Der Einzige des Hauses, der einigen Sinn für monarchische Größe zeigte, Herzog Friedrich I., erzwang sich durch einen Verfassungsbruch das Recht der Truppenwerbung, weil er mit scharfem Blick die Wirren des dreißigjährigen Krieges voraus sah; aber er starb bevor der Erfolg gesichert war, und sofort entlud sich die Rache des Herrenstandes auf das Haupt seines klugen Rathgebers Enslin. Der Hochverräther, der auf dem Uracher Markte unter Henkershänden fiel, blieb fortan das Schreckbild, das die Herzöge vor kriegerischem Ehrgeiz warnte. Hatte die Noth der Zeit die Aufstellung eines kleinen Heeres erzwungen, so konnte es den Ständen niemals schnell genug entlassen werden, sie ließen sich's nicht verdrießen, dem Herzog Eberhard III. noch 1500 Fl. mehr zu bewilligen, damit er nur außer dem entlassenen Fußvolk auch seine 170 Reiter abdankte; wenige Jahre darauf brach dann ein gräß- licher Raubzug der Franzosen über das ungerüstete Land herein. So ward Altwürttemberg wehrlos. Bei jedem feindlichen Einfall floh der Hof aus dem Lande, um von fremder Hilfe seine Herstellung zu er- warten. Auch im achtzehnten Jahrhundert blieb das Heerwesen kläglich; die kräftigen Söhne des herzoglichen Hauses zogen in auswärtige Dienste, und der erste Kriegsheld unter ihnen, Friedrich Eugen kämpfte unter den Fahnen Friedrichs des Großen gegen seine schwäbischen Landsleute. Der tapfere Stamm, der im Mittelalter allen Deutschen durch kriegerischen Ruhm voranleuchtete, verschwand aus den Annalen unserer neuen Kriegs- geschichte; die einzige leidlich befestigte Territorialmacht, welche seit dem Untergange der Staufer aus dem schwäbischen Ländergewirr emporge- stiegen war, blieb zweihundert Jahre lang ohne jeden Einfluß auf Deutsch- lands Geschicke.
Gleich dem Heerwesen verkümmerte auch das Beamtenthum unter der ständischen Herrschaft. Die gesammte Verwaltung lag in der Hand der übelberüchtigten Schreiber, die ohne akademische Vorbildung als In- cipienten bei einem Stadt- oder Amtsschreiber eintraten und von da durch die Gunst der Vetterschaft zu den Stellen der Stadtschultheißen und Amtleute emporstiegen. Für staatsmännische Köpfe, für neue po- litische Gedanken bot dies in Formen erstarrte Gemeinwesen nirgends Raum; durch lange Jahrzehnte hat die Geschichte Altwürttembergs nur zwei diplomatische Talente aufzuweisen: jene wackeren Unterhändler Burk- hardt und Varnbüler, die im Westphälischen Frieden die Wiederherstellung des Herzogthums durchsetzten.
Auf die Dauer litt auch das geistige Leben des Landes unter der Unbeweglichkeit seines Staates. Mit gerechter Freude zählten die Schwaben die stolze Reihe ihrer Dichter und Denker und fragten, welcher andere Stamm außer den Obersachsen der Nation so viele Helden des Geistes geschenkt habe? Feurige Phantasie und forschender Tiefsinn verbanden sich glücklich in der schwäbischen Natur, und grade die eigensten Züge des
Schwäche der landesfürſtlichen Gewalt.
Der Einzige des Hauſes, der einigen Sinn für monarchiſche Größe zeigte, Herzog Friedrich I., erzwang ſich durch einen Verfaſſungsbruch das Recht der Truppenwerbung, weil er mit ſcharfem Blick die Wirren des dreißigjährigen Krieges voraus ſah; aber er ſtarb bevor der Erfolg geſichert war, und ſofort entlud ſich die Rache des Herrenſtandes auf das Haupt ſeines klugen Rathgebers Enslin. Der Hochverräther, der auf dem Uracher Markte unter Henkershänden fiel, blieb fortan das Schreckbild, das die Herzöge vor kriegeriſchem Ehrgeiz warnte. Hatte die Noth der Zeit die Aufſtellung eines kleinen Heeres erzwungen, ſo konnte es den Ständen niemals ſchnell genug entlaſſen werden, ſie ließen ſich’s nicht verdrießen, dem Herzog Eberhard III. noch 1500 Fl. mehr zu bewilligen, damit er nur außer dem entlaſſenen Fußvolk auch ſeine 170 Reiter abdankte; wenige Jahre darauf brach dann ein gräß- licher Raubzug der Franzoſen über das ungerüſtete Land herein. So ward Altwürttemberg wehrlos. Bei jedem feindlichen Einfall floh der Hof aus dem Lande, um von fremder Hilfe ſeine Herſtellung zu er- warten. Auch im achtzehnten Jahrhundert blieb das Heerweſen kläglich; die kräftigen Söhne des herzoglichen Hauſes zogen in auswärtige Dienſte, und der erſte Kriegsheld unter ihnen, Friedrich Eugen kämpfte unter den Fahnen Friedrichs des Großen gegen ſeine ſchwäbiſchen Landsleute. Der tapfere Stamm, der im Mittelalter allen Deutſchen durch kriegeriſchen Ruhm voranleuchtete, verſchwand aus den Annalen unſerer neuen Kriegs- geſchichte; die einzige leidlich befeſtigte Territorialmacht, welche ſeit dem Untergange der Staufer aus dem ſchwäbiſchen Ländergewirr emporge- ſtiegen war, blieb zweihundert Jahre lang ohne jeden Einfluß auf Deutſch- lands Geſchicke.
