie kräftig ihr Wohlſtand
jetzt wieder aufwuchs, und dies Band der wirthſchaftlichen Intereſſen erwies
ſich ſtärker als die franzöſiſchen Sympathien. Von geheimen Verſchwö-
rungen ſtand hier ohnehin nichts zu fürchten; dafür bürgte die beſte Tugend
des rheinfränkiſchen Volks, ſein offenherziger Gradſinn. Das Tadeln
und Schelten freilich über „die Revolution“, wie man den neuen Herr-
ſchaftswechſel nannte, nahm in den nächſten Jahren ſtets zu. Denn das
ältere Geſchlecht kannte noch aus Erfahrung die Plünderungen der republi-
kaniſchen Löffelgarde; die Jungen aber, die jetzt heranwuchſen, hatten einſt
im Lyceum am Napoleonstage und am Auſterlitztage die Feſtreden auf
die Glorie der weltbeherrſchenden Tricolore mit angehört, ſie hatten in
den Jahren, welche der Mehrzahl der Menſchen das Leben beſtimmen,
den großen Kaiſer geſehen, wie er in der Poppelsdorfer Allee ſeine präch-
tigen Küraſſiere muſterte. Und da nun der Liberalismus überall die fran-
zöſiſche Freiheit wieder zu bewundern begann, ſo prunkte gerade dies Ge-
ſchlecht, das in den zwanziger und dreißiger Jahren die Stimmung am
Rhein beherrſchte, gern mit ſeiner franzöſiſchen Bildung; der wälſche
Befehl „Dutzwitt“ klang ihm vornehmer als das deutſche „raſch“, die
Landsmannſchaften der Rhenanen auf den weſtdeutſchen Univerſitäten
trugen alleſammt die franzöſiſchen Farben, und die alten landläufigen Ge-
ſchichten von den Schandthaten der Sansculotten wurden jetzt den Ko-
ſaken nachgeſagt.
Das Mißtrauen der Provinz gegen die Regierung fand ſtets neue
Nahrung an den Sonderbeſtrebungen der rheiniſchen Ritterſchaft. Nir-
gends im Reiche hatte der Adel ſchwerere Einbußen erlitten. Vor einem
Menſchenalter beherrſchte er noch das Land durch ſeine Domcapitel, faſt
zwei Drittel des Bodens gehörten der Ritterſchaft und der Kirche. Jetzt war
der Großgrundbeſitz ſo vollſtändig vernichtet, daß ein Gut von 50 Morgen
ſchon zu den großen Gütern gerechnet wurde. Im trier’ſchen Regierungs-
*) Regierungsrath Schwerz an Hardenberg, Coblenz Auguſt 1816. Bericht eines
kölniſchen Grundbeſitzers an Klewiz, Januar 1817. Oberſtltnt, v. Romberg an den
Staatskanzler 24. Auguſt 1817 u. ſ. w.
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