Gleich dem Heerweſen verkümmerte auch das Beamtenthum unter der ſtändiſchen Herrſchaft. Die geſammte Verwaltung lag in der Hand der übelberüchtigten Schreiber, die ohne akademiſche Vorbildung als In- cipienten bei einem Stadt- oder Amtsſchreiber eintraten und von da durch die Gunſt der Vetterſchaft zu den Stellen der Stadtſchultheißen und Amtleute emporſtiegen. Für ſtaatsmänniſche Köpfe, für neue po- litiſche Gedanken bot dies in Formen erſtarrte Gemeinweſen nirgends Raum; durch lange Jahrzehnte hat die Geſchichte Altwürttembergs nur zwei diplomatiſche Talente aufzuweiſen: jene wackeren Unterhändler Burk- hardt und Varnbüler, die im Weſtphäliſchen Frieden die Wiederherſtellung des Herzogthums durchſetzten.
Auf die Dauer litt auch das geiſtige Leben des Landes unter der Unbeweglichkeit ſeines Staates. Mit gerechter Freude zählten die Schwaben die ſtolze Reihe ihrer Dichter und Denker und fragten, welcher andere Stamm außer den Oberſachſen der Nation ſo viele Helden des Geiſtes geſchenkt habe? Feurige Phantaſie und forſchender Tiefſinn verbanden ſich glücklich in der ſchwäbiſchen Natur, und grade die eigenſten Züge des
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Der Einzige des Hauſes, der einigen Sinn für monarchiſche Größe
zeigte, Herzog Friedrich I., erzwang ſich durch einen Verfaſſungsbruch
das Recht der Truppenwerbung, weil er mit ſcharfem Blick die Wirren
des dreißigjährigen Krieges voraus ſah; aber er ſtarb bevor der Erfolg
geſichert war, und ſofort entlud ſich die Rache des Herrenſtandes auf
das Haupt ſeines klugen Rathgebers Enslin. Der Hochverräther, der
auf dem Uracher Markte unter Henkershänden fiel, blieb fortan das
Schreckbild, das die Herzöge vor kriegeriſchem Ehrgeiz warnte. Hatte
die Noth der Zeit die Aufſtellung eines kleinen Heeres erzwungen, ſo
konnte es den Ständen niemals ſchnell genug entlaſſen werden, ſie
ließen ſich’s nicht verdrießen, dem Herzog Eberhard III. noch 1500 Fl.
mehr zu bewilligen, damit er nur außer dem entlaſſenen Fußvolk auch
ſeine 170 Reiter abdankte; wenige Jahre darauf brach dann ein gräß-
licher Raubzug der Franzoſen über das ungerüſtete Land herein. So
ward Altwürttemberg wehrlos. Bei jedem feindlichen Einfall floh der
Hof aus dem Lande, um von fremder Hilfe ſeine Herſtellung zu er-
warten. Auch im achtzehnten Jahrhundert blieb das Heerweſen kläglich;
die kräftigen Söhne des herzoglichen Hauſes zogen in auswärtige Dienſte,
und der erſte Kriegsheld unter ihnen, Friedrich Eugen kämpfte unter den
Fahnen Friedrichs des Großen gegen ſeine ſchwäbiſchen Landsleute. Der
tapfere Stamm, der im Mittelalter allen Deutſchen durch kriegeriſchen
Ruhm voranleuchtete, verſchwand aus den Annalen unſerer neuen Kriegs-
geſchichte; die einzige leidlich befeſtigte Territorialmacht, welche ſeit dem
Untergange der Staufer aus dem ſchwäbiſchen Ländergewirr emporge-
ſtiegen war, blieb zweihundert Jahre lang ohne jeden Einfluß auf Deutſch-
lands Geſchicke.
Gleich dem Heerweſen verkümmerte auch das Beamtenthum unter
der ſtändiſchen Herrſchaft. Die geſammte Verwaltung lag in der Hand
der übelberüchtigten Schreiber, die ohne akademiſche Vorbildung als In-
cipienten bei einem Stadt- oder Amtsſchreiber eintraten und von da
durch die Gunſt der Vetterſchaft zu den Stellen der Stadtſchultheißen
und Amtleute emporſtiegen. Für ſtaatsmänniſche Köpfe, für neue po-
litiſche Gedanken bot dies in Formen erſtarrte Gemeinweſen nirgends
Raum; durch lange Jahrzehnte hat die Geſchichte Altwürttembergs nur
zwei diplomatiſche Talente aufzuweiſen: jene wackeren Unterhändler Burk-
hardt und Varnbüler, die im Weſtphäliſchen Frieden die Wiederherſtellung
des Herzogthums durchſetzten.
Auf die Dauer litt auch das geiſtige Leben des Landes unter der
Unbeweglichkeit ſeines Staates. Mit gerechter Freude zählten die Schwaben
die ſtolze Reihe ihrer Dichter und Denker und fragten, welcher andere
Stamm außer den Oberſachſen der Nation ſo viele Helden des Geiſtes
geſchenkt habe? Feurige Phantaſie und forſchender Tiefſinn verbanden ſich
glücklich in der ſchwäbiſchen Natur, und grade die eigenſten Züge des
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 301. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/315>, abgerufen am 22.11.2024.
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